2020-01:Datteln vom Netz pflücken

Aus grünes blatt
Zur Navigation springenZur Suche springen

Erfahrungsbericht einer Kraftwerksblockade

Datteln vom Netz pflücken

Kleiner Disclaimer:

anonym Der Text soll weniger ein Bericht aus der Aktion oder eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der 2020 offensichtlicherweise vollkommen absurden Steinkohleverstromung sein, davon gibt es schon einige, sondern die Vor- und Nachbereitungsphase als Erfahrungsbericht beschreiben (darüber wird ja sonst bei Aktionen oft wenig berichtet). Des Weiteren ist es wichtig, herauszustellen, dass das hier die persönliche Sichtweise einer an der Aktion beteiligten Einzelperson auf die Ereignisse beschreibt und keineswegs eine Stellungnahme der gesamten Aktivistigruppe ist, denn nur ich habe diesen Text geschrieben. Diese Aktivistigruppe ist keineswegs fest und fortbestehend, sondern Menschen aus verschiedensten Zusammenhängen der Klimagerechtigkeitsbewegung, die sich speziell zu diesem Thema, zum Zwecke dieser Aktion zusammengefunden haben, die unter keinem Namen und unter keinem Label stehen und diverse inhaltliche und persönliche Hintergründe haben.

Vor der Aktion:

Zu Beginn hatten die, die sich die Idee zu der ganzen Sache überlegt hatten, angedacht, dass ein paar wenige Menschen alles planen und weitere Menschen auf Abruf verfügbar bleiben und schnell anreisen können. Der Grund dafür war, dass es bis dahin so aussah, als würde Uniper erst kurz vor der angeblich testläufigen Inbetriebnahme den genauen Anschaltezeitpunkt bekanntgeben. Es gab im Vorfeld also schon einige Absprachen und Telekonferenzen und so war die Vor-Planung bis zum Treffen nicht so inklusiv, wie sie hätte sein können. Am Montag sollte die Aktion dann stattfinden und wir hatten vor, uns 2 Tage früher alle schon einmalzu treffen, um die vorher in den Telefonkonferenzen besprochene Planung noch zu spezifizieren und alle Handelnden choreografisch aufeinander abzustimmen. Am Freitag Abend kam dann die Information, dass sich die Aktion wohl doch erst am Dienstag ereignen würde, und sich so auch unser Treffzeitpunkt auf Sonntag Mittag verschob. Der Grund für die Verschiebung lag in dem über eine regelmäßig überprüfte Website[1] klar gewordenen Fakt, das Kraftwerk würde erst Montag um 11 Uhr Vormittags anlaufen, und die Vorstellung der Meisten war es, eine über das symbolische Signal hinausgehende Wirkung zu erzeugen.

Bei der ersten Besprechung am Sonntag Nachmittag sagten wir zuerst in einer Runde unsere Aktionsnamen plus gewünschtes Pronomen. Ein paar Menschen hatten sich im Vorhinein Gedanken zu der TOPs und den ToDos gemacht und sie auf die Rückseite eines alten Plakats geschrieben. Nach Verschiebungen und Ergänzungen gingen wir sie durch. Die Besprechung dauerte über zwei Stunden und war anstrengend, aber produktiv. Wir bildeten ein paar Arbeitsgruppen zu Themen wie „wie kommen wir über den Zaun?“, „Aktionshandys einrichten“ oder „Material mit Spiritus putzen“ und sprachen auch einen groben Zeitraum ab, in dem sich die Bezugsgruppen untereinander nochmal absprechen konnten. Die beiden Lock-On-Gruppen waren bis Montag Mittag noch nicht komplett und die Planung des genauen Ablaufs auf dem Gelände gestaltete sich aufgrund von fehlender Ortskenntnis ebenfalls als schwierig. Bis kurz vor der Aktion war nicht ganz klar, wo genau sich die Menschen anlocken würden, und wer mit wem in einer Bezugsgruppe sein würde.

