2011-02:Kelsterbach

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+++ Baufortschritt und Widerstand +++ Rückblick: Hüttendorf und Protestaktionen +++ Prozesse gegen Ausbaugegner_innen +++ Perspektiven und Solidarität +++

Über zwei Jahre nach Räumung des Widerstandsdorfes im Kelsterbacher Wald und Rodung von insgesamt etwa 350 Hektar Wald steht die Einweihung der vierten Rollbahn am Frankfurter Flughafen, der sogenannten Landebahn Nordwest kurz bevor. Zeitgleich finden noch immer Prozesse gegen Aktivist_innen statt die sich während und nach der Rodung gegen den Ausbau engagierten.


Auch wenn es gegen den Bau der Landebahn Nordwest keine so große und weitreichende Bewegung gab wie Anfang der 80er Jahre gegen die Startbahn West, so gab es doch vielfältige Aktionen, die teilweise den Ausbau direkt störten und zum anderen Teil zwar "nur" rein symbolisch waren, aber doch auch für öffentliche Aufmerksamkeit sorgten und so weitere Menschen motivierten sich kritisch zu informieren und Stellung zu beziehen. Das Wissen darüber, dass der Ausbau und Betrieb von Flughäfen nur durch hohe Zuschüsse von Land, Bund und EU möglich ist, dass die Fluggesellschaften durch steuerbefreitem Kerosin begünstigt werden und dass bei den Flugzeugbauern wie Aribus oder Boeing milliardenschwere Militäraufträge die Profite garantieren, lässt bei Menschen Wut aufkommen − und hoffentlich auch oft genug den Wunsch selbst etwas zu verändern. Denn all diese Tatsachen machen den dichten Flugbetrieb überhaupt erst möglich. Gerade aufgrund der aktuellen Atom−Debatte, werden viele Menschen auch angesichts der Möglichkeit eines Flugzeugabsturzes über Atomkraftwerken wie dem AKW Biblis oder über Chemiewerken wie den in Flughafennähe angesiedelten Ticona−Werken nachdenklich und wütend.

Der Ausbau des Frankfurter Flughafens bedeutet aber auch den Verlust von Lebensqualität durch die Zerstörung des öffentlichen Waldes, der als Bannwald gegen den Lärm und Naherholungsgebiet eine doppelte Funktion hatte. Damit einher geht eine zunehmende Privatisierung von immer mehr öffentlichen Flächen, die gerade aufgrund der immer stärker auseinandergehenden "sozialen Schere" nicht hinnehmbar ist. Mit dem Anstieg des Flugverkehrs kommen zusätzliche Lärmbelastungen und damit auch massive gesundheitliche Risiken auf die umliegenden Gemeinden zu. Doch es geht nicht nur um die sinkende Lebensqualität und Zerstörung von Ökosystemen hier vor Ort, sondern vor allem auch um weltweit sichtbare Klimaschädlichkeit des Flugverkehrs, um Flüchtlinge, die angesichts des Flughafenabschiebeverfahrens ganz besonders entrechtet werden, um grenzenlose Expansionssucht und ausbeuterischen globalen Warenhandel, ... kurzum: um brutale Eingriffe in die Leben vieler zugunsten der Erhaltung des auf stetigem Wachstum basierenden Systems.

Chaotisches Waldcamp

Als sich 2008 der Bau der Landebahn und die damit einhergehende Rodung des Waldes abzeichnete, wurde im Mai 2008 ein Teil des rodungsbedrohten Kelsterbacher Waldes besetzt. Es kam auch immer wieder zu Sabotageaktionen, Blockaden von Rodungsmaschinen oder Besetzungen von unmittelbar rodungsbedrohten Bäumen. Das Widerstandsdorf der Ausbaugegner_innen, dass aus der im Mai 2008 begonnenen Besetzung entstand wurde im Februar 2010 geräumt. Bis dahin war es Ort der Vernetzung und des Widerstandes.

Eine Dokumentation aus dem Januar 2009 gibt einen kleinen Einblick in die chaotische Vielfältigkeit des damaligen Waldcamps, das viele Menschen anzog: hier ansehen

Nach der Räumung:

Auch nach der Räumung ging der Protest − wenn auch an Personen stark dezimiert − weiter. So kam es zu einer Hausdachbesetzung wenige Tage nach der Waldräumung, einer Transparentaktion zur Einweihung der Landebahn, einer Baumbesetzung bei der weiteren Rodung im Herbst 2009 und etlichen weiteren Aktionen.

Bevorstehende Fertigstellung und Einweihung der Landebahn Nordwest

Trotz jahrelangem Protest der Bürgerinitiativen in der Rhein−Main−Region und den vielfältigen Aktionen der Waldbewohner_innen in den Jahren 2008/2009, geht nun der Bau der neuen Landebahn stetig voran. Wir erwarten, dass es vor ihrer Einweihung im Herbst erneute Protestaktionen geben wird. Hier einige Bilder zum aktuellen Stand des Ausbaus und im Vergleich einige Bilder aus dem Sommer 2008.

Das Bild zeigt den ehemaligen Eingang zur ehemaligen Waldbesetzung im ehemaligen Kelsterbacher Wald: Rechts der Mönchswaldsee. Links entsteht eine Anlage zum Abhalten von Vögeln:

"Flughafen−Fest" der FRAPORT AG

Unter dem Titel "Happy Landings" plant die FRAPORT für dem 25./26. Juni 2011 ein sogenanntes Flughafen−Fest auf der neuen Landebahn. Mit Eventcharakter versucht der Konzern den Ausbau attraktiv zu machen und verspricht "zahlreiche Live−Bühnen, ein[en] multimedialer Erlebnistunnel mit 360−Grad−Kino, ein Kinderland und viele weiteren Attraktionen." Ihr guter Ruf scheint der Flughafen−Betreiber−AG einiges wert zu sein. Für manche_n lärmgeplagte_n Anwohner_in wohl dennoch ein schwacher Trost, den "der gute Nachbar" FRAPORT hier anbietet. Wer zum Flughafen−Fest will, muss sich sich zudem vorher anmelden. Es könnten ja sonst die falschen kommen... Weiteres auf der Original−Homepage dazu: www.fraportevents.de

Offizielle Inbetriebnahme der Landebahn Nordwest zum Winterflugplan 2011/2012

Landebahn Nordwest KarteIm Oktober 2011 soll die Landebahn Nordost offiziell in Betrieb genommen werden. Genauere Informationen stehen noch nicht fest. Ungewiss ist auch, ob bis dahin eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVG) in Leipzig zum Nachtflugverbot ergehen wird. Bereits jetzt nimmt die Lärmbelastung in Rheinhessen, Mainz/Wiesbaden, Teilen des Main−Taunus−Kreises und in Teilen des Kreises Offenbach erheblich zu und es gibt vielfache Bürgerbeschwerden. Es wird immer deutlicher, dass die Grenzen der Belastbarkeit schon weit überschritten sind und die Lebensqualität im Flughafenumland immer mehr auf der Strecke bleibt.

Bloß nicht unterkriegen lassen!

Auch wenn die Bilder traurig und wütend machen und an der Fertigstellung der Landebahn nichts mehr zu rütteln ist, war kein Protest und kein Widerstand sinnlos! Hätte es nicht in den 80er−Jahren so starke Proteste gegen den Bau der Startbahn West gegeben, wäre die Landebahn Nordwest schon viel eher gebaut worden. Und eines ist sicher: die FRAPORT AG hat noch weitere Pläne in den Schubladen und auf Verhandlungstischen liegen, denn der Wettlauf um den größten Flughafen geht weiter.

Plakat: "Wirklich Hausfriedensbruch"Leider habe bislang wenige Menschen verstanden, dass der Kapitalismus längst ausgedient hat und dass es naiv ist zu glauben, es könne die nächsten Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte so weitergemacht werden wie bisher. Doch die zunehmenden Teilnehmer_innenzahlen bei Fluglärmdemos im Rhein−Main−Gebiet machen deutlich, dass die die Betroffenheit und die Bereitschaft sich zu engagieren wächst, sobald die Folgen eines solchen Großprojektes tatsächlich spürbar werden. Die Debatte ist wichtig um kritisch zu bleiben. Wer mitdiskutieren will, ist herzlich eingeladen am Dienstag, den 10. Mai 2011 (20 Uhr) nach Rüsselsheim zu kommen: Nach der Vorführung eines neuen Dokumentarfilms ("Runway" − 45 Minuten) zum Kampf gegen den Flughafenausbau in Frankfurt besteht im Infoladen Rüsselsheim (Freiwerk, Hügelstr. 11) die Gelegenheit, eine Bilanz der bisherigen Proteste zu ziehen und über zukünftige Schritte nachzudenken. Eingeladen ist zu einer Diskussion über die Perspektiven des Protests gegen den weiteren Flughafenausbau.

Weitere Informationen: http://waldbesetzung.blogsport.de/termine

Landebahnen zu Skateparks! Gerichte zu Pommesbuden! Knäste zu Baulücken! Wälder zu Wäldern! Für die Widerbegrünung der Startbahn West!

