2012-01:Haben Unternehmen die großen Naturschutzorganisationen gekapert?

Aus grünes blatt
Version vom 23. März 2012, 22:33 Uhr von Zymth (Diskussion | Beiträge) (2011-03:Haben Unternehmen die großen Naturschutzorganisationen gekapert wurde nach 2011-03:Haben Unternehmen die großen Naturschutzorganisationen gekapert? verschoben)
Zur Navigation springenZur Suche springen

Schon jenseits von Greenwashing

Haben Unternehmen die großen Naturschutzorganisationen gekapert?

Jonathan Latham Stellen Sie sich folgenden internationalen Mega-Deal vor. Die globale Bio-Lebensmittelbranche erklärt sich bereit, die internationale Agrarindustrie darin zu unterstützen, so viel tropischen Regenwald abzuholzen, wie diese für Landwirtschaft haben will. Dafür erklärt sich die Agrarindustrie bereit, die abgeholzten Gebiete mit biologischen Methoden zu bewirtschaften, und die Bio-Branche ermuntert ihre Unterstützer, so erzeugtes Holz und Nahrungsmittel mit dem ausgedachten „Rainforest Plus“-Label zu kaufen. Es würde sicherlich einen internationalen Aufschrei geben.

Dennoch haben die größten Naturschutzorganisationen, sogar von ihren eigenen Mitgliedern nahezu unbemerkt, genau solch ein Szenario, nur in umgekehrter Form, vereinbart. Angeführt vom World Wild Fund for Nature (WWF[1]) haben viele der größten Naturschutzorganisationen, wie Conservation International[1]) und The Nature Conservancy[1], bereits einer Reihe globaler Geschäfte mit der internationalen Agrarindustrie zugestimmt. Im Austausch für vage Versprechungen in Bezug auf Lebensraumschutz, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit, bieten diese Naturschutzorganisationen das Greenwashing industrieller Landwirtschaftserzeugnisse an.

Die Naturschutzorganisationen sehen das Ganze natürlich anders. Jason Clay, WWF „Vize-Präsident für Markttransformation“[1], zufolge entstand die neue Schutzstrategie aus zwei fundamentalen Erkenntnissen. Die erste war, dass Landwirtschaft und Nahrungsproduktion die Schlüsselfaktoren fast jeden Umweltanliegens sind. Bei so unterschiedlichen Themen wie der Zerstörung von Lebensräumen bis zur Übernutzung von Wasser, vom Klimawandel bis hin zu ozeanischen Totwasserräumen, sind die Landwirtschaft und Nahrungsproduktion global gesehen die primären Übeltäter. Zum Beispiel werden 80-90% des gesamten, von Menschen genutzten Süßwassers für die Landwirtschaft verwendet (FAO’s State oft the World’s Land and Water report[1]).

Dieser Punkt wurde nochmals in einer aktuellen Analyse hervorgehoben, die im Wissenschaftsjournal Nature publiziert wurde (http://tinyurl.com/7sna4qx). Der leitende Autor dieser Studie war Professor Jonathan Foley. Foley ist nicht nur der Direktor des Instituts für Umwelt der University of Minnesota, sondern auch ein wissenschaftliches Vorstandsmitglied bei The Nature Conservancy.

Die zweite entscheidende Erkenntnis des WWF war, dass Waldzerstörer typischerweise keine Kleinbauern mit Macheten, sondern nationale und internationale Agrarunternehmen mit Bulldozern sind. Es sind die letzteren, die zehntausende Hektar gleichzeitig abholzen. Flurbereinigung auf diesem Niveau[1] ist ein ökologisches Desaster, aber Claire Robinson von Earth Open Source[1] hebt hervor, dass es auch „unglaublich sozial zerstörend“ sei, da Kleinbauern von ihrem Land vertrieben und Gemeinden und Sozialstrukturen zerstört würden. Gemäß dem Ständigen Forum für indigene Angelegenheiten der UN[1] sind 60 Mio. Menschen weltweit gefährdet, ihr Land und ihre Lebensgrundlagen durch Palmölplantagen zu verlieren.

