2020-01:Tar Sands: Unterschied zwischen den Versionen

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== "Tar Sands":<br/>Nachhaltige Zerstörung von Urwäldern und Feuchtgebieten, Enteignung indigener Menschen und größter Einzelverursacher des Treibhauseffekts ==
 
== "Tar Sands":<br/>Nachhaltige Zerstörung von Urwäldern und Feuchtgebieten, Enteignung indigener Menschen und größter Einzelverursacher des Treibhauseffekts ==
fb '''Die bisherigen Teile dieses Artikels gaben einen Überblick über die Tar Sands-Vorkommen und die Ölindustrie in Alberta. Weiterer Fokus waren die ökologischen Auswirkungen der Tar Sands-Industrie, die Technologie der Rohölerzeugung aus den Tar Sands von der Konditionierung bis zum Upgrading sowie die Abbauverfahren und Probleme der Renaturierung. In den letzten Teilen ([[2017-01:Tar Sands|12]], [[2017-02:Tar Sands|13]], [[2019-01:Tar Sands|14]]) wurde versucht, Geschichte und Hintergründe des Landraubs an den indigenen Gemeinschaften Nordamerikas einzuordnen. Die Geschichte und der Einfluss der Hudson Bay Company wurde bereits behandelt - hier wird nun ein zweites, für die Erschließung und Ausbeutung insbesondere der heutigen Tar Sands-Gebiete wichtiges, Unternehmen erörtert.'''
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fb '''Die bisherigen Teile dieses Artikels gaben einen Überblick über die Tar Sands-Vorkommen und die Ölindustrie in Alberta. Weiterer Fokus waren die ökologischen Auswirkungen der Tar Sands-Industrie, die Technologie der Rohölerzeugung aus den Tar Sands von der Konditionierung bis zum Upgrading sowie die Abbauverfahren und Probleme der Renaturierung. In den letzten Teilen ([[2017-01:Tar Sands|12]], [[2017-02:Tar Sands|13]], [[2019-01:Tar Sands|14]]) wurde versucht, Geschichte und Hintergründe des Landraubs an den indigenen Gemeinschaften Nordamerikas einzuordnen. Ein weiteres "dunkles Kapitel der Geschichte Kanadas" behandelt dieser Beitrag: die "Indian Residential Schools (IRS)" – Zwangsinternate für indigene Kinder und Jugendliche, die einen Teil des bis in die 1990er Jahre versuchten (praktizierten) Genozids an den nordamerikanischen indigenen Gemeinschaften bildeten<ref name="genocide">https://humanrights.ca/news/confronting-genocide-in-canada - gesichtet 6. September 2020</ref>. Diese Schulen beeinträchtigten das Leben und die Kultur der ursprünglichen Bewohner*innen nicht nur in den damaligen und heutigen Tar Sands-Abbaugebieten und zielten darauf ab die indigene Identität und damit auch deren Widerstandsgeist zu brechen. Somit sind sie auch für die Bearbeitung der Auswirkungen dieser Industrie als moderne Ausprägung von Kolonialismus und Rassismus von Bedeutung.'''
  
  
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=== North West Company ===
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=== Kanadas Indigenenpolitik ===
Die Privatfirma "North West Company" wurde 1779, also etwas mehr als 100 Jahre später, mit einer ähnlichen Mission wie die Hudson's Bay Company (HBC, siehe [[2017-01:Tar_Sands#Hudson's Bay Company|Artikel #12]] im Heft "[[2017-01|Frühjahr 2017]]") errichtet, um die nordwestlich des Einflussbereichs der HBC liegenden Gebiete Nordamerikas auszubeuten. 1821 ging das Unternehmen in der HBC auf. Der Konkurrenzkampf zwischen den beiden Handelsunternehmen war derart ausgeartet, dass es regelrecht zu Gemetzeln kam und schließlich von Regierungsseite aus die Verschmelzung erzwungen wurde. Zuvor waren schon andere Morde im Konkurrenzkampf der North West Company mit weiteren Konkurrenten dokumentiert. Ausgehend von der im Vergleich mit den britischen Unternehmungen in Nordamerika früheren französischen Landung in Québec im Jahr 1608 hatten sich zunächst sogenannte "Waldläufer" ausgebreitet und bauten ein Pelzhandelsimperium im Einzugsgebiet des Sankt-Lorenz-Stroms auf. Anders als die später eintreffenden britischen Händler bereisten sie das nördliche Binnenland und und trieben Handel mit den indigenen Gemeinschaften in deren Camps und Dörfern. Nach der Niederlage Frankreichs im Krieg mit der Britischen Krone übernahmen 1763 englischsprachige Händler ("pedlars") die Pelzhandelsposten, welche sich im Laufe der Zeit immer wieder vereinigten, um Kosten aus dem Konkurrenzkampf untereinander zu reduzieren. Dies waren die Vorläufer der späteren North West Company, die ihren Hauptsitz in Montreal haben sollte.<ref name="wikipedia_NWCompany">https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=North_West_Company&oldid=845333835 - gesichtet 9. Oktober 2018</ref>
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Über mehr als ein Jahrhundert seien die zentralen Ziele der Indigenenpolitik Kanadas gewesen, indigene Selbstregierung zu zerstören, Indigenenrechte zu ignorieren, die "Treaties" ''(siehe [[2017-01:Tar Sands|Teil 12]], Heft Frühjahr 2017)'' zu beenden sowie die Ureinwohner*innen des Landes durch einen Assimilationsprozess als eigenständige rechtliche, soziale, kulturelle, religiöse und ethnische Einheiten in Kanada auszulöschen - so der 2015er Bericht der kanadischen "Kommission für Wahrheit und Versöhnung". Die Autor*innen bezeichnen diese mittels der Einrichtung der "Indian Residential Schools" betriebene Politik als "kulturellen Völkermord". Um diesen Begriff zu erklären, definieren sie zunächst einen "physischen Genozid" als die massenhafte Tötung von Mitgliedern einer ins Fadenkreuz genommen Gruppe und einen "biologischen Genozid" als die Zerstörung der Reproduktionsfähigkeit selbiger. In Abgrenzung zu diesen Formen des Völkermords verstehen sie "kulturellen Genozid" als die Beseitigung der Strukturen und Praktiken, die es einer Gruppe erlauben als solche zu existieren: die Zerstörung der politischen und sozialen Institutionen der angegriffenen Gruppe, die Beschlagnahmung ihres Landes, die Zwangsumsiedlung der Bevölkerung, die Beschränkung ihrer Bewegungsfreiheit, die Ächtung ihrer Sprache die Verfolgung spiritueller Oberhäupter, das Verbot spiritueller Handlungen und die Konfiszierung bzw. Zerstörung von Objekten spiritueller Bedeutung. Das wichtigste Element kulturellen Genozids sei jedoch die Unterbindung des Transfers kultureller Werte und Identität innerhalb der Familien von einer Generation zur nächsten.<ref>Zitiert aus Band 1, Teil 1 des Abschlussberichts der Kommission: Seite 3<br/>https://nctr.ca/assets/reports/Final%20Reports/Volume_1_History_Part_1_English_Web.pdf - gesichtet 6. September 2020</ref>
  