In der letzten Besprechung vor der Aktion ritzten sich viele nebenbei die Fingerkuppen mit Rasierklingen ein (um Fingerabdruck-Scans zu verhindern) oder waren halbnackt, da sie dickflüssige Farbe auf ihren Tattoos trocknen lassen mussten, für die Identitätsverschleierung. Ein paar Menschen schmierten sich die schwarze Masse oder das weiße Silikon, das wir auch noch hatten, ebenfalls auf die Arme aus Solidarität mit den anderen, oder aufs Gesicht, um die Gesichtserkennungssoftware der Polizei zu verwirren. Um dennoch kein Black-Facing zu betreiben, malten sie mit bunten Farben über schwarz eingefärbte Gesichtsparts. Menschen, die sich dazu bereit erklärt hatten, sich um die Außenwirkung und Presseanfragen zu kümmern, verbrachten die meiste Zeit bereits im späteren Backoffice. Am Montag Nachmittag sammelten sich einige Aktivistis, immer mindestens eine Person von allen Bezugsgruppen, in diesem Backoffice, um sich inhaltlich die möglichen Antworten auf die Fragen der Journis zu überlegen wie auch sich der Interviewsituation schon mal probeweise zu stellen.

Im Vorhinein hatten wir ein Informationssammelpad im Netz angelegt, auf dem sowohl der wohl sinnvollste Umgang mit der Presse als auch Recherchiertes wie zum Beispiel die Herkunft der in Datteln4 verbrannten Steinkohle(Kolumbien & Russland) oder die Hintergründe des Stromkonzerns Uniper und seine Verbindung zu Finnland ausgetauscht wurden. Mit einer unerwartet realistischen Ernsthaftigkeit stellte einer der Pressemenschen uns dann, einen Edding als Mikrofon-Attrappe nutzend, die wahrscheinlichsten Fragen, von „Was macht ihr hier, was passiert hier?“ bis „Glaubt ihr nicht, dass ihr durch solche extremistischen Aktionen der AfD in die Hände spielt?“. Irgendwie ist es immer wieder bemerkenswert, wie sicher mensch sich mit dem glaubt, was es sich im Kopf zurecht gelegt hat, und wie durcheinander und von „äh“ und „und ja…“ durchzogen dann das, was am Ende von den Lippen perlt, doch ist und vor allem wie unzufrieden mensch am Ende selbst damit ist, wenn es sich dann das Probe-Interview auf dem Video ansieht, auch wenn andere sagen, es sei doch eigentlich sehr gut gewesen. Nichtsdestotrotz halfen die Probe-Interviews allen Beteiligten sehr, sich die eigenen Fehler nochmals bewusst zu machen und die eigenen unbeliebten Muster zu durchbrechen. Bedauerlicherweise sagten alle JournalistInnen, die vorgehabt hatten, mit uns auf das Gelände zu gehen, sehr kurz vorher aus verschiedensten Gründen ab.
So versuchten wir, während der Blockade selbst Fotomaterial und direkte Telefoninterviews zu liefern, was aufgrund von schlechtem Internet, dem kurzlebigen Akku von alten Handys und dem Repressions- und kältebedingten Stress besser hätte funktionieren können.