Im Jahre 2004 etwa, wusste der WWF noch die wahren Einflüsse industrieller Landwirtschaft anzuerkennen. Anstatt ihre Mitglieder zu informieren und Proteste und Boykotte einzuleiten, schlugen sie eine Partnerschaftsstrategie ein, die sie „Markttransformation“ nennen.


Markttransformation

Angeführt vom WWF haben die großen Naturschutzorganisationen Genehmigungspläne für „verantwortungsvoll“ und „nachhaltig“ bewirtschaftete Nutzpflanzen ausgehandelt. Clay zufolge ist der Plan, dass Agrarunternehmen unterzeichnen, die 4-6 schlimmsten, negativen Auswirkungen jeder Nutzpflanze um 70 bis 80% zu reduzieren. Und wenn genügend Erzeuger und Lieferanten unterschreiben, werde der indonesische Regenwald oder die brasilianische Cerrado geschützt.

Das Ziel der Markttransformation spielt sich auf höchster Ebene ab. Es gibt Programme für Palmöl (Roundtable on Sustainable Palm Oil, RSPO[1]), Soja (Roundtable on Responsible Soy, RTRS[1]), Biokraftstoffe (Roundtable on Sustainable Biofuels[1]), Zucker (Bonsucro[1]) und ebenso für Baumwolle, Krabben, Kakao und Zuchtlachs. Diese Märkte sind mehrere Milliarden Dollar jährlich wert und Ziel dieser neuen als „verantwortungsvoll“ und „nachhaltig“ zertifizierten Produkte ist es, diese Märkte zu dominieren.

Die Gegenleistung für Produzenten und Supermärkte wird sein, dass, verstärkt durch jeden Shopping-Trip, Siegel und Marketing für „verantwortungsvoll“ und „nachhaltig“ bedeutende Auswirkungen auf die öffentliche Sichtweise der globalen Nahrungslieferketten haben könnten. Und endgültiges Ziel ist es, dass wenn diese Programme erfolgreich sind, Menschenrechte, kritische Lebensräume und die globale Nachhaltigkeit einen riesigen und global signifikanten Aufschwung erfahren werden.

Die Rolle des WWF und der anderen Organisationen bei diesen Programmen ist, ihr Wissen anzubieten, um Standards zu verhandeln, Glaubwürdigkeit zu verleihen und die Einführung zertifizierter Produkte auf internationale Märkte zu erleichtern. Zum Beispiel bietet der WWF auf seiner britischen Internetseite seinen Mitgliedern die Chance, „die Cerrado zu retten“[1], indem sie E-Mails an Supermärkte versenden, mit der Bitte, „verantwortungsvolles Soja“ zu kaufen. Was laut Argumentation des WWF der größte Sprung in Richtung ökologischer und sozialer Verantwortung sein wird, hat bereits begonnen. „Nachhaltige“ und „verantwortungsvolle“ Produkte sind schon in die globalen Lieferketten vorgedrungen.


Das Risiko des Imageverlusts

Für die Naturschutzorganisationen beinhalten diese Pläne auch Risiken: eines davon stellt alleine schon die Schuld dar, mit der Agrarindustrie solch enge Verbindungen einzugehen. Der Roundtable on Responsible Soy (RTRS) ist typisch für diese Zertifizierungsprogramme. Zu seinen Mitgliedern zählen der WWF, Conservation International, Fauna and Flora International, The Nature Conservancy und andere prominente Organisationen. Mitglieder snd darüber hinaus wiederholt geschmähte Unternehmen der industriellen Nahrungskette. Seit Januar 2012 gibt es 102 Mitglieder, darunter Monsanto, Cargill, ADM, Nestlé, BP und der britische Supermarkt ASDA.

