2020-01:Gut gemeint ≠ Gut gemacht

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Gut gemeint ≠ Gut gemacht

Fuck for forest zwischen Ideologie, realpolitischen Verhältnissen und persönlicher Selbstverwirklichung

Hanni Viele Gedanken, Fragen, Kritik und auch zum Teil Erstaunen machen sich in mir breit, wenn ich das Projekt "Fuck for forest" (Fff) betrachte. Sofort tauchen Zweifel auf, ob es mir selbst überhaupt zusteht das Handeln der Akteure zu kritisieren. Verkürzt: Menschen haben miteinander Sex, filmen sich dabei, stellen die Aufnahmen online, Konsument*innen bezahlen ein Abo, schauen die Pornos und ein Großteil des Gewinns fließt in "Regenwald-Projekte". An der Stelle denke ich mir: Arnachie macht's möglich, ist ja deren Entscheidung zu machen und zu zeigen was sie wollen. Dennoch sollte ein kritischer Blick möglich sein, ohne Sexpositivität, Abbau von Tabus oder freie sexuelle Entfaltung anzugreifen. Es geht um's Große und Ganze.

Pornografie hat ein Problem

Betrachte ich die derzeitige (oder auch die frühere) Pornoindustrie und entsprechende Medienproduktionen, dann werden wir mit Heteronormativität und fatalen Rollenbildern zugespamt, dass mir Kritik nur noch lauthals entfläucht. Kritik von "Links" ist extrem wichtig, um feministische und queere Perspektiven und überhaupt die unendliche Vielfalt an Sex und Sexualitäten in den Blick zu nehmen. Die globale Pornoindustrie wird diese Aufgabe und Selbstreflexion nicht leisten. Nur durch Protest, Konsumverzicht oder eben Alternativen können wir etwas ändern. Stellt sich die Frage, was Fff dafür leistet. Die auf der Website formulierten Ansprüche zeigen zumindest einen neuen Ansatz. Aber damit hört es auch fast schon auf. In diversen Äußerungen Tommys & Leonas (Gründer*innen) und dem Projekt insgesamt wird immer wieder Bezug auf den Freiheitsbegriff genommen und, dass Menschen eine sexuelle Befreieung erfahren können, Spaß soll es machen, alles passiert einvernehmlich und veröffentlicht wird nur mit Zustimmung. Gleichzeitig ist die Pornoindustrie vollends durchkapitalisiert. Nutzen die Akteur*innen etwa das anerzogene Konsumverhalten einfach nur aus? Verknüpfen die Macher*innen also Geld mit Lust und Befriedigung? Müssten wir nicht vehement die Pornoindustrie angreifen, bekämpfen und gleichzeitig noch die ganze menschenverachtende Scheiße, die sich im Dark-Web abspielt. Ich sehe im ganzen Konstrukt Fff eine hedonistische Bedürfniserfüllung die durch paternalistsiche Rettungsszenarien gerechtfertigt wird. Es scheint ganz so, als ob einige Aktivist*innen denken, ein "neues Angebot" zu schaffen reiche aus, um in dieser verkappten Lage wirklich etwas zu verändern. Es geht auch um Privilegien: Manche Menschen können sich in ihrer Sexualität entfalten, weil sie aber auch Privilegien und Chancen haben. Unzählbar viele haben diese Möglichkeit nicht. Und jetzt kommen Idealist*innen (vlt. auch hippieske Träumer*innen) und zeigen mal, wie schön befreiter Sex ist. Hilft nur nicht wirklich bei der Ursachenbekämpfung von Diskriminierungsmechanismen oder der Steigerung der Akzeptanz von Vielfalt. Außerdem verortet sich diese Aktion in der Pornoindustrie (auch wenn das die Macher*innen vlt. anders sehen) und im globalen Kontext wird es nur dazu führen "alternative Pornografie" zu kapitalisieren, und sämtlicher reproduktiver Mist wird nicht weniger werden. Willkommen in der Konsumschleife.

