2015-03:Die Warteschleife

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Die Warteschleife

Ich hatte schon viele Jobs in meinem Leben. So war ich schon Teilchenbeschleuniger, Bierflaschenwärmer und Aktenordner. Besonders langweilig war aber mein Job als Warteschleife.

Sie haben richtig gehört. Alle Menschen denken immer, dass wenn man bei Firmen anruft und dort ein „Bitte warten Sie, alle unsere Serviceplätze sind gerade belegt. Wir verbinden Sie sobald jemand frei wird“ hört, man es mit einer Bandansage zu tun hat. Aber Pustekuchen. Ich selbst bin der lebende Beweis, dass man bei echten Menschen landet. Nicht, dass es nicht möglich wäre, eine Bandansage laufen zu lassen. Aber die Kosten für einen Billigjobber sind einfach günstiger, als die Kosten für das Band, die Aufnahme, die Technik und vor allem die Sicherheit. Sie denken jetzt sicher, dass ich übertreibe, aber überlegen Sie mal was passiert, wenn ein Hacker oder so was Ihre Ansage verändert und sobald jemand anruft die Kunden nur noch hören: „Bitte warten, alle unsere Servicekräfte befinden sich gerade in einen Kundengefecht. Wir verbinden Sie sobald jemand high wird.“ Der Unterschied ist so minimal, dass es sicher erst nach Tagen auffallen würde. Aber die Kunden wären empört.

Auch meine Firma hatte früher mal eine automatische Ansage. Aber die Kundenzufriedenheit war weit hinter den Erwartungen geblieben. Und über 90 Prozent der Kunden beschwerten sich über die lange Warterei in der immer gleichen Warteschleife.

Da eine Firma wie die meine, die Technik zum doppelten Einkaufspreis plus Porto weiterverschachert, auf zufriedene Kunden angewiesen ist und diese kaum mit Preis, Leistung oder gar Qualität erreichen kann, setzten sie also mich ein. Als Warteschleife.

Ich war sozusagen vorgeschaltet vor die eigentlichen Servicekräfte. Oder genauer gesagt, vor die eigentliche Servicekraft. Und wenn diese auch mal auf Toilette musste, gerade einen anderen Kunden verarschte oder im Urlaub war, kam ich ins Spiel.

Eigentlich war mein Job ganz einfach. Man hatte mir zehn Standard-Warteschleifensprüche aufgeschrieben, die ich willkürlich hintereinander kombinieren sollte. Dazu lief im Hintergrund eine nette langweilige Wartemusik. Das interessante war, dass so ein Psychologe herausgefunden hatte, dass es einem Menschen in der Warteschleife erst dann langweilig wurde, wenn sie herausgefunden hatten, in welcher Reihenfolge welche Ansage sich wiederholte. Mein Job war es daher, keine Regelmäßigkeit erkennen zu lassen. Und ich war gut in meiner Arbeit.

Zuerst orientierte ich mich an der Zahl Pi. Jeder Anrufer bekam die Warteschleifenansagen in der Reihenfolge, dessen Nummer die nächste Ziffer hinter dem Komma hatte. So konnte ich mir sicher sein, keine Regelmäßigkeit zu erzeugen. Leider hatte ich die Rechnung ohne die Mathematiker gemacht. Nach etwa einem Monat war einem Mathematiker aufgefallen, dass sich die Ansagen genau nach dem Muster Pi fortsetzten. Zuerst bemerkte ich es selbst nicht, bis ein besonders tapferer Anrufer die ganze Nacht lang den Ansagen lauschte und dann auf eine Rückfrage irgendwo in seiner Nähe erklärte, dass er schon nach zwölf Jahren eine neue Stelle von Pi gefunden hätte, wenn er nur weiter in der Warteschleife bleiben würde. Ich bekam so einen Schreck, dass ich ihn gleich zu unserer Servicekraft durchstellte.

Da wurde mir klar, dass mein System bei weitem nicht so perfekt war, wie ich gedacht hatte. Ich spielte Hunderte von Möglichkeiten in meinem Kopf durch, aber mir wurde klar, dass es, egal welches System ich verwendete, immer eine Gefahr der Regelmäßigkeit gab. Da kam mir die erlösende Idee. Ich musste einfach die Anzahl der Ansagen verändern. Und um mich nicht allzu oft zu wiederholen, improvisierte ich einfach. Und auch darin war ich gut. Manche Ansager bekamen von mir ein komplettes Horoskop. Mit allen einhundertzweiundvierzig Sternkonstellationen der Maomao. Andere bekamen Tipps für Lottozahlen, einmal hatte deswegen sogar Einer drei richtige. Und wieder Anderen las ich aus irgendwelchen Büchern vor, die ich eh gerade lesen wollte. Im Hintergrund ließ ich dazu passende Musik laufen. Nach nur einem Monat war ich deshalb an 3 Ehen, einer Revolution und 283 Schulverweisen schuld. Und immer mehr Menschen riefen bei uns an. Das einzige Problem war, dass sie immer unfreundlicher wurden, wenn sie dann zu unseren Spezialisten durchgestellt wurden. Sie verlangten unmittelbar in die Warteschleife zurückverlegt zu werden. Da sie sonst dort etwas spannendes verpassen könnten.

Leider war ich sogar zu gut in meinem Job. Meine Firma ging Pleite, weil niemand mehr mit der Bestellhotline telefonieren wollte, da meine Warteschleife viel spannender war. Und damit musste ich auch mein Programm beenden.

Was jetzt aus mir geworden ist? Keine Sorge, ich arbeite schon wieder in der Branche. Nein, ich habe mich nicht mit der Warteschleife selbstständig gemacht. Zumindest noch nicht. Denn erst einmal muss ich dazu die Investitionskosten zusammen kriegen. Denn leider will keine Bank einen Kredit für einen Warteschleifenanbieter rausrücken.

Und bis ich das Geld dafür zusammen habe, arbeite ich einfach wieder in einer großen Firma als lebendige Warteschleife. Wenn Sie das nächste mal in einer Warteschleife landen, fragen Sie doch einfach mal laut und deutlich, ob Sie ein bisschen mehr bekommen können. Wenn ich gut drauf bin, bekommen Sie vielleicht schon eine Kostprobe meines Könnens, welches Sie später nur auf einer kostenpflichtigen Nummer erleben dürfen.

Jean Trauerweide


Der Autor hat eine Menge Kurzgeschichten und mehrere Bücher verfasst. Das meiste davon sind Originalausgaben, die bislang nur einem exklusiven Kreis von Freund*innen zugänglich sind. Im grünen blatt dürfen wir die eine oder andere der aus dem Politleben des Schreibers gegriffenen und oft witzig überzogenen Geschichten abdrucken, von denen Jean Trauerweide in einer Inhaltsangabe sagt: "Manche dieser Geschichten sind politisch korrekt. Oder überhaupt politisch. Dies ist keine ernsthafte Literatur." Und: "Sämtliche Rechtschreibfehler stammen aus Freilandhaltung und sind antiautoritär erzogen worden."