2019-01:Der Mythos des legitimen SUV-Kaufs im Kontext der Automobilrepublik Deutschland

Aus grünes blatt
Version vom 4. Mai 2019, 13:22 Uhr von WikiSysop (Diskussion | Beiträge) (Die Seite wurde neu angelegt: „{{AutorIn_fehlt}} == Der Mythos des legitimen SUV-Kaufs im Kontext der Automobilrepublik Deutschland == Es wurde viel und vergleichsweise öffentlichkeitswirks…“)
(Unterschied) →Nächstältere Version | Aktuelle Version ansehen (Unterschied) | Nächstjüngere Version← (Unterschied)
Zur Navigation springenZur Suche springen
The printable version is no longer supported and may have rendering errors. Please update your browser bookmarks and please use the default browser print function instead.


Deinem Artikel fehlt die Angabe der AutorIn oder der Quelle, aus der er übernommen wurde. Diese Angabe ist einerseits der Nachvollziehbarkeit wegen sinnvoll und andererseits presserechtlich notwendig, da es sich um keinen "redaktionellen Beitrag" handelt, der vom "V.i.S.d.P." (VerantwortlichEr im Sinne des Pressegesetzes) verantwortet wird.

Bitte ergänze diese Information. Auch die Angabe von Pseudonymen und Kürzeln ist möglich.

Nach Ergänzung dieser Angaben kannst du diesen Kasten aus dem Artikel entfernen.


Der Mythos des legitimen SUV-Kaufs im Kontext der Automobilrepublik Deutschland

Es wurde viel und vergleichsweise öffentlichkeitswirksam dazu geforscht, was Menschen dazu bringt, massenhaft zu Mittätern in totalitären Systemen zu werden. Zahlreiche Individuen und Gruppen aus den Bereichen der Soziologie, Psychologie und politischen Theorie versuchen seit Jahrzehnten, dieser Frage aus verschiedenen Perspektiven auf den Grund zu gehen.

Einem neueren, aber verwandten Phänomen wurde bisher weniger wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteil, nämlich der Frage, was (ebenso: massenhaft) Menschen dazu bringt, sich einen SUV anzuschaffen. Es sollen hier nicht Argumente abgehandelt werden, weshalb der Kauf eines SUVs in diesen Zeiten ein Problem darstellt, denn ich bin mir sicher, dass jegliche inhaltliche Debatte irrelevant ist bzw. nicht den Rahmen bildet, innerhalb dessen dieses Thema verhandelt wird. So es überhaupt verhandelt wird.

Das zunächst markt- und nun neoliberale Fundament der Industrieländer, speziell der deutschen Automobilgesellschaft, versieht diejenigen, die der Meinung sind, an der Welt vorbeileben zu können, ohnehin mit einer Art Immunität gegenüber Argumenten, indem es die moralische Verantwortung in die Kaufentscheidung explizit nicht integriert:

Mit meinem Geld kann ich machen, was ich will. Zum Beispiel Warlords unterstützen, Menschen ihre Wohnung nehmen oder eben zu Zeiten der sogenannten Verkehrswende ein Auto kaufen, das unter anderem so angelegt ist, dass es Menschen, die in seine Bahn geraten, eine möglichst geringe Überlebenschance lässt. Das kann ich machen und nenne es Freiheit, weil alles andere Ökodiktatur bedeuten würde. Und da wir ja gerade in Deutschland eine moralische Pflicht des nie wieder haben...

Es kommt in dieser Debatte zu argumentativen Wirrnissen und Verdrehungen, denen keine Definition von Revisionismus gerecht werden kann. Daher breche ich diesen inhaltlichen Teil, zu dem ich nun doch angesetzt habe, unverzüglich wieder ab, um mich der Eingangsfrage zuzuwenden.

