2014-04 Berlin: Die A100 frisst sich durch

Aus grünes blatt
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vega Seit der letzten Ausgabe des Grünen Blatts hat sich in Berlin wenig Gutes ereignet, und die Vorgänge rund um die A100 gehören sicher nicht dazu. In wenigen Worten: Die Bauarbeiten machen Fortschritte, die Verdrängung der Menschen in der Beermannstraße schreitet voran, (partei-)politisch ist die Zukunft des Projekts erst einmal abgesichert und zu allem Überfluss ist auch noch die Strafjustiz ist auf dem Plan getreten. Und trotzdem werden im Widerstand gegen den Autobahnausbau neue Bündnisse geschmiedet, von denen mensch sicherlich noch hören wird.

In Neukölln, auf dem ersten Teilstück der Trasse, haben die Bauarbeiten im großen Stil begonnen. Durch den Abriss von Kleingärten, Gewerbegrundstücken und Bauruinen sowie der Fällung von Straßenbäumen ist von hier eine breite Schneise in Richtung Innenstadt entstanden. Auf deren Endstück in Treptow leben aber immer noch Menschen, die für den Autobahnbau vertrieben werden sollen. Konkret sollen in der Beermannstraße 5 Wohnhäuser und eine weitere Kleingartenanlage abgerissen werden. Die Menschen, die hier noch wohnen, werden von der Senatsverwaltung immer weiter unter Druck gesetzt.

In den Häusern wohnen noch ungefähr 10 Mietsparteien. Etwa 90 Wohnungen stehen inzwischen leer. Sie wurden im Auftrag des Senats unbewohnbar gemacht und mit hochwertigen Schlössern gegen Besetzungen gesichert. Dafür dürften mehrere zehntausend Euro draufgegangen sein. Die Leute, die aus den Wohnungen raus mussten, haben nur ein paar hundert Euro Umzugspauschale bekommen und keinen Cent Entschädigung gesehen. Bei den meisten die jetzt noch drin sind, ist der Kündigungstermin eigentlich schon vorbei. Sie haben Einspruch gegen ihren Rausschmiss eingelegt. Eine Perspektive in den Häusern zu bleiben sehen sie nicht wirklich, viele beharren aber auf einen vernünftigen Ersatz. Denn die Ersatzangebote vom Senat sind meistens miserabel. Bisher sind die verbliebenen MieterInnen davon ausgegangen, dass es noch weit bis ins nächste Jahre dauert, bis der Rechtsweg abgeschlossen ist und sie wirklich rausmüssen. Inzwischen droht der Senat ihnen aber mit einer vorzeitigen Besitzeinweisung, sprich quasi einer Enteignung. Dadurch würde das Mietrecht ausgehebelt werden und das ganze Verfahren könnte deutlich schneller abgeschlossen sein. Der psychische Druck, der auf den Menschen lastet, ist enorm.

Die Situation der Leute in der angrenzenden Kleingartenanlage ist vielleicht etwas weniger existenziell, aber trotzdem beschissen. Sie bekommen zwar eine Entschädigung, bei der Berechnung des Werts der einzelnen Grundstücke wurde aber massiv getrickst. Das Ergebnis ist, dass viele sich keinen neuen Garten in der Stadt leisten können oder nichtmal den Kaufbetrag für ihre Parzellen wieder rauskriegen. Dazu kommen noch Extraschikanen, zum Beispiel die Auflage, die zum zeitnahen Abriss vorgesehenen Hütten komplett leergeräumt und besenrein an den Senat zu übergeben. Das soll im November passieren.

Gleichzeitig ist der soziale Druck in Berlin hoch wie lange nicht mehr. Zu den kontinuierlich steigenden Mieten kamen in den letzten Monaten groß angelegte Räumungen: Im April der von Geflüchteten besetzte Oranienplatz, im Juni ein großer Teil der refugees in der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule und schließlich im September die Cuvry-Brache, ein Barackendorf auf einer Fläche, auf der jetzt Luxuswohnungen entstehen sollen. Dazu kommen die Geflüchteten, die Oranienplatz und Hauptmannschule „freiwillig“ verlassen haben, dafür ein paar Monate in Berliner Lagern bleiben durften und jetzt wieder auf der Straße stehen. Wohnraum ist knapp und das Elend groß wie selten zuvor, eine Tatsache die mittlerweile im alltäglichen Stadtbild deutliche Spuren hinterlässt.

