2004-03:Sommer-Wendland-Camp

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Utopien leben

fb Vom 24. Juli bis 1. August fand das diesjährige Sommer-Wendland-Camp in Gedelitz, wenige Kilometer von Gorleben entfernt, statt. Wie jedes Jahr waren durchschnittlich schätzungsweise 80 bis 120 Leute aus verschiedenen Zusammenhängen da und lebten eine Woche lang eine kleine Utopie. Der TeilnehmerInnen-Beitrag für das Camp war als Durchschnittspreis angegeben, die tatsächliche Höhe unterlag der Selbsteinschätzung. So konnten die Leute für sich selbst abschätzen, wieviel sie bezahlen können und wollen. Wer mehr zahlt ermöglicht damit anderen, die das nicht können, die Teilnahme.

Jeden Tag wurden eine Menge Arbeitskreise angeboten. Diese betrafen Themen aus AntiAtom-, Gender-, allgemeinpolitischen oder ganz anderen Bereichen. Ein Teil des Programms wurde bereits vor dem Camp-Beginn vom Orga(nisations)-Team vorbereitet, d.h. potentielle ReferentInnen angefragt. Eine ganze Menge Workshops entstanden jedoch spontan beim Camp. Neben eher theoretischen AKs gab es auch Klettertrainings, Filzangebote und einen Dreadlocks-AK.

Im Prinzip war das gesamte Camp und alles was damit in Zusammenhang stand ab dem ersten Tag Sache der TeilnehmerInnen. Es gab zwar noch einige klare Kompetenzen, die sich die OrganisatorInnen vorbehalten hatten (z.B. einige Finanzfragen), oder Ungleichheiten durch unterschiedliches Wissen über camprelevante Angelegenheiten bzw. durch das "Outen" als Orga-Team, aber grundsätzlich entschieden die TeilnehmerInnen selbst was sie tun oder lassen wollten.

Es gab am Anfang eine Tafel mit Aufgabenbeschreibungen, die für den Campalltag wichtig sein könnten, für die sich TeilnehmerInnen bereiterklären konnten, z.B. Kinderbetreuung, Kochen, WC-Reinigung, Einkauf etc. Ein Beispiel - Toilettenprobleme - zeigte, dass hier das Leben wirklich selbst organisiert wurde. Ziemlich am Anfang schon war ein Toilettenwagen nicht mehr nutzbar, weil seine Sickergrube zu klein war. Kurz danach waren auch die Abflüsse der Sanitäranlagen im mitgenutzten Hof verstopft. Die Initiative, um vor allem den Wagen wieder brauchbar zu machen, kam von Campleuten, die selbständig das Problem angingen, Unterstützung bei den TeilnehmerInnen anfragten und in einer Gruppe von Menschen dann eine bessere Sickergrube bauten.

Der Tagesablauf war - ganz grob - der folgende: Gegen 8°° Uhr morgens zog eine wechselnde Gruppe von Leuten durchs Camp und machte - mal mehr, mal weniger kreativ - den morgendlichen Weckdienst. Am ersten Tag war dies etwas aggressiv, weil an jedem Zelt der Wachzustand abgefragt wurde. Das störte einige Leute. Danach war es aber eigentlich immer so, dass mensch aufstehen konnte oder eben liegen blieb und weiterschlief. Bis gegen 10°° war die Phase, in der die meisten Leute frühstückten. Zwischendurch gab es eine als "Plenum" bezeichnete AK-Ankündigung, bei der die morgendlichen Arbeitskreise vorgestellt und Orte/Zeitpunkte bekannt gegeben wurden. Von etwa 10°° bis 13³° lief meist die erste AK-Phase. Dann war in der Regel auch das Mittagessen fertig. Im Anschluss gab es noch einmal die Ankündigung der nachmittaglichen AKs, die gegen 15°° begannen. Am Abend gab es oft ein weiteres Mal warmes Essen (das kam auf die Kochgruppe an) und später Filme, Musik, Lagerfeuer und alles mögliche andere.

Die Kochgruppe wechselte täglich. Hier kümmerten sich etwa sechs bis acht Leute (plus einen Mensch, der als erfahrener Vokü'ler Tipps gab und koordinierte) um das Schnippeln, Kochen, Inventur der Vorräte, Herstellen neuer Aufstriche, Getränke kochen etc. Die Verpflegung war grundsätzlich vegetarisch; vegan wurde immer mit angeboten (letzteres war aber einige Male nur in sehr geringen Mengen bereitgestellt). Die Lebensmittel wurden von einer anderen - oft auch wechselnden - Gruppe "containert" (also aus den Containern von Supermärkten noch Brauchbares und Genießbares geholt) oder "geschnorrt" (Bitte um Spende direkt beim Laden). Am Nachmittag wurden die restlichen benötigten Dinge zum Kochen eingekauft. Zusätzlich gab es einen Öko-Kios, wo die TeilnehmerInnen - in Eigenverantwortung, niemand kontrollierte die Bezahlung - weitere Getränke, Knabberkram und anderes kaufen konnten. Dieser Kiosk wurde wieder von anderen Leuten versorgt.

An einem Tag wurde auch Fleisch containert - und, weil es diverse Gründe gibt, die viele TeilnehmerInnen zu einer ablehnenden Haltung solchen Produkten gegenüber veranlasst - die Position des Orga-Teams aus der Vorbereitungsphase für einen solchen Fall bekannt gegeben: Da es sich um containerte Lebensmittel handelt, für sie also kein Geld ausgegeben und mit ihrem Konsum keine Nachfrage gesteigert wird, sollen auch solche Dinge auf dem Camp möglich sein. Außerdem würde damit Rücksicht auf diejenigen genommen, die Fleisch essen wollen. Es gäbe aber eine deutliche Deklarierung dieser Produkte.

Immer wieder gab es zwischendurch auch Aktionen - bevorzugt vorm nahen Atommüll-Zwischen- und Endlager. Eine nächtliche Schichtwechselblockade mit Musik auf per Funk verbundenen Fahrradanhängern, Bemalen von Straße, Zaun und Zwischenlagerschildern, Tanz etc. überforderte Wachschutz und die auch nach zwei Stunden nicht mehr werdenden acht PolizistInnen so sehr, dass sie sogar auf die Aufforderung, die Straße zu verlassen, verzichteten.

Das abendliche Plenum stellte die zentrale Entscheidungsinstanz des Camps dar. Teilnehmenden zufolge - ich war bei keinem dabei - waren diese Plena im Vergleich zu den sonst oft in der linken und vor allem basisdemokratisch orientierten Szene anzutreffenden Plena abgespeckt und auf das Notwendigste beschränkt. Interessant wäre gewesen zu versuchen, Alternativen jenseits auch dieser Art von obligatorischen Zusammenkünften zu probieren. Ideen dazu gibt es, ihre Umsetzung scheitert oft wohl schon am nicht vorhandenen Wille, diesen Punkt einmal anders zu probieren.

Wirklich sehr schön an diesem Camp war das eigentlich allzeits vorhandene Gefühl, mit Sicherheit an jeder Ecke auf tolle und nette Menschen zu stoßen. Mensch konnte sich den Tag gestalten, wie mensch will, inhaltlich z.B. in Arbeitskreisen aktiv werden, Selbstorganisation leben und das von "Linken" immer propagierte menschliche und soziale mal nicht reden, sondern umsetzen.