Die zunächst zwanzig Anteilshaber umfassende Gesellschaft richtete unter anderem unter dem bekannten Entdecker Alexander Mackenzie<ref name="wikipedia_Mackenzie">https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Alexander_Mackenzie_(explorer)&oldid=861318894 - gesichtet 9. Oktober 2018</ref> mehrere wichtige Expeditionen aus - insbesondere entlang des damals "Grand River" genannten Mackenzie River bis zum Nordpolarmeer (1789)<ref name="wikipedia_Mackenzie" /> und entlang des Peace River bis an die Pazifikküste (1792-1793)<ref name="wikipedia_Mackenzie" />.<ref name="wikipedia_NWCompany" /> Entdecker der North West Company gründeten 1788 am Lake Athabasca Fort Chipewyan, heute ein Ort, in dessen Nähe drei indigene sowie eine weiße Gemeinschaft Siedlungen haben<ref name="wikipedia_Mackenzie" /><ref name="wikipedia_Athabasca">https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Lake_Athabasca&oldid=834214854 - gesichtet 9. Oktober 2018</ref>, die unter den belasteten Abwässern der Tar Sands-Industrie leiden, die über den Athabasca River mehrere hundert Kilometer flussabwärts der Industriestandorte bei Fort McMurray liegt. Fort Chipewyan kann heute über den Landweg nur im Winter erreicht werden - von Fort McMurray im Süden und von Fort Smith im Norden via Winterstraßen,<ref name="wikipedia_Chipewyan">https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Fort_Chipewyan&oldid=852878388 - gesichtet 9. Oktober 2018</ref> die nur bei Dauerfrost sicher befahrbar sind. Ansonsten bleiben nur der Luftweg oder der Athabasca River als Wasserstraße im Sommer<ref name="wikipedia_Chipewyan" />. Es waren vor allem Händler wie die Mitarbeiter der North West Company, die große Teile der bis dahin noch nicht von Europäern erkundete Gebiete des Nordwestens auskundschafteten.
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Das Ziel der kanadischen Indigenenpolitik beschrieb ''Deputy Minister of Indian Affairs'' Duncan Campbell Scott (1920): "our object is to continue until there is not a single Indian in Canada that has not been absorbed into the body politic". Bekräftigt wurde diese Stoßrichtung 1969 mit dem ''White Paper'' der kanadischen Regierung zur Indianerpolitik (Statement of the Government of Canada on Indian Policy), das das Ziel formulierte, den Indianerstatus zu beendigen und die Treaties, die zwischen kanadischer Regierung und den First Nations ausgehandelt worden waren, aufzukündigen. Auf diese Weise wollte sie sich der finanziellen und rechtlichen Verpflichtungen gegenüber den indigenen Communities entledigen und Zugriff auf deren verbliebenes Land und Ressourcen erlangen.<ref name="TRC-report_history_part1">https://nctr.ca/assets/reports/Final%20Reports/Volume_1_History_Part_1_English_Web.pdf - gesichtet 6. September 2020</ref>
  
Der Versuch von HBC und North West Company, die amerikanischen Gebiete, die sie dominierten, effektiv auszubeuten, führte schon damals zu ökologischen Problemen - beispielsweise waren die Biberpopulationen durch den Pelzhandel extrem unter Druck und liefen Gefahr zu verschwinden.<ref name="wikipedia_NWCompany" />
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=== Residential Schools ===
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Die "Residential Schools" waren vom Staatssystem der europäischen Eroberer in Kanada eingeführt worden, um eine totale Assimilation der indigenen Kultur und Identität zu bewirken. Sie waren Teil eines gezielten Bestrebens "die eingeborene Kultur von der kanadischen Landkarte auszumerzen" ''(Stuart Murray, Kanadisches Museum für Menschrechte, 2011)'' <ref name="speech_2011">https://humanrights.ca/news/speech-delivered-by-president-and-ceo-stuart-murray-to-the-truth-and-reconciliation-commission - gesichtet 6. September 2020</ref>. Aus "Indianern" sollten "Kanadier" gemacht werden. "Entferne den Indianer aus dem Kind" (take the Indian out of the child) war das offizielle Ziel dieser Einrichtungen<ref name="take_the_indian">https://humanrights.ca/news/take-the-indian-music-and-reflection-about-reconciliation-at-cmhr - gesichtet 6. September 2020</ref>. Die sogenannten "Indianeragenten" ''(siehe [[2019-01:Tar Sands|Teil 14]], Heft Sommer 2019)'' versuchten durchzusetzen, dass die Kinder der indigenen Gemeinschaften in diese internatartigen Schulen gebracht wurden, was auf heftigen Widerstand stieß.<ref name="Indianeragent">https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Indianeragent_(Kanada)&oldid=187873934 - gesichtet 3. Juni 2019</ref> Das ''Kanadische Museum für Menschenrechte'' bezeichnet das Residential Schools-System als kulturellen Völkermord: ''"From the 1880s to the 1990s, thousands of Indigenous children were torn from their homes and sent to Indian Residential Schools. These schools were intended to destroy Indigenous families, communities and ways of life".''<ref>https://www.cbc.ca/news/indigenous/cmhr-colonialism-genocide-indigenous-peoples-1.5141078?fbclid=IwAR1cx_673vKzXjWoS1IuwnlYA40mMpvNR0tYBb2bWAsgwgikZM1umTH8YYk - gesichtet 5. Juni 2019</ref>
  
=== Hudson Bay ===
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Rechtliche Grundlagen der IRS waren der "Indian Act"<ref>https://www.canadiana.ca/view/oocihm.9_08051_5_1/213?r=0&s=1 - gesichtet 6. September 2020</ref> aus dem Jahr 1876, ein Gesetz über den Status der indigenen Angehörigen der kanadischen First Nations, das bis heute Gültigkeit hat, und der "Gradual Civilization Act" von 1857<ref>http://signatoryindian.tripod.com/routingusedtoenslavethesovereignindigenouspeoples/id10.html - gesichtet 6. September 2020</ref>, das eine schrittweise "Zivilisierung" der Indianer anstrebte, sowie der "Gradual Enfranchisement Act" von 1869. Ersteres Gesetz definiert, welche Menschen als "Indianer" gelten und demnach verglichen mit den europäischen Einwanderern rechtlich benachteiligt würden. Im Zuge einer Ergänzung des Indian Act im Jahr 1894 wurde die Schulpflicht für indigene Kinder im Alter von 7-16 Jahren eingeführt<ref name="wikipedia_indian-act">https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Indian_Act&printable=yes - gesichtet 6. September 2020</ref>. Ausgerechnet die abendländischen Kirchen sollten diesen Bildungsauftrag übernehmen, weswegen die Mehrzahl der Residential Schools dann auch von christlichen Einrichtungen im Auftrag des kanadischen Staates geführt wurde.<ref name="wikipedia_residential-schools">https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Residential_School&oldid=202164905 - gesichtet 6. September 2020</ref>
Die Hudson Bay ''(oft auch "Hudson's Bay" in historischen Dokumenten)'' ist ein großer Salzwasserkörper mit einer Fläche von etwa 1.230.000 km² im Nordosten Kanadas. In der Sprache der Ayisiniwok und Aha payew<ref name="Cree">https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Cree&oldid=188108910 - gesichtet 4. Mai 2019</ref> (die bekanntere Kolonialbezeichnung ist "Cree") wird sie "Wînipekw" (Südlicher Dialekt) oder "Wînipâkw" (Nördlicher Dialekt) genannt, was sinngemäß "schmutziges Wasser" heißt. Es besteht eine namentliche Ähnlichkeit mit der Stadt Winnipeg, die am in dieser Sprache ebenfalls "wīnipēk (ᐐᓂᐯᐠ)"<ref name="Winnipegsee">https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Lake_Winnipeg&oldid=883807634 - gesichtet 3. Mai 2019</ref> bezeichneten Winnipegsee, dem 11.-größten Süßwassersee der Erde<ref name="Winnipegsee" />, liegt. Die Provinzen Nunavut, Manitoba, Ontario und Quebec grenzen an die Hudson Bay.<ref name="Hudson Bay">https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Hudson_Bay&oldid=894319274 - gesichtet 3. Mai 2019</ref>
 