Als Wowereit dann das Bürgermeisteramt hingeschmissen hat, sah es für einen Moment so aus, als könnten die Leute in der Beermannstraße wieder etwas Hoffnung schöpfen. Schließlich war er es, der die SPD überhaupt erst auf A100-Kurs gebracht hat. Allerdings war ziemlich schnell absehbar, dass mit Michael Müller ein anderer Autobahnfan regierender Bürgermeister wird. Müller hat schon die letzten zwei Jahre als Stadtentwicklungssenator maßgeblich an der Durchsetzung des Projekts mitgewirkt, Veränderungen sind mit ihm keine zu erwarten. Seine beiden gescheiterten Herausforderer A100-Gegner zu nennen, wäre übertrieben, aber seinen Enthusiasmus in Sachen Autobahnausbau teilen sie nicht. Trotzdem und trotz der dramatischen Situation in der Beermannstraße war die A100 im Wahlkampf überhaupt kein Thema.

Das die A100 in den letzten Monaten überhaupt noch in den Medien aufgetaucht ist, liegt vor allem an dem Strafverfahren gegen fünf A100-GegnerInnen. Nachdem Anfang Februar eine Baumbesetzung auf der geplanten Trasse geräumt wurde, wird ihnen nun Hausfriedensbruch vorgeworfen. Verfolgt werden kann das ganze überhaupt nur, weil ein Mitarbeiter aus Müllers Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Strafantrag gestellt hat. Bisher denkt die Behörde nicht daran, den Strafantrag wieder zurückzunehmen – obwohl zwei grüne Abgeordnetenhausmitglieder, Robin Wood und eine Delegation diverser stadt- und umweltpolitischer Gruppen sie dazu aufgefordert haben. Dafür hat es diese Auseinandersetzung mehrmals in die Hauptstadtpresse geschafft.

Viele dieser Presseberichte erwecken den Eindruck, es ginge politisch nur noch um das Abwehren von Kriminalisierung und nicht mehr um eine Fortsetzung des jahrelangen Protest und Widerstands gegen die A100. Der war tatsächlich mal breiter getragen als im Moment, ist aber noch lange nicht tot. Im Gegenteil, die Verzahnung zwischen umwelt- und verkehrspolitisch Aktiven mit Stadtteil- und MieterInneninitiativen ist so eng wie nie. Ein erstes Ergebnis davon war ein Go-In bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung am 20.10. Mitgemacht hat ungefähr ein dutzend bunt zusammengewürfelter Personen. Im Gepäck hatten sie einen Brief an Senator Müller, in dem gefordert wird, den Strafantrag gegen A100-GegnerInnen zurückzuziehen und die Wohnhäuser und Kleingärten in der Beermannstraße zu erhalten. Der Senator selbst war nicht im Haus und in der Chefetage war man von dem Überraschungsbesuch nicht gerade begeistert. Dennoch nahmen sich zwei Mitarbeiter Müllers Zeit für ein längeres Gespräch. Die Linie war dabei allerdings eindeutig: Man nehme den Brief entgegen, werde ihn erstmal inhaltlich prüfen und sich dann melden. Verhandlungen in irgendeiner Form wurden scharf abgelehnt, dass unangemeldete und gemeinsame Erscheinen der Gruppe stieß ihnen sauer auf. So würde Verwaltungshandeln nicht funktionieren. Die Ankündigung weiterer Proteste wurde als Drohung aufgefasst und zurückgewiesen.
 Hier zeigt sich ein klares Machtverhältnis. Denn für die MieterInnen in der Beermannstraße ist die Drohung auf der Straße zu landen konkret und sie können sich nicht einfach mehr Zeit nehmen, um sich erstmal mit dem Thema zu befassen. Doch schon auf die zaghafte Umdrehung dieses Gewaltverhältnisses reagierte die Verwaltung allergisch. Anschließend ging es weiter zum technischen Leiter des A100-Ausbaus, der den Strafantrag unterschrieben hat. Auch er gab sich gesprächsbereit, zog sich aber in der Strafantragsfrage hinter seinen Vorgesetzten zurück. Allerdings gab es von ihm auch die klare Aussage: Momentan ist in Müllers Behörde die Kriminalisierung von A100-GegnerInnen gewollt.
Die Verantwortliche für die Vertreibung der Menschen aus der Beermannstraße, wurde nicht angetroffen. Aber auch ihr wurde der Brief hinterlassen und ihre Bürotür etwas verschönert.

Es bleibt abzuwarten, wie es jetzt weitergeht. Das Politik und Verwaltung es sich plötzlich anders überlegen, ist kaum zu erwarten. Trotzdem – mit dem Rollen der Baumaschinen hat sich der Protest gegen die A100 nicht erledigt. Gerade weil der Druck steigt, dürfte der Autobahnausbau auch künftig wieder auf Widerstand stoßen.