Repressionen gegen Ausbaugegner_innen

15Im Zusammenhang mit dem Flughafenwiderstand in Kelsterbach und gerade auch mit der Hüttendorfräumung und den in diesen Zeitraum fallenden Aktionen wurden viele Verfahren eingeleitet. Die meisten wurden jedoch ziemlich schnell (mit oder ohne Auflage) eingestellt. Gegen einige wenige wird allerdings nun um so hartnäckiger verhandelt. Die Flughafenbetreiberin FRAPORT hat Strafanzeigen gegen die "Störer_innen" der schönen expandierenden Fraport−Welt gestellt und eine "unvoreingenommene" Justiz, die immer für den Ausbau entschieden hat, führt nun Prozesse gegen Personen, die sich für Umwelt− und Klimaschutz sowie ein lebenswertes Rhein−Main Gebiet eingesetzt haben.

Anders als durch den Schutz des Profitinteresses, lässt sich die Fortführung der Verfahren kaum erklären. Das von den Gerichten nach wie vor vorgeschobene öffentliche Interesse ist jedenfalls reine Makulatur. Der Kreistag Groß Gerau appellierte am 25. März 2010 an den Flughafenbetreiber Fraport, seine Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruch im Kelsterbacher Wald zurückzunehmen (hier nachlesen). In einem am 13. April veröffentlichten offenen Brief sprachen sich ebenfalls zahlreichen Umwelt− und Verkehrsverbände für die Einstellung der Verfahren aus (hier nachlesen.

Im Folgenden ausführlichere Berichte zu einigen Verfahren, die vor Gericht verhandelt wurden − oder noch werden. Aktuelle Prozesstermine finden sich zudem immer unter: http://waldbesetzung.blogsport.de/termine/

Politprozess gegen Klettereichhörnchen Cécile in Frankfurt

16Im Frühjahr und Sommer 2010 wurde vor dem Amtsgericht Frankfurt wegen drei verschiedener Vorwürfe gegen Kletteraktivistin Cécile verhandelt. Wegen der Besetzung einer Rodungsmaschine im Januar 2009 wurde ihr Hausfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen. Eine Baumbesetzung im am 11. Februar 2009 führte zum Vorwurf des gemeinschaftlichen Hausfriedensbruchs. Der dritte Hausfriedensbruchsvorwurf kam wegen einer Kletteraktion im Rahmen des Jugend−Umwelt−Kongresses 2008/09 in Frankfurt hinzu.

17Am 17.3.2010 begann vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main der Prozess gegen die für ihr umweltpolitisches Engagement bekannte französische Kletteraktivistin. Der erste Verhandlungstag wurde von Kontrasten geprägt: Bunter Protest mit Transparenten vor Gericht versus massives Polizeiaufgebot; üblicherweise für schwere Gewaltverbrechen vorbehaltener Hochsicherheitssaal versus auf sehr dünnem Eis liegende Beweislage.

Am ersten Prozesstag zeigten gut dreißig Menschen ihre Solidarität für das umweltpolitische Anliegen der Angeklagten. Die Gruppe wurde am Gericht schon von einem größeren Polizeiaufgebot empfangen. Auch eine BFE−Einheit in voller Ausrüstung war da. Die Prozessbesucher_innen wurden alle nacheinander nach „gefährlichen Gegenständen“ gründlich durchsucht. Sogar Stifte wurden von den Justizwachmeistern als gefährliche Gegenstände angesehen und in Verwahrung genommen. Was mit „Sicherheit“ gemeint war, wurde der Angeklagten klar, als sie den Gerichtssaal betrat: Ein Saal mit Trennscheibe zwischen Prozessbesucher_innen und Gericht − "Die Mauer muss weg" skandierten Prozessbesucher_innen im späteren Verlauf, was im „Verhandlungsbereich“ gesprochen wurde, war für die Öffentlichkeit nur über eine Lautsprecheranlage zu verstehen. Somit die laut StPO vorgesehene Kontrolle durch die Öffentlichkeit nicht gegeben. Mehrmals drehte der Staatsanwalt sein Mikrofon zur Seite, bevor er etwas sagte, so dass die Zuhörer_innen kein Wort verstanden.

