2014-04 EU-Revision

Aus grünes blatt
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Bio-Anbauverbände disqualifizieren sich

Schon vor einem Jahr zeigte sich der Dachverband BÖLW (Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft) der Anbauverbände (wie Bioland, Demeter, Naturland, Biokreis ...) verschnupft bis beleidigt, als bekannt wurde, dass die europäische Kommission für Landwirtschaft, die nun über 20 Jahre alte Bio-Verordnung einer Revision unterziehen will - ohne die Verbände zunächst daran zu beteiligen. Heraus kam eine wie immer umständlich verfasste Verordnung mit viel zu vielen Hintertüren für die Verwaltung - aber getragen von einer online-Umfrage. Durch die vorgegeben Fragen ist das Ergebnis schon zu dirigieren. Aber für wen, wenn nicht für die/den (zahlende/n) Verbraucher*in werden biologische Lebensmittel hergestellt? Natürlich kommt es auch der Umwelt zu Gute, wenn weniger Pestizide und Dünger ausgebracht werden. Seien wir doch mal ehrlich: Sind wir immer noch so altruistisch wie zu Beginn der Bio-Zeit? Das wissen auch die Anbauverbände und fürchten ums Geschäft.

Die Kommission hat nun einen Revisionsentwurf vorgelegt, der einerseits auf die vielen Bio-Skandale der letzten Jahre eingeht und andererseits in der Befragung ein erhöhtes Verbraucher*innen-Bedürfnis nach 'sicheren' Lebensmittel festgestellt. Daraus resultiert u.a. als Veränderung zur bisherigen Verordnung:

- keine Teilbetriebsumstellung mehr, (das war bisher der Pluspunkt für die Anbauverbände)

- nur noch EINE Kontrollstelle pro Betrieb, (war Ursache für den größten Geflügelfleisch-Skandal)

- kleine Betriebe mit Gemeinschaftszertifizierung,

- keine Ausnahmen mehr (die in der Vergangenheit zeitlich wie restriktiv reichlich ausgedehnt wurden)

- 'verbesserten' Tierschutzbedingungen entsprechend den Verhaltensbedürfnissen,

- keine flächenunabhängige Tierproduktion,

- Pflanzenschutzmittel beschränken (gemeint ist hier vor allem wohl Kupfer),

- keine Gentechnik oder polyploides Saatgut (CMS-Saatgut),

- Verarbeitungsmethoden sollen die Qualitätsmerkmale bewahren,

- keine Umstellungsware mehr (beispielsweise konventionelle Ferkel im ersten Durchgang),

- keine Hydrokulturen.

Prozess- vs. Produktkontrolle

Angeprangert wurde die Einführung der Produktkontrolle, d.h. künftig soll nicht mehr die bisherige Prozesskontrolle ausreichen, sondern auch im Reagenzglas analytisch (k)eine Belastung festegestellt werden. Die bisherige Kontrolle auf dem Papier (Warenstromführung) wird also um eine "handfeste" Schadstoffanalyse ersetzt. Das verursacht Kosten, über deren Kompensation nichts gesagt wird. Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif. Die diversen Skandale haben in der bisherigen Kontrollpraxis allerdings auch gezeigt, wie geduldig Papier ist. Es wurde auch nicht diskutiert, wie sinnvoll 'Grenzwerte' sind und ob sie evtl. dazu verleiten, solange zu mischen, bis die Werte unterschritten werden. Nein, es wurde arrogant abgelehnt. Ganz so wie es der Bauernverband auch tut - und deshalb wohlwollend darüber berichtete, denn so die Befürchtung, wenn die 'Bios' diese prozessbegleitende Produktkontrolle bekommen, wird sie über kurz oder lang für sämtliche Nahrungsmittel eingeführt. In Verkennung der Tatsache, dass bereits viele Firmen solche Analysen durchführen. Stichprobenartig.

Auf einem [1]Symposium wurden die Gegenargumente zusammengetragen.

Dabei sind die Argumente, was passiert bei Spritzmittelabdrift der konventionellen Nachbarn und viele Bio-Betriebe würden unter den geplanten Produktkontrollen wieder rückumstellen, doch nur scheinbar zutreffend.

Dabei sind die Argumente, was passiert bei Spritzmittelabdrift der konventionellen Nachbarn und viele Bio-Betriebe würden unter den geplanten Produktkontrollen wieder rückumstellen, doch nur scheinbar zutreffend.