Das ist jedoch nicht das einzige Risiko. Die Mitgliedschaft im Zertifizierungsprogramm umfasst neben der Unterzeichnung von gemeinsamen Presseerklärungen und Zertifikaten, die Zustimmung zu Aktivitäten, die vielfach abgelehnt werde. Zum Beispiel zertifiziert der RTRS Soja, das in großflächigen, chemieintensiven Monokulturen gewachsen sind. Bei diesem Soja handelt es sich vorwiegend um gentechnisch veränderte Organismen. Dieses Soja wird meistens an Tiere verfüttert und in Ländern angebaut, in denen die Bevölkerung hungert.

Wenn zum Beispiel 52% der US-Amerikaner denken, dass GMOs unsicher sind[1] und 93%, dass GMOs gekennzeichnet werden sollten, so ist das ein Risiko, das die meisten Organisationen, abhängig von ihrem Ruf, vermutlich erwägen würden. Die Abhilfe für solch einen Imageverlust sind hohe Standards, strenge Zertifizierungen und eine wasserdichte Rückverfolgbarkeit der Nahrungsmittel. Nur die Glaubwürdigkeit jeden Schrittes kann den klar erscheinenden Verdacht abwenden, dass die Naturschutzorganisationen getäuscht oder sich irgendwie „verkauft“ haben.

Was trifft also zu? Sind „verantwortungsvolle“ und „nachhaltige“ Zertifizierungen ein Indikator für einen aufrichtigen, strategischen Erfolg durch den WWF und seine Partner oder sind die Zertifizierungsinitiativen nicht mehr als „business as usual“ mit Greenwashing auf industrieller Ebene und einer „Glasur“ sozialer Gerechtigkeit?


Niedrige und mehrdeutige Standards

Zuerst muss man auf die Standards selbst schauen. Die RTRS-Standards in der Version von Juni 2010[1] – um beim Beispiel Soja zu bleiben – beinhalten fünf „Prinzipien“. Prinzip 1: Einhaltung der Gesetze und gute Geschäftspraktiken. Prinzip 2: Verantwortungsvolle Arbeitsbedingungen. Prinzip 3: Verantwortungsvolle Beziehungen zu lokalen Gemeinden. Prinzip 4: Umweltverantwortlichkeit. Prinzip 5 : Gute landwirtschaftliche Praxis.

Die Sprache, wie sie für die Standards typisch ist, beinhaltet gemäß Prinzip 2 „Verantwortungsvolle Arbeitsbedingungen“, Abschnitt 2.1.1: „In keinem Produktionsschritt wird erzwungene, aus Menschenhandel resultierende oder anderweitig unfreiwillige Arbeit eingesetzt“, während Abschnitt 2.4.4 erklärt: „Arbeiter werden nicht gehindert, außerhalb der Arbeitszeit mit externen Dritten zu interagieren“.

Gemäß Prinzip 3 „Verantwortungsvolle Beziehungen zu lokalen Gemeinden“, sagt Abschnitt 3.3.3.: „Jegliche vorgebrachten Beschwerden und Missstände sind innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu behandeln.“

Gemäß Prinzip 4 „Umweltverantwortlichkeit“, erklärt Abschnitt 4.2: „Umweltverschmutzung wird minimiert und mit während der Produktion anfallendem Müll wird verantwortungsvoll umgegangen“, und Abschnitt 4.4 sagt: „Die Ausweitung der Sojakultivierung geschieht verantwortungsvoll.“

Gemäß Prinzip 5 „Gute landwirtschaftliche Praxis“, sagt Abschnitt 5.9: „Angemessene Maßnahmen werden durchgesetzt, um der Verbreitung von Agrochemikalien auf benachbarte Gebiete vorzubeugen.“

Diese Beispiele geben einen guten Einblick in den Ton der RTRS-Prinzipien und -Richtlinien.

Es gibt zwei Möglichkeiten, diese Standards zu lesen. Die großzügige Interpretation wäre festzustellen, dass die formulierten Richtlinien besser sind als das, was aktuell in vielen Ländern, in denen Soja angebaut wird, wirklich praktiziert wird, wo die Standards weitgehend an die europäische und nordamerikanische landwirtschaftliche Praxis angelehnt sind. Dennoch sind diese weit niedriger als Bio- oder Faritrade-Standards. So verlangen sie zum Beispiel keine Fruchtfolge oder verbieten Pestizide nicht. Sogar bei großzügigem Lesen muss man den entscheidenden Punkt eingestehen: die Einhaltung ähnlicher Voraussetzungen in Europa und Nordamerika hat Brunnen verseucht[1], Grundwasservorräte erschöpft, Flüsse degradiert, Böden erodiert, Ozeane verschmutzt[1], Arten vom Aussterben bedroht und ländliche Gegenden entvölkert[1], um nur einige der gut dokumentierten Kehrseiten zu nennen.

Es gibt aber auch eine weniger großzügige Interpretation der Standards. Vieles des Inhalts ist entweder als Stellungnahmen oder lediglich als Rat formuliert. So liest sich Abschnitt 4.2: „Umweltverschmutzung wird minimiert und mit während der Produktion anfallendem Müll wird verantwortungsvoll umgegangen“. Imperative wie müssen, werden niemals, werden etc. fehlen zumeist im Dokument. Noch schlimmer, Schlüsselwörter wie „Verschmutzung“, „minimiert“, „verantwortungsvoll“ und „rechtzeitig“ (siehe oben) bleiben undefiniert. Diese chronische Unklarheit bedeutet, dass sowohl Zertifizierer als auch Produzenten gewissermaßen unendlichen Spielraum besitzen, die Standards umzusetzen oder zu bewerten. Sie können niemals erzwungen werden, weder inner-, noch außergerichtlich.


Fragwürdige Kontrolle und Durchsetzung

Leider enden die Mängel der RTRS-Zertifizierung hier nicht. Diese Mängel beinhalten die Verwendung eines internen Prüfsystems. Der RTRS nutzt professionelle Zertifizierer, allerdings nur diejenigen, die selbst Mitglied des RTRS sind. Das bedeutet, dass die Naturschutzorganisationen für Informationen zur Einhaltung der Standards auf Dritte angewiesen sind. Es bedeutet auch, dass nur RTRS-Mitglieder beurteilen können, ob eine Richtlinie eingehalten wurde. Selbst wenn sie der Ansicht sind, dass sie nicht eingehalten wurden, gibt es nichts, was sie tun können, da der RTRS über keinen rechtlichen Status oder Sanktionsmöglichkeiten verfügt.

Die „Kultur“ der Entwaldung ist auch für die Standards wichtig. Die Legalität der Regenwaldabholzung ist häufig fragwürdig – oder sie ist illegal – und verlangt normalerweise, dass Bewohner vom Land entfernt werden müssen[1]. Es ist eine Welt der Söldnertruppen[1] und Bestechung. Dieses Umfeld verdeutlicht die Ironie, unter welcher die RTRS-Mitglieder, gemäß Prinzip 1, „freiwillig das Gesetz einhalten“. Das Konzept der freiwilligen Gesetzesbefolgung, wirft mehr als ein paar Fragen auf. Falls eine Organisation nicht bereits die Gesetz achtet, was lässt den WWF dann glauben, dass ein freiwilliger Verhaltenskodex diese überzeugen wird? Und trägt die Einhaltung der Gesetze aussagekräftig zu einer Marketing-Kampagne bei, die auf Verantwortung basiert?

Von gleicher Besorgnis ist das Fehlen einer klaren Linie der Zertifizierung. Unter dem vom RTRS angebotenem System der „Massenbilanz“ können Sojabohnen (oder Sojaprodukte) als „verantwortungsvoll“ verkauft werden, die niemals gemäß diesem System angebaut wurden. „Massenbilanz“ bedeutet, dass Zwischenhändler die bezogene Zertifizierungsmenge auf Nicht-RTRS-Sojabohnen übertragen können. Solch eine Möglichkeit hebt die dem System inhärenten Schwierigkeiten der Rückverfolgbarkeit und Kontrolle auf neue Ebenen.


Wie wird Zertifizierung wilde Lebensräume schützen?

Ein erklärtes Hauptziel des WWF ist es, die Entwaldung durch den Einsatz von Karten für die Identifizierung von vorrangigen Habitatsgebieten, die für RTRS-Mitglieder tabu sind, zu stoppen. Allerdings gibt es zu diesen Karten noch äußerst wichtige Fragen. Erstens, obwohl Soja bereits gehandelt wird, müssen die Flächen erst noch in den Karten verzeichnet werden. Zweitens sollen die Karten von den RTRS-Mitgliedern selbst erstellt werden. Drittens können RTRS-Karten regelmäßig erneuert werden. Viertens müssen RTRS-Mitglieder nicht all ihre Anbauflächen zertifizieren. Das bedeutet, dass sie einen Teil ihrer Anbauflächen als „verantwortungsvoll“ markieren können, aber dennoch Soja (als „unverantwortlich“?) aus ehemals unberührten Gebieten verkaufen. Das bedeutet, dass es das Ziel des WWF, im Jahre 2020 weltweit 25 Prozent und 75 Prozent der „WWF-Vorrangflächen“ abzudecken, dennoch zulassen würde, dass 25 Prozent der brasilianischen Sojaernte von frisch entwaldetem Land kommt. Und natürlich kann das System weder Nichtmitglieder, noch nicht-zertifizierte Tochterfirmen von der Entwaldung abhalten.[1]

Dies sind folglich Zertifizierungssysteme mit niedrigen Standards, ohne Maßnahmen zur Durchsetzung und enormen Schlupflöchern[1]. Pete Riley von der britischen Organisation GM Freeze[1] verspottet den Anstifter dieses Systems als „World Wide Fund für Naivität” und glaubt, „dass die Chancen, dass verantwortungsvolles Soja die Cerrado rettet, gleich Null sind”[1]. Claire Robinson stimmt zu: „Der RTRS-Standard wird Wälder und andere sensible Ökosysteme nicht schützen. Zusätzlich wird Soja grün gewaschen, das genetisch verändert ist, um gegen die Unmenge an die menschliche Gesundheit und die Umwelt gefährdenden Herbiziden resistent zu sein, mit denen Soja besprüht wird.” Es gibt sogar eine Internetseite (http://www.toxicsoy.org[1]), die das Greenwashing von genetisch modifiziertem Soja aufdeckt. Viele andere Gruppen teilen offenbar diese Ansicht. 2009 haben mehr als 250 große und kleine Organisationen zu nachhaltiger Landwirtschaft, sozialer Gerechtigkeit und Regenwaldschutz aus aller Welt einen „Brief der kritischen Opposition gegenüber dem RTRS[1]“ unterschrieben. Zu den Unterzeichnern gehören die Global Forest Coalition[1], Friends of the Earth[1], Food First[1], die British Soil Association[1] und das World Development Movement[1].

Andere Produktzertifizierungen, die den WWF einbeziehen, stoßen ebenfalls auf heftige Kritik. Das Mangrove Action Project veröffentlichte 2008 eine „Öffentliche Erklärung gegen den Prozess der Zertifizierung industrieller Krabben-Aquakultur[1]“, während das World Rainforest Movement eine „Erklärung gegen den Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl (RSPO)[1]“ herausgab, die im Oktober 2008 von 256 Organisationen unterzeichnet wurde.


Was treibt Produktzertifizierungen wirklich voran?

