2016-01:Erschleichung von Beförderungsdienstleistungen

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Erschleichungen von Beförderungsdienstleistungen

Ich hatte schon viele Jobs in meinem Leben. So war ich Spinateisverkäufer, kam damit aber auf keinen grünen Zweig, habe Hoffnungslose verkauft, was aber auch kein noch so Hoffnungsloser kaufte und zu guter Letzt auch noch versucht, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, aber irgendwie wollte auch dafür niemand zahlen, obwohl meine Marktforschungsexperten herausgefunden hatten, dass millionenfach im Internet danach gesucht wurde und es kein Konkurrenzunternehmen gab.

Weil ich nach all den Versuchen aber ziemlich pleite war, habe ich meine Tätigkeit in einen anderen Sektor verlegt. Ich war also morgens in einem Zug und fragte wie immer die Gäste: „Darf ich Ihre Fahrkarte sehen?“ und die Menschen zeigten sie mir. Es war richtig langweilig. Als ich allerdings in die erste Klasse kam, war da ein Mann, der gleich abwinkte. „Ich bin schon lange im Zug, die wurde schon kontrolliert.“ „Aber ich habe hier noch gar nicht kontrolliert.“ sagte ich. „Na gut, dann hier bitte.“, er reichte mir eine Fahrkarte für die erste Klasse und ich sah sie mir an. „Die ist aber von gestern,“ sagte ich dann „heute gilt die nicht mehr.“

„Würde ich wirklich erste Klasse fahren, wenn ich kein Ticket habe?“ fragte er provokant. „Da das Fahren ohne Fahrschein in der ersten Klasse genau so viel kostet wie das Fahren ohne Fahrschein in der zweiten Klasse, warum nicht?“ gab ich zurück. „Und wenn ich zugeben würde, dass ich keinen Fahrschein habe? Und beweise, dass ich es schon beim Einsteigen kundgetan habe? Dann wäre es ja gar keine Erschleichung von Beförderungsleistungen.“ versuchte er es erneut. „Das müssen in Ernstfall die Gerichte entscheiden.“ erklärte ich ihm. „Das erhöhte Beförderungsentgeld wird nach den Regeln des Verkehrsverbundes trotzdem fällig.“

„Aber der Automat hat nicht funktioniert.“ behauptete der Mann nun. „Sie sind im letzten Bahnhof, dem Hauptbahnhof zugestiegen. Da gibt es zig Automaten und auch einen Schalter. Sie hätten sich auf jeden Fall ein Ticket kaufen können. Wie alle anderen, die ich bisher gefragt habe auch.“ „Na dann ist ja gut.“ sagte er plötzlich. „Gut gemacht, Sie haben meine Fragen zu vollster Zufriedenheit beantwortet. Sie dürfen weitergehen.“ „Netter Versuch,“ sagte ich „aber ich würde jetzt gerne Ihr Ticket sehen, oder das erhöhte Beförderungsentgeld kassieren, oder Ihre Personalien haben. Und wenn Sie nicht kooperieren könnte ich die Polizei rufen.“

„Dazu müssen Sie mich erst bekommen“, rief er plötzlich, sprang auf und rannte los. Ich sah, wie er sich hinter der nächsten Ecke versteckte. Statt darauf zu reagieren, wartete ich an seinem Platz und setzte mich gemütlich hin. Nach etwa zwei Minuten kam er wieder zurück und setzte sich neben mich. „Warum haben Sie mich nicht verfolgt?“, fragte er. „Weil Ihre Tasche noch hier ist“, sagte ich selbstbewusst, „und die ist mehr Wert als das erhöhte Beförderungsentgeld. Dabei hab ich noch nicht mal rein geschaut.“ „Sie kennen jeden Trick, oder?“ fragte er nun neugierig weiter. „Ich glaube schon“, antwortete ich, „zumindest jeden den Sie bisher versucht haben.“ „Sehe ich denn so aus, als ob ich keine Fahrkarte hätte?“, fragte er weiter. Ich musterte ihn in seinem Maßanzug kurz: „Nein, aber man kann ja nie wissen. Vielleicht haben Sie es ja einfach vergessen.“

„Stimmt,", gab der Mann zu, "aber ich habe ein Ticket. Ich wollte es nur mal ausprobieren,“, erklärte er, „Obwohl, was ist, wenn ich Sie besteche?“. Er sah mich mit einem Grinsen an: „Ich gebe Ihnen einfach einen Teil des erhöhten Beförderungsentgeldes und dafür verlange ich keine Quittung.“ „Das wäre mal neu, aber in diesem Verkehrsverbund gibt es eine Fangprämie und wenn ein Kontrolleur einen Passagier ohne gültige Fahrkarte erwischt, bekommt er auch einen Teil des erhöhten Beförderungsentgeldes. Auch wenn eine Quittung ausgestellt wird.“ „Aber wenn es ein größerer Teil wäre?“ fragte er schelmisch weiter. „Das würden Sie eh nicht machen“ antwortet ich überzeugt. Er schaute mich einen Moment lang an, zog dann einen Schein aus der Tasche und zeigte ihn mir: „Und was ist das dann?“ Ich dachte nach und sagte dann: „Das kann Ärger bedeuten, wenn ich erwischt werde.“

„Ja,“ sagte er „aber für mich ja auch. Daher werde ich Sie laut Spieltheorie nicht verraten. Und Sie mich auch nicht. Und sonst erfährt es ja niemand. Hier, fühlen Sie mal.“

Er gab mir den Schein und ich fühlte ihn. Und er fühlte sich gut an. Da bremste der Zug plötzlich, und wir fuhren in einen Bahnhof ein. „Einen Moment bitte,“ sagte ich dem Mann „ich muss ja auch noch anderes tun und eben kurz aussteigen.“ Ich öffnete die Tür, stieg aus und sah ein paar Menschen ein- und aussteigen. Deutlich weiter vorne stand auch ein Schaffner. Bis zur Hälfte des Zuges hatte er sich schon durchgearbeitet. Weiter als meistens. Er Pfiff mit seiner Pfeife, als alle ein- und ausgestiegen waren, und der Zug fuhr wieder ab. Glücklich steckte ich den Schein in mein Portemonnaie und verließ den Bahnhof. Vielleicht sollte ich wirklich mal Schaffner werden. Es scheint ein interessanter Beruf zu sein. Für heute war ich aber einfach froh, wieder mal einfach Geld verdient zu haben, ohne auch nur einmal lügen zu müssen.

Jean Trauerweide


Der Autor hat eine Menge Kurzgeschichten und mehrere Bücher verfasst. Das meiste davon sind Originalausgaben, die bislang nur einem exklusiven Kreis von Freund*innen zugänglich sind. Im grünen blatt dürfen wir die eine oder andere der aus dem Politleben des Schreibers gegriffenen und oft witzig überzogenen Geschichten abdrucken, von denen Jean Trauerweide in einer Inhaltsangabe sagt: "Manche dieser Geschichten sind politisch korrekt. Oder überhaupt politisch. Dies ist keine ernsthafte Literatur." Und: "Sämtliche Rechtschreibfehler stammen aus Freilandhaltung und sind antiautoritär erzogen worden."