  
Dieses gewaltige Gewässer liegt nicht im Einzugsgebiet der Tar Sands-Industrie. Die Distanz zwischen Fort McMurray und dem westlichen Ufer der Hudson Bay beträgt etwa 1.000 km<ref>Berechnung unter Verwendung von Google Maps:<br /> https://www.google.de/maps/dir/Fort+McMurray/58.6741345,-94.449411/@56.5078882,-103.6771328,6.07z/data=!4m9!4m8!1m5!1m1!1s0x53b03aeeff1a4459:0x5c8133330dca74b7!2m2!1d-111.3803407!2d56.7263796!1m0!3e0 - gesichtet 4. Mai 2019</ref>. Südliche Gebiete Albertas gehören zwar zum Wassereinzugsgebiet der Hudson Bay<ref name="Ruperts_Land">https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Rupert%27s_Land&oldid=760073996 - gesichtet 4. Mai 2019</ref><ref name="Hudson Bay" />, aber nicht die genannten nicht-konventionellen Öllagerstätten.
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Die Bestandteile des mittels der IRS umgesetzten kanadischen Genozids an den nordamerikanischen Ureinwohner*innen umfassten "physische, biologische und kulturelle Mittel" ''(Kanadisches Museum für Menschenrechte)'' zur Zerstörung der Basis indigener Lebensweisen. Dazu gehörten die die Unterdrückung der indigenen Sprachen, kultureller Praktiken, politischer Traditionen sowie die Trennung der Kinder von ihren Eltern. Es handelte sich um ein planvolles Vorgehen, das durch eine Vielzahl verschiedener Politiken und Praktiken umgesetzt wurde. Großen Teilen der nicht-indigenen kanadischen Öffentlichkeit fehlt das Bewusstsein für diese menschenverachtende Geschichte des eigenen Landes. Den Prozess der Aufarbeitung dieser von der europäisch verwurzelten kanadischen Mehrheitsgesellschaft ausgeblendeten Geschehnisse umschreibt das Museum für Menschenrechte als "Teil einer langen nationalen Reise von der Verleugnung über Kleinreden hin zum Eingeständnis". Erst nach der Jahrtausendwende gelang es Menschenrechtsaktivist*innen, das Thema auf die nationale Tagesordnung zu setzen.<ref name="genocide" />
  
=== Athabasca River und -see ===
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Tausende Kinder starben in den Residential Schools, weitere Tausende wurden verletzt und traumatisiert. Mit jeder weiteren Generation, die diese Schulen durchlaufen musste, gelang es weniger Sprache, Kultur und Spiritualität von den Alten an die Jungen weiterzugeben. So setzten diese "Zentren kultureller Indoktrination" (Murray Sinclair) die kanadische Genozidpolitik effektiv um. In diesen Schulen wurde den Nachkommen der ursprünglichen Bewohner*innen Nordamerikas der Stolz und Selbstrespekt genommen, soziale Gemeinschaften geschwächt und der Fähigkeit eigenständig ihren traditionellen Alltagsaktivitäten nachzugehen beraubt. Kernbotschaft sowohl an die Schüler*innen der IRS als auch an die nicht-indigene Bevölkerung war eine angebliche Minderwertigkeit der indigenen Kultur, die es zu zivilisieren gälte. Dies sei Aufgabe der überlegenen Europäer*innen.<ref name="TRC-report_history_part1" />
Der Athabasca River ''(Cree-Bezeichnung: "wo es Schilf gibt") ist ein 1.231 km langer Fluss in der kanadischen Provinz Alberta. Er entspringt dem ''Athabasca-Gletscher'' im südwestlichen Teil Albertas im Jasper-Nationalpark. Von hier verläuft er in nordöstlicher Richtung durch die ''Great Plains'', passiert die Tar Sands-Industriegebiete  sowie Fort McMurray und mündet schließlich in den Athabascasee. Sein Wassereinzugsgebiet umfasst eine Fläche von ca. 153.000 km². Er gehört zum Mackenzie River-Flusssystem.<ref name="Athabaska River">https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Athabasca_River&oldid=186823943 - gesichtet 24. Mai 2019</ref>
 
  
Der Athabascasee befindet sich im nordöstlichsten Zipfel Albertas und im nordwestlichsten Saskatchewans und bedeckt eine Fläche von 7.849 km². Im Osten wird er vom Wood-Buffalo-Nationalpark begrenzt. Am Nordufer des Sees befindet sich auch die Stadt Uranium City, so genannt wegen der dort gefundenen Uran- und Goldvorkommen, die bis in die 1980er Jahre abgebaut wurden. Bis heute leidet der nördliche Teil des Athabascasees deshalb unter erheblichen ökologischen Beeinträchtigungen. Etwas weiter südlich befinden sich die bedeutendsten Tar Sands-Vorkommen, deren Ausbeutung für weitere erhebliche Umweltbelastungen der Region verantwortlich ist.<ref name="Athabascasee">https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Athabascasee&oldid=171559584 - gesichtet 24. Mai 2019</ref>
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=== Entwicklung des IRS-Systems ===
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Schon 1867, als Kanada als Bundesstaat mit den ersten Provinzen etabliert wurde ''(ab 1870 waren auch die heutigen Tar Sands-Abbaugebiete Teil Kanadas)''<ref name="wikipedia-kanada">https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Kanada&oldid=203304213 - gesichtet 6. September 2020</ref>, waren erste kirchliche Internatsschulen für indigene Kinder in Betrieb. Mit dem Vordringen europäischer Siedler*innen nach Westen in den 1870ern errichteten evangelische sowie römisch-katholische Kirche Missionen und weitere Internate bis in den hohen Norden und an die Pazifikküste. Die meisten dieser Schulen erhielten bereits staatliche Zuschüsse pro Kopf. Bis 1939 dauerte die Phase der Etablierung und Ausweitung des IRS-Systems an: 1883 ließ Kanadas Regierung drei erste große Residential Schools für indigene Kinder in Westkanada errichten. 1930 waren bereits 80 dieser Schulen landesweit in Betrieb. Insgesamt wurden nach dem Ende der IRS mindestens 139 Einrichtungen diesem System offiziell zugeordnet ''(und Entschädigungen für die Überlebenden dieser Schulen bereitgestellt)''.<ref name="TRC-report_history_part1" />
  
Nahe dem Einfluss in den Athabascasee befindet sich der Abfluss des Sklavenflusses ''(Slave River)'', der weiter nördlich in den in den Nordwest-Territorien gelegenen ''Großen Sklavensee'' mündet. Hier wiederum beginnt der Mackenzie, ein Fluss, der nach seinem schottischen Entdecker ''(1789)'' Alexander MacKenzie ''(zeitweise Miteigentümer der North West Company)<ref>https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=North_West_Company&oldid=845333835 - gesichtet 24. Mai 2019</ref>'' benannt wurde und schließlich in die Beaufortsee, ein Teil des Nordpolarmeeres<ref>https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Beaufortsee&oldid=173702886 - gesichtet 24. Mai 2019</ref>, mündet. MacKenzie war mit einigen Begleitern von dem damaligen Handelsposten ''Fort Chipewyan'', heute die am meisten von den Auswirkungen der Tar Sands-Ausbeutung beeintächtigte Siedlung<ref>https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Fort_Chipewyan&oldid=176556807 - gesichtet 24. Mai 2019</ref>, auf die zuvor beschriebene Route aufgebrochen.<ref name="Mackenzie River">https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Mackenzie_River&oldid=186457276 - gesichtet 24. Mai 2019</ref>
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Bis 1969 bestand die Partnerschaft aus christlichen Kirchen und kanadischem Staat zum Betrieb der "Residential Schools". Die meisten IRS wurden zwar bis in die 1980er Jahre geschlossen, aber es sollte bis zum Ende der 1990er dauern, bevor die letzte dieser staatlich (mit-)finanzierten Einrichtungen ihren Betrieb einstellte.<ref name="TRC-report_history_part1" />
  
=== Indigene Gemeinschaften ===
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Viele dieser Schulen waren schlecht gelegen, waren mangelhaft errichtet und bewirtschaftet worden. Die Belegschaft war oft klein und schlecht ausgebildet. Der Alltag der Schüler*innen war eng reglementiert und strenge Disziplin durchgesetzt. Die indigene Kultur und Sprache wurde verunglimpft und unterdrückt. Der vom Schulsystem für die indigenen Kinder angestrebte Bildungsstandard war gering, es gab keinen klaren Lehrplan. Die intellektuellen Fähigkeiten der Schüler*innen wurden von vornherein mäßig geschätzt. Die Kindesvernachlässigung hatte System und der Mangel an Beaufsichtigung öffnete körperlicher wie sexueller Misshandlung Tür und Tor.<ref name="TRC-report_history_part1" />
Im [[2019-01:Tar Sands|letzten Beitrag]] wurde bereits die Fort McKay First Nation behandelt; nun sollen es mit den anderen vier betroffenen indigenen Gruppen vorgestellt werden.
 
