2020-01:Corona-Virus und Indigene in Nordamerika

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>> In den USA haben sich (zum aktuellen Zeitpunkt) mindestens 4.661 Menschen mit >> dem Virus infiziert, wobei sich eine besondere Konzentration mit über 1.000 >> Infizierten allein im Südwesten der USA zeigt. Der Südwesten ist der Lebensraum >> zahlreicher indigener Völker, u.a. Dineh, Hopi, Havasupai, Apache, Pueblo. Die >> berühmten Wasserfälle Havasu Falls mussten bereits geschlossen werden, um eine >> Gefahr der rund 200 Indigenen in Supai durch infizierte Touristen zu reduzieren. >> Eine Gesundheitsversorgung in dem Dorf inmitten des Grand Canyon ist nicht >> möglich. >> >> Auch für die größte Reservation der Navajo Nation mit 150.000 Dineh ist die >> hygienische und medizinische Versorgung äußerst problematisch. Nur den wenigsten >> Touristen, die sich an den Sehenswürdigkeiten wie Monument Valley oder Grand >> Canyon ergötzen, dürfte bekannt sein, dass nur 40% der Häuser über fließend >> Wasser verfügen. Für die ganze Region gibt es nur elf ambulante >> „Gesundheitszentren“, von denen nur wenige über einen 24-Stunden-Service >> verfügen und die meisten abends und an den Wochenenden geschlossen sind, sowie >> eine Klinik, das Fort Defiance Indian Hospital. Die Navajo Nation verkündete >> präventiv den Notstand im Reservat. Da nicht alle Dineh Englisch sprechen, gibt >> es inzwischen eine eigene Übersetzung in ihre Sprache – COVID-19 heißt nun >> „Dikos Ntsaaígíí-19“ (www.ndoh.navajo-nsn.gov) *.* >> >> Auch in den Bundesstaaten North und South Dakota entspricht die medizinische >> Versorgung keineswegs den notwendigen Standards. Nachdem ein Mitarbeiter des >> /Indian Health Service (IHS)/, des indianischen Gesundheitsdiensts, auf der >> Yankton Sioux Tribe Reservation in South Dakota vergangene Woche positiv auf >> COVID-19 getestet wurde, beschloss die Schulbehörde die Schließung der Marty >> Indian School. Am Freitag, den 13.03., verkündete die Stammesregierung eine >> „Declaration of Disaster“, d.h. den Katastrophenzustand für das Reservat. >> Sämtliche Einrichtungen und Büros wurden geschlossen und es wurde ein >> Reiseverbot verhängt. >> >> Für die Indigenen – ob im Südwesten oder in den Plains – ergibt sich eine >> besonders prekäre Situation, da die Familien auf engstem Raum zusammenleben, >> darunter natürlich auch die Alten, die vom Corona-Virus wesentlich stärker >> betroffen werden. 51% der Indigenen in South Dakota leben zudem unterhalb der >> Armutsgrenze (Desinfektionsmittel können sie sich nicht leisten) und viele >> Indigene misstrauen dem /Indian Health Service/, so dass sie keine Hilfe von >> staatlicher Seite in Anspruch nehmen, was einer Ausbreitung des Virus weiteren >> Vorschub leisten könnte. Misstrauen und Angst sind historisch begründet: Seit >> Beginn der Kolonialisierung wurden immer wieder Krankheiten und Seuchen gezielt >> gegen die indigene Bevölkerung eingesetzt. >> >> Am 10.03. erklärte bereits Oglala-Präsident Julian Bear Runner den Notstand, >> nachdem der Oglala Sioux Tribe bis dato vom IHS keinen einzigen Virentest zur >> Verfügung erhielt. >> >> An der Gesundheitsversorgung der Indigenen in den USA wurde schon immer gespart >> und dies kann nun angesichts der Corona-Pandemie verheerende Folgen nach sich >> ziehen, denn es fehlt an allem: Virentests, Medikamente, Bettenkapazitäten, >> medizinisches Personal etc. >> >> Auf