2012-01:Gentrification

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Gentrifuckation ist nur die halbe Miete

Der Verdrängungsprozess von Mieter_innen mit geringem Einkommen ist innerhalb des Berliner S-Bahn-Ringes mittlerweile offenkundig. Ganze Nachbarschaften ändern ihr Gesicht, die Viertel werden weißer und besserverdienender. Kreuzkölln könnte bald aussehen wie Bielefeld… Auch wenn die Verdrängung a) scheiße und b) nicht zu leugnen ist, so ist das, was wohnungspolitisch gerade in Berlin (oder Hamburg, London, New York) passiert, keineswegs ausreichend mit „Verdrängung“ beschrieben. Diejenigen Aktivist_innen aber, deren Kritik sich gegen Gentrification richtet, hören meist genau da auf und entsprechend sieht ihr Widerstand aus: Die zuziehenden Reichen (wahlweise auch Neu-Berliner, Schwaben oder andere Touristen) würden die Mieten in die Höhe treiben.

Wir halten diese Erklärung für mehr als zu kurz. Wir wollen im folgenden darstellen, warum das Interesse an steigenden Mieten von der Seite der Eigentümer_innen immer vorhanden ist. Ob dieses Interesse sich durchsetzt, hängt nur wenig vom Zuzug reicher Menschen ab, sondern davon, ob sich die kapitalistische Wirtschaft vor Ort insgesamt positiv entwickelt.

Wohnst Du schon oder mietest Du noch?

Die Probleme beim Mieten fangen beim Mieten selbst an: Wohneigentümer_innen können von denjenigen, die keine eigenen Wohnung haben, Miete verlangen. Die Mieter_innen wollen so wenig Miete wie nötig bezahlen. Wie bei jedem Ding, das jemand als Privateigentum exklusiv besitzt und andere aber brauchen, ist das der Auftakt für eine alles andere als freundschaftliche Beziehung. Der Eigentümer wiederum will gerne so viel wie möglich für die Überlassung seiner Wohnung. Dieses soviel wie möglich hat eine Schranke an den Angeboten der anderen Eigentümer_innen.

Günstige Lagen, für die eine höhere Miete verlangt werden kann, ergeben sich aus den Interessen der Geschäftswelt. Je mehr Geschäft geht, desto höher ist die Miete. Deswegen ist Pritzwalk nicht Berlin, obwohl vielleicht die Einkommensstruktur der Pritzwalker Mieter_innen der Berliner Einkommensstruktur ganz ähnlich ist. Die Eigentümer_innen können die jeweils ortsüblichen Mieten verlangen, ohne groß was dafür tun zu müssen. Das bloße Verfügungsrecht über ihr Eigentum ist bereits ihre Geldquelle. Floriert das kapitalistische Geschäftsleben vor Ort, wollen mehr Menschen da wohnen (weil sie da arbeiten o.ä.) und entsprechend können die Eigentümer_innen die Mieten anheben. Deswegen finden wir die Frage nach „Wem gehört die Stadt“ komisch. Besser wäre zu fragen: Was ist der Zweck der Stadt? Dann kann man sich auch erklären, warum manche Leute zunehmend in der Stadt nichts zu suchen haben und andere schon.

Standortpolitik der Stadt

Häufig ist in den Debatten um Stadtentwicklung zu hören, dass die Kommune sich aus der Wohnungspolitik verabschiedet habe. Die Kürzung der Berliner Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau auf Null und der Verkauf öffentlicher Wohnungen an Privatinvestoren gelten vielen als Beispiele dafür, dass sich die Stadt in den letzten Jahren aus den sozialen Aufgaben verabschiedet habe. Dabei werden oft soziale Maßnahmen mit guten Maßnahmen verwechselt. Während dem Senat vorgeworfen wird, er kümmere sich einseitig um das Kapital oder plumper um die Reichen, entdeckt man im sozialen Wohnungsbau Gerechtigkeit: Früher habe die Stadt noch durch sozialen Wohnungsbau, Mietobergrenzen etc. ausgleichend gewirkt. Irgendwie sei Berlin nämlich doch für alle da. Heute dagegen würden die armen Menschen vernachlässigt und dem Kapital Tür und Tor geöffnet. Dabei wird aber übersehen, dass der Stadt und ihrem Wirtschaftswachstum nicht gedient sein kann, wenn die Lohnarbeiter_innen und Angestellte, die es für ein solches Wachstum braucht, sich die Arbeit nicht mehr leisten können, weil die Wohnungen zu teuer sind. Das heißt aber umgekehrt nicht, dass die Stadt nicht doch immer wieder ausprobiert, wie gut es auch ohne sozialen Wohnungsbau geht. Die klassischen Kritiken an der aktuellen Wohnungs- und Stadtpolitik scheinen uns vor allem auf drei Ebenen schief zu liegen. Von diesen drei Ebenen (Wirtschaftsförderung, Regulation und Eigentum frei setzen ) soll hier nur die Wirtschaftsförderung abgehandelt werden.