  
==== Athabasca Chipewyan First Nation ====
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Um das IRS-System zu rechtfertigen, wurde der indigenen Bevölkerung grundsätzlich die Befähigung der Elternschaft abgesprochen. Geschwister, die zur selben Schule gingen, wurden voneinander getrennt. Von Staat bzw. Kirchen arrangierte Ehen im Anschluss an den Besuch von "Residential Schools" wurden berichtet. <ref name="TRC-report_history_part1" />
Besonders bekannt im Zusammenhang mit den Kämpfen um die Tar Sands-Verwertung sind einerseits die ''[http://www.acfn.com Athabasca Chipewyan First Nation]'', wo von hohen Erkrankungsraten seit dem massiven Aufbau dieser Industrie berichtet wird. Fort Chipewyan, wovon sich der Name dieser First Nation herleitet, liegt an der Einmündung des ''Athabasca River'' in den ''Athabascasee''<ref name="acfn-history">http://www.acfn.com/history - gesichtet 3. Februar 2017</ref>. Dieser Fluss durchquert das Gebiet, in dem die ''Athabasca Oil Sands''-Lagerstätte ausgebeutet wird und wo mehrere massive Industrieansiedlungen erhebliche Schadstoffmengen an Luft und Wasser abgeben. Der ''Athabasca River'' transportiert viele dieser Schadstoffe über hunderte von Kilometern bis nach Fort Chipewyan (und weiter), wo sie sich einerseits im Sediment, andererseits in den Lebewesen, die hier von der Natur leben, anreichern. Neben bis dahin ungewohnten Krebserkrankungen wurden auch Mutationen von Wasserlebewesen festgestellt.
 
  
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=== Wahrheitskommission ===
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In dieser Stelle sollte die "Truth and Reconciliation Commission (TRC)" erwähnt werden. Die Residential Schools wurden zum Auslöser des größten gerichtlichen Vergleichs in der kanadischen Geschichte, dem eine Vielzahl von Klage Tausender Überlebender dieses Schulsystems vorausgingen. Ergebnis der Vergleichsvereinbarung war die Einrichtung der TRC, die sich um die Aufdeckung der Vorgänge in den IRS bemühte. Beginnend im Jahr 2008 sammelte die Kommission Millionen Dokumente, besuchte mehr als 300 Orte und hörte sich die Zeugnisse Tausender Betroffener an. Mehr als 150.000 Kinder aus indigenen Gemeinschaften, der Inuit und der Métis waren in über hundert Jahren in den Residential Schools bearbeitet worden. Im Jahr 2015 veröffentlichte die TRC ihren Abschlussbericht mit einer 94-teiligen Liste dringender Maßnahmen als Fahrplan für alle Teile der kanadischen Gesellschaft zur Aufarbeitung des Kapitels "Residential Schools".<ref name="genocide" /><ref name="TRC-report_history_part1" />
  
Weitere First Nations im ''Athabasca Tribal Council'':
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Murray Sinclair, Vorsitzender der TRC: ''"The most alarming aspect of the [IRS] system was that its target and its victims were the most vulnerable of society: little children. Removed from their families and home communities, seven generations of Aboriginal children were denied their identity through a systematic and concerted effort to extinguish their culture, language, and spirit."''<ref name="TRC-report_history_part1" />
* Chipewyan Prairie First Nation
 
* [http://www.fmfn468.com Fort McMurray No. 468 First Nation]
 
* [http://mikisewcree.ca Mikisew Cree First Nation]
 
** gehören zu den Woodlands Cree, Untergruppe Woods Cree<ref name="EN_Cree" />
 
  
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Ein wichtiger Aspekt des Mandats der Kommission waren die fehlenden Kinder: Wie viele starben in den "Residential Schools", was waren die Umstände ihres Todes und wo wurden sie beerdigt? Der Abschlussbericht macht deutlich, dass die Sterblichkeit indigener IRS-Schüler*innen höher als nicht-indigener Schüler*innen war und dass das Versagen der Regierung die Schulen mit angemessenen finanziellen Mitteln, medizinischer Versorgung, Ernährung, Unterkünften, Sanitäranlagen und Kleidung dazu beigetragen hatten.<ref name="TRC-report_history_part1" />
  
==== Residential Schools ====
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Wie schon der Name der Kommission andeutet, war neben der Wahrheitssuche die Aussöhnung von Opfern und Täter*innen Teil ihres Auftrages. Murray Sinclair brachte im Vorwort des Abschlussberichts die Überzeugung zum Ausdruck, dass die Beseitigung der Schäden, die die in der Königlichen Proklamation von 1763 ''(siehe [[2017-01:Tar Sands|Teil 12]], Heft Frühjahr 2017)'' bekräftigte Beziehung der First Nations mit den europäischen Siedler*innen erlitten hat, nur durch bewusste und bedächtige Bereitschaft zur Versöhnung und ausdauernden Aktionen erreicht werden könne. Die 1763 versprochene auf gegenseitigem Respekt basierende Beziehung müsse erst noch hergestellt werden. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, das Eingestehen des begangenen Unrechts und die Umsetzung geeigneter Lösungen für die indigenen Communities setze die Bereitschaft einer ehrlichen Auseinandersetzung der nicht-indigenen Bevölkerung mit den Überlebenden der Residential Schools voraus.<ref name="TRC-report_history_part1" />
Die "Residential Schools" waren vom Staatssystem der europäischen Eroberer in Kanada eingeführt worden, um eine totale Assimilation der indigenen Kultur und Identität zu bewirken. Aus "Indianern" sollten "Kanadier" gemacht werden. Die sogenannten "Indianeragenten" versuchten durchzusetzen, dass die Kinder der indigenen Gemeinschaften in diese internatsartigen Schulen gebracht wurden, was auf heftigen Widerstand stieß.<ref name="Indianeragent">https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Indianeragent_(Kanada)&oldid=187873934 - gesichtet 3. Juni 2019</ref> Das ''Kanadische Museum für Menschenrechte'' bezeichnet das Residential Schools-System als kulturellen Völkermord: ''"From the 1880s to the 1990s, thousands of Indigenous children were torn from their homes and sent to Indian Residential Schools. These schools were intended to destroy Indigenous families, communities and ways of life".''<ref>https://www.cbc.ca/news/indigenous/cmhr-colonialism-genocide-indigenous-peoples-1.5141078?fbclid=IwAR1cx_673vKzXjWoS1IuwnlYA40mMpvNR0tYBb2bWAsgwgikZM1umTH8YYk - gesichtet 5. Juni 2019</ref>
 
