2010-02:Repression in Belarus

Aus grünes blatt
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Repression in Belarus

anarchistin Am Abend des 30. August 2010 haben unbekannte Schwarzvermummte 2 Molotov-Cocktails in das Gelände der russischen Botschaft in Minsk, Belarus (Weißrussland) geworfen. Dabei ist ein Diplomatenauto, ein Mazda 3, in Flammen aufgegangen.
Am Morgen des 3. September 2010 wurden 7 Anarchist_innen verhaftet. In der darauf folgenden Zeit wurden in ganz Belarus Häuser und Wohnungen durchsucht, Sachen beschlagnahmt, Menschen verhört und verhaftet. Die Repression dauerte wochenlang an.

Der hier publizierte Text soll eine kleine Übersicht bieten über die Geschehnisse. Er wurde nur aus englischen Quellen übersetzt und ist deshalb nicht vollständig. Wer die Situation in Belarus nicht kennt, sollte evtl. zuerst die Notizen am Schluss lesen.

Montag, 30. August 2010

Am Abend um ca. 22.00 Uhr haben unbekannte Schwarzvermummte 2 Molotov-Coctails in das Gelände der russischen Botschaft in Minsk geworfen. Dabei ist ein Diplomatenauto, ein Mazda 3, in Flammen aufgegangen.

Dieses Ereignis hat in den russischen und belarussischen Medien für großes Aufsehen gesorgt. Es tauchten Gerüchte auf, dass dies eine Aktion der belarussischen Regierung sein könnte. Der weißrussische Präsident Lukashenko hat, zum Ärgernis Moskaus, eine Beteiligung Russlands nicht ausgeschlossen.

Donnerstag, 2. September 2010

Auf http://belarus.indymedia.org und http://belarus.avtonom.org ist folgendes Communiqué erschienen:

Am Abend des 30.August 2010 hat eine Gruppe Anarchist_innen die russische Botschaft in Minsk mit Molotov-Cocktails angegriffen. Eines der Diplomatenautos ist ausgebrannt. Mit dieser Aktion bringen wir unsere Wut und unseren Protest über die Verhaftungen der Verteidiger_innen des Khimki Waldes in Moskau und über die Repression gegen sie zum Ausdruck.

Während unsere Freunde von faschistischen Söldnern verprügelt werden, verfolgt und verhaftet die Bereitschaftspolizei unschuldige Leute ‒ Drohungen und Verhaftungen wurden zur täglichen Routine. Unsere Freunde müssen jetzt in Gefängnissen leiden oder mit der Angst leben, inhaftiert zu werden, nur weil sie für Freiheit, Mensch und Umwelt kämpfen.

Aber Bürokrat_innen und Kapitalist_innen interessieren sich nur für ihre Schmiergelder und Profite, es kümmert sie nicht, was morgen passiert, sie sind bereit jeden Protest oder jede Uneinigkeit mit Grausamkeit abzuwürgen. Was kommt als nächstes ‒ die Todeskommandos?

Wir erklären uns solidarisch mit unseren Kameraden_innen und unterstützen nur die Methoden der direkten Aktion, denn die Regierung fürchtet sich nur vor Gewalt und vor nichts Anderem.

Es ist wirklich lustig, einige Kommentare über die Wahlkampagne in Internet Foren zu lesen. Beide Clans, „Regierung der Republik Belarus“ und „Regierung der Russischen Föderation“, widern uns an. Den armen Arbeiter_innen der beiden Länder wird dieses Kämpfen um Macht nie etwas nützen. Es ist töricht, Politiker_innen zu imitieren. Leute, kommt zur Vernunft! Ist es wirklich möglich jede Handlung des Protests mit Theorien der Verschwörung zu erklären? Wir werden jeden Tag bestohlen und gedemütigt ‒ aber das führt nur zu Angst in den Augen und Geflüster in den Küchen. Es ist Zeit, unsere Kräfte aufzubringen und zu glauben das wir eines besseren Lebens würdig sind.

Freiheit für alle gefangenen Kamerad_innen! Stopp der politischen Repression! Nieder mit den Beamt_innen, Gangster_innen und Polizist_innen!

Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit!

Freund_innen der Freiheit

Dieses Communiqué wurde später wieder gelöscht mit der Begründung, es könnte irreführend sein (unklar ist, ob dies durch Indymedia-Aktivist_innen oder durch die Regierung initiiert wurde).
Später kursierte außerdem die Information oder das Gerücht, dass die Solidarität den beiden noch stets verhafteten Aktivisten Gaskarova Alexey und Maxim Solopovym gilt. Diese wurden im Zusammenhang mit der Verteidigung des Khimki Waldes bei Moskau, welcher abgeholzt werden soll um einer Autobahn Platz zu machen, verhaftet.

Freitag, 3. September 2010

Früh morgens wurden Ihar Bahachak (Igor Bogachek), Valeriya (Valeryja oder Valeria) Khotina, Siarhej Slyusar (Syarhey, Siarhei oder Sergei Sliusar), Mikalay Dzyadok (Mikalaj, Nikalai oder Nikolai Dedok), Alyaksei Zhinherousky (Aliaksiej oder Alexei Zhynherouski oder Zhingerovsky), Anton Laptsyonak (Laptsionak oder Laptenok) und Aliaksandar Frantskievich (Alyaksandr oder Alexander Frantskevich) verhaftet.

Communiqué:

Heute Morgen sind unsere Freund_innen und Kamerad_innen von der Polizei gekidnappt worden. Sechs Leute werden vermisst. Wir haben es erst einige Stunden später geschafft durch Nachbar_innen mehr von ihrer Entführung in Erfahrung zu bringen. Diese sagten, dass Unbekannte in Polizeiuniform alle mitgenommen haben, die sich in der Wohnung befanden. Das Schicksal dieser Menschen ist im Moment noch unbekannt. Niemand reagiert auf Handyanrufe. Jeder Versuch etwas über ihren Aufenthaltsort in den Polizeistationen von Minsk heraus zu finden, hat keine Resultate erbracht, weil die Bullen jegliche Beteiligung (eventuell ist hier auch Verantwortung gemeint) abstreiten. Die Wohnung eines anderen verhafteten Aktivisten wird von einer Polizeipatrouille überwacht und diese Cops geben nichts über den Grund ihrer Präsenz Preis.

All diese Menschen sind soziale Aktivist_innen, die an diversen sozialen Bewegungen mit dem Ziel Menschenrechte, Arbeiter_innenrechte und freien Zugang zu Informationen zu verteidigen, teilhaben. Wir glauben, dass diese Entführungen direkt mit der Zeit der „Wahlen“ in Belarus zusammenhängen, weil sich jedesmal wenn diese stattfinden, die Repression gegen soziale Aktivist_innen durch die Autoritäten verstärkt. Sie versuchen damit die Menschen am Zugang zu ungewollten Informationen zu hindern.

Wir halten es für Kidnapping, weil es noch stets keine Informationen über die Schicksale der Menschen und über die Gründe ihrer Verhaftung gibt. Solche Aktionen sind eine ernsthafte Verletzung der Rechte und Freiheiten jeder Person. Wir drängen alle nicht gleichgültigen Leute, dabei zu helfen unsere Kamerad_innen zu finden und über dieses Ereignis in den Medien Bericht zu erstatten. Wenn du Informationen hast über den Fall oder uns irgendwie helfen kannst, schreib an „bla:bla:bla:“.

Es ist offensichtlich für uns, dass der Auslöser für die Repression das Ereignis in der Nähe der russischen Botschaft in Minsk, das am 30. August 2010 stattfand, war. Eine Presseerklärung einer vorher unbekannten Gruppe von Anarchist_innen, welche innerhalb von zwei Tagen öffentlich die Verantwortung für den Angriff erklärte, gab dem Geheimdienst einen praktischen Grund für die einschüchternden Aktionen.

Update 23:35: Der Aufenthaltsort der Gefangenen ist noch immer unbekannt. Jedoch wurde berichtet, dass Telefone, Computer und verschiedene Literatur von ihnen beschlagnahmt wurde. Und dass die Polizei fünf Aktivist_innen sucht. Haltet Ausschau nach Updates.

Freund_innen und Kamerad_innen der Entführten.

Einige der Verhafteten haben vor kurzem eine Wohnung in einem der Quartiere von Minsk angemietet. Um 6.00 Uhr morgens klingelte es an der Tür und als ein junger Mann diese öffnete, stürmten zivile Agenten und SWAT Teams in die Wohnung, ohne einen Ausweis oder andere erklärende Dokumente vorzuweisen. Alle Anwesenden wurden verhaftet und zum Verhör ins GUBOP (Belarussisches Innenministerium, Hauptquartier zur Bekämpfung des Organisierten Verbrechens) gebracht. Die Wohnung wurde durchsucht und es wurden fünf Computer, zwei Laptops, Handys, SIM Karten, Harddrives, Geld, Poster, Bücher und Hefte beschlagnahmt. Angeblich waren alle Verhafteten Benutzer_innen von http://belarus.indymedia.org.
Alle offiziellen Stellen sowie die Polizei haben jede Stellungnahme verweigert.

Am gleichen Tag wurde der Tod des berühmten 36-jährigen belarussischen Oppositionsjournalisten Oleg Bebenin bekannt und diese Nachricht über alle möglichen Kanäle verbreitet. Anfangs sprach die Polizei von Suizid, musste aber schon nach ein paar Tagen zugeben, dass es vermutlich doch Mord war.

Für viele soziale Aktivist_innen und Anarchist_innen besteht klar ein Zusammenhang zwischen dem Fund von Oleg Bebenin und den Verhaftungen der Anarchist_innen.

Samstag, 4. September 2010

Es wurde bekannt, dass sich die Verhafteten in der Haftanstalt an der Okrestinastraße in Minsk befinden. Das Pressecenter der Polizei von Minsk hat auf Anfrage des 'Europäischen Radios für Belarus' erklärt, nichts von den Vorfällen zu wissen.
Es fanden außerdem Hausdurchsuchungen in anderen belarussischen Städten (u.a. Salihorsk, Gomel und Grodno) statt.

Die Homepage khimkibattle.org distanziert sich von dem Angriff auf die russische Botschaft. Wir „haben keine Informationen, ob die Menschen hinter dieser Aktion sich wirklich für Menschen interessieren oder ob es Aktionen von Provokateuren sind. Aber wir sind davon überzeugt, dass solche Aktionen weder den gefangenen Kameraden noch der Kampagne als Ganzes dienen.“ (Diese Spaltung muss unter den Umständen der drohenden Repression und der Gesamtsituation in Russland und Belarus betrachtet werden, was sie in der Meinung der Übersetzerin aber nicht entschärft oder rechtfertigt. In Belarus braucht man, außer für ein paar wenige (meist (ex)kommunisitsche) Länder, für die ganze Welt Visas um aus- und einreisen zu dürfen.)

Einige Notizen zum besseren Verständnis:

  • Die Beschreibung der Ereignisse ist aus einem subjektiven Standpunkt erfolgt.
  • Alles kursiv Geschriebene sind Zitate aus auf Englisch veröffentlichten (Zeitungs-)Berichten und Communiqués, die meistens bereits aus dem Russischen übersetzt wurden. Dadurch und durch die nicht professionelle Übersetzung sind vermutlich Abweichungen entstanden.
  • Weil bei der Übersetzung vom Russischen (Kyrillische Buchstaben) ins Englische verschiedene Buchstaben gebraucht werden, zirkulieren verschiedene Namen für die gleichen Personen. Die Übersetzerin hat versucht die durch unabhängige Medien benutzten Namen zu gebrauchen. Diese stehen bei der ersten Erwähnung vor der Klammer.
  • Die vorhandenen Informationen sind teilweise sehr kontrovers. Dies liegt einerseits an den Unterschieden der staatlichen und unabhängigen Berichterstattung, an den ungenauen Übersetzungen, aber auch an dem nur sehr bruchstückhaften Zugang zu Informationen. So ist z.B. in einem Artikel von sechs, in einem anderen von sieben am 3. September 2010 Verhafteten die Rede oder es wird in manchen Artikeln nicht erwähnt, dass Aliaksandar Buhajeu auch am 8.September 2010 verhaftet wurde.
  • Alle Geschehnisse müssen unter den Umständen der Situation in Russland und Belarus betrachtet werden. Belarus (eines der früheren UdSSR-Länder), auch bekannt als die letzte Diktatur Europas, wurde schon des öfteren der Absenz von Menschenrechten bezichtigt. Alexander Lukashenko ist seit 16 Jahren an der Macht und regiert dieses offiziell demokratische Land mit eiserner Hand. Belarus und Russland haben auch nach der Unabhängigkeitserklärung von Belarus stets eine enge Beziehung zueinander gepflegt. Belarus ist z.B. wirtschaftlich von Russland abhängig. Die diplomatischen Beziehungen haben sich in letzter Zeit aber stark abgekühlt und Lukashenko kann sich keiner hundertprozentigen Unterstützung vom russischen Kreml mehr sicher sein. Dies bedeutet eine kleine Öffnung für die Opposition, um dem Regime ein Ende zu machen ‒ was wiederum eine Verschärfung der Repression der jetzigen Regierung zur Folge hat.
  • Belarus ist ein für Europa vergleichsweise armes Land. Die staatliche Propaganda und Kontrolle ist sehr stark, die Medien zensiert, die Bürger_innen staatstreu. Die anarchistische Bewegung und alternative Szene ist sehr klein und hat einen harten Stand. So kann z.B. bereits das Aufkleben eines Stickers zu Gefängnisstrafen führen.
  • Die Polizei in Belarus ist korrupt und in einer beinahe unantastbaren Machtposition. Dies lassen sie, selbst bei einer Routinekontrolle oder einer kleinen Formularangelegenheit, alle die nur ein wenig widersprechen spüren.
  • Bis Anhin ist nur die Adresse von Mikalay Dzyadok veröffentlicht worden. Diese lautet Belarus, Minsk, Valadarskaha str. 2, Mikalay Dzyadok.
  • weitere Informationen und die Kontaktaufnahme (z.B. für Soligeld für Anwaltskosten) kann über minsksolidarity[at]riseup.net stattfinden.

Dieser Text stammt von de.indymedia.org und ist unter folgender CreativeCommons-Lizenz lizensiert: Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Deutschland.