2016-02:Das Lutherjahr als Chance

Aus grünes blatt
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Ideen gegen nationalen und religiösen Taumel

Das Lutherjahr als Chance

jb Ein Gutes hat das alles ja: Luthers Hass gegen Juden, Frauen, von ihm als „Zauberer_innen“ oder „Wechselbälge“ geschmähte Menschen und sein Aufruf, gegenüber der Obrigkeit stets untertänig zu sein und alles Aufständische zu vernichten, ist so klar, dass es nicht schwerfällt, diese Neigungen zu belegen. Ebenso einfach ist es, Kirchen und andere als Schweigekartell an den Pranger der Geschichtsfälschung und der Verharmlosung diskriminierender Sichtweisen zu stellen. Folglich bedarf es „nur“ der guten Ideen, wie den zu erwartenden, millionenteuren Jubelshows etwas entgegen gesetzt werden kann.



Die Kritik an Religion und der üblen Geschichte des Christentums mit etlichen Problemzonen bis heute ist ziemlich abstrakt und daher schwer zu vermitteln. Kirchen und religiöse Handlungen bieten Anlässe, der Staat hat diese aber unter besonderen Schutz gestellt. Denkmäler und die in manchen Gegenden allgegenwärtigen religiösen Symbole können Ansatzpunkte für Kritik bilden, ebenso in manchen Bundesländern besonders absurde religiöse Schutzvorschriften wie das Tanz- und Kinoverbot an Karfreitag. Martin Luther ist demgegenüber geradezu ein Glücksfall für direkte Aktion. An seinem Beispiel kann deutlich gezeigt werden, was christlicher Fundamentalismus anzurichten in der Lage ist - und dass einem solchen Hassprediger auch heute noch gehuldigt, als geistiges und nationales Vorbild dargestellt wird.

Mit Aktionen zum Lutherjahr lässt sich die ganze Kritik an Religion im Allgemeinen und christlicher Kirche im Besonderen vermitteln.

  • Fundamentalismus ist dem Christentum nicht fremd - im Gegenteil. Keine Religion hat eine so dunkle Geschichte. Kreuzzüge und Kriege, Kolonialzeit, Reiche und Regimes, Antisemitismus, Patriarchat und mehr - all das ist immer auch Sache der christlichen Kirchen gewesen, sei es aktiv oder als legitimierendes, geistiges Rüstzeug, die Schaffung der Einbildung, auf der richtigen Seite zu stehen.
  • Institutionelle Macht ist nicht neutral: Luther wird vom aufbegehrenden zum einflussreichen Menschen. Er gewinnt im Laufe seines Lebens Zugänge zur Macht. Es ist kein Zufall, dass er die dann auch nutzt und z.B. seine Gegner_innen im harmlosen Fall außer Landes jagt, in vielen Fällen aber auch umbringen lässt. Luther ist daher ein Signal: Herrschaft ist selbst der Grund für seine menschenfeindliche Anwendung.
  • Große Teile des Christentums weigern sich bis heute, eine klare Kritik an Luthers Ideologien und der Praxis in den folgenden 500 Jahren zu formulieren. Die Mehrheit verhält sich ignorant. Das ist zu wenig.
  • Das Problem heißt: Religion.
  • Dass der deutsche Nationalismus Luther für sich nutzt und der Nationalsozialismus sich auf ihn berief, ist kein Wunder, sondern konsequent - aber das macht die Sache noch deutlich schlimmer.

Im Folgenden sollen einige Aktionsmöglichkeiten angedeutet und ausgewählte Ideen näher beschrieben werden.

Denkmäler, Museen und mehr

Luther wird vor allem in den Orten öffentlich verehrt, die in seinem Leben eine große Rolle spielten. Neben den beiden „Lutherstädten“ (Wittenberg und Eisleben) sind das Erfurt, Eisenach und Worms. Touristische Angebote, Denkmäler, Häuser, Gedenktafeln und mehr erinnern an bestimmte Handlungen von Luther, lassen aber mitunter sogar deutlich seine problematische Rolle erahnen, z.B. das Denkmal in Worms.

Das Luther-Denkmal in Worms entstand 1868 und demonstriert die Macht Luthers über alles, auch über die Vertreter der Staatsmacht. Diese setzen mit dem Schwert (links und rechts vorne) die lutherische Lehre mit Gewalt durch. Zu Füßen Luthers wurden unter anderem der Gottesprophet Savonarola aus Florenz (links) und der böhmische Papst-Kritiker Jan Hus - beide lebendig verbrannt - als Vorläufer Luthers vereinnahmt, ebenso wie der Kirchenkritiker Wiclif aus England. Ein weitere Figur steht für den Reichstag in Speyer, der die Hinrichtung der damaligen Urchristen, der so genannten „Täufer“, zum Reichsgesetz erhob. Hier waren sich sogar Papsttreue und Lutheranhänger einig.