  
==== Aufstand 1885 ====
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=== Das Recht auf eigene Sprache ===
Mitte der 1880er Jahre waren einerseits im südlichen Saskatchewan die Métis darum bemüht einen neuen Lebensraum zu finden, indem sie den zurückgehenden Büffelherden Richtung Westen folgten und vergeblich mit der kanadischen Regierung um Anerkennung einer eigenen Provinz verhandelten, andererseits litten die indigenen First Nations der Cree und Assiniboine dramatisch ebenfalls unter dem Verschwinden der Büffel und so lagerten  zeitweise Tausende hungernde Indigene um Regierungsposten, wo sie die in den Nummerierten Verträgen zugesicherten Lebensmittel - oft vergeblich - einforderten. Die Métis unter Louis Riel gründeten eine "Provisorische Regierung Saskatchewans", der sich aber die meisten First Nations und der englischstämmige Teil der Métis nicht anschlossen. Zu Beginn des Jahres 1885 zog die kanadische Regierung tausende Kämpfer zusammen und brachten auch zwei neuartige Feldgeschütze mit, um die Métis-Rebellion zu beenden. <ref name="Nordwest-Rebellion">https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Nordwest-Rebellion&oldid=185980271 - gesichtet 3. Juni 2019</ref>
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Aufgrund der Verknüpfung von Sprache, Kultur, Identität und Beteiligung innerhalb einer Gesellschaft stellt der Anspruch sich in der eigenen Sprache ausdrücken zu dürfen ein fundamentales Recht<ref>Dieses indigene Recht auf die eigene Sprache soll 2019 mit dem im Folgenden erwähnten "Indigenous Languages Act" verankert worden sein.</ref> dar (vgl. Museum für Menschenrechte<ref name="native_languages">https://humanrights.ca/story/language-rights-are-human-rights - gesichtet 6. September 2020</ref>). Auf die Verwirklichung dieses Rechts zielen gleich mehrere Artikel der "Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker" ab<ref name="UN-indigenous-declaration">https://www.un.org/esa/socdev/unpfii/documents/Declaration%28German%29.pdf - gesichtet 6. September 2020</ref>. Von den ursprünglich benutzten indigenen Sprachen werden heute in Kanada nur noch etwa 60<ref>Eine Presseinformation der kanadischen Regierung spricht von 90 immer noch angewandten indigenen Sprachen.<br/>https://www.canada.ca/en/canadian-heritage/news/2019/02/government-of-canadaintroduces-historiclegislationonindigenous-languages.html - gesichtet 6. September 2020</ref> von etwa 229.000 Menschen gesprochen. Diese Zahl sinkt auch nach dem Ende der IRS weiter, weil es immer wenige Muttersprachler*innen gibt, die sie fließend anwenden können. Der "UNESCO Atlas of the World’s Languages in Danger"<ref>http://www.unesco.org/new/en/culture/themes/endangered-languages/atlas-of-languages-in-danger/ - gesichtet 6. September 2020</ref> stuft dreiviertel dieser indigenen Sprachen als gefährdet ein<ref>https://www.canada.ca/en/canadian-heritage/campaigns/celebrate-indigenous-languages.html - gesichtet 6. September 2020</ref>. Dabei sind sie weitaus älter als die kanadischen Amtssprachen Englisch und Französisch, denn sie haben sich über einen Zeitraum von Tausenden Jahren entwickelt.<ref name="canadiangeographic">https://www.canadiangeographic.ca/article/mapping-indigenous-languages-canada - gesichtet 6. September 2020</ref><ref name="native_languages" />
  
Östlich von Edmonton, am ''Frog Lake'' erhob sich 1885 die Plains Cree-Nation ''Ayik Sakhikan Ininiwak'' (Frog Lake Cree) unter Chief ''Mistahimaskwa'', bekannter als "Big Bear" gegen die zuvor bereits erwähnte Verweigerung der Notrationen, mit der der für "Indianerangelegenheiten" zuständige Dewdney sie zur Unterordnung zwingen wollte. Zuvor, in den Jahren 1879-1880, hatten er sowie die Chiefs der River Cree, ''Minahikosis'' ("Little Pine") und der Cree-Assiniboine, ''Payipwat'' erfolglos ein großes Gesamtreservat für diese First Nations gefordert, um in gegenseitiger Unterstützung ihre Autonomie zu wahren. Dewdneys Taktik schlug ins Gegenteil aus, denn nun kam es am 2. April 1885 unter Kriegshäuptling ''Kâ-papâmahcahkwêw'' ("Wandering Spirit") zur Eskalation, als dessen Gruppe alle weißen Siedler der Umgebung zusammtrieb und nach einem Streit zuerst den örtlichen Indianeragenten Thomas Quinn und dann acht weitere Siedler tötete.<ref name="Nordwest-Rebellion" /><ref name="Cree" />
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Die "Residential Schools" kapselten die junge Generation sprachlich ab, während Reservatssysteme und andere koloniale Praktiken indigene Communities daran hinderten ihre gemeinsamen Sprachen zu pflegen. Heute verstehen nur noch etwa 15 Prozent der indigenen Einwohner*innen Kanadas die ursprünglich in ihrer Heimat benutzten Sprachen.<ref name="canadiangeographic" />
  
Im benachbarten heutigen Saskatchewan wurde eine andere Cree-Gruppe unter Chief ''Pitikwahanapiwiyin'' ("Poundmaker") aktiv, nachdem seine First Nation in ihrem Reservat von kampfeshungrigen Soldaten angegriffen worden war. Poundmaker hatte seine Loyalität zur Königin in einem persönlichen Vorsprechen in Fort Battleford dem dortigen Indianeragenten Rae gegenüber bekräftigen wollen, obwohl seine Leute nahezu am Verhungern waren. Gleichzeitig flohen die Einwohner der Stadt Battleford ins Fort, weil sie angesichts der allgemeinen Stimmung meinten von den Indigenen attackiert zu werden. Der Indianeragent weigerte sich zwei Tage lang zum Gespräch herauszukommen und interpretierte die wartenden Indigenen als Belagerung. Zwischenzeitlich wurde die nun leerstehende Siedlung geplündert - von wem, ist ungeklärt. Weiße Quellen behaupten es seien Indigene gewesen, Poundmaker wurde dies zugeschrieben; ein Beobachter berichtete es seien überwiegend Weiße gewesen. Jedenfalls rückten mehrere hundert Soldaten am 2. Mai in Poundmakers Reservat vor. Hier jedoch unterlagen sie in der "Schlacht am Cut Knife" Poundmakers Kriegshäuptling ''Kamiokisihkwew'' ("Fine-Day")<ref>https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Fine-Day&oldid=882739519 - gesichtet 4. Juni 2019</ref>. Poundmaker unterband die vollständige Vernichtung der sich nun zurückziehenden weißen Kämpfer.<ref name="Poundmaker">https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=P%C3%AEhtokahanapiwiyin&oldid=898708282 - gesichtet 4. Juni 2019</ref> In der Zwischenzeit wurde eine weitere Einheit gegen Big Bear in die Gegend des Frog Lake geschickt, der Wandering Spirit Krieger unterlagen. Big Bear versuchte sich mit Poundmakers Kriegern zu vereinen, was nicht glückte, weswegen Big Bears Krieger sich nordwärts zurückzogen.<ref name="Nordwest-Rebellion" /><ref name="Cree" />
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Als Reaktion auf den politischen Druck nach dem Ende der Indian Residential Schools und im Kontext des Versöhnungsprogramms (TRC-Forderungen 13, 14 und 15<ref name="pr_language-act">https://www.canada.ca/en/canadian-heritage/news/2019/02/government-of-canadaintroduces-historiclegislationonindigenous-languages.html - gesichtet 6. September 2020</ref><ref>https://www.rcaanc-cirnac.gc.ca/eng/1524495846286/1557513199083 - gesichtet 6. September 2020</ref>) mit den Opfern dieser Politik wurde schließlich 2019 der "Indigenous Languages Act" erlassen, ein Gesetz, das helfen soll indigene Sprachen in Kanada wieder zu beleben und zu stärken. Damit soll eine langfristige Grundlage für den Erhalt und die Anwendung dieser Sprachen geschaffen werden.<ref name="languages_act">https://www.canada.ca/en/canadian-heritage/campaigns/celebrate-indigenous-languages/legislation.html - gesichtet 6. September 2020</ref>
 
