2006-02:Entschuldigen Sie, aber Sie sind hier falsch

Aus grünes blatt
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Entschuldigen Sie, aber Sie sind hier falsch

sp Ein Grauen ... voller Tag. Und ich wieder kurz davor, meine Gefühle unter Essen zu begraben. Aber irgendwie habe ich die Kurve bekommen und verweile im Grauen. Und schreibe den ersten Versuch für diesen Text auf einen geduldigen Fetzen Papier.

Begraben unter...

Es fängt da an, wo ich allein vor dem Gericht stehe, ein paar liebe Leute haben sich gerade auf den Weg nach anderswo gemacht. Und in mir kocht Wut angesichts des zurückliegenden Polizeiübergriffs, einer nahtlosen Fortsetzungsgeschichte. Aber ich bin gar nicht nur wütend, eigentlich ist das nur die Oberfläche. Und genau genommen ist es gar nicht dieser "Vorfall", der mich so nieder geschlagen hat. Viel schlimmer war das Gefühl fast völliger Ohnmacht, immer wieder dieses "die können das so machen" ... weil es keine interessiert. Weil es keine interessiert. Das ist so scheisse frustrierend. Viel schlimmer als Repression empfinde ich gerade, psychisch "abzufucken" - ich habe Angst, emotional einzufrieren, weil sich politische Aktivität anders gar nicht aushalten lässt.

"Solidarität" ist tot. Zu spüren, dass Unterstützung einzig über persönliche Kontakte überhaupt funktioniert - wer nicht sympathisch ist, wer sich keiner Gruppe zuordnet ... kann gleich einpacken. Das zu spüren, macht mich fertig. Im Laufe des Tages hat sich dieses Gefühl immer weiter vertieft.

Abends ging ich durch die Stadt und stand eine Zeit bei diesem Protesttreffen herum. Als eine Ziffer in der Matrix, eine unsichtbare sogar. Mir sind die Leute um mich herum so unendlich fremd geworden. Wenn sie fragen, "wie ist es denn gelaufen?" meinen sie "Das interessiert mich nicht" oder suchen eine Überleitung um sich an mir vorbei zu reden. Aus dem nettesten "small talk" blickt mich ein frostiges "egal" in großen Buchstaben an. Und dann denke ich daran, wie die Menschen um mich herum ihre isolierten Leben leben, eingezwängt von Erwartungen, Arbeit, Studium, Schule undsoweiter. Das Echo des normalen Lebens nimmt kein Ende. "Are you an alien?"

Mir sind die Leute um mich herum so unendlich fremd geworden. Quatsch - eigentlich wollte ich damit ausdrücken: Ich ticke nicht richtig. Weil ich mir nicht vorstellen kann, mein Leben unter Ausbildung und Arbeit zu begraben, um dann nach Feierabend ein wenig zu protestieren. Und nach ein paar Jahren ritualisierter Rebellion ganz in das "Private" zu sinken. Weil ich mich nicht mit Partys und Gesprächen isolieren will. Weil mein Körper sich weigert, sich unterrichten zu lassen oder arbeiten zu gehen. Weil ich nicht ausblenden kann, dass diese Welt ein grausamer Ort ist. Weil ich diese Welt nicht will, die von Hierarchie und Herrschaft bis ins letzte Detail durchzogen ist. Weil ich noch merke, wie gleichgültig ich manchmal bin. Weil es mir nicht gelingt, blankes "egal" in eine nette Verpackung zu pressen, die sich andere eigentlich wünschen.

Am Ende dieses Tages steht Einsamkeit. Entfremdung. Verzweifelung. Und ich bin so viel Eisklotz, dass ich es nicht einmal schaffe, das auszudrücken und mich in die Umarmung eines Menschen, der mich vielleicht versteht, fallen zu lassen. Und zu flennen. Einfach die Verzweiflung ausdrücken, den Schmerz zulassen können, anstatt das Grauen auszublenden.

Am liebsten würde ich hier einen Schlussstrich unter diese Lebensphase ziehen - das geht nicht, weil die Justiz die Vergangenheit in ihrer Mühle quetscht, um Wahrheit herzustellen. Und klar, die Illusion, dass es anderswo besser ist, funktioniert bei mir auch nicht.

Und ich habe keine Ahnung, wie es weiter gehen soll. Wo ist der Notausgang? Scheisse - ich habe verdammte Angst, emotional eingefroren als Politmaschine zu enden. Und genau so viel Angst, mich zurück zu ziehen in das "private Glück", dass es für mich in dieser Welt nicht geben kann. Es gibt keine Hintertür zurück in die Matrix.

Ich lebe in der falschen Zeit - nein, umgekehrt: Ich ticke nicht richtig. Ich bin hier falsch. Aber es gibt nichts "Richtiges". Und ich kann mich nicht wieder richtig machen. Ich; falsch im Falschen.


http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/deed.de

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