Was also führt dazu, dass der Marktanteil der SUVs unter den Neuzulassungen in Deutschland seit Jahren die größte Wachstumsrate vorzuweisen hat; eine Entwicklung, die auch insofern zum Kotzen ist, als sie jegliche Klimapolitik lähmt – denn welche Gesellschaft, oder hier: welches Volk soll klimapolitische Forderungen stellen, während es gleichzeitig für jene Wachstumsraten sorgt?

"Mit einer (mal wieder) gewaltigen Steigerungsrate übernehmen die SUV und Geländewagen die Marktführerschaft in Deutschland. Um 42 Prozent stiegen die Neuzulassungen bei den SUV gegenüber dem Vorjahres-Monat, insgesamt 94.353 Offroader bekamen im Juni 2018 erstmals eine Zulassung. Damit weisen sie auch die bislang führende Kompaktklasse (72.515 Neuzulassungen. 21,2 Prozent Marktanteil) in die Schranken. Mit einem Marktanteil von 27,6 Prozent der insgesamt 341.308 Neuzulassungen im Juni stammt demnach inzwischen mehr als jeder vierte Neuwagen aus dem SUV-Lager." (auto motor sport, 12.07.2018)

Nun, das Hauptproblem – und dies zu benennen halte ich für immens wichtig – besteht selbstverständlich darin, dass diese Autos überhaupt produziert werden. Gleichzeitig ist dieser Schritt derjenige, der den irrationalen Präzedenzfall bildet, denn was massenweise produziert wird, muss ja legitim sein, sonst würde es nicht massenweise produziert.

Das Angebot lebensfeindlicher Produkte ist immer moralisch verwerflicher als deren Erwerb, wobei ich sicherlich nicht dafür eintreten würde, lebensfeindliche Produkte zu verbieten. Wie in den meisten Fällen lohnt es sich auch hier, zu differenzieren. Selbst der Tabakindustrie, die mit einem ähnlichen Grad an Schad- und Boshaftigkeit aufwarten kann, würde ich nicht so viel Lebensfeindlichkeit zuschreiben wie der Automobilindustrie, denn Zigaretten kann ich eher ausweichen als diesen riesigen Festungen auf Rädern.

Erkennen wir allerdings an, dass wir nun einmal im entfesselten Turbokapitalismus leben (und das sollten wir, denke ich), so können wir natürlich nicht erwarten, dass an irgendeiner Stelle der Produktionskette jemandem der Gedanke kommt, dass extrem umweltschädliche Autos per se allem zuwiderlaufen, was gerade geboten ist. Denn unser Wirtschaftssystem, möge man es nennen, wie man will, ist eines der Profitlogik und man muss nicht Naomi Klein lesen, um zu verstehen, dass die Welt durch diese Folie betrachtet eine völlig andere Art von Rationalität erhält. All dies ist außerdem standortpolitisch in Stein gemeißelt in der Autobahnrepublik Deutschland, wo die Automobilindustrie etwa 13% des BIP ausmacht (wobei man gerne diverse % des BIP für die Kosten der von ihr angerichteten Schäden abziehen darf).

Die Rolle der Vermarktung sollte ebenfalls nicht unerwähnt bleiben in ihrer über 100-jährigen Tradition, Sozialdarwinismus in Automobilform zu verbreiten, doch sie bedarf einer eigenen, über diesen Text hinausgehenden Analyse.

Somit wären wir also bei der Kaufentscheidung: Was nun veranlasst Menschen, unter einer Riesenauswahl an Autos, die verschiedene Vor- und Nachteile haben, ausgerechnet eines derjenigen auszuwählen, die sowohl einen hohen Verbrauch als auch einen hohen Preis haben und in keinen normalen Parkplatz geschweige denn durch kleinere Straßen passen? Von den enormen Summen für Instandhaltung und Versicherung und der viel höheren Umweltbelastung ganz zu schweigen?

Schnell wird offensichtlich, dass rationale Erklärungsmuster hier nicht gefragt sind. Die Antworten derjenigen, die sich für einen solchen irrationalen Erwerb entscheiden, können hingegen hilfreich sein, allerdings erst auf einem genügend hohen Abstraktionslevel.

