2010-01:Erfolg kommt nicht von folgen

Aus grünes blatt
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Neue Strategien der Anti-Atom-Bewegung. Nein, derer, die erst eine neue Bewegung inszenieren, um dann für sie zu sprechen.

Floh Die Beteiligung von herrschaftskritischen Menschen und Gruppen an Anti-Atom-Kämpfen hat eine lange Tradition. Nach Whyl waren autonome und herrschaftskritische Gruppen der prägende Teil der Bewegung. Bei den Kämpfen an den Bauzäunen in Brokdorf, Kalkar und Wackersdorf, genauso wie bei den zahlreichen Anschlägen der revolutionären Zellen, oder den meisten anderen Nacht-aktiven, ging es nicht bloß um die Gefahren der Atomkraft, sondern auch gegen einen Staat, der diese Technologie mit einer bis dahin ungekannten Polizeiarmee durchsetzt - und gegen jeden Staat. Selbst vormals Konservativen konnten diese Positionen vermittelt werden, angesichts eines kriegsähnlichen Zustands, in dem mensch sich zusammen gegen diesen Staat befand.

Autonome Aktionsgruppen bildeten das Herz des Widerstandes, zentrale Strukturen waren undenkbar, Vereinnahmungsversuche wurden erkannt und bekämpft.

Später im Wendland entbrannten Konflikte zwischen gewaltfreien und militanten, einerseits, sowie zwischen zentral strukturierten und dezentralen Aktionsgruppen andererseits. Diese Konflikte führten aber nicht, wie so oft, zur Unterwerfung und Vereinnahmung des jeweiligen Gegners, zur Entsolidarisiserung und Verwerfung, sondern hinsichtlich der Castorproteste zum recht produktiven Streckenkonzept: Die zu blockierende Strecke ist lang genug für die verschiedenen Aktionskonzepte, die hintereinander stattfinden können.

Legendäre Aktionen bei den ersten Transporten, wie die Unterhöhlung der Straßen, das beinahe gelungene Wegflexen des Verladekrans, massenhaft eingesetzte Hakenkrallen und vieles mehr stammen aus gut organisierten Kleingruppenstrukturen oder losen Zusammenhängen. Hinzu kamen die explizit gewaltfreien Sitzblockaden der BI Lüchow-Dannenberg und X-tausendmal quer, welche ihre Aktionen schon damals an den photogensten Stellen zu platzieren wussten. Die Aktionsform der gewaltfreien Sitzblockade soll hier nicht an sich kritisiert werden, bietet sie doch für Menschen die sich aus verschiedensten Gründen eine weitergehende Konfrontation mit der Staatsmacht nicht vorstellen können oder wollen, die Möglichkeit trotzdem relativ effektiv zu blockieren - die Mischung machts. Von vornherein gefährlich ist bei dieser Aktionsform aber, dass die strategische Planung von wenigen für viele angestellt werden können, und so eine Konsumhaltung einerseits und ein Sprechen von wenigen für viele andererseits möglich werden. Zudem werden durch diesen “konsumierbaren Protest” auch kaum die eigenen Handlungsmöglichkeiten der Beteiligten gesteigert, da sie durch bloßes “teilnehmen” nur wenig lernen können

Bei Organisationen wie X-tausendmal quer wird das teilweise sogar zum Programm. Dann wird argumentiert, dass eine zentrale Organisationsstruktur nötig wäre, weil die Menschen nicht bereit wären mehr Zeit für die Planung aufzubringen und ein bequemes Angebot bräuchten, um sich am Widerstand zu beteiligen. Das ist aber mindestens ein Wechselspiel, zumindest langfristig gesehen: Wo Menschen keine Selbstorganisation lernen, sondern nur konsumieren, sind sie auf eine fremdbestimmte Lebensgestaltung angewiesen, die auch Lohnarbeit beinhaltet, wodurch sie dann keine Zeit mehr haben für einen selbstorganisierten Widerstand.

X-tausendmal quer schafft es durch professionelles Marketing und gute Pressekontake ein bekanntes Label aufzubauen, Vereinnahmungen und Hierarchien nehmen zu. Der immer gleiche Sprecher spricht für viele hundert Blockierende. Nach 2001 ziehen sich so kategorisierte “autonome Gruppen” immer mehr aus dem Castorwiderstand raus. Die “Autonomen des 21. Jahrhunderts” können mit Umweltthemen anscheinend nichts anfangen. Somit werden die gewaltfreien Massnblockaden zum dominierenden Element des Widerstandes und effektive Kleingruppenaktionen, oder auch militanter Widerstand zur Randerscheinung. Die verbliebenen selbstorganisierten Gruppen werden medial im Einvernehmen der Bewegungseliten und der bürgerlichen Presse totgeschwiegen oder als „Randalierer, die hier niemand will“ (Sprecher der BI auf der Nachlese (Pressekonferenz) 2008) ausgegrenzt.

Parallel zur Abnahme tatsächlichen Widerstandsdynamik wächst die Inszenierung durch Eliten. Bereits beim 2008er Castor wurde einer Entpolitisierung und Popularisierung des Widerstandes einer „neuen jungen Protestgeneration“ zugespielt. Ein bisheriger Höhepunkt der Inszenierung ist nun erreicht mit der Menschenkette vom 24.4. von Brunsbüttel nach Krümmel . Als „voller Erfolg“ bis hin zum Beginn einer „neuen Bewegung“ wird die Teilnahme von 120.000 Menschen bewertet. Abgesehen davon, dass gut die Hälfte der TeilnehmerInnen, von reaktionären Atomverbänden wie SPD, Grüne und einigen Gewerkschaften mobilisiert wurden, stellt sich die Frage welcher Logik mensch folgt, wenn allein das Mobilisieren einer großen Menschenmenge den Erfolg ausmacht. Ist das nicht die selbe Logik die einer Mehrheitsdemokratie, also den Wahlen zugrunde liegt? Die einzelnen Menschen zählen nur als - zu summierende - Zahlen. Nicht die Stärkung für den Widerstand und eine daraus folgende Selbstermächtigung von Menschen ist das Ziel, sondern im Gegenteil: möglichst unfähige, unselbstständige Menschen sind für Eliten aller Art nützlich. Denn nur solche befriedigen ihr Bedürfnis auf Einflussnahme auf die Gesellschaft mit dem Abgeben eines Kreuzes oder einer Teilnahme an einer Busfahrt zur Menschenkette, denn selbstorganisierte Menschen mit vielen Fähigkeiten haben andere Möglichkeiten. Ein weiteres Problem des inszenierten Massenprotestes ist es, dass er rein appellativ sein muss - eine Änderung von Entscheidungsstrukturen, also die Überwindung der existierenden Herrschaftsverhältnisse, geht nicht mit Betteln. Ein appellativer Protest legitimiert aber die vorhandenen Herrschaftsverhältnisse. Es werden also die Ursachen bestärkt, in der Hoffnung eine einzige Auswirkung damit bekämpfen zu können.

In der Praxis dabei noch eins draufzusetzen schafft natürlich wieder einmal Campact: Eine alte Protestform wird wieder ausgegraben: das Luftballonsteigenlassen gegen Atomkraft - die effektivste war sie noch nie. Nur: die Leute lassen ihre Luftballons nicht mehr selber los, sondern beauftragen Campact per Mausklick dafür das für sie zu tun. 2,40 Euro kostet das gute Gefühl etwas getan zu haben. So kann mensch es vielleicht mit sich vereinbaren, diesen Herbst einmal nicht ins Wendland zu fahren.

Allerdings ist auch eine positive Gegenentwicklung zu erkennen. So gab es beim 2008er Castorwiderstand wieder mehr gut geplante und entschlossene Kleingruppenaktionen, unter anderem wurden 16 versuchte Kletterblockaden registriert, sowie Hakenkrallen in Frankreich oder die 13-stündige Blockade an der deutsch-französischen Grenze und die Betonpyramide der Bäuerlichen Notgemeinschaft in Grippel. Auch das vermehrte Blockieren von Urantransporten in den letzten Jahren ist ein ermutigender Trend. Nutzen wir den diesjährigen Transport für die Stärkung eines selbstorganisierten, herrschaftskritischen Widerstands!