Die Produktzertifizierung ist für Naturschutzorganisationen in vielerlei Hinsicht ein seltsamer Ansatz. Zum einen sind die großen Naturschutzorganisationen normalerweise eher im Erwerb und der Erforschung wilder Lebensräume aktiv. Zum anderen ist es schwierig, sich als Mitgliederorganisation vorzustellen, dass diese Systeme neue Mitglieder anziehen – wie viele Mitglieder von The Nature Conservancy werden erfreut sein, wenn sie herausfinden, dass ihre Organisation mit Monsanto zusammenarbeitet, um genetisch veränderte Pflanzen als „verantwortungsvoll“ anzupreisen? In der Tat kann man argumentieren, dass diese Programme von ihren Mitgliedern, Geldgebern und der Öffentlichkeit aktiv verschwiegen werden. Von ihrer Werbung, ihren Webseiten und ihrem Unterrichtsmaterial würde man annehmen, dass in Entwicklungsländern Wilderer, Bevölkerungswachstum und Ignoranz die größten Bedrohungen für wilde Lebensräume sind. Dies ist allerdings nicht wahr und das führende Management weiß das sehr wohl, wie Jason Clay und die bloße Existenz dieser Zertifizierungssysteme klarmachen.

Öffentlich rechtfertigen Naturschutzorganisationen die Markttransformation als kooperativ. Sie wünschen, mit andern zusammenzuarbeiten, nicht gegen sie. Allerdings haben sie sich dazu entschieden, vorzugsweise mit mächtigen und vermögenden Unternehmen zusammenzuarbeiten. Warum arbeiten sie stattdessen nicht mit Kleinbauernbewegungen, indigenen Gruppen und bereits erfolgreichen Standards, wie Fairtrade, Bio oder „Ohne Gentechnik“ zusammen? Dies sind Dinge, die die Hilfe von großen, internationalen Organisationen brauchen könnten. Warum nicht mit Hilfe des WWF ein Element zum Schutz des Regenwalds in Bio-Standards einbinden? Warum nicht zusammen mit seinen Mitgliedern eine engagierte Verbrauchermacht gegen Lebensraumzerstörung, Monokulturen und industrielle Landwirtschaft bilden? Stattdessen bedrohen die neuen „verantwortungsvollen“ und „nachhaltigen“ Standards Bio, Fairtrade und regionale Ernährungssysteme – die einige der größten Erfolge der Umweltbewegung sind.

Ein Hinweis für die Begeisterung für die „Markttransformation“ mag sein, dass finanzielle Vergütung winkt. Laut Nina Holland von Corporate Europe Observatory[1] ist Zertifizierung „jetzt ein Kerngeschäft“ des WWF. In der Tat erhalten der WWF und die niederländische Organisation Solidaridad[1] derzeit mehrere Millionen Euro von der niederländischen Regierung (nach ihrem Sustainable Trade Action Plan[1]), um diese Systeme zu unterstützen. Gemäß diesem Plan wurden bereits 67 Millionen Euro überwiesen und ähnliche Summen sind versprochen.[1]


Die Bedrohung durch die Nahrungsbewegung

Produktzertifizierungssysteme wie RTRS können als Unfähigkeit der Spitze der globalen Naturschutzorganisationen betrachtet werden, konstruktiv mit den einfachen Bewohnern wilder Lebensräume der Erde zusammenzuarbeiten. Oder sie können als eine Geringschätzung von Fairtrade- und Bio-Siegeln gesehen werden. Oder als verpasste Chance, Mitglieder und potentielle Mitglieder über die wahren Gründe der Lebensraumzerstörung zu informieren und zu motivieren. Oder sogar als ein zynisches, gewinnbringendes System. Dies sind alles plausible Erklärungen für die Begeisterung für Zertifizierungssysteme und vermutlich spielt jede eine Rolle. Keine erklärt jedoch, warum Naturschutzorganisationen Systeme unterschreiben würden, deren Ansprüche und Glaubwürdigkeit so niedrig sind. Vor allem wenn die Agrarindustrie wie nie zuvor unter Druck gerät, ihre zerstörerischen sozialen und ökologischen Methoden zu ändern.

