2009-01:Gentechfilz

Aus grünes blatt
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Seilschaften der deutschen Gentechnik

jb Es war so bequem: Wer über Gentechnik sprach, dachte schnell an Monsanto. Kritische Bücher und Filme zu diesem - fraglos rücksichtlosen - Konzern erzielten Einschalt- und Auflagenrekorde, begleitende Veranstaltungen füllen ganze Hallen. Elektrisierend auch die Pflanze als Inbegriffs alles Bösen: MON810. Wo er gepflanzt wird, kommt es zu Protesten von BürgerInnen und Umweltverbänden. Niemand will die unkontrollierbare Saat in der Nähe haben. Selbst der deutsche Umweltminister nicht mehr: „Ich kann den gesellschaftlichen Mehrwert der Genprodukte von Monsanto nicht erkennen“, gab er am 2. März 2009 zum Besten und fügte hinzu - grad so als gäbe es BASF, Bayer und KWS gar nicht: „Man stelle sich vor, diese Debatte um Gentechnik-Produkte gäbe es in den USA, und die einzige Firma, die ein Interesse daran hätte, dieses Präparat dorthin zu verkaufen, wäre eine europäische: Ich möchte einmal wissen, ob der amerikanische Kongress sich derart ins Zeug legen würde zur Verfolgung europäischer Wirtschaftsinteressen eines einzelnen Unternehmens, wie es jetzt die EU-Kommission zur Verfolgung der Wirtschaftsinteressen eines amerikanischen Unternehmens tut.“

Viel ruhiger geht es dagegen zu, wenn deutsche Firmen und Institute gentechnisch veränderte Sorten entwickeln und ausbringen. Mancherorts geht gar nichts: Als die Universität Gießen 2006 transgene Gerste aussäte, votierten alle Parteien im Stadtparlament für das riskante Experiment. Auch die Grünen - sonst mit verbalradikaler Gentechnikkritik immer auf WählerInnenfang. Ist die deutsche Gentechnik besser? Ja - scheint zumindest Umweltminister Gabriel zu finden. Nur wenige Tage nach der beißenden Kritik an Monsanto besuchte er die deutsche Gentechnikfirma KWS Saat AG: „Wir wollen gentechnisch veränderte Pflanzenzucht auf jeden Fall zulassen“, so der Minister, „aber nicht mit Kollateralschäden in der Natur.“ Forschung in diesem Bereich sei unabdingbar. Denn den Herausforderungen, die die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung und ihr Energiehunger stelle, könne man anders kaum beikommen.

Also: Bei Monsantos Produkten sieht Gabriel keinen „gesellschaftlichen Mehrwert“, bei der KWS Saat AG dient das Gleiche der Ernährung und der Energieversorgung. Doch seltsam: KWS entwickelt fast alle Gentech-Produkte zusammen mit Monsanto und ist der wichtigste Versorger mit dem Mon810-Mais (Markenname YieldGard) für Mittel- und Osteuropa. Bei Gabriel ist folglich dieselbe Genpflanze gut, wenn so von einer deutschen Firma stammt.

Filz, wohin das Auge blickt!

Gabriels Zweiteilung einer schlechten amerikanischen und einer guten deutschen Gentechnik ist nicht nur gefährlich, weil sie nationalistische und antiamerikanische Gefühle bedient. Sie ist auch völlig ungerechtfertigt. Denn was der Film „Mit Gift und Genen“ über die Seilschaften zwischen Genehmigungsbehörden und Konzernen in den USA aufzeigt, ist in Europa und Deutschland nicht anders: „Die Politik ... ist umschlungen von einem fast undurchdringbaren Geflecht von Experten, Consulting-Firmen, Spezialagenturen, Arbeitsgruppen, Initiativen und den vielfältigen Aktivitäten ihrer Beamten, die gemeinsam mit der Industrie sowohl die Risikobewertung als auch die Risikokommunikation organisieren und dabei Politik und Öffentlichkeit zu ihrem Spielball machen. Im Zentrum des Geflechts findet man dabei selten die großen Firmen selbst, sondern eher ,Spezialagenturen' mit exzellenten Kontakten zu Behörden, Politik, Medien und Konzernen. Sie arbeiten als Tarnkappenstrategen der Industrie, finanziert sowohl durch die öffentliche Hand als auch durch die Wirtschaft, sie haben Netzwerke, Seilschaften und Klüngelrunden auf allen relevanten Ebenen organisiert, die Institutionen der EU-Mitgliedsstaaten infiltriert und eine weitgehende Definitionsmacht errungen.“ So formulierten es Antje Lorch und Christoph Then in ihrer 2008 erschienenen Studie „Kontrolle oder Kollaboration?“ - über die deutsche Gentechnik! Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch das Umweltinstitut München und die AutorInnen des Readers „Organisierte Unverantwortlichkeit“, aus dem die folgenden Informationen stammen (Texte dort ausführlicher und mit Quellenangaben).

