2012-01:Kreative und subversive Pornos wider der sexistischen Scheiße? Für die Rechte von Sexarbeiter innen? Unbedingt!: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 15. Mai 2019, 22:54 Uhr
Kreative und subversive Pornos wider der sexistischen Scheiße? Für die Rechte von Sexarbeiter_innen? Unbedingt! – Eine Kritik an Mon@s Artikel PorNO. Gegen Sex als Konsumgut. Für Lust unter Gleichen.
Lemor Ich teile Mon@as scharfe Kritik am Mainstream-Porno-Müll, der sexistischen, männerorientierten Scheiße, die
- Männern beibringt, dass sie männlich sind, wenn sie Frauen ins Bett kriegen, beherrschen und erniedrigen können,
- Frauen sagt, dass es ihre Aufgabe als Frau ist, von Männern gewollt zu werden und zu tun, was Männern gefällt
- und allen, die nicht in ein binäres männlich/weiblich Schema passen (wollen) vermittelt, dass sie nicht „richtig“ sind.
Was mich dagegen an Mon@s Artikel stört, ist:
- der Satz: „Wir als Feministinnen...“, weil er vereinnahmend ist. Hier wird eine ganze Bewegung von Feminist_innen geleugnet und vertuscht, die sich Pornographie mit queer-feministischen Werten und einer sex-positiven Einstellung wieder angeeignet hat. Oder aber es wird behauptet: Das sind keine Feminist_innen.
- die Behauptung, die Differenzierung zwischen Mainstream- und Queerfeministischem Porn im Straßen-aus-Zucker-Artikel würde Widerstand gegen den sexistischen Mainstream aushebeln: Die Macher_innen von queer-feministischen Pornos setzen sich wahrscheinlich weitaus tiefer mit einer feministischen Kritik an der Pornoindustrie auseinander als Mon@ oder ich es tun und verstehen ihre Arbeit selbst als Protestform. Ihre Arbeit entsteht dabei nicht im losgelösten Raum, sondern wächst aus einer jahrzehntelangen intellektuellen Auseinandersetzung mit feministischen Diskursen. Sie wird immer wieder reflektiert, in der politischen Kontroverse zur Diskussion gestellt und überarbeitet.
- der Irakkriegvergleich: Ich halte ihn für unpassend und unangebracht. In politischer Argumentation wird oft ein Vergleich zwischen verschiedenen Unterdrückungsformen herausgestellt, wo er eigentlich nicht nötig ist. Es wird versucht aufzuzeigen, wie schrecklich das eigene Anliegen ist, indem es mit einem anderen furchtbaren Ereignis oder Verhältnis verglichen wird. Oder es werden Hierarchien aufgebaut, welche Unterdrückung denn nun schlimmer ist. Der Vergleich beleidigt Überlebende und bringt uns in der Debatte nicht weiter – die vielen unterschiedlichen Erfahrungen von Pornodarsteller_innen lassen sich nicht mit den vielen unterschiedlichen Erfahrungen der Menschen im Irak vergleichen (sicher würden auch viele Iraker_innen diesem Vergleich widersprechen).
- die Verwendung des Begriffs „Hure“, weil er beleidigend ist. Leider ist es auch unter vielen Feminist_innen noch üblich, auf Sexarbeiter_innen herabzuschauen. Komischerweise, denn: wo mensch meinen könnte, Feminist_innen zählten zu den progressiveren in der Gesellschaft, wird auf eine Rhetorik zurückgegriffen, die auch aus konservativen Kreisen stammen könnte – im englischsprachigen Raum wird das „Slutshaming“ genannt. Aber: wenn sich Feminist_innen um Frauen im Sexgewerbe Sorgen machen, hilft es wenig, diese auch noch zu erniedrigen – daran findet sich nichts Progressives oder Radikales. Und es werden die Falschen damit angegriffen. Einer patriarchalen Gesellschaft schadet Slutshaming jedenfalls nicht.
- die indirekten Verbots- und Zensurforderungen. In dem von Mon@ empfohlenen Emma-Artikel „Pornos sind geil“ wird genau das als Lösung gegen die sexistische Pornoindustrie vorgeschlagen: ein Anti-Porno Gesetz, für das Alice Schwarzer, Autorin des Emma-Artikels und Mitbegründerin der PorNO-Bewegung, schon seit Jahrzehnten kämpft. Schwarzer hat sich darüber hinaus schon vor Inkrafttreten des Prosititutionsgesetzes in 2002 (arbeits- und sozialrechtliche Gleichstellung mit anderen Berufen) bis heute gegen die Legalisierung von Prostitution ausgesprochen.
Zensur ist auch keine Lösung
Im Grunde ist es eine Frage von Zensur: Will ich, dass sich ein Staat einmischt und verbietet, was mir nicht passt?
Praktisch gesehen bringt uns eine PorNO-Verbot nicht weiter: Wie durchsetzbar ist ein Verbot angesichts einer milliardenschweren Industrie im Kapitalismus? Und selbst wenn: das Internet kann sich – glücklicherweise – noch weitgehend der staatlichen Regulierung entziehen. Wie Gesetze in einem gesetzesfreien Raum durchsetzen? Aber dort, wo ein „Schwarzmarkt“ entsteht, treibt es die Macher_innen in die Illegalität – mit der Konsequenz, dass mit staatlicher Repression gegen Sexarbeiter_innen vorgegangen wird. In welchem feministischem Sinn ist es, Sexarbeiter_innen weiterer Diskriminierung und Polizeigewalt auszusetzen?
