2016-02:Kirchenprivilegien

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Trotz blutiger Geschichte und anti-emanzipatorischer Gegenwart

Kirchenprivilegien

jb Kritiker_innen der Kirche oder von religiösen Orientierungen landen, zumindest hierzulande, nicht mehr auf dem Scheiterhaufen. Einzelne Kirchenvertreter_innen räumen sogar offen ein, dass die Kirche viele Sachen gemacht hat, die nicht akzeptabel waren. Doch der Staat steht weiterhin treu an der Seite der offiziellen Kirchen und verschafft ihnen immer noch etliche Vorteile. Solche Privilegien sind schon als solches zweifelhaft. Dass aber ausgerechnet eine Organisation, die viel Anlass hätte, selbst umfangreiche Wiedergutmachungen zu leisten oder lieber schuldbewusst aus der Geschichte abzudanken, so bevorteilt wird, bildet eine Ungerechtigkeit, die Millionen Opfer verhöhnt und zugleich mitverhindert, dass eine ehrliche Aufarbeitung erfolgt. Ein besonderer Ausdruck dieser Bevorzugung bei gleichzeitiger Verweigerung kritischer Vergangenheitsbewältigung ist, dass das Konkordat von 1933, also die Klärung von Interessensphären zwischen katholischer Kirche und Nationalsozialismus, der einzige noch bestehende internationale Vertrag der Nazi-Regierung ist.

Wikipedia listet die weiteren Kirchenprivilegien in einem namensgleichen Eintrag auf:

  • Garantierte Korporationsrechte: Mit dem Körperschaftsstatus einer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft sind bestimmte, von Verfassungs wegen garantierte Korporationsrechte verbunden.
  • Besteuerungsrecht: Durch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Weimarer Reichsverfassung wird Vereinigungen mit Körperschaftsstatus garantiert, vom zuständigen Land das Besteuerungsrecht verliehen zu bekommen. Das Land hat die Pflicht die Erhebung gesetzlich zu regeln, sich an dem Vollzug einschließlich des Verwaltungszwanges zu beteiligen und insgesamt die Möglichkeit geordneter Verwaltung der Kirchensteuer sicherzustellen.
  • Religionsunterricht: Nach Art. 7 Abs. 3 GG ist der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach. Er ist grundsätzlich Pflichtfach für die Angehörigen der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Die Inhalte des Religionsunterrichts sind unbeschadet der staatlichen Schulaufsicht in Kooperation mit den Religionsgemeinschaften und „in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen“ festzulegen. Religionsgemeinschaften haben, unabhängig vom Körperschaftsstatus, gegenüber dem jeweiligen Land unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Einrichtung eines Religionsunterrichts ihres Bekenntnisses.
  • Dienstherrenfähigkeit: Die Dienstherrenfähigkeit ermöglicht es Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus, Dienstverhältnisse öffentlich-rechtlicher Natur zu begründen, die nicht dem Arbeits- und Sozialversicherungsrecht unterliegen. Mit der Dienstherrenfähigkeit einher geht die Befugnis, einseitige Disziplinarmaßnahmen mit öffentlich-rechtlicher Wirkung zu verhängen. Weiter gelten nach § 9 AAG die Regelungen des Antidiskriminierungsgesetzes in vielen Kirchlichen Betrieben nur eingeschränkt.
  • Organisationsgewalt: Die Organisationsgewalt stellt eine Kompetenz zur Bildung, Errichtung, Einrichtung, Änderung und Aufhebung öffentlich-rechtlicher Untergliederungen und Organe dar.
  • Rechtssetzungsgewalt: Die Rechtssetzungsgewalt ist die Befugnis zur öffentlich-rechtlichen Regelung der Beziehungen zu den Mitgliedern. Sie beinhaltet die Kompetenz, über die normative Strukturierung des religionsgesellschaftlichen Binnenbereichs (Kirchenrecht) hinaus die einzelnen Korporationsrechte (insbesondere die Dienstherrenfähigkeit und das Recht auf Steuereinzug) dem jeweiligen religiösen Selbstverständnis entsprechend normativ mit öffentlich-rechtlicher Wirkung autonom auszugestalten.
  • Parochialrecht: Das Parochialrecht umfasst das Recht, alle Angehörigen der jeweiligen Konfession in einem Gebiet ipso iure als Mitglieder in Anspruch zu nehmen. Die Zugehörigkeit eines Mitgliedes zu einer Gemeinde wird im Parochialsystem allein durch Wohnsitznahme begründet.
  • Öffentliche Sachenrecht: Das Öffentliche Sachenrecht spricht die Befugnis zu, Vermögensgegenstände zu öffentlichen Sachen widmen zu können. Die derart gewidmeten Sachen sind mit einer öffentlich-rechtlichen Dienstbarkeit belastet, so dass sie nur im Dienste des bestimmten Zwecks benutzt werden dürfen. Der bezweckte Gebrauch erfährt somit eine besondere Absicherung gegenüber jedermann.
  • Insolvenzunfähigkeit: Auch die Insolvenzunfähigkeit öffentlich-rechtlicher Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts unmittelbar dem Grundgesetz zu entnehmen.
  • Einfach-gesetzliche Vergünstigungen: Den öffentlich-rechtlichen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus können darüber hinaus durch Gesetz weitere Vorteile eingeräumt werden, wovon in der Praxis in großzügiger Weise Gebrauch gemacht wurde. Diese Rechte können im Wesentlichen den folgenden Gruppen zugeordnet werden: Steuer- und gebührenrechtliche Ausnahmetatbestände, Sonderregelungen im Arbeits- und Sozialrecht für Mitarbeiter der Religionsgemeinschaften, Freistellung von staatlicher Kontrolle, z.B. bei Immobilienerwerb und Handel mit Kunstgegenständen, besonderer Schutz des Eigentums der Religionsgemeinschaften, Schutz durch das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, datenschutzrechtliche Begünstigungen, Berufung in Rundfunkräte und Einräumung von Drittsenderechten und besondere Gestattungen (z.B. Betrieb von Friedhöfen, Beurkundungen).
  • Zivilrecht: In § 4 Nr. 2 Grundstücksverkehrsgesetz werden die öffentlich-rechtlichen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften von einer sonst erforderlichen Genehmigung bei der Veräußerung bestimmter Grundstücke freigestellt. Auch im Stiftungsrecht gibt es besondere Regelungen (vgl. etwa §§ 22 ff. des Stiftungsgesetzes für Baden-Württemberg).
  • Strafrecht: Das Strafrecht schützt etwa in § 132a Abs. 3 StGB die „Amtsbezeichnungen, Titel, Würden, Amtskleidungen und Amtsabzeichen der Kirchen und anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts“.
  • Öffentliches Recht: Die Zivilprozessordnung gewährt Vollstreckungsschutz nach Maßgabe des § 882a Abs. 3, das Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes in § 17 und die Landesvollstreckungsgesetze in ähnlichen Regelungen. Häufig ist in den Kostenordnungen auch Gebührenfreiheit für bestimmte Verfahren angeordnet. Rücksicht auf die besonderen Belange nimmt das Baugesetzbuch in § 1 Abs. 6 Nr. 6 und das Denkmalschutzrecht. Nicht unumstritten ist die Beurkundungsbefugnis der öffentlich-rechtlichen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.