Behörden

Regierungsstellen sind für die Kontrolle und Überwachung zuständig, zudem führen Fachanstalten eigene Versuche durch. Ministerien und beauftragte Institutionen vergeben Fördermittel - für die Agrogentechnik in großer Höhe. Schon allein die Gewichtung, wofür Steuermittel ausgegeben werden, zeigt, dass die herrschende Politik in deutlichem Widerspruch zu den Überzeugungen der Mehrheit von Menschen steht. Allerdings: Ministerien, Behörden und Fachinstitutionen sind durchsetzt von LobbyistInnen und KonzernvertreterInnen pro Gentechnik. Unser Beispiel: Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Im Gesetz heißt es: „Das BVL nimmt ... die Durchsetzung dieser auf EG-Normen beruhenden Verbraucherschutzgesetze wahr. ... Ziel ist es, Verbraucherrechte im Falle innergemeinschaftlicher Verstöße besser durchzusetzen.“ Doch davon ist nichts zu sehen. Das BVL hat bislang alle Anträge auf Genversuche auch genehmigt, alle Einwendungen von Umweltverbänden, LandwirtInnen oder anderen BürgerInnen zurückgewiesen sowie in vorauseilendem Gehorsam sofortige Vollziehungen verhängt, um die Aussaat weiter zu beschleunigen, ohne dass Betroffene einen Aufschub zu Klärung ihrer Einwände erhielten. Kein Wunder: Der Chef der Gentechnikabteilung, Dr. Hans-Jörg Buhk, wusste schon Ende der 1990er Jahr über die Gentechnik: „Auf diese Weise können die Lebewesen, die unserer Ernährung als Basis dienen, gezielt mit Eigenschaften ausgestattet werden, die unsere Lebensmittel qualitativ verbessern und sowohl wirtschaftliche als auch ökologische Vorteile bei der Erzeugung und Verarbeitung erwarten lassen.“ Das koppelte er mit einer Breitseite gegen die KritikerInnen: „Ich denke, die Ängste vieler deutscher Mitbürger kommen ,aus dem Bauch' und sind oft durch fehlendes Wissen hervorgerufen.“ 1996/97 unterstützte Buhk mit öffentlichen Auftritten und Schriften die Einführung von Monsantos gv-Soja auf den deutschen Markt. 2000 unterzeichnete er das Manifest Gentechnik befürwortender Wissenschaftler und Lobbyisten. Dort wurde die Agro-Gentechnik als umweltfreundlich, sicher und präzise verherrlicht. 2002 trat Buhk im Werbevideo „Das streitbare Korn“ auf, in dem er die ökonomischen Vorteile von gv-Mais anpreist und unterzeichnete (mit Hinweis auf sein Amt im BVL) das „ABIC2004 Manifestos“, in dem die Abschaffung „unnötiger Hürden“ für die Zulassung von GVOs gefordert wurde.

Das BVL arbeitet gern ohne Öffentlichkeit musste sich 2009 von einem Gericht zurechtweisen lassen, dass es seit Jahren Akteneinsichtsrecht rechtswidrigerweise verweigert hatte.


Ämterhäufung

Ein Blick in Beiräte bei Regierungsstellen, Vorstände von Lobbyverbänden oder die Apparate in Bioparks, Konzernen und Forschungsgemeinschaften zeigen: Dort sitzen überall die gleichen Leute. Eine Grenze zwischen Kontrollbehörden, Geldgebern, ForscherInnen und interessierten Firmen gibt es nicht. Recht neu, aber erfolgreich in diesem Knüpfen persönlicher Netze sind die Strateginnen der Gründungszentrum für grüne Gentechnik (AgroBiotechnikum) in Groß Lüsewitz: Prof. Inge Broer und Kerstin Schmidt. Über den sich gemeinnützig gebenden Verein FINAB initiierten sie den Bau eines teuren Büro- und Laborgebäudes und probierten sich mit Freilandversuchen. Start war ein Rapsfeld von 2004 bis 2006: „Diese Freisetzung dient einerseits der Etablierung von notwendigem Know-how für die Beantragung und Durchführung von Freisetzungen am Standort Groß Lüsewitz, andererseits als politisches Signal und Präsentation des Dienstleistungsangebotes im AgroBioTechnikum.“ FINAB gab damit selbst zu: Ein wissenschaftliches Ziel bestand gar nicht. Dennoch gab es ca. eine halbe Millionen Euro Steuergelder allein für den Versuch - das AgroBioTechnikum wurde mit etlichen Millionen von Bund, Land und Kommune hochgepäppelt.