Die Angeklagte musste massiv um die Wahrung ihrer prozessualen Rechte kämpfen, da der vorsitzende Richter Henrici nahezu alle formalen Anträge ohne Begründung ablehnte. Ihre politische Einlassung wurde seitens des Gerichts mehrfach unterbrochen. Aus der Beweisaufnahme ergaben sich keine Anhaltspunkte für eine strafbare Handlung: Der Vorwurf der Nötigung bei der Besetzung einer Rodungsmaschine fiel mangels eines erkennbaren Nötigungsopfers aus – der Harvesterfahrer war laut Zeugenaussage in der Mittagspause, als die neun Demonstrant_innen die Maschine erklommen. Der Fahrer selbst konnte nicht befragt werden, weil er aus Rumänien stammt und von dort nicht geladen werden kann und der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Auch der angebliche Widerstand bei der Räumung aus dem Harvester konnte nicht belegt werden. Schließlich kam heraus, dass die Strafanträge der DB AG und Fraport AG womöglich Formfehler enthalten und deswegen ungültig sind. Auf eine Einstellung des Verfahrens ließ sich die Staatsanwaltschaft jedoch nicht ein.

"Juristisch müsste es einen Freispruch geben − politisch wollen sie aber eine Verurteilung", fasste damals ein Prozessbeobachter die Situation zusammen − und er sollte Recht behalten. Am 15. April 2010 fand der dritte Verhandlungstag statt und kurz vor 22 Uhr das Urteil durch Richter Henrici ein Urteil gesprochen: Cécile wurde zu einer Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen à 8 Euro wegen dreifachem Hausfriedensbruchs, davon einmal in Tateinheit mit Nötigung verurteilt. Das Perfide daran war die Verurteilung selbst: Es hätte einen Freispruch geben müssen. Richter Henrici wollte aber eine Verurteilung. Der Richter folgte im wesentliche der Argumentation des Staatsanwalts Links und verhängte genau 15 Tagessätze. 15 Tagessätze, weil ein solches Urteil besonders schwer mit Rechtsmittel anzufechten ist, da hier nur Annahmeberufung möglich ist.

In solchen Fällen ist die Berufung nur zulässig, wenn sie vom zuständigen Landgericht zur Entscheidung angenommen wird. Bei politischen Verfahren, die von einer kritischen Öffentlichkeit begleitet werden, ist es für ein Landgericht verlockend, die Annahme der Berufung abzulehnen und die Akte somit vom Tisch zu kriegen. Gegen die Verweigerung der Annahme haben die Berufungsführenden kein eigenes Rechtsmittel. Gegen das so rechtskräftig gewordene Urteil legte Cécile im September 2010 Verfassungsbeschwerde ein. In ihrer Beschwerde rügt die Kletteraktivistin die Verletzung von Artikel 103 Abs 1 und 2 des Grundgesetzes (Anspruch auf rechtliches Gehör und Analogieverbot) sowie einen Verstoss gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit.

Wortlaut der Verfassungsbeschwerde: http://www.eichhoernchen.ouvaton.org

Verfahren in Mainz wegen Kletteraktion zum offiziellen Baubeginn

Feierlichkeiten zum offiziellen Baubeginn am 08.05.2009Am 08.05.2009 feierte die Fraport AG mit dem damaligen Ministerpräsident Roland Koch und Fraport−Vorstand Wilhelm Bender den offiziellen Baubeginn der Landebahn Nordwest. Mit der Inszenierung des sogenannten "ersten Spatenstichs" sollte der Bau der vierten Flugbahn des Frankfurter Flughafens einen feierlichen Beigeschmack bekommen. Dieser symbolische Baubeginn fand statt, während verschiedene Klageverfahren gegen den Ausbau des Flughafens vor dem hessischen Verwaltungsgerichtshof noch liefen. Auch der Entscheid der Kelsterbacher Bürger_innen über den Verkauf des Waldes stand noch aus. Ungestört sollte diese Inszenierung allerdings nicht stattfinden: Auf der Hauptzufahrt zur Baustelle (Okrifterler Straße) wurde mit einer Demonstration, einer Sitzblockade und mit einer Abseilaktion von einer Brücke protestiert. "Klimaschutz statt Kahlschlag−Party" stand auf dem Transparent über der Brücke (hier ein Bericht zur Aktion).

Inszenierung des ersten Spatenstichs zum Bau der neuen Landebahn im Mai 2009Die vier KletterInnen wurden per Hubwagen geräumt, eine Sitzblockade wurde durch Wegtragen aufgelöst. Die Polizei ging dabei mit Gewalt vor: zwei Kletterseile wurden von der Polizei durchgeschnitten, damit wurde einem Kletterer der Abstieg im Gefahrenfall unmöglich gemacht. Später wurden gegen die vier Kletterer_innen Verfahren eingeleitet. Vorgeworfen wurde ihnen zunächst Nötigung und schwerer Eingriff in den Schienenverkehr vorgeworfen. Sehr schnell wurde jedoch in allen vier Fällen der Vorwurf des schweren Eingriffs fallengelassen und nur die Nötigung weiterverfolgt.