Vor allem trifft Zensur zuerst queere und alternative Produktionen, die wenig Mittel zur Verfügung haben und nicht die große Industrie. Warum dann nicht einfach nur Mainstream-Pornos verbieten? Abgesehen davon, dass was als erniedrigend empfunden wird von Person zu Person verschieden ist, ist es wirklich realistisch, dass in einer patriarchalen, christlich-konservativen, kapitalistischen Gesellschaft die milliardenschwere Industrie angegriffen wird und nicht die kleinen queeren Produktionen, die nicht in die Norm passen und kein Geld einbringen? Spielt eine Verbotsforderung nicht eher der prüden und konservativen Politik zu, gegen die Feminist_innen früher angekämpft haben?
Angesichts der widerwärtigen Mainstream-Pornokultur kann ich verstehen, wenn mensch angewidert sagt: Ich will keine Bilder sehen, in denen sich Frauen so zeigen, das trägt nur zur Pornokultur bei. Sie ist nicht sexuell befreiend, sondern normierend, vermittelt bescheuerte Geschlechterrollen und Schönheitsideale und glorifiziert ein Sexualverhalten fernab von zwischenmenschlicher Interaktion, die auf ein gemeinsames Einverständnis, gegenseitigem Respekt und Einfühlungsvermögen beruht. Aber Pornographie kann anders sein: Feministischer Queer-Porn will sich dagegen zur Wehr setzen und seine Zuschauer_innen dazu ermutigen, sich ihre eigene Sexualität wieder anzueignen, anstatt sie fremdbestimmen zu lassen. Es wird dargestellt und vorgemacht, wie (wie revolutionär!) Menschen respektvoll miteinander umgehen, ihre Bedürfnisse und Grenzen kommunizieren, Safer-Sex praktizieren, und sich selbst, unabhängig vom geltenden Schönheitsideal akzeptieren. Hier geht es um Emanzipation von der sexistischen Kackscheisse, mit der uns die Medien berieseln.
Sexarbeit runtermachen? Tabuisieren? Illegalisieren?
Die Beweggründe von Sexarbeiter_innen (auch Männer und Menschen jenseits binärer Geschlechtseinteilung arbeiten in der Sexindustrie) lassen sich nicht verallgemeinern. Natürlich gilt es genau hinzusehen, wo Zwangsprostitution stattfindet und bekämpft werden muss. Aber Mon@s These, alle Sexarbeiter_innen leiden bis zur Suizidgefährdung unter ihrem Beruf, ist anmaßend und bevormundend. Ich will die Erfahrungen von Mon@s Freund_innen nicht absprechen, aber zu sagen, Sexarbeiter_innen seien generell und alle Opfer der Industrie, verkennt die vielen Gründe, warum sie sich zu ihrem Beruf entschieden haben – verhältnismäßig hohes Einkommen? Flexible Arbeitszeiten? Spass daran? ...? Es wird ihnen abgesprochen, selbst am besten zu wissen, was sie mit ihren Körpern und ihrem Leben tun wollen.
Wozu Slutshaming im schlimmsten Fall führen kann: Beleidigungen und Demütigungen führen bestimmt nicht zu einer sicheren Atmosphäre am Arbeitsplatz. Außerdem spielen die verbalen Angriffe von Feminist_innen der Diskriminierung durch die breite Gesellschaft zu und fördern ein Klima, das sexualisierte Gewalt hervor bringt. Es wird jedenfalls nicht zu einem respektvollen, auf Konsens beruhendem Umgang mit Arbeiter_innen im Sexgewerbe ermutigt. Beleidigungen tun weh – da macht es keinen Unterschied, von wem der Angriff kommt. Sexarbeiter_innen sollten wie alle Anderen das Recht haben, nicht beleidigt und diskriminiert zu werden, vor allem nicht von Feminist_innen, die behaupten, gegen Unterdrückung und Diskriminierung zu sein.
Wer sich um die zweifelsohne risikoreiche Situation von Frauen im Sexgewerbe interessiert, sollte sich fragen, was Verachtung und Mitleid bringen. Sexarbeiter_innen sind vermutlich ständig von beiläufigen Beleidigungen, mangelnder öffentlicher Anerkennung, bis hin zu einer erhöhten Polizeigewalt und Repressionsgefahr betroffen. In Ländern, in denen Prostitution illegal ist, wird’s noch schlimmer: Die Repression wird größer, es gibt keinen Schutz vor Übergriffen oder Kunden, die nicht zahlen, und wo Prostitution nicht als Beruf anerkannt ist, gibt es häufig auch Probleme mit Krankenversicherung und Gesundheitsschutz. Dort wo Sexarbeiter_innen Repression fürchten müssen, ist es gefährlich, zur Vorsorgeuntersuchung zu gehen, wo der Beruf auffliegen könnte.
Sexarbeit lässt sich nicht losgelöst von der Systemfrage erörtern. Ob sie in unserer utopischen Gesellschaft vorkommt, ist eine weitere spannende Frage, aber soviel lässt sich jetzt schon beobachten: Es sind häufig Menschen aus den untersten Einkommens- und Bildungsschichten und ein hoher Migrant_innenanteil, die im Sexgewerbe beschäftigt sind. Ist das noch freiwillig oder haben sie wenig andere Chancen in dieser Gesellschaft? Eine Kritik an Prostitution und Pornographie muss also konsequenterweise auch eine Kritik an Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, Armut als Folge von kapitalistischen Systemen und generell: der Stellung von Frauen und Transmenschen in unserer patriarchalen Gesellschaft beinhalten.
Das älteste Gewerbe der Welt kriegen wir nicht so leicht abgeschafft – aber Prostitutionsverbote drängen Sexarbeiter_innen in die Illegalität und macht ihre Situation unsicher und gefährlich. Sexarbeiter_innen brauchen kein Mitleid von Feminist_innen – aber es würde sicherlich nicht schaden, stattdessen mehr Anti-Sexist_in en zu sehen, die an ihrer Seite für ihre Rechte kämpfen.