Die bisherige EU-Verordnung hatte schon den Nachteil, dass sie durch die Limitierung zum Ausnutzen dieser Grenzen verführte. Der betriebliche Recyclinggedanke blieb längst auf der Strecke. Eine Spezialisierung zu viehlosem Ackerbetrieb – eigentlich ein Unding im ökologischen Landbau – wird längst auch nicht mehr auf allem Demeter-Höfen verfolgt.

Der Nährstoffhunger dieser Betriebe wird nicht mehr im klassischen Sinne durch Fruchtfolge, Gründüngung und Tierdung gedeckt. Einerseits haben wir Betriebe mit arrondierten Hühnerställen auf ca. 9 ha Fläche, die 21.000 Hühner vorschriftsmäßige 4m² Auslauffläche bieten mit max 150 m Tiefe. (Die Herde zu je 3.000 Hühner durch Maschendraht getrennt.) Andererseits sollen (kommunale) Komposte und Rückstände aus der konventionellen Tierhaltung (Haarmehlpellets u.a.) den Kreislauf schließen. Das Rückführen solcher Nährstoffe ist in der Tendenz mit Belastungen verbunden, die es eigentlich im biologischen Landbau nicht geben sollte. Daher macht eine anschließende Produktkontrolle Sinn und muss zusätzlich zur bestehenden Prozesskontrolle, die bisher bei Kreislauf ausreichend erschien, eingeführt werden. Dabei ist festzuhalten, dass die neuen, größeren Betriebseinheiten zur Verschärfung dieser Situation bei gleichzeitigem Preisverfall beigetragen haben. Also mithin nicht befürchtet werden muss, dass Betriebe aufgeben.(Bei der Gelegenheit: wir müssen die Tierhaltung den Tieren anpassen nicht andersherum mit beispielsweise unbehornten Tieren auf kleine rechtswinklige Ställe reagieren!)

Die Abdrift, ist ja nicht nur ein Problem der Spritzmittel, sondern auch für gentechnisch veränderte Organismen zu klären. Sie darf allerdings nicht dazu dienen, wegen nicht Klärung der Produkthaftung, die Herstellung soweit zu ‚liberalsieren’, dass es egal wird, ob nun biologisch oder gentechnikfrei angebaut wurde/wird. Dann gibt es nämlich doch den ‚Mondscheinbauer’. Wenn diese Kampagne der Anbauverbände also kein Eigentor ist (wovor haben die Erzeuger eigentlich Angst, wenn sie doch schon so vorbildlich erzeugen?), dann war es eine Machtdemonstration der Bio-Lobby für Erzeugung, Verarbeitung und Handel, der auch einige andere NGOs mit zum Teil mit obskuren Argumenten auf den Leim gingen.

Verbraucherschutz?

Verwundert hat die Haltung der Verbraucherschützer, die sich jahrelang im Windschatten der Anbauverbände bewegten. Transparenz und Kontrolle sind die wesentlichen Kriterien der Verbraucherzentralen, die in diesem Fall aber offensichtlich übersehen wurden. Die EU-Kommission argumentierte mit einer online-Befragung, an der vorzugsweise französische Verbraucher*innen teilnahmen, mit dem im Fragebogen suggerierten Verbraucherverlangen nach ‚sicheren’ Lebensmitteln. Fragen wir uns doch mal selber; wer will schon ‚dreckige’ Nahrung? Der Bundesverband der Verbraucherzentralen sah hingegen keinen Grund, auf bessere Kontrollen zu bestehen und wollte den Entwurf "nur schreddern" statt nach zu verhandeln.

So zeigt doch die ganze Diskussion um die Revision deutlich, das reflexhafte Zurückweisen europäischer Verordnungen (die Bio-Verordnung ist trotz aller Schwächen ein mutiger Eingriff in bestehende Rechtsverhältnisse gewesen und hat Möglichkeiten zum Schutz bestimmter Produktionszweige aufgezeigt, die von privaten Siegeln wie ‚Neuland’ bis ‚fair’ nicht erreicht werden können) gepaart mit Interessen von großen Betriebsstrukturen und nicht wahrgenommener Verbraucherschutz nicht besser sind, als was TTIP im Großen versucht.

Verbraucher*innen wehrt Euch u.a. anläßlich der nächsten "Wir haben es satt"-Demo im Januar in Berlin. Wir wollen ein besseres "Bio"!