2006-01:Kein Offener Raum im Blaue Welt Archiv

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Kein Offener Raum im Blaue Welt Archiv

fb Vor etwa einem Jahr gab es die Idee, im Blaue Welt Archiv (BWA) einen Offenen Raum einzurichten[1]. Die "alte" BWA-Gruppe hatte sich aufgelöst und es gab eine breitgefächerte Einladung an interessierte Menschen und Gruppen sich Gedanken über die zukünftige Nutzung des BWA zu machen. Bei dem ersten gemeinsamen Treffen kamen viele Leute mit verschiedenen Vorstellungen zusammen. Es gab Ideen für einen Infoladen, ein Antifa-Archiv, Computerpool und mehr.

Bis zur Auflösung der alten BWA-Gruppe war das Blaue Welt Archiv in der Praxis ein autonom organisierter Raum. Zwar hatte formal ein Trägerverein, der den Raum zur Verfügung stellte, das Hausrecht, hat sich aber nicht in die Arbeit der Gruppe eingemischt. Jetzt wollten die BewohnerInnen des Hausprojektes ihr formales Vorrecht jedoch wahrnehmen. Im Hausplenum sollte es erst abgesegnet werden, dass hier ein Offener Raum entstehen darf - obwohl die meisten der Leute dort gar kein direktes Interesse am BWA hatten. Dass Leute, die gar nicht direkt betroffen sind, über die Möglichkeiten anderer bestimmen, stellt einen krassen Widerspruch zur Idee Offener Räume dar - dieser Status müsste unbedingt geändert werden, wenn ein solcher Ort entstehen soll. Durch diese Konstellation wurde es wichtig, auch im Hausprojekt die Offener Raum-Debatte zu führen.

Das fiel aber schwer, da es von den "EntscheidungsträgerInnen" kaum Initiative gab. Zwei oder drei aus dem Projekt beteiligten sich an dem Diskussionsprozess, der Rest war uninteressiert oder hatte vage Vorbehalte. Diese zu besprechen scheiterte jedoch am mangelnden Interesse. Um das Thema leichter zugänglich zu machen, wurden Kernpunkte der Debatte in Form von Plakaten, die im Hausflur aufgehängt wurden, visualisiert, Kurzfassungen erstellt, eine Infowand eingerichtet und eine Diskussionsveranstaltung mit einer VertreterIn der Stiftung FreiRäume zu Offenen Räumen organisiert. Inhaltliche Reaktionen gab es darauf nicht, nur vereinzelte Anfeindungen "hinterm Rücken" von Leuten, die sich durch das Thema in der Gemütlichkeit ihrer Hausgemeinschaft gestört fühlten.

Das Hauptargument der GegnerInnen eines Offenen Raumes aus Hausprojekt und anderen am BWA beteiligten linken Gruppen waren Ängste vor Kontrollverlusten: was tun, wenn Nazis kommen? Fremde Leute könnten Sachen aus dem Infoladen klauen. Der Raum würde verwahrlost werden, weil niemand mehr aufräumt. Jemand muss "den Hut aufhaben", sonst geht nix. Dass sich kaum eine Bereitschaft zeigte, über diese Probleme und Lösungsansätze zu reden, deutet darauf hin, dass es gar nicht wirklich um diese Punkte geht. Der Offene Raum schreckt möglicherweise einige ab, weil sie damit auch ihre eigenen Kontrollmöglichkeiten verlieren.

Eine Schlüsselstellung bei der Diskussion um den Offenen Raum stellte neben der Aufgabe des Hausrechts der Autonomievertrag dar, der vorgeschlagen wurde, um diese formale Aufhebung von Vorrechten auch formal zu vereinbaren. Um in dieser Auseinandersetzung voranzukommen, wurde vorgeschlagen, dass es erstmal einen Entwurf gibt, der dann miteinander diskutiert wird. Dieser Entwurf wurde erarbeitet, allerdings gab es überhaupt keine Reaktionen darauf. Sowohl von der Hausgruppe aus als auch von den anderen BWA-Gruppen wurde das Thema weitestgehend ignoriert.