Wirtschaftsförderung

Am Fall Mediaspree ist das Interesse der Stadt sehr offensichtlich: Mithilfe einer Raumplanung, der finanziellen Unterstützung eines Interessensverbandes von Unternehmen und dem Verkauf von Grundstücken wird ein Stück Stadtraum explizit für den Zweck Wirtschaftswachstum aufbereitet. Richtig ist es an dieser Stelle fest zu halten, dass die Stadt von Geld (in Form von Steuern) abhängig ist, das sie nicht selbst verdient, sondern das Andere verdienen sollen. Arme Menschen oder Lebenskünstler_innen sind jetzt aber nicht als die weltbesten Steuerzahler_innen bekannt. Daraus ergibt sich der politische Wunsch nach einer bestimmten und bitteschön liquiden städtischen Bevölkerung.

Schlecht wäre an dieser Stelle zu sagen: Wirtschaftswachstum, das ist ja o.k., aber wenn dabei die Mieten ansteigen und der öffentliche Raum privatisiert wird, dann bitte doch lieber nicht. Die materielle Ausgrenzung vieler Menschen fängt nicht erst beim Wohnungsmarkt an. Wirtschaftswachstum zählt die geschäftlichen Erfolge aller Bürger_innen zusammen. Wirtschaftswachstum gibt es, wenn die Summe gestiegen ist. Allerdings werden da Posten zusammengerechnet, die in Geld bemessen sind (nicht Zufriedenheit, materielle Versorgung oder ähnliches) und vor allem: Diese Geldsummen sind in einer Wirtschaft erwirtschaftet worden, die auf dem Prinzip Konkurrenz beruht. Da wo eine gewinnt, verliert auch immer einer. Das betrifft Unternehmen untereinander und es betrifft vor allem diejenigen, die sich als Lohnarbeiter_innen für die Unternehmen krumm machen müssen oder gar nicht gebraucht werden.

Das Projekt kapitalistische Wirtschaftsförderung richtet sich notwendig gegen arme Menschen und manchmal auch gegen Skateboardfahrer_innen. Wer wirtschaftsfördernde Projekte wie Mediaspree nicht mag, weil da für die armen Menschen als arme Menschen dann kein Platz mehr ist, dessen Interesse oder Mitleid hat eine komische Form angenommen. Statt Wirtschaftswachstum zu kritisieren, weil es Armut hervorbringt, wird kritisiert, dass die Armen verdrängt werden.

Die Rolle des kreativen Milieus

Kleine Ich-AGs, Kneipen und sonstige Geschäfte werden vom Quartiersmanagement unterstützt, damit in manchen Stadtteilen überhaupt mal was in Gang kommt, Gebäude durch Nicht-Benutzung nicht verfallen, zahlungsfähigere Mieter_innen angelockt werden etc. Dass die Unterstützung nur gewährt wird, damit ein selbstständiges Geschäftsleben in Gang kommt, sagen die Kommunen explizit. Dass diese kleinen Unternehmer dann später, wenn die Straße oder der Kiez wirklich brummt, weichen müssen, ist kein Geheimnis. Als Mosaikstein innerhalb der Stadtentwicklungspolitik leistet das kreative Milieu seinen kleinen Beitrag. Hier den Grund für die aktuelle Mietentwicklung zu suchen, ist aber ein wenig hoch gegriffen, als Selbstkritik überschätzt man sich selbst. Die creative class, die gerade Berlin bevölkert, ist häufig selbst bereits verdrängt worden. Deswegen sind sie ja jetzt hier.

Weder die Reichen und Touris noch die Fixies oder Rollkoffer lassen die Mieten steigen. Sie nerven vielleicht, aber Kapitalismus und seine Regeln nerven noch viel mehr.

von der Gruppe jimmy boyle berlin

Eine ausführliche Version findet sich hier: