2012-01:Konsum(macht)Kritik

Aus grünes blatt
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Konsum(macht)Kritik

Da beißt sich die Katze …

mis Die Frage nach dem „ob“ ? wird selten gestellt. Das „wie“ ? hat klaren Heimvorteil. Doch ist es an der Zeit, das Lager zu wechseln. Zumindest für die erste Hälfte des Gedankenspiels.

Das „persönliche Verhältnis zur Ware“ legt seit nunmehr anderthalb Jahrhunderten im Wogenhorizont der linken Seite des Hauptstromes den Grundstein für ein Leben OHNE das obligat Böse – die Königin der Nacht schlechthin, die das Kapital erst möglich machte und darüber hinaus alles frisst, was ihr an Selbstbestimmtheit in den Weg kommt – die Entfremdung. Pfui. Doch befreit es mich wahrhaftig nicht von der dieser Beziehung innewohnenden Metamorphose, wenn ich meiner Teekanne das „du“ anbiete. Denn ein persönliches Verhältnis zur Ware – das gegebenermaßen unreflektiert, also ungesund, weil einseitig ist – führt in den meisten Fällen zur Definition über Ware, macht Mensch also zur Ware und entspricht damit vielmehr dem Unterbau für unsere heutige am „Haben“ orientierte Gesellschaft. Schade eigentlich. Doch hat mittlerweile jedes denkende Wesen begriffen, dass das Haben unser Sein bestimmt, also unsere hiesige Gesellschaftsstruktur „ist“. Folgerichtig drängt sich der Zweifel auf, „ob“ sich mensch als Teil des Konsumpfs unter solch schmutzigen Voraussetzungen der notwendigen gedanklichen Grundreinigung unterziehen kann, die die Identifikation mit dem obligat Guten – nennen wir es der Einfachheit halber Sein – erst möglich machen würde.

Wir leben Konsum, konsumieren unser Leben. Konsumieren unsere Gefühle, unsere Freunde und Feinde. Und verharren so in steter Erwartung, dass jedwedem Angebot die Fähigkeit anhaften „muss“, zu geben, was uns selbst fehlt. Obwohl wir so dermaßen demonstrativ zu uns selbst gefunden haben, dass die helfende Hand anderer kaum noch erforderlich ist, wir eigentlich auf niemanden mehr angewiesen sind – es gibt ja für alles einen Onlineshop – plagen uns Neid, Eifersucht und Gier. Nach mehr, nach anders, nach besser oder schlechter. Man möchte behaupten, wir „sind“ Konsum.

Eine neue Ordnung würde vielleicht ein paar wenige neu ordnen, die wirklich begriffen und zwangsläufig den aktiven Wandel vollzogen hätten. Doch die meisten der potentiell Anhängenden erwarten nichts inniger als eine Gegenleistung. Sie erwarten, etwas zu bekommen. Dafür, dass sie dieser unserer Idee folgen werden. Und sei es nur ein besseres Gewissen. Selbst wir, deren Motivation narzistischem Gutmenscheln recht nahe kommt, wollen im Grunde genommen nur etwas aufregend Ablenkendes materialisieren um letztlich unseren unruhig unzufriedenen Geist besänftigen zu können. Wir alle sind Teil dieses Musters und werden ihm auf der Suche nach einer stichhaltigen Konsumkritik nicht entrinnen, da der Weg dorthin nichts „in“ uns verändert. Mit ein bisschen Glück haben wir ein neues Kleid übergezogen, um der allgegenwärtigen Beschäftigungstherapie, die sich hinter den gern benützen Worten Klassenkampf, Revolution oder ARAB verbirgt, im Antlitz der oder des Gewandelten zu begegnen. So schreibe auch ich diesen Artikel schlicht für ein anerkennendes Schulterklopfen meiner Herzmenschen. Vielleicht, weil ich die Hoffnung schon aufgegeben habe, dass sich etwas ändern wird. Bestimmt aber, weil mir nach Bestätigung dürstet.

Einen bemerkenswerten Ansatz zum Umdenken findet man in (fast) allen Variationen hausgemachter Heldengeschichten (Danke, Erich!),[1] da sie hauptsächlich aus ein und demselben Stoff gemacht sind: dem Wunsch, über sich selbst hinauszuwachsen. Konkret bedeutet das, die Grundlage des Besitzes, das FESTHALTEN an etwas, aufzuweichen: Alte Gewohnheiten aufgeben, lieb gewonnene Verhaltensschemata umwerfen, sich und andere überraschen, neu erfinden. Grenzen, in persona Ängste überwinden. Verändern. Kein Stillstand, kein krampfhafter Verbleib. Doch ist damit unweigerlich Fortschritt verbunden. Und – wie die Erfahrung zeigt – damit Wissenschaft, damit Technik, damit Konsum. Tja, wer bastelt da jetzt dem Teufel ne Ecke in die Umlaufbahn? Können wir die letzte Konsequenz oben stehender Forderung, nämlich die Bedrohung unsere Existenz(art und)weise, überhaupt in Kauf nehmen (ha, wie lustig), während wir heldenhaft dem „Konsum an sich“ die Pistole auf Brust halten? Oder: Wenn wir uns nicht grundlegend verändern wollen/können, stellt sich wohl als nächstes die Frage nach dem „wie“?

Gibt es vertretbaren Konsum? Und wenn ja, wie gestaltet er sich?


Eine 1. Idee – nach vielen deutschsprachigen, alten Säcken –

wäre, das Produkt zu entmystfizieren, indem man es von seinen Anfängen in Bergwerk, Regenwald oder Bohrinsel bis zur Vollendung in Hand, Mund, Regal oder Geschenkpapier verfolgt, also einen realen Bezug zwischen objektivem Aufwand und persönlichem Nutzen herstellt. Leider bleibt bei diesem Trick oft nur der schale Appell ans schlechte Gewissen – „Oh, also wenn da jetzt so viele Bäume für …“ – und damit die personifizierte Ausgeburt derzeitiger gutbürgerlicher Doppelmoral über: der sozial verträgliche Bio Veggie Burger – gebraut im Irgendwo? Egal. Hauptsache zu hause gezapft!


Eine 2. Idee – Bedarf meiner bedürftigen – ganz subjektive(n) Blickwinkelküche

Ich sitze zu hause. Mir ist etwas fad, hach, öde zu Mute. Dupdidu … was vertreibt mir nur … möglichst schnell … lalaa … die Langeweile? Aaaah, da fällt mir ein – erscheints als gePop–upTes Vehikel auf der Projektionsfläche meiner unsportlich überzuckerten Omme – ich könnte irgendetwas kaufen. Ja! Ganz egal, ganz (et/irgend/gleich)was. Ganz unspezifisch. Hauptsache kaufen. Tut gut, so … kaufen. Also, ab in die Herbstkluft, baumwollnes Trageutensil umgehängt und – getreu dem Motto ,Ey, es gibt nur Verkehrtes im Falschen, Alter‘ – hinunter in den Himmel des Angebot & Nachfrage-Prinzips. Die Regale sind voll, nein voller. Feiste Packungen platzen mangels Platzmangel in Reih und Glied – sind einzig darin einig – auf totale Überforderung abgeparalyzielt. Es fehlt an nichts und doch ist mir kein Ding so richtig oder recht. Die Entscheidung fällt nach minutenlangem, sinnentleertem Blick aufs etwas unverständliche ingredients Verzeichnis (s. Motto). Ich schreite zur Kasse. Badend im Gefühl der totalen Unabhängigkeit, des Sieges über Sucht, bestimmt und zielgerichtet vorbei an meinen wa(h)ren Lastern. Doch bevor ich ganz in Hingabe, in wallender Lust versinke, unwiderrufbar kaufe, drängt sich mir – oh je – plötzlich ein Gedanke auf. Neu, verrückt, unbenutzt: Ich brauche das – Obst, Eis, Getränk, Schleifgerät – nicht. Wirklich. Nicht. Doch, was brauche ich dann?

„Bücher“. Kaum etwas reizt meine Habgier mehr als ein Buch. Glücklicherweise gehöre ich einer Spezies an, für die ein Buchkauf naturgemäß mit dem Spaziergang zum Buchladen verknüpft ist. Amazon, you‘ll never get my life!

„Reflexion“. Dazu genügt ein Gegenüber. Der Bezug zu anderen Menschen ist leicht herzustellen, indem man ihr Werk/ihre Idee konsumiert. Dazu gibts auch gleich den sagenumwobenen Ausgleichseffekt nach Dr. Yin und Mr. Yang gratis obendrauf; hier zwischen konsumieren und produzieren.

„Drogen“. Da die Ware als völkisches Opiat ein eher kurzweiliges Vergnügen bietet, bleibt mir ab und zu nichts weiter übrig, als den unbelebten Zustand der Betäubung aufrechtzuerhalten, indem ich den Prozess des Erwachens mit weniger flüchtigen Drogen unterdrücke. Heißt das, ich betäube meine Betäubung, um nicht aufzuwachen? Klingt wie kiffen gegen Lethargie. Doch was, wenn dieses verdammte Überangebot meinen Blick trübt, meine Sinne vernebelt und die Unfähigkeit, konkrete Entscheidungen zu treffen und diese konsequent umzusetzen, trotz all der guten Vorsätze hochgradig verstärkt?


Eine 3. Idee – wenn Verzicht zu Genuss wird oder die Kindheit meiner Mutter

Diese Option besteht im bewusst „weniger“ Konsumieren und unterscheidet sich von Kandidat no. 2 insofern, als dass sie vermeintliche Bedürfnisse nicht kategorisch ausschließt. Weniger rauchen, ma nich feiern gehen, reduziert denken, kaum vögeln, nur zwei Seiten lesen. Eine Woche vollkommen ohne Geld (von Vorräten?) leben oder wahlweise eine Liste aller Lebensnotwendigkeiten erstellen, die gekauft werden „dürfen“. Der Rest bleibt, wo er ist. Vielleicht bringt uns das näher zu, ja zu was? Zu Verlangen, zu Leidenschaft zu unkontrollierter Wollust, zurück in die Verdammnis der Konsummühle? Stopp! Eventuell besteht ein kleiner Unterschied zu meiner Mutter. Sie wollte nicht verzichten, sie hasste es, zu müssen. In unserem Fall besteht die Möglichkeit einer vergleichsweise freien Entscheidung. Wir können Verzicht wählen. Und dadurch die angestrebte Unabhängigkeit gleich mal ausprobieren, die uns zu eben jenem Punkt führt, der diese Idee rechtfertigt: es ist schön, frei zu sein. Es ist schön, Neues zu erfahren, es ist schön, sich lebendig zu fühlen. Es ist, weil es nicht hat. Wie schön.

Und doch liegt der Schluss nahe: Wir haben uns so sehr ans Konsumieren gewöhnt, dass uns vor lauter Input nix Besseres mehr einfällt. Da hilft nur der gute, alte Meteorit. Mit uns die Sintflut! Oder wollt ihr all eure Kinder auf Freie Schulen schicken? Aber Achtung: Dogmafalle.


  1. Fromm für „Haben oder Sein“