2015-01:Knast als gewerkschaftsfreie Zone?

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Knast als gewerkschaftsfreie Zone? Über die Möglichkeiten einer Gefangenen-Gewerkschaft

Oliver Rast Seit Ende Mai letzten Jahres existiert die Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO), die aus der Gefangenen-Gewerkschaft der JVA Tegel hervorgegangen ist. Die GG/BO ist ein nicht rechtsfähiger, bzw. nicht eingetragener Verein auf der Basis des § 21 i.V.m. § 54 BGB. Des Weiteren stützt sich die Gewerkschaftsinitiative auf die im Grundgesetz in Art. 9, Abs. 3 verankerte Koalitionsfreiheit. Die GG/BO bewegt sich formaljuristisch auf sicherem Terrain und nimmt lediglich verbriefte Rechte in Anspruch. Mit der Gründung der GG/BO sind Knäste seitens der Gefangenen keine gewerkschaftsfreie Zone mehr. Die Gewerkschaftsgründung ist eine authentische Initiative aus dem Knast heraus. Darin liegt auch der zentrale emanzipatorische Akt der Gefangenen. Daraus folgt, dass Menschen mit aktuellem Hafthintergrund oder mit vergangenen konkreten Erfahrungen in der Haft die GG/BO vornehmlich nach innen und nach außen repräsentieren sollen. Diese „Ausweiskarte“ ist bedeutsam, um bei den Gefangenen den nötigen Akzeptanzgrad zu finden und vor allem beizubehalten.

Bisherige Anläufe einer gewerkschaftlichen Organisierung von Inhaftierten blieben in den vergangenen Jahrzehnten regelmäßig im Ansatz stecken. Mit ein, zwei Ausnahmen: Eine 1968 als eingetragener Verein gegründete (kurzlebige) „Deutsche Gefangenengewerkschaft“ (DGG) unter der Federführung des ehemals inhaftierten Publizisten und Verlegers Alfons Bitterwolf geriet schnell ins Fadenkreuz der Staatsanwaltschaft, da wegen Betrugs und Korruption Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden. Dieser Gewerkschaftsverein fungierte eher als Deckblatt für abseitige Geschäftsinteressen, als das er ein „Kampfinstrument“ der arbeitenden Gefangenen im Strafvollzug sein konnte. (vgl. Spiegel 30/1969) Verlaufsspuren einer Selbstorgani-sierung von inhaftierten Gewerkschafter_innen finden sich des Weiteren in den Jahren 1984-1988. Häftlinge mit dem Schwerpunkt in NRW gruppierten sich um eine „Gewerkschaft Solidarität“, deren Aktionsradius indes in der Rückschau kaum messbar ist.

Auf welchen Prinzipien gründet die GG/BO?

Gewerkschaftsarbeit tritt im Einzelnen höchst unterschiedlich auf. Eine Vielzahl von Gewerkschafts- und Interessenverbänden setzt sich für bestimmte Personengruppen und deren Belange ein. Allerdings lassen sich mehrere Wesenszüge benennen, die für eine gewerkschaftliche Tätigkeit charakteristisch sind.

Eine Gewerkschaft wie die GG/BO, die der lobbylosen sozialen Gruppe der Gefangenen als Sprachrohr dient, gründet dabei im Wesentlichen auf drei Prinzipien:

  1. Das Prinzip der Autonomie besagt, dass die GG/BO eigenverantwortlich und selbstbestimmt auftritt. Sie ist kein Anhängsel bestehender Strukturen, Organisationen oder Bewegungen vor den Gefängnismauern, sondern im besten Sinne des Wortes „autonom“. Das schließt eine Parteilichkeit für die eigenen Interessen ausdrücklich mit ein.
  2. Das Prinzip der Umgestaltung der Verhältnisse beinhaltet, dass (tiefgehende) Veränderungen angestrebt werden, die zu einer Verbesserung der Situation der (arbeitenden) Gefangenen führen sollen. Neben den beiden Kernthemen (Mindestlohn und Rente) ist auf die Arbeitsbedingungen in den JVA-Betrieben zu zielen. In das Blickfeld ist hierbei vor allem der Akkord in Form der Stücklohnbezahlung in den so genannten Unternehmerbetrieben in den Haftanstalten zu nehmen.
  3. Und nicht zuletzt orientiert sich die GG/BO am Prinzip der Solidar-gemeinschaft (Zusammengehörigkeit, Gemeinschaftssinn).

Auch wenn die Population der Ge-fangenen in den Haftanstalten höchst fraktioniert ist, können an ausgewählten Punkten gemeinsame Interessen entwickelt und ausgedrückt werden. Ein Gefühl von Einheit und Genossenschaft kann sich einstellen, was die „Gefangenenfront“ von innen heraus stärkt.

Einerseits kann die GG/BO als sog. Spartengewerkschaft gesehen werden, da sie sich auf inhaftierte Menschen fokussiert. Andererseits betreibt sie keine Klientel-Politik, um verschiedene Berufsgruppen aufgrund nachgesagter oder wirklicher Partikularinteressen gegeneinander auszuspielen. Die GG/BO verkörpert stattdessen einen Unions-Gedanken dahingehend, dass unabhängig jedweder Hintergründe (u. a. Delikt oder Herkunft) Gefangene in den bundesrepublikanischen Haftanstalten Mitglied der GG/BO werden können. Die Entfaltung eines solidarischen Umgangs unter- und miteinander steht hierbei im Vordergrund, um Spaltungslinien zu überwinden.

Welche Etappen der Entwicklung verfolgt die bundesweite Knast-Gewerkschaft?

Eine Ausweitung der GG/BO auf JVAs im gesamten Bundesgebiet hat – von der JVA Berlin–Tegel ausgehend – schnell stattgefunden. In einem halben Dutzend Knästen kann die GG/BO über ihre Sprecher Präsenz zeigen. In etlichen Weiteren bestehen teils enge Kontakte zu Inhaftierten. Das Ziel ist klar: in keiner JVA soll die „soziale Schutzmacht“ der GG/BO fehlen.

Um ein inter-gewerkschaftliches Netzwerk zu schaffen, werden mit engagierten Gewerkschafter_innen aus den Einzelgewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und den Basis-Gewerkschaften wie der Freien Arbeiter- und Arbeiterinnen Union (FAU) sowie den Industrial Workers of the World (IWW) wahlweise lockere oder engere Kooperationsverhältnisse eingegangen. Die GG/BO stellt sich hinsichtlich ihrer (potentiellen) Kooperationspartner_innen pluralistisch auf. Vorrangig geht es darum, die GG/BO-Forderungen und -Zielsetzungen im heterogenen Gewerkschaftsspektrum vorzustellen und „salonfähig“ zu machen.

In den Vorständen und im Mittelbau der Einzelgewerkschaften des DGB sind augenblicklich gewisse Berührungsängste wahrzunehmen. Allerdings häufen sich die Solidaritätserklärungen aus den Basisstrukturen insbesondere von ver.di (ver.di-Jugend, Erwerbslosenausschüsse etc.) zusehends.

Die von der GG/BO angeschobenen Initiativen innerhalb der Knäste werden erst dann erfolgversprechend, wenn sie durch zahlreiche und kontinuierliche Unterstützungsleistungen außerhalb derselben flankiert werden. Zwei sozialpolitische GG/BO-Forderungen stehen aktuell im Mittelpunkt: erstens der allgemeine flächendeckende gesetzliche Mindestlohn für Gefangenenarbeit und zweitens eine Rentenversicherung für Inhaftierte.

Diese formulierten sozialreformerischen Forderungen von Gefangenen sind bis tief ins liberale Milieu hinein konsens- und gesamtgesellschaftlich mehrheitsfähig.

Im Grunde wird mit diesem Forderungskatalog lediglich auf den Gleichbehandlungsgrundsatz rekurriert, Menschen in Haft jene arbeits- und sozialrechtlichen Standards zukommen zu lassen, die vor den Schleusen der JVA´s Allgemeingut sind. Die gewerkschaftspolitische Tätigkeit der GG/BO bleibt zunächst auf diese beiden Aspekte konzentriert.

Mit diesen klar umrissenen und leicht nachvollziehbaren Mindestforderungen will sich die gewerkschaftliche Interessenvertretung sowohl innerhalb der Schar der Gefangenen als auch außerhalb der „Parallelwelt Knast“ plausibel machen. Zudem entspricht diese Linie der momentanen Mobilisierungsfähigkeit einer knastspezifischen Gewerkschaftsinitiative, die ohne Starthilfe und Anschubfinanzierung von außen auskommen musste, was ihr allerdings auch den Nimbus zuteil werden lässt, authentisch zu sein.

Fraglos ist, dass etappenweise über den Weg des Mindestlohns und der Rentenversicherung für Knastinsass_innen die uneingeschränkte Gewerkschaftsfreiheit in der Unfreiheit der Haft erreicht werden soll. Die Erringung der Versammlungsfreiheit von gefangenen Gewerkschafter_innen und die Durchsetzung der Tariffähigkeit im Vollzug der Anstalten stehen dabei weit oben auf der Agenda.

Ist die volle Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern durchsetzbar?

Die GG/BO berührt offenkundig neuralgische Punkte des bundesrepublikanischen Strafvollzugs. Ein selbstbewusstes Auftreten von Inhaftierten ist im durchreglementierten Vollzugsleben nicht vorgesehen. Es ist aber nicht mehr die Frage, ob eine Organisierung von arbeitenden Gefangenen möglich ist – sie ist möglich und zugleich notwendig, um gegen Lohndumping und Billiglöhnerei in den Haftanstalten politisch und juristisch vorzugehen.

Die staatlich sanktionierte Preisdrückerei in der Betriebswelt hinter Gittern wird von den Anstaltsleitungen als Wettbewerbsvorteil angepriesen. Knäste werden so zu Sonderwirtschaftszonen, in denen arbeits- und sozialrechtliche Standards faktisch ausgehebelt werden können. Konzerne funktionalisieren Knäste als verlängerte Werkbank und lagern bestimmte Tätigkeiten in die JVA-Betriebe aus. Im Zuge der Teilprivatisierung von JVA´s, wie beispielsweise in Burg in Sachsen-Anhalt, wird an der Akkord-Schraube der zu produzierenden Stückzahl durch beschäftigte Inhaftierte massiv gedreht.

Die bundesdeutsche Variante des Prison Industrial Complex (PIC) ist bereits in Teilen Realität.

Dieser Tendenz ist vor Ort durch die arbeitenden Gefangenen im direkten Verbund mit ihren nicht einsitzenden Unterstützer_innen und Kolleg_innen entgegenzutreten. Die GG/BO stellt trotz ihrer geringen Kapazitäten und kurzen Lebensdauer bereits jetzt einen Faktor dar, um im Sinne einer interventionsfähigen gewerkschaftlichen Interessenvertretung zu wirken.

Das Engagement gegen prekäre Arbeitsverhältnisse kann nicht vor den Stahltoren der Haftanstalten Halt machen. Es gehört zu den ureigenen Aufgaben selbstorganisierter (basis-)gewerkschaftlicher Initiativen, solche Zustände nicht nur anzuprangern, sondern Wege und Mittel der Skandalisierung zu finden, um diese letztlich abzuschaffen. Eine Hebung der ökonomischen Klassenlage ist dabei ein Minimalziel, dem die Betroffenen u. a. durch eine Verteuerung ihrer verbrauchten Arbeitskraft näher kommen können.

In der Zielstellung geht es der GG/BO um die Erlangung aller Gewerkschaftsrechte hinter Schloss & Riegel, die ihr (bislang) vorenthalten werden (sollen). Das bedeutet in der Zuspitzung, dass inhaftierte und nicht-inhaftierte gewerkschaftliche Aktivist_innen gleichermaßen nicht auf Arbeitskampfmittel verzichten sollen, die zur „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ geeignet sind. Die Lohnfrage ist hierbei eine zentrale Frage des wirtschaftlichen Kampfes und die Rentenfrage eine der sozialen Absicherung im Alter.

Durchsetzbar werden diese legitimen sozialreformerischen Forderungen dann, wenn sich Kräfteverhältnisse innerhalb und außerhalb der Knäste zu verschieben beginnen.

Eine Stärkung der GG/BO verschiebt ebendiese Kräfteverhältnisse – partiell zumindest.


Oliver Rast – Sprecher der GG/BO