2020-01:Thorium - Brennstoff für eine bessere Kerntechnik?: Unterschied zwischen den Versionen
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=== Behauptung 1: Mit Thoriumnutzung lassen sich die nuklearen Brennstoffreserven um den Faktor 400 strecken === | === Behauptung 1: Mit Thoriumnutzung lassen sich die nuklearen Brennstoffreserven um den Faktor 400 strecken === | ||
− | Thorium selbst ist kein Spaltstoff. Es kann in Brüterreaktoren<ref> | + | Thorium selbst ist kein Spaltstoff. Es kann in Brüterreaktoren<ref>Ein Brüter ist ein Reaktor, bei dem bei Entnahme der abgebrannten Brennelemente mehr Spaltstoff vorhanden ist, als in frischen Brennelementen. Begriffliche Verwirrung stiftet gelegentlich, dass im kerntechnischen Sprachgebrauch jeder konventionelle Reaktor brütet, aber eben weniger als er verbraucht (''und deshalb nicht als Brüter bezeichnet wird'').</ref> aber in spaltbares Uran-233 (''U-233'') umgewandelt werden, ähnlich wie das nicht spaltbare U-238<ref>99,3 Prozent des Natururans</ref> in einem Brüterreaktor in spaltbares Plutonium umgewandelt werden kann. Thoriumnutzung setzt also Brüter- und Wiederaufarbeitungstechnologie voraus. Da letztere aus verschiedenen Gründen fast weltweit in Verruf geraten sind, könnte es sein, dass der noch unverbrauchte Begriff Thorium hier genutzt wird, um einen beabsichtigten Wiedereinstieg in diese problematischen Technologien zu verschleiern. |
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Nun zum Faktor 400: Dieser vergleicht Urannutzung in klassischen Leichtwasserreaktoren (''LWR'') mit Thoriumeinsatz in Brüterreaktoren. Ein Faktor von circa 100 geht dabei auf die Brüterverwendung zurück, und wäre im weiter entwickelten Uran/Plutonium-Kreislauf ebenfalls zu erreichen; nur ein Faktor von 3 bis 4 ist spezifisch für Thorium, weil es eben um diesen Faktor häufiger vorkommt als Uran. | Nun zum Faktor 400: Dieser vergleicht Urannutzung in klassischen Leichtwasserreaktoren (''LWR'') mit Thoriumeinsatz in Brüterreaktoren. Ein Faktor von circa 100 geht dabei auf die Brüterverwendung zurück, und wäre im weiter entwickelten Uran/Plutonium-Kreislauf ebenfalls zu erreichen; nur ein Faktor von 3 bis 4 ist spezifisch für Thorium, weil es eben um diesen Faktor häufiger vorkommt als Uran. | ||
=== Behauptung 2: Thorium kam bei der Atomenergieentwicklung nicht zum Zuge, weil es nicht zur militärischen Nutzung taugt === | === Behauptung 2: Thorium kam bei der Atomenergieentwicklung nicht zum Zuge, weil es nicht zur militärischen Nutzung taugt === | ||
− | Die ersten Anfänge der Kerntechnik in den USA (1944 bis Anfang der 1950er Jahre) sind durch eine Situation gekennzeichnet, in welcher die Anreicherungstechnologie noch sehr unterentwickelt war. Besser entwickelt waren demgegenüber graphitmoderierte Reaktoren, die Natururan verwenden konnten und Plutonium erbrüteten. Zur Thoriumnutzung<ref>Thorium enthält anders als Natururan ja keinen spaltbaren Anteil</ref> wäre als Spaltstoff zwingend angereichertes Uran oder eventuell Plutonium erforderlich gewesen. Beide Wege der Thoriumnutzung wurden anfänglich nicht gewählt, da sie die insgesamt noch geringe Gesamtkapazität der militärischen Spaltstofferzeugung zwangsläufig gedrosselt hätten.<ref> | + | Die ersten Anfänge der Kerntechnik in den USA (1944 bis Anfang der 1950er Jahre) sind durch eine Situation gekennzeichnet, in welcher die Anreicherungstechnologie noch sehr unterentwickelt war. Besser entwickelt waren demgegenüber graphitmoderierte Reaktoren, die Natururan verwenden konnten und Plutonium erbrüteten. Zur Thoriumnutzung<ref>Thorium enthält anders als Natururan ja keinen spaltbaren Anteil</ref> wäre als Spaltstoff zwingend angereichertes Uran oder eventuell Plutonium erforderlich gewesen. Beide Wege der Thoriumnutzung wurden anfänglich nicht gewählt, da sie die insgesamt noch geringe Gesamtkapazität der militärischen Spaltstofferzeugung zwangsläufig gedrosselt hätten.<ref>Thorium hat einen größeren Einfangquerschnitt für (thermische, also langsame) Neutronen als U-238. Daher benötigt es als Brutstoff im Reaktor eine höhere Spaltstoffdichte als U-238.</ref> |