Nachdem auch dieser Vorwurf gegen einen der Kletterer bereits im Vorfeld wegen eines anderen (aus Sicht der Staatsanwaltschaft wichtigeren) Vorwurfs eingestellt wurde, konnte auch ein zweiter Kletteraktivist in dieser Sache eine Einstellung erzielen. Allerdings war dazu eine Berufung nötig. Erstinstanzlich war der Ausbaugegner Paddy zu einer Arbeitsstrafe nach Jugendstrafrecht verurteilt worden. Der zweitinstanzliche Prozess begann am 21. März 2011 einer Demonstration, die vom Mainzer Bahnhof zum Gericht zog. Dort wurden Transparente aufgespannt und Flyer verteilt. Außerdem wurde Straßenmalkreide kreativ eingesetzt um auf die Verhandlung hinzuweisen.

Prozessbegleitung im März 2011

Der Prozesstag dauerte etwa sieben Stunden und wurde am 04. April weiter fortgesetzt. Da Anwalt verhindert war, stand der Angeklagte ohne anwaltlichen Beistand vor Gericht. Dennoch konnte der nach Jugendstrafrecht Angeklagte mittels Beweis− und Befangenheitsanträgen zumindest einige Rechte durchsetzen. Unter anderem konnte durchgesetzt werden, dass der vorsitzende Richter das vorhandene Saalmikrofon verwendet, damit die anwesende Öffentlichkeit und der Beschuldigt seinen Ausführungen folgen können. Ein Antrag auf Zulassung einer Laienverteidigerin aus dem Publikum wurde jedoch abgelehnt. Während einer Sitzungspause wurden zwei Personen "aus dem Gerichtsgebäude entfernt", da sie vor der Tür eines Büros auf dem Boden gesessen hatten. Der im weiteren Verhandlungsverlauf gestellte Antrag des Angeklagten, die beiden Personen wieder in das Gebäude zu lassen wurde abgelehnt. Stattdessen hielten die beiden vermeintlichen "Störer_innen" jeweils ein sechsmonatiges Hausverbot für das Gerichtsgebäude.

Im Verhandlungsverlauf wurden vier Zeug_innen vernommen. Zunächst waren zwei LKW−Fahrer der Ticona−Werke vorgeladen, die nach Ansicht der Staatsanwaltschaft als Nötigungsopfer in Betracht kommen. Gegen eine Nötigung sprach unter anderem, dass die Fahrer auf Geheiß der Polizei anhielten und nicht direkt aufgrund der Kletteraktion. Von Bedeutung war zudem die Frage ob es für die LKWs einen Alternativweg gegeben hätte. Für Erheiterung sorgte die Einschätzung eines der beiden Fahrer, die Aktion hätte allein dem Zweck gedient ihn zu ärgern. Einen konkreten Schaden, der ihm entstanden sei, konnte er jedoch nicht benennen. Bei der anschließenden Befragung zweier Polizeibeamt_innen (Einsatzleiter Peter Seiler und seine Kollegin Heß), die die an der Beendigung der Kletteraktion beteiligt gewesen waren, ging es vor allem auch um Fragen des Versammlungsrechts und die formal korrekte Aufforderung den Ort zu verlassen. Nach Ansicht der Ausbaugegner_innen war die Aktion zwingend als Versammlung zu werten, da sie auf öffentliche Teilhabe gerichtet war.

Obwohl die Staatsanwaltschaft gegen Ende des ersten Verhandlungstags noch anregte die Anklage zu erweitern und von einer "gemeinschaftlichen Nötigung" auszugehen, wurde das Verfahren nur kurz nach Beginn des zweiten Verhandlungstages nach § 154 StPO eingestellt. Danach kann von der Verfolgung eines Verfahrens abgesehen werden, wenn bereits eine rechtskräftige Verurteilung vorliegt und die zu erwartende Strafe im Verhältnis dazu nicht ins Gewicht fällt. Angesichts der Geringfügigkeit des aktuellen Tatvorwurfes, reichte hier eine niedrige Verurteilung wegen Erschleichung von Leistungen (Schwarzfahren) für die Einstellung des Nötigungsverfahrens aus. Der vorsitzende Richter bemerkte am Rande, dass sich das Einstellen des Verfahrens nicht darauf zurückführen ließe, dass 17 Anträge gestellt worden sein, denn auf die Anträge des Angeklagten hätte das Gericht durchaus "professionell reagieren" können.

In der selben Sache sind noch Verfahren gegen zwei Kletteraktivistinnen anhängig. Diese sollen zusammengelegt am 17. August (09:00 Uhr) vor dem Amtsgericht Rüsselsheim (Johann−Sebastian−Bach−Str. 45, Saal 01) verhandelt werden.