Aktionen für die Hauptorte der Lutherfeiern

Im „Bund der Lutherstädte“ befinden sich viele Orte, in denen Luther wirkte oder die sonst mit ihm verbunden waren. Aber nur zwei Städte tragen die Erinnerung in ihrem Namen: Wittenberg (seit 1922) und Eisleben (seit 1946). Wo gibt es das noch, dass eine Stadt den Namen einer Persönlichkeit trägt? Bad Lauchstädt trägt den amtlichen Vornamen „Goethestadt“. Die bekannte Karl-Marx-Stadt wurde nach dem Ende der DDR gleich wieder umbenannt. Ebenfalls in der DDR erhielt Mühlhausen den Beinamen Thomas-Müntzer-Stadt. Der wurde 1991 gestrichen, offenbar will eine bundesdeutsche Stadt mit dem Bauernführer nichts zu tun haben. Den geistigen Mörder von Müntzer, der zudem noch glühender Judenhasser und auch ansonsten mit Vernichtungsphantasien gegen missliebige Menschen nicht gerade geizte, behielten Eisleben und Wittenberg in ihren Namen. Diese einseitige Bevorzugung des geistigen Massenmörders gegenüber einem seiner Opfer sollte Anlass genug sein, diese Art des Dauerjubelns mal kritisch aufzumischen.

Das geschah Anfang Mai 2005 bereits einmal in der Lutherstadt Wittenberg und war eine der bislang deutlichsten Belege dafür, wie eine kluge Mischung verschiedener Aktionsformen eine breite Aufregung und Thematisierung erreichen kann. Es gibt einen Vortragsmitschnitt, unterlegt mit Bildern von den Aktionen auf https://youtu.be/kA0lXPsE0VQ und einen Bericht schon kurz nach den Geschehnissen auf https://de.indymedia.org/2005/05/117090.shtml. Öffentlich sichtbar und damit auch ansprechbar waren die Aktivist_innen, weil sie ein lutherkritisches Theater aufführten (dieses Theater kann auch heute noch bzw. wieder gespielt werden - Beschreibung und nötige Audiodateien für das Playback auf www.luther-action.de.vu). Die Polizei glaubt nach einiger Ermittlungsarbeit aufgrund von Hinweisen der Gießener Polizei und ihrer Erfahrungen mit solchen kreativ-subversiven Methoden, dass diese Theatergruppe auch für alle weiteren Aktionen in nur insgesamt vier Tagen verantwortlich ist. Dazu gehören umfangreiche Plakatieraktionen mit Ausstellungstafeln voller Zitate von Luther, zudem jede Nacht gesprühte Graffiti mit etlichen Thesen zur Kritik am Lutherkult und der Religion allgemein. Es gab 95 Farbbeutel auf das Lutherdenkmal und etliche andere kleine Aktionen. Zwei Höhepunkte brachten die erste und die letzte Nacht. Über beide berichtete die Mitteldeutsche Zeitung. Zunächst: „Die Stadt Wittenberg will einen Restaurator beauftragen, das von Unbekannten geschändete Portal des Alten Rathauses wieder in Ordnung zu bringen. Allerdings könne es noch bis September dauern, so Pressesprecherin Karin Austermann. Der oder die Täter hatten die mit Blattgold versehene Schrift aus dem Jahr 1573 - „Fürchte Gott, ehre die Obrigkeit und sei nicht unter den Aufrührern“ - beschädigt. Nun lautet der Text: Fürchte die Obrigkeit und sei unter den Aufrührern.“ Dann: „Ein im Namen der NPD verfasstes Flugblatt sorgt in Wittenberg für Wirbel. In dem Schreiben, das offenbar teils erfundene Quellen sowie Sympathisanten benennt, kündigt der „Kreisverband“ der rechtsextremistischen Partei für den 15. Mai eine nationale Prozession zu Ehren Luthers auf dem Markt an.“ An Ende des längeren Pressetextes stand dann noch: „Die Polizei hält einen Zusammenhang zwischen vermehrten Graffiti-Schmierereien in der historischen Altstadt - die direkt oder indirekt auf Luther zielen - und dem Flugblatt nicht für ausgeschlossen.“ Die vier Tage Aktionen reichten, um in Wittenberg eine intensive Diskussion über Luther anzustoßen, nicht nur in Zeitungen und Fernsehen, sondern z.B. auch in Form eines in allen Kirchen verlesenen Textes des Propstes im damaligen Kurkreis Wittenberg. Gegen die Theatergruppe wurde übrigens aufgrund des Gießener Tipps ein Verfahren nach § 129 StGB (Bildung krimineller Vereinigung) eingeleitet, aber auch schnell wieder beendet. Die damaligen Aktionen lohnen sich, nochmal anzugucken. Denn alle könnten auch heute wieder passend sein ...

