2005-01:Zeitgeist mit Gräten

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Zeitgeist mit Gräten

liz Die Autoren des Schwertfisch, einer Gruppe hervorgegangen 1995 aus dem Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (kurz BUKO), geben sich reichlich Mühe Wirtschaftskriminalität, Frauenpolitik, linke Umweltpolitik und Machtgefüge, auf nationaler und internationaler Ebene, zu erklären und dem/der LeserIn deren Hintergründe und Zusammenhänge nahe zu bringen. Es ist ein Buch mit viel Potential und reich an Denkanstößen. Die AutorInnen erzählen aus erster Hand. Was sie berichten hat Hand und Fuß, man merkt, sie wissen wovon sie schreiben und das ist schon mehr als man von vielen anderen Sachbüchern sagen kann.

Dabei scheuen die AutorInnen nicht vor Selbstkritik zurück; oft wird auf die Differenzen in den Anschauungen verwiesen. Mehrmals werden zwei sich widerstreitende Standpunkte nacheinander angeführt, ihnen voran steht ein kurzer Text, der nochmals auf die Unterschiede verweist. So kann sich der/die LeserIn ausführlicher mit dem Thema der jeweiligen Kontroverse beschäftigen und eine Meinung entwickeln, die mehr oder minder solide durchdacht ist und auf Überzeugung beruht. Soweit so gut.

Zu Beginn des ersten Schriftstücks fällt eine Kleinigkeit störend auf: die nervende Frage, warum schreiben wir dieses Buch? Diese elende Frage wird in beinahe jeder Biographie und bei ungezählten Interviews von Schriftstellern wiedergekäut. Und die Antworten sind immer dieselben. Der Mensch hat das Bedürfnis sich mitzuteilen, eine Geschichte zu erzählen, ein geistiges Vermächtnis zu schaffen, den Dreck von den Erinnerungen zu waschen, oder weiß schlicht nicht, was er sonst treiben soll.

Die gut recherchierten Verweise auf die Historie der Demokratie, von Machtverhältnissen und des Schwertfisch selbst geben den Berichten eine gute Basis, überraschende Folgerungen lassen aufhorchen. Bei allem Anspruch ist das Buch aber doch zu eindimensional geraten um wirklich mitreißend zu sein. Die inhaltliche Kritik, die die AutorInnen an den Tag legen und somit auch den Schwertfisch selbst mit Kritik eindecken, kann ewig fortgesetzt werden, untergräbt aber, dass der/die LeserIn einen positiven Bezug zum Schwertfisch entwickeln kann und ist letzten Endes kontraproduktiv. Die Sprache ist sperrig und schwer zugänglich. Das Bemühen um Substanz gelingt dadurch nur bedingt.

Das Buch ist veraltet, besitzt begrenzte Gültigkeit, etwa, wenn es den "neuen" US-Vizepräsidenten Al Gore erwähnt. Die Wahrnehmung von nationalistischen Gruppierungen in Nazi Tradition allerorten, gemahnt an Hysterie. Sollen denn überall Nazis lauern? Die ernsthafte Auseinandersetung mit Deutschlands NS-Zeit ist löblich, das an die Wand malen von Feindbildern aber bedenklich. Wollen die AutorInnen mit den immer wiederkehrenden Verweisen auf den Nationalsozialismus etwa einem unterbewussten Schuldgefühl Genüge tun? Wenn nicht, was anzunehmen ist, wozu dann die Vergleiche mit den Nationalsozialisten?

Sehr gut ausgeführt sind Bereiche die sich um die Erforschung der Dominanzkultur, Ethnisierung und ja, um Nationalismus drehen. Rassismus wird zum Teil mit kapitalistischer Ökonomie in Verbindung gesetzt. Dadurch werden unerwartete Einsichten bei dem/der LeserIn geweckt, die einem Umdenken den Weg bereiten können und wertvolle Denkanstöße geben.

An einer Stelle wird behauptet, die Fürsorge von Frauen begrenze sich auf die Angehörigen ihrer eigenen Familien. Eine Studie, welche dieses Jahr im italienischen Fernsehen ausgestrahlt wurde, widerlegt dies. Kindern, die weinend "ausgesetzt" worden waren, boten mehrere Frauen ihre Hilfe an. Kinder und Frauen gehörten nicht derselben Familie an. Ob besagte Studie verlässlich Auskunft gibt über weibliche Fürsorglichkeit sei dahingestellt. "Denn dasein für andere heißt nicht dasein für alle." (Rommelspacher) Nun gut, wenn man das so sehen will.

Unklar bleibt, was die mehrfach angedeutete Beziehungsarbeit sein soll, die Frauen angeblich zu tragen haben. Ebenso verwirrend ist der Beitrag "Auf der Suche nach einem neuen Politikverständnis" von Bernhard Fedler. Der Verfasser erklärt Frauen für beziehungsfähiger als Männer. Sie sollen auch aufgrund ihrer Mütterlichkeit (?) eine größere Nähe zur Natur haben. Also soll den Frauen eine besondere Rolle bei der Befreiung aus der kapitalistischen Ökonomie zukommen. Allerdings wird gleich anschließend beigefügt, dass diese Auffassung von anderen aus der Gruppe als biologistisch kritisiert worden war, woran ersichtlich wird, wie wertvoll die Kritik einer Gruppe an der eigenen Arbeit sein kann.

Im Beitrag "Von Fröschen und Schlangen" von Bernd Hüttner, unter dem Zwischentitel "Die Abwicklung des Nordens" wird Männern Wissenschaftsgläubigkeit vorgeworfen. AutorInnen sind gegen Vorurteile nicht gefeit. Aber allgemein lässt sich sagen, dass unterschiedliche, oft gegensätzliche Facetten des Ökofeminismus und der feministisch-modernen Position recht gut behandelt werden. Die Erkenntnis, der Mensch sei kein reines Naturwesen, weist den AutorInnen dann doch einige Einsicht nach.

Im Beitrag von Heinz Jürgen Stolz "Linkes Naturverständnis und kulturelle Alternativen" unter dem Zwischentitel "Ansatzpunkte zur Kritik" steht geschrieben, man könne Angst vor etwas (hier der Natur) nur dann empfinden, wenn man dieses etwas als ein außerhalb seiner selbst existierendes Wesen objektiviert hätte. Das ist schlichtweg Unfug. Auch stimmt nicht, was im selben Beitrag unter dem Zwischentitel "Kernpunkte des linken Naturverständnisses" steht. Nur der Mensch vermöge seinen Werkzeuggebrauch und seine Kooperation mit ArtgenossenInnen gedanklich vorauszuplanen und sprachlich zu repräsentieren. Dies kann nicht als bewiesen vorausgesetzt werden, da tierische Interaktion nicht mal annähernd erforscht ist.

Doch nur allzu wahr ist, worauf im Buch an mehreren Stellen eingegangen wird. Frauen müssen sich bis zur Selbstverleugnung ans Patriarchat angleichen, um Erfolge, von ganz banalen bis zur Karriere, zu erzielen. Soll nicht heißen, dass es nicht auch Spaß macht, Männern zugeschriebene Verhaltensweisen zu imitieren, weil Frau sein so übel konnotiert ist.

Mit der linken (Un)-Kultur wird eiskalt abgerechnet. Aber schon der Titel verrät das Verhängnis des Buches, die Gräten bleiben einem im Halse stecken. Ob man sich das antun will, muss jede/r selbst entscheiden.


  • Schwertfisch: Zeitgeist mit Gräten
  • Yeti Press
  • Erstauflage 1997, 229 Seiten
  • ISBN 3-9805640-1-0