Verfahren in Berlin gegen einen Baumbesetzer

25Nachdem im Februar 2009 bereits große Teile des Kelsterbacher Waldes für die neue Landebahn gerodet worden waren, kam es im Herbst zu weiteren Kahlschlägen. Anlässlich dieser gab es Ende August 2009 − direkt vor Beginn der Rodungsarbeiten − zu einer Besetzung mehrerer Bäume im Rodungsgebiet. In Folge dieser Besetzung rodungsbedrohter Bäume wurde einem Aktivisten ein Strafbefehl über 15 Tagessätze zugestellt. Ihm wurde vorgeworfen, einen Hausfriedensbruch bei Betreten des Waldes begangen zu haben. Gegen diesen Strafbefehl wurde Widerspruch eingelegt. Damit kam es zur Hauptverhandlung. Diese fand in Berlin statt, da der Aktivist zur "Tatzeit" noch unter 21 Jahren alt war.

Der erste Prozesstag im April 2010 vor dem Amtsgericht Tiergarten begann mit einem Ordnungsgeld gegen einen Zuschauer. Der Angeklagte stellte im Verhandlungsverlauf verschiedene Befangenheitsanträge, um die interessengeleitete Ausrichtung der Justiz anzuprangern, und auf die Beschneidung seiner Verteidigungsrechte hinzuweisen. Außerdem forderte er die Verlegung der Verhandlung in einen größeren Saal, damit alle anwesenden Unterstützer_innen (ca. 30) der Verhandlung beiwohnen könnten. Es kam während des Verhandlungstages zweimal(!) zu einer kompletten Saalräumg. Anschließend wurde der Prozess auf unbestimmte Zeit vertagt.

Baumbesetzung während weiterer Rodung im Herbst 2009Im August 2010 wurde der Prozess neu angesetzt und in einen Hochsicherheitssaal verlegt. Zuschauer_innen mussten das Gebäude durch einen separaten Eingang betreten und wurden extrem gründlich durchsucht: Kugelschreiber waren untersagt, Papierblätter wurden abgezählt. Alle Anträge des Angeklagten wurden abgelehnt. Befangenheitsanträge des Angeklagten verwarf Richter Ernst gleich selber, da er nicht befangen sei und der Angeklagte damit das Verfahren nur verschleppen wolle. Passend dazu wurden in einigen gestellten Anträgen die Rolle und Funktionsweise der Justiz ausgiebig thematisiert. Dies dürfte wohl der Anlass gewesen sein, warum Richter Ernst nach einigen Stunden anordnete, die Öffentlichkeit komplett aus dem restlichen Verfahren auszuschließen. Zum Schreiben von Beweisanträgen wurden kurze Pausen von 10−15 Minuten gewährt (Zitat Richter Ernst: Ob der Angeklagte es schaffe, in dieser Zeit alle geplanten Anträge zu schreiben, sei "seine Sache").

Für die Zeugenvernehmung am zweiten Verhandlungstag hatte Richter Ernst hatte zwei Staatsschützer aus Frankfurt einfliegen(!) lassen. Wie beim letzten Mal von ihm angeordnet, fand auch diese Verhandlung hinter verschlossenen Türen statt. KK Wechsung und KOK Missal waren zuständige Sachbearbeiter für die Ermittlungen gewesen, und hatten die Räumung beobachtet. Im Verlauf der Vernehmung zeigte sich auch, welchen immensen Aufwand die Polizei betrieben hatte, um eine lückenlose Umzäunung des Geländes nachzuweisen. So hatte es eigens hierfür einen Helikopter−&Üuml;berflug gegeben, an dem KK Wechsung teilgenommen hatte.

Bei den Plädoyers zeigte der Staatsanwalt, dass er offensichtlich keine Lust hatte sich mit der unzureichend aufgeklärten Sachlage auseinander zusetzen und behauptete, der Angeklagte würde ihm nicht zuhören, deshalb fasse er sich kurz: Unabhängig von der Frage ob das Anliegen des Protestes legitim gewesen sei, handele es sich um eine kriminelle Handlung die bestraft werden müsse. Mit der wörtlichen Begründung, der Angeklagte brauche anscheinend Zeit „um über seinen Platz in Staat und Gesellschaft nachzudenken“, beantragte er 2 Wochen Jugendarrest. Der Angeklagte führte aus, die Beweislage reiche überhaupt nicht für eine Verurteilung aus, eine Haftstrafe sei im übrigen unverhältnismäßig, und endete mit der Feststellung, Recht sei immer das Recht der Herrschenden, und das er dementsprechend nicht von dem Gericht erwarte.