Am Montagabend begann dann der allseits bekannte Stress und immer mehr Menschen stellten fest, dass sie heute wohl nicht mehr zum Schlafen kommen würden. Der Zeitpunkt, an dem wir alle verschlafen aus unseren Schlafsäcken krabbeln und in die Autos fallen würden, die uns dann in den nah am Kraftwerk gelegenen Wald fahren würden, rückte immer näher. Mitten in der Nacht wurden wir geweckt. Trotzdem fing es bereits an, hell zu werden, sobald wir auf dem Kraftwerksgelände gelandet waren, was wir durch die frühe Uhrzeit eigentlich hatten vermeiden wollen.
Eine kleine Gruppe von Menschen, zu der auch ich gehörte, fuhr, sobald sich der Montagabend verdunkelt hatte, mit den zwei Aluminium-Leitern los, um an einem dem das Kraftwerksgelände umgebenden ähnelnden Zaun das Hinüberklettern, die Zeit, die dafür benötigte wurde, und die Lautstärke von Metall gegen Metall zu testen. Um kurz vor elf gab es dann eine Notfallbesprechung. Ein paar Menschen hatten erfahren, dass zwei voll mit Kohle beladene Schiffe am Hafen des Kraftwerks im Kanal lagen. Darüber war die Vermutung entstanden, wir könnten zwar morgen blockieren, jedoch würde dies keinen realen Effekt auf die Menge des produzierten Stroms haben, da die Kohle auch ohne den Umweg über die Bunker, deren Funktion wir ja vorhatten zu blockieren, direkt von den Schiffen in den Heizkesssel geschickt werden könne. Es folgte eine längere Diskussion, ob wir die Aktion nun unabhängig davon, aufgrund des öffentlichkeitswirksamen Effekts und des symbolischen Charakters durchführen sollten oder lieber keine Kapazitäten daran verschwenden sollten und die Aktion besser verschieben, gegebenenfalls sogar bis in den Sommer.
Auch kam der Vorschlag auf, dass nur die blockieren würden, denen der tatsächliche Effekt egal sei und die anderen nicht. Die Stimmung fiel dann darauf, dass erst mal eine Scoutgruppe zum Überprüfen der Situation mit den Schiffen losziehen würde und wir danach weiter sehen würden. In der Besprechung danach fiel dann der Konsens darauf, dass alle mitmachen würden, teils mit einem nicht vollkommen guten Gefühl und obwohl wir die Möglichkeit, keinen für Uniper gewinneinschränkenden Effekt zu erzielen, zwar für möglich, aber nicht für wahrscheinlich hielten.

Bei der Aktion:

Wir sprachen fast kein Wort, als wir in dem Lieferwagen zum abgemachten Rausspringort im Wald fuhren. Die vorherrschenden Gefühle waren Kälte und Müdigkeit, gemischt mit aufkeimendem Adrenalin und der Angst vor einer Enttäuschung, sollte die Aktion nicht gelingen. Einmal aus dem Wagen und die schwarz angemalten Leitern, die Lock-Ons und die Rucksäcke mit dem Proviant unter den Arm geklemmt, rannten wir über die Straße, sprangen über einen kleinen Graben und schmissen uns, aufgrund eines anderen herannahenden Autos, in das nasse Laub.
Mein eigentlicher Plan war es gewesen, während der gesamten Abläufe Audiodateien aufzunehmen und an das Szeneradio aus München „RadioLora“ zu senden, jedoch hätte ich dafür das hell erleuchtete Smartphone rausholen müssen, was mir in dem Moment als sehr viel zu auffällig vorkam, aber im Nachhinein betrachtet vollkommen okay gewesen wäre. Es erwartete uns kein Tier und keine Kamera. Nicht mal Richtmikrofone oder Stacheldraht.
Nachdem sich unsere beiden Gruppen nach 20 Minuten wiedergefunden hatten und wir ein Stückchen waldeinwärts gelaufen waren, durch Brombeerranken und Matschflächen, die dazu beitrugen, dass alles noch viel nasser und kälter wurde, konnten wir sie sehen: parallel angeordnete, rot blinkende Lichter in der Ferne, zwischen den dunklen Baumstämmen hindurch. Beim weiteren Weg traten Probleme mit der Routenfindung auf, denn irgendwie hatte letztlich doch niemand einen konkreten Plan vom genauen Weg. In der Situation waren alle überfordert und wenige Einzelpersonen sahen sich plötzlich in die schreckliche Verantwortung versetzt, jetzt zu sagen, wo es lang gehen sollte. Nach einem Mini-Plenum an einem aufmerksamkeitserregungstechnisch sehr ungünstigen Ort unter einem Baum am Wegrand fiel die Entscheidung darauf, einfach über das große Feld den Luftlinienweg zum Kraftwerkszaun zu nehmen. Das Über-den-Zaun-Kommen war aufgrund von Kletterkarabinern gegen den Metallzaun und die Leiter sehr laut, funktionierte letztendlich aber problemlos.

