2015-03:Boliviens Traum vom Energiezentrum Lateinamerikas

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UPDATE in der Sommerausgabe 2016: Bolivien auf dem Weg ins Atomzeitalter

Boliviens Traum vom Energiezentrum Lateinamerikas

Die bolivianische Regierung unter Evo Morales, dem indigenen Präsidenten, hat große Hoffnungen geweckt, nicht nur in Bolivien. Als Vorreiter für die Rechte der indigenen Völker und Verteidiger von Mutter Erde, gegen die profitorientierte Ausbeutung durch den Kapitalismus. Doch in Wirklichkeit imitiert sie den sogenannten Fortschritt.

Bolivien soll zum „Energiezentrum“ Lateinamerikas avancieren. Alle Schritte gehen in diese Richtung:

  • Verstärkte Exploration und Ausbeutung der Öl- und Gasvorkommen, inklusive Fracking. Dafür soll auch die Straße durch den TIPNIS gebaut werden, ein Naturreservat und Lebensgebiet der indigenen Amazonasvölker. In den letzten Tagen wurde ein Abkommen mit China unterschrieben, das einen Kredit in Höhe von 7.000 Millionen US$ (gleichbedeutend mit 22,8% des Bruttosozialproduktes) für dieses Großprojekt zur Verfügung stellt.
  • Bau von Groß-Talsperren zur Energiegewinnung am Andenfuß, mit Zerstörung des Regenwaldes und Siedlungsgebieten einheimischer indigener Völker.
  • Bau von einem oder mehreren Atomkraftwerken.


Entwicklung der Atomkraft

Der Energiebericht des Landes zum Jahr 2025, vom Januar 2014 erwähnt auf Seite 132 ausdrücklich die Nutzung der Atomenergie zur Energiegewinnung. Das PBEN (Bolivianisches Programm für Atomenergie) proklamiert "die Ausbildung einer technisch-wissenschaftlichen Elite von bolivianischen Fachleuten, um die technologische Selbständigkeit des Landes durch die "friedliche" Nutzung der Atomenergie zu konsolidieren, zum Nutzen der bolivianischen Bevölkerung." Es wurden in den letzten Jahren mehrere Absichtserklärungen und Abkommen mit verschiedenen Ländern zur "friedlichen" Nutzung der Atomenergie unterzeichnet, die bis 2014 fast nicht an die Öffentlichkeit drangen. Bei einem Besuch in Argentinien im Mai 2014 sagte Evo Morales öffentlich, dass die Arbeiten zu Beginn "im Geheimen und hinter geschlossenen Türen" stattfanden, da die beauftragten Wissenschaftler ihn gewarnt hätten, die Sache zu verbreiten sei "sehr gefährlich" wegen einer möglichen negativen Reaktion der Bevölkerung gegen diese Energieform.

Seit 2007 besteht ein erstes Abkommen mit dem Iran - 2010 ratifiziert - zur "friedlichen" Nutzung der Atomenergie und zur Uranexploration. Bisher ist von 44 Uranvorkommen die Rede, die größten im Department Potosí.

2014 wurden Beziehungen zu mehreren Ländern aufgenommen, zuerst Frankreich, dann Argentinien und Russland. Mit der russischen staatlichen Atomgesellschaft Rosatom wurde vor wenigen Wochen ein Abkommen über die Begleitung der Erstellung eines Atomforschungszentrums und eines Atomkraftwerks unterzeichnet - in der Presse ist von 6.000 MW die Rede (Tschernobyl hatte 4.000 MW). Das Atomforschungszentrum umfasst einen Cyclotron-PET zur Krebsdiagnose, eine Gamma-Bestrahlungsanlage auf der Grundlage von Kobalt-60 zur Lebensmittelbestrahlung und Desinfizierung von medizinischem Material und einen Forschungsreaktor zur Herstellung von Radioisotopen. Alle drei Elemente sollen zusammen in einem Forschungspark installiert werden - vorgesehen ist ein Gelände am Stadtrand von La Paz, zwischen den Städten La Paz, Mallasilla und Achocalla, in den Badlands, dem instabilsten Gebiet überhaupt in dieser Gegend, zur Konstruktion ungeeignet. Dieses Forschungszentrum wird von Argentinien geliefert, während das Atomkraftwerk von Rosatom erstellt werden soll, ebenfalls im Department von La Paz.

All diese diplomatischen Verknüpfungen zeigen eine klare Expansion der BRICS-Länder nach Südamerika und vor allem nach Bolivien als geostrategischem Land in der Region.

In Bolivien sollen also die vorhandenen Uranvorkommen quantifiziert und ausgebeutet, ein Forschungszentrum und ein Groß-Atomkraftwerk gebaut werden.

Kritik und Proteste

2014 schon wurde Evo Morales in einem offenen Brief von renommierten internationalen Wissenschaftlern auf die Gefährlichkeit der Atomenergie hingewiesen.

Seit dem Bekanntwerden der Pläne für den Bau des Forschungszentrums formiert sich Widerstand in den genannten Städten. Am 27. September fand eine gemeinsame große Demonstration statt. Von der Regierung wurde diese Demonstration als Aktion einer kleinen Minderheit dargestellt, die sich nicht von technischen sondern von politischen Gründen leiten lasse und Lügen in der Bevölkerung verbreite. Aufgrund dieser Proteste hat die Regierung verlautbaren lassen, das Forschungszentrum werde nun nicht mehr in La Paz sondern in einem anderen Department gebaut. Trotzdem wächst die Widerstandsgruppe weiter und formiert sich nun systematischer.

Es ist wichtig, dass die internationale Gemeinschaft erfährt, was in Bolivien geschieht. Der öffentliche Diskurs für Mutter Erde und die Realpolitik, die für den eigenen Staat das Recht auf Entwicklung einklagt, klaffen weit auseinander. Die absolute Mehrheit gibt der Regierung die Möglichkeit, diese Politik auch diktatorisch durchzusetzen. Es ist eine Verfassungsänderung geplant, um die Wiederwahl von Evo Morales zu garantieren.

Wird also Bolivien wirklich atomar? Das möchten wir verhindern.


Gota del Mar


Update: Wie Ihr vielleicht mitbekommen habt, gibt es einige Neuigkeiten: die Regierung hat ein "Abkommen" mit der Federación de Juntas Vecinales (Fejuve), ein Zusammenschluss der Bürgervereinigungen der Stadt El Alto unterschrieben, dass das Atomzentrum nun im Distrikt 8 von El Alto gebaut werden soll, genauer gesagt in Parcopata, das ist im Südwesten der Flughafenstadt. Die Bürgermeisterin von El Alto, die nicht zum MAS gehört, erkennt diese Übereinkunft nicht an und verlangt weitere Informationen zum Atomzentrum. Das ist die neueste Nachricht vom Freitag, 30. Oktober 2015. In der nächsten Woche wird eine russische Kommission erwartet.