2004-03:Prozess gegen Aubonne- AktivistInnen

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Prozess gegen Aubonne- AktivistInnen

sb Im Sommer des vergangenen Jahres fand in Evian, Frankreich, der G8- Gipfel statt. Aus Protest gegen die Politik der in diesem Gremium vereinten Staaten, blockieren am 1. Juni 2003 etwa 20 AktivistInnen die Autobahnbrücke bei Aubonne in der Schweiz, um den Delegierten des Gipfels den Weg nach Evian zu versperren. Zwei KletterInnen, Martin S. und Gesine W., seilen sich als Gegengewicht zueinander an einem Seil, dass als Sperre quer über der Straße hängt, zu beiden Seiten der Brücke ab. Weitere AktivistInnen errichten etwa 200 Meter vor dem Seil eine zweite Blockade mit Bannern und stoppen so den Verkehr. Sie informieren die Autofahrer über Art und Zweck ihrer Aktion. Kurze Zeit später trifft die Schweizer Polizei ein. Nach Angaben der Anwesenden reagieren die Einsatzkräfte äußerst aggressiv und sind nicht zu Gesprächen mit den AktivistInnen bereit. Ihr einziges Interesse ist den Straßenverkehr schnellstmöglich wieder freizugeben. So wird zunächst die von den AktivistInnen errichtete Sicherheitsblockade aufgelöst und die Polizei lässt den Autoverkehr bis zum Seil vorrücken. Ungeachtet des Wissens, dass an diesem Seil zwei Menschen hängen, beginnen Polizisten das Seil in die Höhe zu halten und Fahrzeuge passieren zu lassen und riskieren schon dabei den Abrieb oder Riss des Seils. Alle Kommunikationsversuche seitens der DemonstrantInnen mit den Einsatzkräften bleiben erfolglos. Plötzlich kappt ein Polizist ohne jegliche Vorwarnung das Seil, an dem die beiden Kletterer hängen und Martin S. stürzt etwa 20 Meter in ein flaches Flussbett. Das Seilende, an dem Gesine W. hängt, kann nur durch die schnelle Reaktion der anderen AktivistInnen gehalten werden. Martin S. zieht sich teils schwere Verletzungen an Rücken, Becken und Fußgelenk zu, die bleibende Schäden nach sich ziehen werden. Er ist noch immer auf Krücken angewiesen und hat chronische Schmerzen. Gesine W. leidet seit diesem Tag an einer posttraumatischen Störung ist daher in psychotherapeutischer Behandlung.

Die Mehrheit der AktivistInnen wird wegen "gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr" in ihrer Abwesenheit zu 15 Tagen Gefängnis auf zwei Jahre Bewährung verurteilt. Drei der AktivistInnen, darunter die beiden KletterInnen und ein weiterer Aktivist, wurde vor kurzem (28. Juni) in Nyon, Schweiz, der Prozess gemacht. Die Anklage lautete hier außerdem ironischerweise auf "Gefährdung des Lebens Dritter". Martin und Gesine haben Beschwerde gegen die Polizei eingelegt wegen Lebensgefährdung, Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung. Es ist aber wenig wahrscheinlich, dass es zu Strafmaßnahmen gegen die Verantwortlichen kommt.

Die Aubonne-Support-Gruppe rief dazu auf, den Prozess politisch zu begleiten und die Angeklagten vor Ort zu unterstützen. Sie lud daher für das Wochenende vor dem Prozess (26./ 27. Juni) zu einem Anti-Repressionstreffen nach Genf. Ziel war es möglichst viele verschiedene Gruppen zusammenzubringen und Ideen für den Aufbau eines europäischen Antirepressionsnetzwerks zu sammeln. Der Fokus sollte dabei vor allem auf die psychischen Folgen von Repression gesetzt werden, die oft unterschätzt werden sowie Möglichkeiten erarbeitet werden, wie Einzelne oder Gruppen damit umgehen und sich unterstützen können. Nähere Infos zu dem Thema finden sich auf http://www.trauma-informations-zentrum.de.

Am Prozesstag selbst fanden sich etwa 100 Menschen vor dem Gerichtsgebäude ein, um gegen das Verfahren und eine eventuelle Verurteilung zu protestieren. Juristisch wird das Verfahren von der Int. Commision for Globalisation and Human Rights überwacht, einer Vereinigung von Anwälten, die auch die Menschenrechtsverletzungen der Anti-G8-Proteste vor drei Jahren in Genua untersuchte, bei denen damals sogar ein Mensch getötet wurde. Ihre Anstrengungen führten dazu, dass sich nun erstmals italienische Polizisten derartigen Anklagen vor Gericht stellen müssen.

Die drei angeklagten AktivistInnen wurden Ende Juni wegen Verkehrsbehinderung und Gefährdung des Lebens Dritter schuldig gesprochen. Ihnen wurden bedingte Haftstrafen von 20 Tagen auf zwei Jahre Bewährung auferlegt. Aufgrund seiner bei der Protestaktion erlittenen Verletzungen wurde die Strafe gegen Martin allerdings fallengelassen. Das Strafmaß für Gesine wurde wegen posttraumatischen Stresses auf 10 Tage reduziert. Alle Verurteilten müssen die Verfahrenskosten zahlen.

Nach Ansicht des Richters hätte die Aktion ohne weiteres zu Verkehrsunfällen führen können. Die AnwältInnen der Angeklagten sehen diesen Tatbestand nicht erfüllt. Dazu hätte das Leben der Verkehrsteilnehmer gefährdet sein müssen, was aber zu keinem Zeitpunkt der Fall war. Die AktivistInnen trugen leuchtende Sicherheitswesten und hielten den Verkehr mit einer Sicherheitsblockade rechtzeitig vor dem Seil an; Transparente machten auf die Aktion aufmerksam. Der als Zeuge geladene Einsatzleiter bestätigte vor Gericht, dass eine Kommunikation auf der Brücke wegen Sprachproblemen faktisch unmöglich gewesen war. So konnten sich der Polizist, welcher das Seil durchtrennte und der Einsatzleiter nicht miteinander absprechen, weil der eine nur französisch, der andere nur deutsch sprach. Außerdem gab er zu, sich keinen ausreichenden Überblick von der Situation vor Ort verschafft und das Gespräch mit den AktivistInnen nicht gesucht zu haben. Trotzdem liegt bis heute noch keine Anklage gegen die verantwortlichen Beamten vor; sie genießen nach wie vor volle Immunität.

Die Unterstützergruppe betonte, dass die Verurteilung der AktivistInnen inakzeptabel sei und kündigte an, den "Kampf für Gerechtigkeit vor Gericht und auf der Straße" fortzusetzen. Aktuelle Informationen gibt es auf der Seite http://www.aubonnebridge.net.