"Die Welt ist voller Möglichkeiten – und die BMW X Modelle bieten Ihnen die Gelegenheit, sie zu erkunden. Mit der übersichtlichen Sitzposition, dem intelligenten BMW Allradantrieb xDrive und den sparsamen Motoren finden Sie in einem BMW X Ihr Fahrzeug für jeden Moment in Ihrem Leben." (BMW Website, Mai 2019)

Wieso also kaufen Leute diesen Schrott? Die Lieblingsantwort lautet Sicherheit, am liebsten gekoppelt an eine (deutsche) Vorzeigekleinfamilie, die das Riesenauto also beschützen soll. Die Begründung taugt natürlich nichts, da der durch den SUV geschützten Personengruppe die nun gewachsene Gefährdung der kompletten restlichen Menschheit entgegen steht. Dennoch verstehen SUV-Fahrer_innen offenbar, dass sie sich zu rechtfertigen haben, wenn sie so ein Auto anschaffen. Immerhin, könnte man sagen; doch die hinterhältige Anbiederung an das favorisierte Bedürfnis der deutschen Kleinbürgerlichkeit (Sicherheit! Sicherheit! Sicherheit!) lässt schnell erahnen, dass es hier um Taktik geht und um sonst nichts. Die besteht darin, den Vorwurf von sich wegzuhalten durch die Betonung eines vermeintlich menschlichen (eigentlich: deutschen) Grundbedürfnisses, das alle verstehen können.

Was noch? SUVs bieten mehr Platz, die hohe Sitzposition birgt gesundheitliche Vorteile und ist bequemer für ältere Menschen. Auch diese Begründungen taugen nichts, da sich mit ihr unter entsprechenden Umständen so gut wie alles, zum Beispiel auch Massenerschießungen an Europas Grenzen legitimieren ließen, solange man das eigene Gefährdungspotenzial einfach ausblendet. Und mehr Platz boten bisher Kombis und Minivans. Die Erklärung, weshalb das plötzlich nicht mehr ausreichen sollte, bleiben die SUV-Apologeten schuldig. Doch auch hier ist klar zu sehen, worum es eigentlich geht: Wieder werden Dinge genannt, die einen breiten gesellschaftlichen Konsens geradezu einfordern und ausgerechnet an moralische Binsenweisheiten anknüpfen à la „Kümmere dich um deine Gesundheit“ und „Sei nett zu alten Menschen“. Solcherlei Begründerei soll außerdem dazu führen, dass, wer SUVs kritisiert, etwas kritisiert, was gesundheitliche Vorteile birgt und bequemer für ältere Menschen ist – ein cleverer rhetorischer Kniff, gleichbedeutend mit der Denunziation von Kritik als menschen- oder fortschrittsfeindlich, die innerhalb reaktionärer Kreise eine lange Tradition hat.

Einer der witzigeren Gründe ist der Auftritt des SUVs als Geländewagen. Allradantrieb und überhaupt. Braucht man nur eben in der Stadt (und wenn wir ehrlich sind, in Deutschland) ungefähr so sehr wie man, um ein Papier zu zerschneiden, einen Laserstrahlschneider statt einer Schere einsetzen würde.

Manche geben aber auch an, einen SUV anzuschaffen, weil mit den wachsenden Zahlen von SUVs auf den Straßen ebendiese gefährlicher werden für all diejenigen, die keine Riesenkarre fahren. Diese Menschen haben verstanden, dass das Problem ein strukturelles ist und lösen es auf individueller Ebene, wodurch sie es gleichzeitig auf der strukturellen Ebene größer machen und damit weitere Menschen dazu anregen, es individuell zu lösen. Zu solch lustigen Teufelskreisen infolge von Logikfehlern ist die SUV-Debatte jederzeit und gerne bereit; man könnte wirklich lachen, wenn es auch nur im Geringsten lustig wäre.

Anschließend daran entwickelt sich tatsächlich, je mehr SUVs unterwegs sind, eine wirre Form von Gruppenzwang aus Angst, wodurch das ganze zum Selbstläufer zu werden droht. Und je weiter wir auf dieser linearen Todesrennbahn fortschreiten, desto mehr wird es zu Forderungen kommen, dass der Rest der Welt sich den SUVs anzupassen habe, anstatt wie zuvor dann doch im gesunden Menschenverstand festgeschrieben: Die SUVs sich der Welt. So geschehen bereits mehrmals durch den Autolobbyclub ADAC, der in vorauseilendem Gehorsam beispielsweise zur manuellen Verbreiterung von Straßen aufrief, damit SUVs keine Platzprobleme haben. Fehlendes Problembewusstsein kann man diesen Leuten also immerhin nicht vorwerfen, doch hier zeigt sich, dass nicht nur im ideologischen Bereich mehr und mehr sagbar wird, was eigentlich unsagbar sein muss.

"'Wir müssen uns Gedanken machen über unsere Parkplätze und Straßen', sagt der Leiter des CAR-Instituts Ferdinand Dudenhöffer. Er hält zwei Lösungen für denkbar: Entweder die automatische Einparkfunktion setzt sich schneller durch, so dass der Fahrer aussteigen und das Auto selbstständig auch in engste Lücken fahren kann. Oder die Parkhausbetreiber müssen über Parkplätze in verschiedenen Breiten nachdenken. 'Wer mehr Platz braucht, muss dann aber auch mehr zahlen', sagt der Experte. Ein Vorschlag, der bei SUV-Besitzern nicht gut ankommen dürfte." (WELT, 19.04.2018)

Es gibt natürlich auch eine Gruppe von Menschen, die das ganze als Status-Symbol wahrnehmen und bewusst affirmieren. Da diese allerdings weder von Natur noch Kultur aus auch nur einen Deut Problembewusstsein verinnerlicht haben werden, denke ich, dass es zumindest nicht pragmatisch ist, ihre Motive zu analysieren.

Über Massenproduktion, irrwitziges Marketing und eine dahinterstehende Einheitsfront von Autolobby und deutscher Politik hinaus ist also zu sehen, dass das ideologische Gebilde des Sicherheitsfanatismus stets fruchtet: Bietet ein Produkt Sicherheit (was auch immer das heißt), ist alles andere egal, vor allem moralische Erwägungen; das kennen wir bereits unter Anderem aus der Sparte Überwachung.

Es geht aber auch ums Mitmachen, ums kollektive Verwirklichen der selbsterfüllenden Prophezeihung: der SUV hat, wenn alle daran mitarbeiten, durchaus die Chance, zum Volksauto zu werden; nicht umsonst liegt der lupenreine Volkswagen-Konzern weit vorne in den Rankings.

Wir haben außerdem gesehen, dass das Anbieten von SUVs vor allem mit dem deutsch-bürgerlichen Zeitgeist korrespondiert, wobei das Riesenauto sicherlich auch alle möglichen Defizite in der Persönlichkeitsstruktur auszugleichen hat. In einer Welt, in der Menschen zunehmend zur Entmenschlichung und Selbstausbeutung gedrängt oder auch nur genudgt werden, ist es nur folgerichtig, dass die Autos, die solcherlei kompensieren sollen, größer, stärker und breiter werden. Immerzu.

Dass dieser Aspekt der Autoindustrie mehr als bewusst ist, zeigt sich in der Wahl des Namens der SUV-Reihe der Firma BMW, die mit dem X1 begann und mittlerweile beim X7 angelangt ist, wobei eine höhere Zahl höhere Werte in Bezug auf Größe, Verbrauch, Preis und Umweltschädlichkeit bedeutet. BMW hätte auch bei X9 beginnen und abwärts zählen können. Sie konnten aber natürlich darauf zählen, dass im Kapitalismus beim Wachstum immer Luft nach oben ist. Und zwar unendlich viel.