Ehrungen und Gedenkveranstaltungen „aufmischen“

Es wird viele Veranstaltungen mit Bezug auf Luther geben, vor allem in den Städten mit Lutherbezug. Am Reformationstag finden überall in den evangelischen Kirchen ohnehin jährlich Gottesdienste statt - 2017 ist dann der 500. Jahrestag des zugrundeliegenden vermeintlichen Thesenanschlags in Wittenberg. Einmalig wird er deshalb zum bundeseinheitlichen Feiertag. Das zentrale „Lutherjahr“ beginnt ein Jahr vorher, also am 31.10.2016.

Jährlich werden die Martin-Luther-Medaille und der Preis für das unerschrockene Wort mit Bezug auf den Reformator verliehen. Neben ihnen gibt es zahlreiche weitere Ehrungen. Dazu gehört der Lutherpreis der Stadt Wittenberg, für den die Stadt im Herbst 2012 die russische Punk-Band Pussy Riot vorgeschlagen hatte, deren rebellische Sängerinnen in der russisch-orthodoxen Hauptkirche Moskaus lautstark zur „Jungfrau“ Maria „gebetet“ haben, Präsident Wladimir Putin aus dem Land zu jagen. Das hat in Deutschland viel Applaus gefunden. Als eine Soligruppe als „Pussys“ im Kölner Dom ähnlich aufgetreten sind, wurde sie dort allerdings von den Kirchenbediensteten verprügelt und später vom Staat bestraft.

Martin-Luther-Straßen umbenennen

Widerstand gegen die Martin-Luther-Verehrung gibt es mittlerweile von vielen Seiten. So schlagen wir vor, die verbleibende Zeit der „Luther-Dekade“ zu nützen, um die Martin-Luther-Straßen und -Plätze in Deutschland Zug um Zug umzubenennen. Denn Martin Luther ist in keinster Weise ein Vorbild, selbst wenn man die Umstände der damaligen Zeit berücksichtigt (siehe http://www.theologe.de/theologe3.htm). Er ging intolerant und mit Hinrichtungsaufrufen gegen alle Menschen und Gruppen vor, die sich seiner Meinung nicht angeschlossen haben. Und die Verteidigung Luthers mit dem Argument, Luther sei eben ein „Kind seiner Zeit gewesen“, ist scheinheilig und Unsinn. Denn das ändert nichts daran, wie blutig und menschenverachtend seine Ideologie war. Es stellt sich stattdessen die Frage: Welche Menschen aus dieser „Zeit“ sollen heute als vorbildlich gelten? Denn es gab auch in der damaligen Zeit aufrechte Friedensstifter, die Männern wie Luther, die im Machtkampf der Obrigkeiten ihre Ansichten mit dem Schwert durchsetzen wollten, die Stirn geboten haben, z. B. die Zwickauer Propheten. Martin Luther hatte sie massiv bekämpft und ihre kleine urchristliche Gemeinschaft und ihre gesellschaftliche Existenz zerstört, doch sie ließen sich nicht beugen. Doch heute sind sie leider fast in Vergessenheit geraten, so wie unzählige aufrechte Christen, die ihre Säuglinge noch nicht durch Taufe der Kirche einverleiben wollten, weil Jesus von Nazareth keine Säuglingstaufe lehrte, und deren Ermordung durch die Obrigkeiten Martin Luther deshalb forderte. Ihr Verfolger wird jedoch weiter mit Ehrungen überhäuft, und nach ihm, Martin Luther, benennen sich bis heute Millionen von lutherischen Kirchenmitglieder und machen sich damit selbst aus geistiger Sicht zu einem „Teil“ Martin Luthers (dieser Absatz stammt aus „Reformationsjubiläum - 500 Jahre Martin Luther sind genug“, in: Der Theologe Nr. 67, siehe http://www.theologe.de/500-jahre_reformation_jubilaeum_2017.htm)

Gottesdienste zu Bühnen machen

24.12.2001: In fünf Gießener Weihnachtsgottesdiensten taucht eine Theatergruppe auf und spielt, sauber eingepasst zwischen zwei Abschnitten im liturgischen Ablauf, im Altarraum ein christentumskritisches Stück. Die Reaktionen der Kirchenoberen sind sehr unterschiedlich - einige reagieren gar nicht, ein Pastor prügelt, in der katholischen Kirche stimmt die Gemeinde ein Weihnachtslied an, um die Theatergruppe zu übertönen. Überall verteilen sie beim Rausgehen Flugblätter, die ihre kritische Aktion erklären (Bericht unter www.projektwerkstatt.de/directaction/kirche.html).