Initiative von Senator Tom Udall (Demokrat aus New Mexico) haben 27 >> Senatoren ein sofortiges Hilfspaket für die indianische Gesundheitsversorgung in >> Höhe von $ 40 Millionen gefordert. Auch das US-Abgeordnetenhaus hat ein >> Notprogramm in Höhe von $ 64 Millionen für 2,5 Millionen Indigene in den >> Reservaten eingebracht, das noch auf die Zustimmung durch den Senat wartet. Der >> /National Council of Urban Indian Health/ drängt jedoch darauf, auch finanzielle >> und medizinische Hilfen für die Indigenen jenseits der Reservate zur Verfügung >> zu stellen, die meist ohne jede Gesundheitsversorgung in den Städten leben und >> inzwischen die Mehrheit der indigenen Bevölkerung bilden. Bei der letzten >> großen Grippe-Epidemie 2009 lag die Sterblichkeitsrate der Indigenen viermal >> höher als der US-Durchschnitt. >> >> Auch wirtschaftliche Auswirkungen der Pandemie haben „Indian Country“ erreicht: >> Inzwischen wurden mehrere indianische Casinos geschlossen, nachdem ein >> Mitarbeiter in Oregon sich mit dem Corona-Virus infiziert hatte. >> >> *Corona-Virus und Indigene in Kanada* >> >> Zur Stunde beläuft sich die Zahl der Infizierten in Kanada zwar „nur“ auf 477 >> Personen, aber dies kann sich wie in anderen Ländern auch rasant ändern. >> Premierminister Justin Trudeau, der sich seit einer Woche in selbstgewählter >> Quarantäne in seinem Haus in Rideau, Quebec, befindet, nachdem seine Frau Sophie >> positiv auf COVID-19 getestet wurde, erklärte am 17.03. die Schließung der >> kanadischen Grenzen für alle Nicht-Kanadier – mit Ausnahme der US-Amerikaner – >> und versprach, alle Maßnahmen zu ergreifen, um die Ausbreitung des Virus >> einzudämmen. >> >> Die Ministerpräsidenten von Alberta und British Columbia, wo sich die >> Infektionsfälle besonders häufen, kamen ihm bereits zuvor. In der Pazifikprovinz >> wurden offiziell 103 infizierte Personen und vier Todesfälle bestätigt. Auch >> hier wird mit Schließungen, Heimarbeit und „sozialer Distanz“ reagiert, um >> größere Menschenansammlungen und damit weitere Ansteckungen zu verhindern. >> >> Wie auch in den USA sind die indigenen Gemeinden in Kanada kaum gerüstet für die >> aktuelle Situation – gerade in British Columbia, wo viele indigene Völker in >> kleinen Reservaten mit völlig überbelegten Häusern ohne fließend Wasser leben, >> die weder über Ärzte noch über medizinische Einrichtungen verfügen und Patienten >> in weit entfernte Kliniken geflogen werden müssten. >> >> Völlig überfordert erklärte Marc Miller, Kanadas Minister für indigene >> Dienstleistungen, am 10.03., die Regierung sei sich der besonderen Bedrohung der >> Indigenen bewusst und arbeite an einem Notfallplan für die indigenen Gemeinden, >> der auch die Versorgung mit Hygienepräparaten und Flaschenwasser sowie Notzelten >> vorsehe. Der Notfallplan der Regierung ist ein erschreckendes Armutszeugnis für >> die Missachtung der Indigenen. So kritisierte Nunavuts Senator Dennis Patterson >> die völlig unzureichenden Pläne: „Auf welchem Planeten lebt die Regierung >> eigentlich. Dies ist die Arktis. Ich will hier keine COVID-19-Opfer in Zelten >> bei Minusgraden inmitten von Eis und Schnee um Luft ringen und leiden sehen.