Allerdings wurde nicht nur dieser Versuch damit unterbunden, es geschah auch sonst so gut wie nichts mehr. Sämtliche Projektideen einschließlich derer, die angeblich inkompatibel zu einem Offenen Raum gewesen wären und diesen damit erstmal verhinderten, wurden nie begonnen; die Gruppen haben dazu keine Aktivitäten mehr gezeigt. Einzig einige wenige Veranstaltungen fanden in den vergangenen Monaten noch im BWA statt und ein Projekt des Hausvereins nutzte den Raum. Ansonsten ist ein absoluter Stillstand eingetreten.

Zwischenzeitlich hatte eine AktivistIn das BWA "besetzt", ein satirisches Kommuniqué verfasst und das BWA zum Offenen Raum ausgerufen, um die Debatte wiederzubeleben. Das änderte an der Funkstille und Ignoranz jedoch nichts. Eigentlich könnte es ja ein gutes Zeichen sein, wenn es keinen Widerstand gegen eine Besetzung des Raumes gibt. Ich vermute aber, dass dieses Nichtreagieren darin begründet lag, dass die Person und die "Besetzung" einfach nicht ernstgenommen wurden.

Allein die Vision, der Utopie einer herrschaftsfreien Gesellschaft ein Stück näher zu kommen, in dem Vorrechte abgebaut werden und eine horizontale Organisierung versucht wird, schien niemanden vom Hocker zu reißen. Welches Potential hinter dem Entwicklungsprozess Offener Räume steckt, wurde nicht erkannt. Lieber bleiben die Leute hinter ihrem gemütlichen Ofen Thiembuktu, hinter dem sie sich nicht hervorlocken lassen. Offener Raum scheint ein Langweiler zu sein, der keine Chancen neben Arbeit, Ausbildung, Gemeinschaft und Party hat. Die Entpolitisierung ist an diesem Punkt schon weit vorangeschritten.

In der linken Praxis dominieren einfache Entwürfe, die nur unter Ausblendung der Komplexität der Gesellschaft und von Herrschaft insgesamt funktionieren. Die Auseinandersetzung um das Blaue Welt Archiv bestätigt m.E. diese These. Von vielen Beteiligten wurde geäußert, dass ihnen die Diskussion zu anstrengend sei, einige haben sich offensiv der Auseinandersetzung mit den Widersprüchen ihrer Parolen und der praktischen Umsetzung verweigert. Wären es nicht zum Teil auch diejenigen gewesen, die damit gleichzeitig ihre Vorrechte bewahren, könnte mensch das auch einfach so akzeptieren.

Vielleicht hat auch der Versuch Transparenz herzustellen und alle Fragestellungen, die auftreten können, zu berücksichtigen, Leute überfordert und dazu geführt, dass sie sich aus der Debatte ausgeklinkt haben. Ich glaube allerdings nicht, dass die Fähigkeit zum komplexeren Denken nicht vorhanden ist, sondern dass die Konditionierung durch die Gesellschaft ihren Anteil an dieser Wahrnehmung hat. Auf dem Weg zu einer emanzipatorischen Gesellschaft können solche Prozesse wie die Entwicklung Offener Räume helfen, sich aus den antrainierten Verhaltensmustern zu lösen und sich in einer Welt zurechtzufinden, die doch wesentlich vielschichtiger ist, als der Mainstream und auch viele einfache linke Politikansätze behaupten.

Für das Blaue Welt Archiv habe ich derzeit keine Ideen, wie ein emanzipatorischer Prozess anlaufen könnte. Genauso wie die Idee dort einen Offenen Raum aufzubauen sind auch nahezu alle anderen Nutzungsvorschläge für das BWA im Sande verlaufen. Es fehlt auch an motivierten Leuten, die bereit wären, die notwendige Energie für dieses Projekt aufzubringen. Das ist bei anderen "Alternativprojekten" leider auch nicht anders - die Idee "Offener Raum" hat es hier auch nur nicht geschafft, Leute zu emanzipatorischen Prozessen zu motivieren.

Bei zukünftigen Projekten könnte es sich lohnen, parallel zur Debatte darüber, ob es einen Offenen Raum geben soll und wie dieser funktionieren könnte, eine Experimentalphase zu starten. Diese sollte nicht durch Vorfestlegungen - z.B. erstmal die üblichen Strukturen aufzubauen und dann zu schauen was passiert - eingeschränkt werden. Durch die "Sicherheit", dass es immer noch möglich ist "das übliche" zu machen, wenn für aufkommende Probleme keine Lösungen gefunden werden, lassen sich vielleicht mehr Leute auf einen Versuch ein.