Richter Martin Ernst urteilte: Der Angeklagte habe im Baum gesessen, ob der Zaun vollständig war (in der Verhandlung ging es um mehrere hundert Meter die möglicherweise fehlten) sei egal, wie das Gelände betreten wurde sei egal, und im übrigen sei der Angeklagte aufgefordert worden zu gehen (diese Behauptung war nicht belegt worden). Wesentlich ausführlicher beschäftigte er sich dann auch mit dem Charakter des Angeklagten. Dieser sei die unreifste Person mit der er in 20 Jahren Berufspraxis zu tun gehabt habe, man könne sei ein Verhalten etwas emotional als kindisch bezeichnen. Er sei arrogant, nicht in der Lage sich in andere hineinzuversetzen. Richter Ernst war sich nichteinmal zu schade, den Klimaaktivisten und Umweltschützer mit jemanden zu vergleichen, der auf eine wehrlos am Boden liegende Personen eintrete. Aus dem Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung (also letztenendes dem juristischen Kampf um prozessuale Rechte, die Reaktion auf Fehlverhalten des Richters in Form von Befangenheitsanträgen, Abgabe von politischen Stellungsnahmen zu Rolle und Funktion der Justiz) begründete er die Anwendung von Jugendstrafrecht, da es von Unreife zeuge. Dementsprechend verurteilte er auch nach Jugendstrafrecht: Neben der Ableistung von gemeinnützigen Arbeitsstunden solle der Angeklagte ein halbes Jahr lang täglich an einer Erziehungsmaßnahme in Form einer Art „Gruppentherapie“ teilnehmen. Der betroffene Aktivist legte Berufung gegen das Urteil ein.

In der Berufungsinstanz kam es zu drei Prozesstagen. Der Angeklagte begann mit einer ausführlichen politische Einlassung (hier nachlesbar), die deutlich inhaltsreicher war als die langen Passagen aus den Verfahrensakten (z.B. Besitzeinweisung der Fraport AG), die der Vorsitzende aus formalen Gründen verlaß. Der Staatsanwalt forderte bei nahezu allen Anträgen des Angeklagten, diese nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie nicht ernst gemeint seien. Wieder wurden die Frankfurter Staatsschützer Missal und Wechsung vernommen. Beide sollten den Tathergang bezeugen, gaben aber an, erst hinzugekommen zu sein als die Räumung schon lief. Ihre Erinnerungen erwiesen sich nach über eineinhalb Jahren als lückenhaft und widersprüchlich. Anders als in der ersten Instanz hielt der Richter die Aussagen der beiden Zeugen nicht für ausreichend für eine Verurteilung, und ließ zwei weitere Zeugen laden: den EPHK Peter Seiler (damals Hauptverantwortlicher für Protest rund um den Flughafenausbau), seinen Stellvertreter PHK Massing und den POK Reitz. Im Mittelpunkt stand die Frage der Aufforderung das Gelände zu verlasen, und die zugrunde liegende Rechtsgrundlage. Da die Aufforderung zur Gefahrenabwehr erfolgte, hätte diese nicht als Aufforderung im Sinne einer Aufforderung im Auftrag des Hausrechtsinehabenden interpretiert werden können. Das Gericht machte aber offenbar keine Anstalten sich ernsthaft damit auseinander zu setzen. Wohl weil sich das Verfahren aufgrund von Sonderregeln des Jugendstrafrechts bereits in der letzten Instanz befand und Urteil und damit auch mögliche Rechtsfehler nicht anfechtbar sein würden.

In einem Film-Interview berichtet der angeklagte Aktivist über den Prozess und die rechtlichen und politischen Hintergründe: hier ansehen.

Das Plädoyer des angeklagten Aktivisten lässt sich hier nachlesen: Plädoyer Flughafenverfahren Berlin Der Ausbaugegner wurde zur Teilnahme an einem viertägigen Anti−Gewalt−Kurs und dem Ableisten von 40 Arbeitsstunden verpflichtet.

Aktuell anstehendes Verfahren gegen Baumbesetzerin in Rüsselsheim

Einlass in Sitzungssaal bei Prozess im Februar 2010Der Aktivistin Franziska wird vorgeworfen, während der Rodungsarbeiten für die vierte Landbahn am Frankfurter Flughafen Anfang 2009 Bäume besetzt zu haben und sich zudem während der polizeilichen Räumung des Widerstandsdorfes im Kelsterbacher Wald in einem Baumhaus festgekettet zu haben (GWR−Interview mit Franziska nach der Räumung). Damit handelt es sich bei diesem Verfahren neben dem Verfahren gegen die Lüneburger Aktivistin Cécile um das einzig bekannte mit Tatvorwürfen aus aus der Zeit um die Waldräumung im Januar/Februar 2009, das nicht vorab eingestellt wurde oder durch einen Deal ohne Prozess beendet wurde.