Nicht nur Weihnachten (viel Publikum) und der Reformationstag bieten Anknüpfungspunkte. Wie wäre es mit Pfingsten? Das ist quasi das Gründungsfest des Christentums. Passend könnte eine Kranzniederlegung zum Gedenken an die Millionen Opfer dieser Religion von damals bis heute sein - provozierend im oder zumindest vor dem Gottesdienst?

Am Karfreitag kann in vielen Bundesländern sogar überall die kirchliche Ordnung durcheinander gebracht werden, denn vielerorts ist Tanzen, Kino, Feiern ganz oder zumindest in der Öffentlichkeit verboten.

Ein Hinweis ist noch wichtig, denn nach wie vor sind Kirchen bzw. Religion in diesem Land stark privilegiert. Dazu gehören spezielle Strafparagraphen, die jegliche Störung religiöser Handlungen unter Strafe stellen. Wo immer irgendwelche Menschen von irgendwelchen höheren Wesen in anderen Welten phantasieren, ist sogar das Versammlungsrecht ausgehebelt. Während alle anderen Teile der Gesellschaft laut Verfassungsgericht aushalten müssen, dass eine Protestkundgebung zu sehen und zu hören sein muss, ist die Kirche davon ausgenommen - eine seltsame Belohnung für 2000 Jahre Unterdrücken, Morden und Missionieren.

Es kann also zu Problemen mit der Staatsmacht führen, wenn das von dieser geliebte „Opium des Volkes“ (Karl Marx über Religion) in Frage gestellt wird. Direkte Aktionen können als solche oder als staatliche Gegenwehr angesichts zu hohem Nervfaktor zu Anzeigen und Gerichtsverfahren führen - egal ob die Aktion selbst strafbar war oder die Anzeige der Einschüchterung dient. Das sollte nicht gleich zu Panik führen. Die ist nämlich nicht nötig und außerdem wäre dann deren Ziel erreicht. Macht das Gegenteil draus Gerichtssäle sind Bühnen und bieten Handlungsmöglichkeiten, von denen wir im Leben oft nur träumen (z.B. unseren Kontrahent_innen unangenehme Fragen stellen und umfangreiche Akteneinsicht). Überall ist daher als Zweit“verwertung“ der Aktion möglich, die anstehende Gerichtsverhandlung zu einem Tribunal gegen Kirche und den sie verteidigenden Staat zu verwandeln. Lest mal http://www.prozesstipps.tk und besucht bzw. organisiert ein Gerichtsprozesstraining (http://www.vortragsangebote.tk)!

Kampagne gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz

Die sozialen Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft werden in der Öffentlichkeit stets als Pluspunkt für die Kirchen wahrgenommen. Was viele Menschen nicht wissen: Das finanzielle Engagement der Kirchen hält sich in Grenzen, viele Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Altenheime werden zu 100% aus öffentlichen Mitteln unterhalten. Dafür ist der kirchliche Einfluss auf die Arbeitsverhältnisse umso größer. Denn dort gilt ein eigenes kirchliches Arbeitsrecht, das zahlreiche Grundrechte der Beschäftigten einschränkt und insbesondere Konfessionslose diskriminiert. Die Kampagne GerDiA organisiert Gegenwehr: http://www.gerdia.de.

Religionsfreie Zonen ausrufen

Jeder Platz, jedes Haus, jede Veranstaltung oder jeder andere beliebige tatsächliche oder virtuelle Ort kann als Zone ohne Unterwerfung unter wahrheitsverkündende Anstalten oder Glaube an externe Steuermänner der Welt definiert werden. Dabei geht es nicht um Denkverbote (das wäre wieder absurd, den Glauben an Gott oder seltsam gekleidete Verkünder seiner vermeintlichen Gedanken zu verbieten - es verbietet ja auch kein Mensch dem anderen die Überzeugung, dass es Weihnachtsmänner gibt oder Chemtrails ... ist halt alles durchgeknallt, aber nicht verboten). Stattdessen wäre die Ausrufung und Kennzeichnung der öffentlich sichtbare Akt - am besten nicht nur als christentumskritische Aktion, sondern zusammen mit Aussteiger_innen auch anderer Religionen.