 
Der Aufstand der Frog Lake Cree war einer von vielen lokalen Erhebungen indigener Kulturen gegen die zunehmende Unterdrückung durch die "Europäer*innen" ''(viele waren inzwischen die Nachkommen der europäischen Eroberer, aber weiterhin herrschte ein starker Zuzug aus dem alten Europa ins "neue Land")''. In die Geschichtsschreibung ist dieser Widerstand als "Nordwest-Rebellion" eingegangen. Sie begann am 26. März 1885 mit der Schlacht am Duck Lake, wo die Métis mit Unterstützung indigener Krieger die kanadischen Einheiten zurückschlugen, die zunächst zwei Unterhändler der Métis erschossen und dann angegriffen hatten. Mehrere First Nations schlossen sich den Aufständen an, denn die kanadische Bundesregierung hatte schon 1884 die in den ''Nummerierten Verträgen'' zugesicherten Lieferungen sowie den Handel mit Munition sanktioniert.<ref name="Nordwest-Rebellion" /><ref name="Passsystem" /><ref name="EN_Nordwest-Rebellion">https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=North-West_Rebellion&oldid=898628041 - gesichtet 4. Juni 2019</ref>
 
 
 
Am 15. April gelang es 200 Cree-Kriegern Fort Pitt zu umzingeln und schließlich einzunehmen. Nachdem die überlebenden Einheiten von Chief Big Bear freigelassen wurden, ließ dieser das Fort zerstören. Nachdem die Métis Mitte Mai in der "Schlacht von Batoche" mangels Munition unterlagen, ergab sich Poundmaker den Weißen am 25. Mai, Big Bear schließlich am 2. Juli 1885. Die indigenen Kämpfer wurden verurteilt und eingesperrt, einige von ihnen, wie der Wandering Spirit, wurden nicht als Kriegsgegner behandelt, sondern als Verbrecher in der größten Massenhinrichtung durch Hängen in Kanadas Geschichte getötet. Die Regierung befriedete die First Nations, indem sie endlich die ausstehenden Lebensmittel und Ausrüstungsgegenstände bereitstellte. Den Métis wurden schließlich die strittigen Gebiete zugesprochen. Großer Gewinner der Auseinandersetzung war ein Unternehmen - die ''Canadian Pacific Railway Company''. Sie hatte wesentlichen Anteil an den schnellen Truppenbewegungen, welchen letztlich der Sieg über die indigenen Kämpfer zugerechnet wurde. Nach der Nordwest-Rebellion erhielt die Eisenbahn großzügige finanzielle Zuwendungen von der kanadischen Regierung.<ref name="Cree" /><ref name="EN_Nordwest-Rebellion" /><ref>https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Canadian_Pacific_Railway&oldid=186906452 - gesichtet 4. Juni 2019</ref>
 
  
  

Version vom 21:00, 6. Sep 2020

Teil 15

"Tar Sands":
Nachhaltige Zerstörung von Urwäldern und Feuchtgebieten, Enteignung indigener Menschen und größter Einzelverursacher des Treibhauseffekts

fb Die bisherigen Teile dieses Artikels gaben einen Überblick über die Tar Sands-Vorkommen und die Ölindustrie in Alberta. Weiterer Fokus waren die ökologischen Auswirkungen der Tar Sands-Industrie, die Technologie der Rohölerzeugung aus den Tar Sands von der Konditionierung bis zum Upgrading sowie die Abbauverfahren und Probleme der Renaturierung. In den letzten Teilen (12, 13, 14) wurde versucht, Geschichte und Hintergründe des Landraubs an den indigenen Gemeinschaften Nordamerikas einzuordnen. Ein weiteres "dunkles Kapitel der Geschichte Kanadas" behandelt dieser Beitrag: die "Indian Residential Schools (IRS)" – Zwangsinternate für indigene Kinder und Jugendliche, die einen Teil des bis in die 1990er Jahre versuchten (praktizierten) Genozids an den nordamerikanischen indigenen Gemeinschaften bildeten[1]. Diese Schulen beeinträchtigten das Leben und die Kultur der ursprünglichen Bewohner*innen nicht nur in den damaligen und heutigen Tar Sands-Abbaugebieten und zielten darauf ab die indigene Identität und damit auch deren Widerstandsgeist zu brechen. Somit sind sie auch für die Bearbeitung der Auswirkungen dieser Industrie als moderne Ausprägung von Kolonialismus und Rassismus von Bedeutung.



Kanadas Indigenenpolitik

Über mehr als ein Jahrhundert seien die zentralen Ziele der Indigenenpolitik Kanadas gewesen, indigene Selbstregierung zu zerstören, Indigenenrechte zu ignorieren, die "Treaties" (siehe Teil 12, Heft Frühjahr 2017) zu beenden sowie die Ureinwohner*innen des Landes durch einen Assimilationsprozess als eigenständige rechtliche, soziale, kulturelle, religiöse und ethnische Einheiten in Kanada auszulöschen - so der 2015er Bericht der kanadischen "Kommission für Wahrheit und Versöhnung". Die Autor*innen bezeichnen diese mittels der Einrichtung der "Indian Residential Schools" betriebene Politik als "kulturellen Völkermord". Um diesen Begriff zu erklären, definieren sie zunächst einen "physischen Genozid" als die massenhafte Tötung von Mitgliedern einer ins Fadenkreuz genommen Gruppe und einen "biologischen Genozid" als die Zerstörung der Reproduktionsfähigkeit selbiger. In Abgrenzung zu diesen Formen des Völkermords verstehen sie "kulturellen Genozid" als die Beseitigung der Strukturen und Praktiken, die es einer Gruppe erlauben als solche zu existieren: die Zerstörung der politischen und sozialen Institutionen der angegriffenen Gruppe, die Beschlagnahmung ihres Landes, die Zwangsumsiedlung der Bevölkerung, die Beschränkung ihrer Bewegungsfreiheit, die Ächtung ihrer Sprache die Verfolgung spiritueller Oberhäupter, das Verbot spiritueller Handlungen und die Konfiszierung bzw. Zerstörung von Objekten spiritueller Bedeutung. Das wichtigste Element kulturellen Genozids sei jedoch die Unterbindung des Transfers kultureller Werte und Identität innerhalb der Familien von einer Generation zur nächsten.[2]

Das Ziel der kanadischen Indigenenpolitik beschrieb Deputy Minister of Indian Affairs Duncan Campbell Scott (1920): "our object is to continue until there is not a single Indian in Canada that has not been absorbed into the body politic". Bekräftigt wurde diese Stoßrichtung 1969 mit dem White Paper der kanadischen Regierung zur Indianerpolitik (Statement of the Government of Canada on Indian Policy), das das Ziel formulierte, den Indianerstatus zu beendigen und die Treaties, die zwischen kanadischer Regierung und den First Nations ausgehandelt worden waren, aufzukündigen. Auf diese Weise wollte sie sich der finanziellen und rechtlichen Verpflichtungen gegenüber den indigenen Communities entledigen und Zugriff auf deren verbliebenes Land und Ressourcen erlangen.[3]