Über die Aktion selbst werde ich hier jetzt nicht viel berichten, da verschiedene Leute dies über diverse andere Medien schon getan haben. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Portalkratzer und Absetzer mit Seil- und Freiklettern teilweise mit dem Körper, teilweise mit Locks blockiert wurden und sich eine weitere Bezugsgruppe an einem schräg nach oben laufenden Fließband anlockte.
Die Blockade dauerte von ca. fünf Uhr, als wir auf dem Gelände eintrafen, bis etwa 10 Uhr nachts, als alle geräumt waren. Die Supporties wurden als Erstes abgeführt, das Verhalten der Pozilei lässt sich als angespannt, diskriminierend und teilweise hasserfüllt beschreiben. Eines der größten Probleme war die windige Kälte. Die Blockadezeit über wurden wir erst von ein paar Streifen beobachtet, dann kamen die Feuerwehr, zwei ständig über uns kreisende und extrem laute Hubschrauber, über 30 Wannen und die technischen Einheiten, die erstaunlich schnell zur Stelle waren.

Nach der Aktion:

Mit Blaulicht und Sirene beförderte die Pozilei die Geräumten in die Gefangenensammelstelle, auf Nachfrage hin einfach aus Lust und Laune. In der Gesa gab niemensch die eigene Identität an. Die weiblich gelesenen Personen landeten in einem in einer Garage befindlichen Metallgitterkäfig mit Betonboden. Das Tor der Garage war die ganze Zeit über offen und es war sehr kalt. Veganes Essen bekamen wir, obwohl wir bei der Aufnahme danach gefragt worden waren, keines, durften aber nach kleiner Diskussion unseren eigenen Proviant aus dem Rucksack bekommen, der gegenüber in einem Metallschrank eingeschlossen war.

Dass wir am Ende alle um 2 Uhr nachts des Mittwochs draußen waren, verdankten wir einer gehörigen Prise Glück. Die Pozilei war sich einig, dass sie alles versuchen würden, um uns für mindestens 7 Tage in der Gesa zu behalten, um ein allgemeines Exempel für alle Umweltaktivistis zu statuieren, ungeachtet der damit zur Schau gestellten Willkürjustiz. Ein paar Minuten bevor zwei Menschen, sehr gehetzt und unvermittelt, zur Haftrichterin gebracht wurden, kam ein anderer Mensch gerade vom EA-Telefonat in die Zelle und gab uns die Info weiter, dass es sehr sinnvoll wäre, bei der/dem HaftrichterIn einen eben informierten Anwalt anzurufen. Dieser Anwalt telefonierte mit der Haftrichterin und schaffte es tatsächlich, sie davon zu überzeugen, dass es nicht rechtens sei, uns mit der Begründung „Gefahrenabwehr“ weiter in der Gesa zu behalten, da hierfür keine Indizien nachgewiesen werden könnten und deshalb ein Platzverweis für das gesamte Gelände das mildere zu wählende Mittel sei.

Am nächsten Morgen gelang es uns, was nach Aktionen dieser Art leider nicht oft der Fall ist, eine Feedback-Runde zu machen. In dieser stellten wir unter anderem fest, dass wir unglaubliches Glück gehabt hatten. Wenn nur minimal etwas nicht so gelaufen wäre, wie es gelaufen war, wenn ein aufmerksameres Arbeiti auf dem Gelände gerade Schicht gehabt hätte, wenn wir es nicht doch noch geschafft hätten, im dunklen Wald den richtigen Weg zu wählen, ein paar Menschen durch die spontane Scoutaktion am Montagabend nicht zufällig herausgefunden hätten, dass der Weg, von dem wir dachten, wir könnten ihn zum Absetzen nutzen, gar nicht existierte oder wenn eine anwohnende Person mit Schlafproblemen an der Stelle einen nächtlichen Spaziergang gemacht hätte, dann wäre alles ins Wasser gefallen. In dieser Runde kamen viele Aspekte auf, die besser hätten laufen können. Zum Beispiel fühlten sich die Fahris, nachdem am Abend alle wieder am Safespace-Ort waren, insgesamt sehr unwohl, da sie durch fehlende Navis bei organisatorischen Fahrten Ewigkeiten sinnlos durch die Gegend gekurvt waren.

Im Allgemein fanden wir das Fazit, dass in Zukunft aufgepasst werden müsse, das geäußerte Vermutungen nicht direkt als unumstößliche Fakten hingenommen werden, sondern besser nachgeforscht werden müsste.