Kletteraktion vor Amtsgericht Rüsselsheim im Februar 2010Der Vorwurf ist in allen drei Fällen Hausfriedensbruch. Ihr Prozess wird am Dienstag, den 10. Mai 2011 (09:00 Uhr) in Rüsselsheim (Amtsgericht, Saal 01) stattfinden. Auch bei ihr handelt es sich um den zweiten Anlauf: Nach einem ersten Verhandlungstag im Februar 2010 war der Prozess aufgrund massiver Proteste des Publikums vertagt worden (mehr dazu hier). Nach nur fünf Minuten wurde der Saal komplett geräumt, weil ein Bürger aus der Region sich nicht als Fan der Angeklagten beschimpfen lassen wollte und andere ihren Unmut darüber äußerten, dass ein viel zu kleiner Saal gewählt worden sei. Auch außerhalb des Saales setzten Sympathisant_innen ihren Protest fort, so dass die Verhandlung nach etwa einer Stunde abgebrochen werden musste (Videobericht zu diesem ersten Prozesstag). Ende März hätte der Prozess nach über einem Jahr Pause erneut verhandelt werden sollen. Doch das Gericht lud die Angeklagte kurzfristig aus "dienstlichen Gründen" aus und hat nun einen neuen Termin angesetzt.

Im Prozess will die Angeklagte darlegen, weshalb hier kaum von einem umfriedeten Gelände gesprochen werden kann und folglich auch der Vorwurf des Hausfriedensbruchs hinfällig ist. Anhand des rechtfertigenden Notstandes wird sie thematisieren, weshalb der Ausbau des Frankfurter Flughafens aus ökologischen und sozialen Gründen nicht toleriert werden durfte und dass deshalb direkte Aktionen dagegen sinnvoll und notwendig waren. Zudem zweifelt die Beschuldigte an der Strafantragsberechtigung der FRAPORT AG, da der (inzwischen nicht mehr vorhandene) Wald zum angeblichen Tatzeitpunkt unumstritten der Stadt Kelsterbach gehörte und die in der Besitzeinweisung übertragenen Befugnisse nicht umfassend genug sind.


Protest während Gerichtsverhandlung im Februar 2010Dienstag, den 10.05.2011 09:00 Uhr Amtsgericht Rüsselsheim, Saal 01 (Johann−Sebastian−Bach−Str. 45)

Um es auch Menschen weiter weg zu ermöglichen, sich solidarisch mit Franziska zu zeigen, haben Unterstützer_innen eine Solifaxaktion ins Leben gerufen. Für alle denen nichts eigenes einfällt gibt es sogar eine vorgefertigte Faxvorlage: Vorlage zum Download hier

Auch mit durch Streuen der Information kann die Angeklagte unterstützt werden. Zum Beispiel durch Verteilen oder digitales Weiterleiten des Prozessflyers (Download hier. Daneben gibt es noch viele weitere Unterstützungsmöglichkeiten, von denen sich einige auf der Website der Waldbesetzer_innen nachlesen lassen.

Plakat: "Nachhaltig krimineller"Im Zusammenang mit Verfahren gegen Menschen die sich im Kontext des Landebahnwiderstandes egagiert haben, gab es Verfahrenskosten und Strafbefehle, deren Höhe zusammengerechnet 5000 Euro übersteigt. Auch wenn es nur zu wenigen langwierigen Verfahren kam - viele Menschen wurden angeklagt wegen Hausfriedensbruch, Nötigung, usw. Selbst Protest, der auch an vielen Stellen kaum mehr als symbolisch war, wird verfolgt und kriminalisiert.

Spenden an Polite e.V. Verwendungszweck: Prozesse Konto: 108102500 Blz: 50190300 Volksbank Höchst

Sympathisant_innen rufen dazu auf die Aktivist_innen bei ihren Prozessen zu unterstützen! Anregungen dazu finden sich unter anderem hier.

Darüber hinaus verweisen wir darauf, dass es natürlich auch an vielen anderen Orten Prozesse gegen Menschen gibt, die sich zu ähnlichen Themen engagieren. Beispielsweise in Braunschweig, wo Aktivist_innen im Querumer Forst gegen den dortigen Flughafenausbau demonstriert haben. http://www.querumer-forst.de/ http://www.flughafen-braunschweig.info/35 http://www.waggum-online.de/


Kontaktmöglichkeit: waldbesetzung(ähhhd)riseup(dohhhd)net

http://waldbesetzung.blogsport.de