Systematisch zogen Broer und Schmidt ein Firmengeflecht auf, in dem in den Folgejahre Hunderttausende von Euros versickerten - gezahlt für hochriskante Freisetzungsexperimente, deren genauer Sinn aber oft schwer erkennbar war. Immer in Leitungsfunktion: Inge Broer. Überall die Geschäftsführerin: Kerstin Schmidt. Letztere war für die Arbeit vor Ort zuständig, erstere zog die Strippen in vielen Gremien - gleichzeitig bei Geldgebern, Kontrollbehörden, Konzernen und Forschung (siehe unten). Zudem hält sie neun Patente, überwiegend der Firma Bayer.

Kerstin Schmidt hingegen ist ausgebildete Mathematikerin und kümmert sich entsprechend um das Geschäftliche - das aber gleich in vielen Firmen gleichzeitig. Kerstin Schmidt ist Geschäftsführerin der Gentechnikfirmen biovativ, Biomath, des Gentechnik-Schaugartens Biotechfarm und des Firmenverbundes BioOK. Durch ihre Hände gehen Hunderttausende an Forschungsgeldern - Gentechnik ist für sie vor allem eine Geldfrage.

Biopark & Geldmaschinen

Es gibt einige Orte, in denen haben die Gentechnik-Seilschaften halbe Dörfer erobert, um dort mit riesigen Mengen an Steuergeldern äußerst riskante und oft wissenschaftlich sehr dubiose Versuche durchzuführen. Das erste entstand in Gatersleben (IPK), dann folgte das AgroBioTechnikum (Groß Lüsewitz). Ganz neu ist die BioTechFarm in Üplingen. Eröffnet im Juli 2008, dient sie nach eigener Darstellung der Beeinflussung des Denkens über Gentechnik. In der Tat: Umweltverbände stellten in einer Einwendung fest, dass es gar keine Labore in der Umgebung gäbe. Hier wird also nichts erforscht, sondern Gehirnwäsche als Selbstzweck betrieben. Die Felder sind überwiegend Zweitstandorte - die Hauptflächen liegen am AgroBiotechnikum oder bei Firmen wie KWS und Monsanto. Diese Verbindungen sind kein Zufall: Kerstin Schmidt wurde im April 2008 auch Geschäftsführerin in Üplingen, Monsanto war da schon beteiligt.

Ausgangspunkt für die Infrastruktur, die dabei zur Biotechfarm mutierte, war eine PR-Kampagne für Nachhaltigkeit. Titel des UN-Dekadeprojekts: „Das Dorf Üplingen als Agenda 21-Siedlung und Motor der nachhaltigen Entwicklung im ländlichen Raum - Üplingen 2049“. Zentral war die Renovierung des Stiftsgutes Üplingen. Hier sollte ein „Leitprojekt des Bördekreises für die Integrierte ländliche Entwicklung“ ergeben. Doch im Laufe der Jahre 2007 (noch verdeckt) und 2008 griffen die Gentechnik-Seilschaften zu: Uwe Schrader, Vorsitzender von InnoPlanta, Macher des IPK in Gatersleben und FDP-Politiker im Land organisierte Gelder und zog die Fäden über den Mäzen des ehemaligen Nachhaltigkeitsprojektes, den aus Köln stammenden Firmenboss Lichtschläger. Unauffällig wurde die Projektbeschreibung manipuliert und der bisherige Punkt 4 ausgetauscht. Nun stand dort die Biotechfarm - das Nachhaltigkeitsprojekt mutierte zum Großprojekt der Agrogentechnik.

Die Versuche, die an diesen Hauptstandorten durchgeführt werden, werden meist aus dem Biosicherheitsprogramm finanziert. Um an diese Gelder zu kommen, werden etliche Versuche, die eigentlich anderen Zielen dienen (Produkt- und Methodenentwicklung), als Sicherheitsforschung umdeklariert. Das ist zwar eigentlich Betrug u.ä., aber im dichten Netz der Seilschaften guckt keiner genau hin.

Trommeln und Vernetzen: Die Lobbyverbände

Alles ist steigerbar - und so gibt es in Deutschland mehrere Verbände, die nichts anderes betreiben als Gehirnwäsche und den Aufbau von Seilschaften. Die sind auch gar nicht versteckt - im wichtigsten Lobbyverband pro Gentechnik, InnoPlanta, sitzen Vertreter gentechnikbefürwortender Parteien und Organisationen einträchtig neben Beamten aus Behörden und Fördermittelvergabestellen, Landräten, aber auch den großen Konzernen und kleinen Newcomern der Gentechnik. InnoPlanta e.V. ist der lauteste und oft inhaltsleere Marktschreier für die uneingeschränkte Nutzung manipulierter Tiere und Pflanzen im Land und bezeichnet sich selbst als „Plattform zur Unterstützung von Landwirten, welche die Vorteile moderner Pflanzenbiotechnologie nutzen wollen“. Dass im Vorstand einer solchen Plattform BASF, Bayer und viele kleine Firmen sitzen, die - mit Fördermitteln vollgepumpt - in den letzten Jahren ihr Glück als GentechnikerInnen versuchten, mag wenig überraschen. Was aber machen die Geschäftsführerin der regionalen Wirtschaftsförderung, der Vize des Landesbauernverbandes, ein Mitarbeiter der staatlichen Forschungsstelle Julius-Kühn-Institut und ein Landrat im Vorstand, zudem im Beirat der ehemalige Wirtschaftsminister und ein wichtiger Beamter der Bundesforschungsanstalt für Lebensmittel? Insgesamt vereinigt Innoplanta rund 60 Partner aus Forschung, Wirtschaft, Finanzen und Politik.

Überall die Finger drin haben, aber nicht auffallen: Die Konzerne

Es ist das spezifisch Deutsche an der Agrogentechnik im Land, dass sich die großen Konzerne gern ein bisschen verstecken. Es soll nicht auffallen, wie eng Regierungen und Behörden mit ihnen verwoben sind. Doch mit BASF, Bayer und KWS ist es nicht anders wie mit Rüstungs-, Energie- oder Automobilkonzernen, Banken oder Versicherungen. Sie alle sind personell eng verflochten mit Aufsichtsbehörden, nehmen Einfluss über Lobbygruppen und sitzen an den Tischen, wenn Gesetze geschmiedet oder der Kuchen voller Fördergelder verteilt wird. Nur wissen die Gentechnikfirmen, dass ihr Geschäft im Land nicht so beliebt ist wie der Bau von CO2-Schleudern auf vier Rädern oder mit rauchenden Schloten. Darum setzen sie auf eine andere Strategie: Tarnung. Statt selbst zu agieren, dulden sie die Entstehung vieler Kleinstfirmen und regionaler Biotechnologieinitiativen. Hinter diesen stehen dann als Auftrag- und Geldgeber die Konzerne. Wer genau hinguckt, sieht sie auch: Syngenta, BASF und Pioneer kamen auf der 4. EIGMO-Tagung in Rostock mit BVL, JKI und EFSA zusammen. Monsanto sponsorte das Treffen, BASF stellt den Wachschutz an den Versuchsfeldern des AgroBioTechnikums. Hartwig Stiebler, Anwalt von Monsanto, vertrat die BioTechFarm gegenüber KritikerInnen. Das hat Zukunft, denn was die ,Kleinen' entwickeln oder durchsetzen, wird später den großen Konzernen dienen.

Fazit: Alles ist mit allem verbunden

Die Schrift „Kontrolle oder Kollaboration?“ fällt ein vernichtendes Urteil über die Gentechniklandschaft in Deutschland: „Die Politik ... ist umschlungen von einem fast undurchdringbaren Geflecht von Experten, Consulting-Firmen, Spezialagenturen, Arbeitsgruppen, Initiativen und den vielfältigen Aktivitäten ihrer Beamten, die gemeinsam mit der Industrie sowohl die Risikobewertung als auch die Risikokommunikation organisieren und dabei Politik und Öffentlichkeit zu ihrem Spielball machen. Im Zentrum des Geflechts findet man dabei selten die großen Firmen selbst, sondern eher ,Spezialagenturen' mit exzellenten Kontakten zu Behörden, Politik, Medien und Konzernen. Sie arbeiten als Tarnkappenstrategen der Industrie, finanziert sowohl durch die öffentliche Hand als auch durch die Wirtschaft, sie haben Netzwerke, Seilschaften und Klüngelrunden auf allen relevanten Ebenen organisiert, die Institutionen der EU-Mitgliedsstaaten infiltriert und eine weitgehende Definitionsmacht errungen.“