“ >> >> Ungeachtet der Ankündigung von Miller musste selbst Gesundheitsministerin Patty >> Hajdu einräumen, dass es trotz der prognostizierten Infektion von 30-70% aller >> Kanadier bislang für die Indigenen keine konkreten Einschätzungen, Empfehlungen >> oder gar Maßnahmen gebe. Die Regierung, die die /Band Councils/ >> (Stammesverwaltungen) der First Nations gerne unter Kuratel stellt, wenn es um >> Ressourcenfragen geht, erklärt nun, man erkenne die „Autorität“ der /Band >> Councils/ an, geeignete Entscheidungen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus zu >> treffen. Sprich: Ottawa lässt die Indigenen einfach im Stich. >> >> Am vergangenen Donnerstag, den 12.03., war ein Treffen zwischen Trudeau, den >> Minister-präsidenten der Provinzen und Vertretern indigener Organisationen >> geplant, das jedoch aufgrund von Trudeaus selbstgewählter Quarantäne abgesagt >> wurde. Stattdessen hielt Trudeau nur eine Telefonkonferenz mit den Funktionären >> der /Assembly of First Nations/, /Inuit Tapiriit Kanatami/ und des /Metis >> National Council/ ab, welche nicht die Gesamtheit der Indigenen repräsentieren. >> >> *Corona-Virus und der Widerstand der Wet’suwet‘en* >> >> Das Corona-Virus dürfte nicht der einzige Grund gewesen sein, weshalb Trudeau >> lieber nicht mit der indigenen Basis konfrontiert werden wollte. Hatte er >> unlängst noch versprochen, die UN-Deklaration der Rechte der indigenen Völker >> (UNDRIP, 2007) in kanadisches Recht umsetzen zu wollen, zeigte sich in den >> vergangenen Wochen, wie wenig das Wort des Premierministers wert ist, wenn es um >> indigenes Land und die Mitsprache der Indigenen bei der Nutzung von Ressourcen >> geht – dem Kernprinzip der UNDRIP. >> >> Am 6. Februar 2020 hatte die Bundespolizei RCMP das Protestcamp der Unist’ot’en >> in British Columbia gestürmt, mit dem sich die Indigenen und die traditionellen >> Chiefs gegen die Coastal Gaslink von LNG Canada wehren, denn die Gaspipeline >> führt vom Nordosten der Provinz quer durch das traditionelle Land der >> Wet’suwet’en bis nach Kitimat an die Pazifikküste. >> >> Seitdem sorgen die Proteste in ganz Kanada für Schlagzeilen, während in Europa >> niemand darüber berichtet. Indigene und Unterstützer organisierten im ganzen >> Land Demos und Mahnwachen, errichteten Blockaden, legten insbesondere mit >> Unterstützung der Mohawk den Bahnverkehr im Osten Kanadas lahm und besetzten >> Brücken und Regierungsgebäude. Die Welle der Aktionen und der Solidarisierung >> mit den Wet’suwet’en erinnerte an den Aufbruch der „Idle No More“-Bewegung 2012, >> die unter Trudeaus Vorgänger Stephen Harper Kanada erschütterte, aber auch an >> Oka 1990, als die Mohawk in Quebec ihr Land und ihre Rechte durch eine >> 270-tägige Blockade verteidigten. >> >> Vor dem Treffen mit Trudeau hatte AFN-Chief Pierre Bellegarde noch die Bedeutung >> der UNDRIP als „Mittel der Versöhnung“ (Trudeaus Lieblingsphrase) beschworen, >> die dann der Tagesaktualität um das Corona-Virus geopfert wurde. >> >> Der Widerstand der Wet’suwet’en und ihrer Unterstützer ist ungebrochen, doch >> angesichts der Corona-Pandemie lassen sich die bisherigen Mittel und Methoden >> nicht aufrechterhalten, weshalb sie die Aktivitäten nun ins Digitale verlagern. >> Mit einem Aufruf vom 16.03. fordern Sie uns zu einer „Woche der Online-Aktion“ >> auf und bitten um Briefe und Emails sowie Posting in den sozialen Medien zur >> Unterstützung ihrer Forderungen (Info-update unter >> https://www.instagram.com/gidimten_checkpoint). >> >> In Solidarität mit dem indigenen Widerstand >> >> Monika Seiller >> Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte e.V.