Der Kontext dieser Systeme ist die Tatsache, dass wir uns an einem historischen Punkt befinden. Positive Alternativen zur industriellen Landwirtschaft, wie Fairtrade, biologische Landwirtschaft, Agrarökologie und das System der Reisanbau-Intensivierung (SRI)[1], haben gezeigt, dass sie den Planeten sogar mit einer größeren Bevölkerung ernähren können, ohne ihn zu zerstören. Folglich gibt es inzwischen den beachtlichen internationalen Konsens (Weltagrarrat[1]), dass industrielle Landwirtschaft ein Hauptgrund der derzeitigen ökologischen Krise und das größte Hindernis der Hungerbeseitigung ist.

Dieser Konsens ist eine von mehreren Wurzeln der internationalen Nahrungsbewegung. Als ein mächtiges Zusammenspiel sozialer Gerechtigkeit, ökologischer Nachhaltigkeit und der Sorge um die Lebensmittelqualität, stellt die Nahrungsbewegung eine klare Bedrohung für die langfristige Existenz des industriellen Ernährungssystems dar. Übrigens ist das der Grund, warum große multinationale Konzerne ethische Marken aufgekauft haben.

Unter diesen Umständen muss für die Mitglieder der industriellen Nahrungsmittelbranche das Umgehen der Schuld für die Umweltzerstörung des Amazonas, Asiens oder andernorts, das Untergraben von biologischen und anderen ernstgemeinten Zertifizierungssystemen und die Spaltung der Umweltbewegung ein wahrgewordener Traum sein. Ein echter Zyniker könnte mutmaßen, dass die Nahrungsmittelindustrie es kaum hätte besser entwickeln können, wenn sie es selbst geplant hätten.


Wer betreibt Naturschutz in großem Stil?

Um sich gegen solche Möglichkeiten zu schützen, sind Nonprofit-Organisationen verpflichtet, Vorstände zu haben, deren grundlegende rechtliche Funktion es ist, über die Ziele der Organisation zu wachen und ihren guten Ruf zu schützen. Für Naturschutzorganisationen bedeutet das konkret, mögliche finanzielle Konflikte zu überwachen und die Organisation davon abzuhalten, ihren Namen für Greenwashing herzugeben.

Wer sind also diese Personen, die die Ziele der weltweit tätigen Naturschutzorganisationen beaufsichtigen? Der WWF USA rühmt sich (buchstäblich) damit, dass sein neuer Vizevorstand der letzte CEO von Coca-Cola (eines Mitglieds von Bonsucro[1]) und ein anderes Vorstandsmitglied, Charles O. Holliday Jr., der aktuelle Vorstandsvorsitzende der Bank of America, ehemals CEO von DuPont (Inhaber von Pioneer Hi-Bred International, ein großer Akteur in der GMO-Industrie) ist. Der aktuelle Aufsichtsratsvorsitzende von Conservation International ist Robert Walton, besser bekannt als der Vorstandschef von WalMart (der mittlerweile „nachhaltig produzierte[1]" Nahrungsmittel verkauft und die Supermarktkette ASDA besitzt). Die Direktionen des WWF und von Conservation International sind gespickt mit Mitgliedern mit naturschutzbezogenen Karrieren. Diese werden aber von Wirtschaftsvertretern zahlenmäßig deutlich übertroffen. Zum Direktorium von Conservation International zählen neben anderen beispielsweise GAP, Intel, Northrop Grumman, JP Morgan, Starbucks und UPS.

Zum Vorstand von The Nature Conservancy gehören von 22 Mitgliedern nur 2 (Prof. Gretchen Daily und Christian Samper, Chef des American Museum of Natural History), die in ihrem Lebenslauf eine aktive Mitgliedschaft bei einer Naturschutzorganisation aufführen. Überhaupt nur ein weiteres Mitglied erwähnt bei seinen Qualifikationen ein Interesse am Thema Naturschutz. Die übrigen Mitglieder sind wie Shona Brown, Google-Mitarbeiterin und Vorstandsmitglied von Pepsico, Margaret Whitman, die aktuelle Präsidentin und CEO von Hewlett-Packard oder Muneer A. Satter, Geschäftsführer von Goldman Sachs.

Wurde die Markttransformation also mit Hilfe dieser Direktoriumsmitglieder oder gegen deren Wünsche entwickelt? Letzteres ist ziemlich unwahrscheinlich. Die entscheidende Frage ist dann also: Haben diese Vorstände tatsächlich die Markttransformation initiiert? Kam das von ganz oben?


Kein Ende…

Abgesehen davon, ob Naturschutz jemals ihre wahre Absicht war, scheint es höchst unwahrscheinlich, dass der WWF und die anderen großen Organisationen mit dem Verleihen der Qualitätsstandards "nachhaltig" und "verantwortungsbewusst" an die Agrarindustrie eine positive Umstellung des Ernährungssystems in Schwung bringen wird. Stattdessen erscheint es sehr viel wahrscheinlicher, dass durch das Untergraben bestehender Standards und dem Vorschlag eigener wertloser Standards Lebensraumzerstörung und menschliches Elend nur zunehmen werden.

Markttransformation, wie sie vom WWF ins Auge gefasst wird, könnte dennoch funktioniert haben. Allerdings hat der WWF vernachlässigt in Betracht zu ziehen, dass erfolgreiche Zertifizierungssysteme von Grund auf beginnen. Bio und Fairtrade haben mit einer beträchtlichen Basis engagierter Landwirte begonnen, die fest entschlossen waren, ein besseres Ernährungssystem zu gestalten. Produzenten unterschrieben bereitwillig hohe Standards und klare Bedingungen, weil sie an diese glaubten. Tatsächlich hatten viele bereits ohne Zertifizierung nach hohen Standards praktiziert. Aber als die großen Akteure in der Lebensmittelindustrie versucht haben, an Bord zu springen, das System zu verspielen und die Standards zu manipulieren, sind sogar bei den glaubwürdigen Standards wie Fairtrade und Bio Probleme aufgetreten. Ab einem gewissen Punkt werden große Akteure diese Standards untergraben. Sie scheinen schon auf diesem Weg zu sein[1], aber wenn sie Erfolg haben sollten, werden ihre Bemühungen nur belegen, dass Zertifizierungsstandards niemals ein Ersatz für Vertrauen, Selbstverpflichtungen und persönlichen Anstand sein können.

Die einzig gute Nachricht bei dieser Geschichte ist, dass sie den defätistischen Argumenten des WWF grundlegend widerspricht. Altmodische aktivistische Strategien, wie die Anklage mieser Geschäftspraktiken, Produktboykotte und die Unterstützung von Alternativen funktionieren. Die Absatzchancen, die derzeit von WWF und Co. ausgenutzt wird, ist ein Ergebnis des Erfolgs dieser Strategien, nicht ihres Misserfolgs. Wir sollten zu dem Schluss kommen, dass multinationale Konzerne Aktivisten, gemeinnützige Organisationen, informierte Verbraucher und kleine Hersteller, die alle zusammenarbeiten, geradezu fürchten.

Übersetzung: Katharina Staab, Martin Glöckle


  1. 1,00 1,01 1,02 1,03 1,04 1,05 1,06 1,07 1,08 1,09 1,10 1,11 1,12 1,13 1,14 1,15 1,16 1,17 1,18 1,19 1,20 1,21 1,22 1,23 1,24 1,25 1,26 1,27 1,28 1,29 1,30 1,31 1,32 1,33 1,34 1,35 1,36 1,37 1,38 1,39 1,40 1,41 Alle Fußnoten sowie einen Link zum englischsprachigen Originaltext in dem unabhängigen Wissenschaftsmagazin Independent Science News findet ihr hier: http://pro-regenwald.de/news/2012/03/02