Die „Sonderrechte der Amtskirchen“ wurden auf DeutschlandradioKultur am 4.5.2015 wie folgt thematisiert: „Der staatliche Steuereinzug wurde in einem Konkordat von 1933 zwischen der Hitlerregierung und dem Heiligen Stuhl geregelt. Es ist der einzige internationale Vertrag der Nazi-Regierung, der nicht aufgehoben wurde. Dann hatte ein konfessionsloser Arbeitgeber mal dagegen geklagt, dass er für die Kirche diese Lohnabzüge beibringen muss, und das ging sehr schnell bis zum Verfassungsgericht. Und da wurde gesagt: Diese Pflicht hast du nicht gegenüber den Kirchen, sondern gegenüber dem Fiskus, und deshalb kannst du dich da nicht entziehen.“ Eine derart enge Verbindung von Staat und Kirche ist in der deutschen Verfassung eigentlich nicht vorgesehen. Im Grundgesetz stehen mehrere Artikel zu Religion und Religionsgesellschaften, die aus der Weimarer Verfassung übernommen wurden - und die atmen einen ganz anderen Geist: Kirche und Staat sind demnach unabhängig voneinander. Die Bürger dürfen ihren Glauben leben. Oder nicht glauben. In Artikel 136, Absatz 3 heißt es zum Beispiel: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren.“ Erst Gesetzgebung und Rechtsprechung in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit haben die wechselseitige Durchdringung von Staat und Amtskirchen vorangetrieben - auch zu Lasten Konfessionsfreier und Andersgläubiger.“