Residential Schools

Die "Residential Schools" waren vom Staatssystem der europäischen Eroberer in Kanada eingeführt worden, um eine totale Assimilation der indigenen Kultur und Identität zu bewirken. Sie waren Teil eines gezielten Bestrebens "die eingeborene Kultur von der kanadischen Landkarte auszumerzen" (Stuart Murray, Kanadisches Museum für Menschrechte, 2011) [4]. Aus "Indianern" sollten "Kanadier" gemacht werden. "Entferne den Indianer aus dem Kind" (take the Indian out of the child) war das offizielle Ziel dieser Einrichtungen[5]. Die sogenannten "Indianeragenten" (siehe Teil 14, Heft Sommer 2019) versuchten durchzusetzen, dass die Kinder der indigenen Gemeinschaften in diese internatartigen Schulen gebracht wurden, was auf heftigen Widerstand stieß.[6] Das Kanadische Museum für Menschenrechte bezeichnet das Residential Schools-System als kulturellen Völkermord: "From the 1880s to the 1990s, thousands of Indigenous children were torn from their homes and sent to Indian Residential Schools. These schools were intended to destroy Indigenous families, communities and ways of life".[7]

Rechtliche Grundlagen der IRS waren der "Indian Act"[8] aus dem Jahr 1876, ein Gesetz über den Status der indigenen Angehörigen der kanadischen First Nations, das bis heute Gültigkeit hat, und der "Gradual Civilization Act" von 1857[9], das eine schrittweise "Zivilisierung" der Indianer anstrebte, sowie der "Gradual Enfranchisement Act" von 1869. Ersteres Gesetz definiert, welche Menschen als "Indianer" gelten und demnach verglichen mit den europäischen Einwanderern rechtlich benachteiligt würden. Im Zuge einer Ergänzung des Indian Act im Jahr 1894 wurde die Schulpflicht für indigene Kinder im Alter von 7-16 Jahren eingeführt[10]. Ausgerechnet die abendländischen Kirchen sollten diesen Bildungsauftrag übernehmen, weswegen die Mehrzahl der Residential Schools dann auch von christlichen Einrichtungen im Auftrag des kanadischen Staates geführt wurde.[11]

Die Bestandteile des mittels der IRS umgesetzten kanadischen Genozids an den nordamerikanischen Ureinwohner*innen umfassten "physische, biologische und kulturelle Mittel" (Kanadisches Museum für Menschenrechte) zur Zerstörung der Basis indigener Lebensweisen. Dazu gehörten die die Unterdrückung der indigenen Sprachen, kultureller Praktiken, politischer Traditionen sowie die Trennung der Kinder von ihren Eltern. Es handelte sich um ein planvolles Vorgehen, das durch eine Vielzahl verschiedener Politiken und Praktiken umgesetzt wurde. Großen Teilen der nicht-indigenen kanadischen Öffentlichkeit fehlt das Bewusstsein für diese menschenverachtende Geschichte des eigenen Landes. Den Prozess der Aufarbeitung dieser von der europäisch verwurzelten kanadischen Mehrheitsgesellschaft ausgeblendeten Geschehnisse umschreibt das Museum für Menschenrechte als "Teil einer langen nationalen Reise von der Verleugnung über Kleinreden hin zum Eingeständnis". Erst nach der Jahrtausendwende gelang es Menschenrechtsaktivist*innen, das Thema auf die nationale Tagesordnung zu setzen.[1]

Tausende Kinder starben in den Residential Schools, weitere Tausende wurden verletzt und traumatisiert. Mit jeder weiteren Generation, die diese Schulen durchlaufen musste, gelang es weniger Sprache, Kultur und Spiritualität von den Alten an die Jungen weiterzugeben. So setzten diese "Zentren kultureller Indoktrination" (Murray Sinclair) die kanadische Genozidpolitik effektiv um. In diesen Schulen wurde den Nachkommen der ursprünglichen Bewohner*innen Nordamerikas der Stolz und Selbstrespekt genommen, soziale Gemeinschaften geschwächt und der Fähigkeit eigenständig ihren traditionellen Alltagsaktivitäten nachzugehen beraubt. Kernbotschaft sowohl an die Schüler*innen der IRS als auch an die nicht-indigene Bevölkerung war eine angebliche Minderwertigkeit der indigenen Kultur, die es zu zivilisieren gälte. Dies sei Aufgabe der überlegenen Europäer*innen.[3]

Entwicklung des IRS-Systems

Schon 1867, als Kanada als Bundesstaat mit den ersten Provinzen etabliert wurde (ab 1870 waren auch die heutigen Tar Sands-Abbaugebiete Teil Kanadas)[12], waren erste kirchliche Internatsschulen für indigene Kinder in Betrieb. Mit dem Vordringen europäischer Siedler*innen nach Westen in den 1870ern errichteten evangelische sowie römisch-katholische Kirche Missionen und weitere Internate bis in den hohen Norden und an die Pazifikküste. Die meisten dieser Schulen erhielten bereits staatliche Zuschüsse pro Kopf. Bis 1939 dauerte die Phase der Etablierung und Ausweitung des IRS-Systems an: 1883 ließ Kanadas Regierung drei erste große Residential Schools für indigene Kinder in Westkanada errichten. 1930 waren bereits 80 dieser Schulen landesweit in Betrieb. Insgesamt wurden nach dem Ende der IRS mindestens 139 Einrichtungen diesem System offiziell zugeordnet (und Entschädigungen für die Überlebenden dieser Schulen bereitgestellt).[3]

Bis 1969 bestand die Partnerschaft aus christlichen Kirchen und kanadischem Staat zum Betrieb der "Residential Schools". Die meisten IRS wurden zwar bis in die 1980er Jahre geschlossen, aber es sollte bis zum Ende der 1990er dauern, bevor die letzte dieser staatlich (mit-)finanzierten Einrichtungen ihren Betrieb einstellte.[3]

Viele dieser Schulen waren schlecht gelegen, waren mangelhaft errichtet und bewirtschaftet worden. Die Belegschaft war oft klein und schlecht ausgebildet. Der Alltag der Schüler*innen war eng reglementiert und strenge Disziplin durchgesetzt. Die indigene Kultur und Sprache wurde verunglimpft und unterdrückt. Der vom Schulsystem für die indigenen Kinder angestrebte Bildungsstandard war gering, es gab keinen klaren Lehrplan. Die intellektuellen Fähigkeiten der Schüler*innen wurden von vornherein mäßig geschätzt. Die Kindesvernachlässigung hatte System und der Mangel an Beaufsichtigung öffnete körperlicher wie sexueller Misshandlung Tür und Tor.[3]

Um das IRS-System zu rechtfertigen, wurde der indigenen Bevölkerung grundsätzlich die Befähigung der Elternschaft abgesprochen. Geschwister, die zur selben Schule gingen, wurden voneinander getrennt. Von Staat bzw. Kirchen arrangierte Ehen im Anschluss an den Besuch von "Residential Schools" wurden berichtet. [3]

Wahrheitskommission

In dieser Stelle sollte die "Truth and Reconciliation Commission (TRC)" erwähnt werden. Die Residential Schools wurden zum Auslöser des größten gerichtlichen Vergleichs in der kanadischen Geschichte, dem eine Vielzahl von Klage Tausender Überlebender dieses Schulsystems vorausgingen. Ergebnis der Vergleichsvereinbarung war die Einrichtung der TRC, die sich um die Aufdeckung der Vorgänge in den IRS bemühte. Beginnend im Jahr 2008 sammelte die Kommission Millionen Dokumente, besuchte mehr als 300 Orte und hörte sich die Zeugnisse Tausender Betroffener an. Mehr als 150.000 Kinder aus indigenen Gemeinschaften, der Inuit und der Métis waren in über hundert Jahren in den Residential Schools bearbeitet worden. Im Jahr 2015 veröffentlichte die TRC ihren Abschlussbericht mit einer 94-teiligen Liste dringender Maßnahmen als Fahrplan für alle Teile der kanadischen Gesellschaft zur Aufarbeitung des Kapitels "Residential Schools".[1][3]