Der Zweck heiligt immer noch nicht das Mittel

Eine alternative (radikal anders gedachte) Pornowebsite müsste viele Aspekte beachten und ist womöglich im kapitalistischen System gar nicht möglich. Entweder wir akzeptieren (inkl. unterschiedlicher Reproduktionsmöglichkeiten/-gefahren) im System nur langsam neue Alternativen anzubieten und zu etablieren oder wir steigen aus, machen unser Ding, fertig. In Leonas & Tommys Statements wird klar, dass es um idealistische Ziele geht, aber reale Determinismen tlw. völlig ignoriert werden. Es gibt eben doch Unterschiede zwischen Erika Lust Pornos und einem Anarcho-Projekt, das den persönlichen Hedonismus ausleben möchte. Es gibt einen Unterschied, zwischen "einen Film produzieren" oder "beim Sex filmen lassen". Spätestens auf Seiten der Rezipienten müssen wir beachten, dass Rezeptionskompetenz gar nicht so stark ausgeprägt ist. Filme dienen auch nicht wirklich dem Lernprozess (oder auch Ver-Lernprozess). Wenn also Menschen sexuelle Aufklärung, Sexpositivität und freie sexuelle Entfaltung fördern wollen, wird das nicht über Konsum in kapitalistischen Zwängen möglich sein. Vielmehr brauchen wir die Wirkungsmacht der Bildung und Erziehung, wir brauchen den Austausch, die Begegnung auf Augenhöhe. Solange Nacktheit und Freizügigkeit Menschen unserer Gesellschaft retraumatisieren können, sollten wir damit auch achtsam umgehen. Eine Konfrontation (wie auf dem A-Kongress 2011) ist nicht einvernehmlich und ich hätte mich aus Solidarität auch für einen Ausschluss der Fff-Aktivist*innen ausgesprochen, auch wenn das eventuell manchen anarchischen Gedanken widerstrebt. Entweder wir gestehen ein, dass innerhalb eines gesellschaftlichen Bereichs neue Wege (mit alten Fehlern) gegangen werden können oder wir müssen die Richtung komplett ändern, also nicht nur neue Wege gehen, sondern an ganz andere Ziele denken. Derzeit sind Pornofilme für mein Verständnis kein geeignetes Mittel, gesellschaftliche Prozesse zu verändern. Das gewählte Mittel wird den berechtigten Zielen nicht gerecht.

Menschen und Technik sind fehleranfällig

In diesem Kontext reden wir auch über "höchstpersönliche" Lebensbereiche. Ich glaube es gibt gute Gründe, dass wir Sexualität als etwas privates, persönliches begreifen. Deshalb sei die Frage nach Sicherheit gestellt, nach Verbindlichkeit und auch Vertraulichkeit. Ich traue schlichtweg dem Projekt Fff nicht zu, für Datanschutz, Kopierschutz und den Schutz aller Beteiligten zu sorgen. Nach Aussage der Macher*innen sollen auch nur Menschen mitmachen, die das völlig akzeptieren und frei einwilligen. Und Tommy & Leona betonen zudem, dass sie für Piraterie sind (soweit nix Schlimmes). Aber wenn ich Filme von Menschen beim Sex auf meiner Seite hoste, dann kann es nicht sein, dass es mir egal ist, wenn diese Aufnahmen der eigenen Kontrolle/Obhut entzogen werden. Wenn sich also Akteur*innen/Darsteller*innen später für eine Löschung ihrer Aufnahmen aussprechen, dann ist es den Betreiber*innen scheinbar gleichgültig, dass anderswo im Web die Filme weiterhin existieren. Personen also zu etwas verleiten und kein Konzept für den Schutz aller Beteiligten zu haben, ist fahrlässig und naiv. Auch in Bezug auf Aufnahmen, die ohne Einverständnis eingestellt werden könnten, meinen die Betreiber*innen, dass sich die Betroffenen melden könnten. Was ist aber, wenn die Betroffenen sich selbst nicht entdecken, weil sie Fff nicht nutzen? Dann ist der Clip nicht zu löschen? Eine Haltung die darauf vertraut, dass alle cool und gelassen mit heimlich gemachten Aufnahmen umgehen? Ich denke auch hier zeigt sich ein Beispiel, über das es keine Diskussion geben darf! Vielleicht müssen wir uns darin üben, fehlerfreundlich zu bleiben, aber ggü. Fff bleibe ich weiterhin kritisch, denn es ist auch unsere individuelle Verantwortung, uns gegenseitig zu schützen. Vielleicht gehöre ich (laut Leonas & Tommys Aussage) auch zu den konservativen (deutschen) Linken, aber vielleicht gehörten die Beiden ja auch zu den Träumer*innen, die das Glück haben, sich sexuell zu entfalten und möchten das gern mit der Welt teilen. Ob das Ganze dazu führen muss, Pornofilme zu verbreiten, ist am Ende eine Frage, die sich nur jede*r Einzelne beantworten kann.