Murray Sinclair, Vorsitzender der TRC: "The most alarming aspect of the [IRS] system was that its target and its victims were the most vulnerable of society: little children. Removed from their families and home communities, seven generations of Aboriginal children were denied their identity through a systematic and concerted effort to extinguish their culture, language, and spirit."[3]

Ein wichtiger Aspekt des Mandats der Kommission waren die fehlenden Kinder: Wie viele starben in den "Residential Schools", was waren die Umstände ihres Todes und wo wurden sie beerdigt? Der Abschlussbericht macht deutlich, dass die Sterblichkeit indigener IRS-Schüler*innen höher als nicht-indigener Schüler*innen war und dass das Versagen der Regierung die Schulen mit angemessenen finanziellen Mitteln, medizinischer Versorgung, Ernährung, Unterkünften, Sanitäranlagen und Kleidung dazu beigetragen hatten.[3]

Wie schon der Name der Kommission andeutet, war neben der Wahrheitssuche die Aussöhnung von Opfern und Täter*innen Teil ihres Auftrages. Murray Sinclair brachte im Vorwort des Abschlussberichts die Überzeugung zum Ausdruck, dass die Beseitigung der Schäden, die die in der Königlichen Proklamation von 1763 (siehe Teil 12, Heft Frühjahr 2017) bekräftigte Beziehung der First Nations mit den europäischen Siedler*innen erlitten hat, nur durch bewusste und bedächtige Bereitschaft zur Versöhnung und ausdauernden Aktionen erreicht werden könne. Die 1763 versprochene auf gegenseitigem Respekt basierende Beziehung müsse erst noch hergestellt werden. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, das Eingestehen des begangenen Unrechts und die Umsetzung geeigneter Lösungen für die indigenen Communities setze die Bereitschaft einer ehrlichen Auseinandersetzung der nicht-indigenen Bevölkerung mit den Überlebenden der Residential Schools voraus.[3]

Das Recht auf eigene Sprache

Aufgrund der Verknüpfung von Sprache, Kultur, Identität und Beteiligung innerhalb einer Gesellschaft stellt der Anspruch sich in der eigenen Sprache ausdrücken zu dürfen ein fundamentales Recht[13] dar (vgl. Museum für Menschenrechte[14]). Auf die Verwirklichung dieses Rechts zielen gleich mehrere Artikel der "Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker" ab[15]. Von den ursprünglich benutzten indigenen Sprachen werden heute in Kanada nur noch etwa 60[16] von etwa 229.000 Menschen gesprochen. Diese Zahl sinkt auch nach dem Ende der IRS weiter, weil es immer wenige Muttersprachler*innen gibt, die sie fließend anwenden können. Der "UNESCO Atlas of the World’s Languages in Danger"[17] stuft dreiviertel dieser indigenen Sprachen als gefährdet ein[18]. Dabei sind sie weitaus älter als die kanadischen Amtssprachen Englisch und Französisch, denn sie haben sich über einen Zeitraum von Tausenden Jahren entwickelt.[19][14]

Die "Residential Schools" kapselten die junge Generation sprachlich ab, während Reservatssysteme und andere koloniale Praktiken indigene Communities daran hinderten ihre gemeinsamen Sprachen zu pflegen. Heute verstehen nur noch etwa 15 Prozent der indigenen Einwohner*innen Kanadas die ursprünglich in ihrer Heimat benutzten Sprachen.[19]

Als Reaktion auf den politischen Druck nach dem Ende der Indian Residential Schools und im Kontext des Versöhnungsprogramms (TRC-Forderungen 13, 14 und 15[20][21]) mit den Opfern dieser Politik wurde schließlich 2019 der "Indigenous Languages Act" erlassen, ein Gesetz, das helfen soll indigene Sprachen in Kanada wieder zu beleben und zu stärken. Damit soll eine langfristige Grundlage für den Erhalt und die Anwendung dieser Sprachen geschaffen werden.[22]


Fortsetzung folgt! Weiter geht es mit diesem Hintergrundbericht in der nächsten Ausgabe. Oder, wer nicht so lange warten will, kann auf der Internetseite des grünen blatts bereits weiterlesen.

Dieser Artikel basiert auf Vorort-Recherchen in Alberta, Interviews mit Vertreter*innen von kanadischen Umwelt-NGOs, First Nations, aus Ölindustrie und Politik sowie auf Internet-Recherchen.


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Weiterführende Informationen

Tar Sands-Pipelines:

First Nations:

Initiativen, Gruppen, NGOs:

Fort McMurray:

Tar Sands-Lobby:


  1. 1,0 1,1 1,2 https://humanrights.ca/news/confronting-genocide-in-canada - gesichtet 6. September 2020
  2. Zitiert aus Band 1, Teil 1 des Abschlussberichts der Kommission: Seite 3
    https://nctr.ca/assets/reports/Final%20Reports/Volume_1_History_Part_1_English_Web.pdf - gesichtet 6. September 2020
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 3,6 3,7 3,8 3,9 https://nctr.ca/assets/reports/Final%20Reports/Volume_1_History_Part_1_English_Web.pdf - gesichtet 6. September 2020
  4. https://humanrights.ca/news/speech-delivered-by-president-and-ceo-stuart-murray-to-the-truth-and-reconciliation-commission - gesichtet 6. September 2020
  5. https://humanrights.ca/news/take-the-indian-music-and-reflection-about-reconciliation-at-cmhr - gesichtet 6. September 2020
  6. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Indianeragent_(Kanada)&oldid=187873934 - gesichtet 3. Juni 2019
  7. https://www.cbc.ca/news/indigenous/cmhr-colonialism-genocide-indigenous-peoples-1.5141078?fbclid=IwAR1cx_673vKzXjWoS1IuwnlYA40mMpvNR0tYBb2bWAsgwgikZM1umTH8YYk - gesichtet 5. Juni 2019
  8. https://www.canadiana.ca/view/oocihm.9_08051_5_1/213?r=0&s=1 - gesichtet 6. September 2020
  9. http://signatoryindian.tripod.com/routingusedtoenslavethesovereignindigenouspeoples/id10.html - gesichtet 6. September 2020
  10. https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Indian_Act&printable=yes - gesichtet 6. September 2020
  11. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Residential_School&oldid=202164905 - gesichtet 6. September 2020
  12. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Kanada&oldid=203304213 - gesichtet 6. September 2020
  13. Dieses indigene Recht auf die eigene Sprache soll 2019 mit dem im Folgenden erwähnten "Indigenous Languages Act" verankert worden sein.
  14. 14,0 14,1 https://humanrights.ca/story/language-rights-are-human-rights - gesichtet 6. September 2020
  15. https://www.un.org/esa/socdev/unpfii/documents/Declaration%28German%29.pdf - gesichtet 6. September 2020
  16. Eine Presseinformation der kanadischen Regierung spricht von 90 immer noch angewandten indigenen Sprachen.
    https://www.canada.ca/en/canadian-heritage/news/2019/02/government-of-canadaintroduces-historiclegislationonindigenous-languages.html - gesichtet 6. September 2020
  17. http://www.unesco.org/new/en/culture/themes/endangered-languages/atlas-of-languages-in-danger/ - gesichtet 6. September 2020
  18. https://www.canada.ca/en/canadian-heritage/campaigns/celebrate-indigenous-languages.html - gesichtet 6. September 2020
  19. 19,0 19,1 https://www.canadiangeographic.ca/article/mapping-indigenous-languages-canada - gesichtet 6. September 2020
  20. https://www.canada.ca/en/canadian-heritage/news/2019/02/government-of-canadaintroduces-historiclegislationonindigenous-languages.html - gesichtet 6. September 2020
  21. https://www.rcaanc-cirnac.gc.ca/eng/1524495846286/1557513199083 - gesichtet 6. September 2020
  22. https://www.canada.ca/en/canadian-heritage/campaigns/celebrate-indigenous-languages/legislation.html - gesichtet 6. September 2020