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− | Erst als die US-Anreicherungsanlagen Anfang der 1950er Jahre hinreichende Mengen an angereichertem Uran lieferten, begann der militärische und später auch zivile Einstieg in die Thoriumtechnologie: 1955 wurde eine überwiegend auf U-233 aus Thorium basierende Bombe gezündet und es wurde eine strategische U-233-Reserve von gut 2 Tonnen angelegt. Der große Vorsprung der Plutoniumbombe war zu diesem Zeitpunkt aber nicht mehr einzuholen, und Plutonium blieb weltweit der führende militärische Spaltstoff<ref>Indische Atomwaffen sollen jedoch nach nicht nachprüfbaren Informationen U-233 enthalten</ref>: Zum Abschluss der militärischen Untersuchungen zur Thoriumnutzung wurde aus Sicht der US-Kernwaffennutzung dokumentiert, dass U-233 zwar ein hochpotentes Kernwaffenmaterial sei, aber kaum Vorteile gegenüber dem etablierten Plutonium böte.<ref>W. K. Woods: LRL interest in U-233, Lawrence Livermore 10. 02.1966, (aus der Geheimhaltung entlassen 1994), | + | Erst als die US-Anreicherungsanlagen Anfang der 1950er Jahre hinreichende Mengen an angereichertem Uran lieferten, begann der militärische und später auch zivile Einstieg in die Thoriumtechnologie: 1955 wurde eine überwiegend auf U-233 aus Thorium basierende Bombe gezündet und es wurde eine strategische U-233-Reserve von gut 2 Tonnen angelegt. Der große Vorsprung der Plutoniumbombe war zu diesem Zeitpunkt aber nicht mehr einzuholen, und Plutonium blieb weltweit der führende militärische Spaltstoff<ref>Indische Atomwaffen sollen jedoch nach nicht nachprüfbaren Informationen U-233 enthalten</ref>: Zum Abschluss der militärischen Untersuchungen zur Thoriumnutzung wurde aus Sicht der US-Kernwaffennutzung dokumentiert, dass U-233 zwar ein hochpotentes Kernwaffenmaterial sei, aber kaum Vorteile gegenüber dem etablierten Plutonium böte.<ref name="6">W. K. Woods: LRL interest in U-233, Lawrence Livermore 10. 02.1966, (aus der Geheimhaltung entlassen 1994), https://www.osti.gov/scitech/biblio/79078</ref> Da die LEU-Leichtwasserreakroren<ref>LEU = Low Enriched Uranium</ref> schon zu weit entwickelt waren, blieb auch in der zivilen Kerntechnik der Thoriumeinsatz eine Nischenanwendung: Etwa im kurz betriebenen deutschen „Thoriumreaktor“ THTR-300 in Hamm, der aber de facto ein Uranreaktor war<ref>Brennstoff: 10 % waffenfähiges 93%-angereichertes U-235 und 90 % Thorium</ref>, da der auf Thorium zurückgehende Anteil an der Energieerzeugung 25 Prozent nicht überstieg. |
− | https://www.osti.gov/scitech/biblio/79078</ref> Da die LEU-Leichtwasserreakroren<ref> | ||
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=== Behauptung 3: Thoriumverwendung birgt kaum Proliferationsgefahren === | === Behauptung 3: Thoriumverwendung birgt kaum Proliferationsgefahren === | ||
− | Die Problematik der Proliferation bei Th/U-233 bedarf einer differenzierten Analyse, pauschale Antwortversuche führen in die Irre. Daher sei zuerst die Waffentauglichkeit von U-233 untersucht. Als Kriterien für eine gute Waffentauglichkeit gelten eine niedrige kritische Masse sowie eine niedrige Spontanspaltungsrate. Die kritische Masse von U-233 beträgt nur 40 Prozent derjenigen von U-235, bei Plutonium-239 (Pu-239) ist die kritische Masse circa 15 Prozent kleiner als beim U-233. Für einen einfach zu bauenden nuklearen Sprengsatz werden etwa 20 bis 25 Kilogramm U-233 benötigt. Die Spontanspaltungsrate ist wichtig, weil die durch Spontanspaltung erzeugten Neutronen als Starter der Kettenreaktion wirken; zur effizienten nuklearen Explosion muss der Spaltstoff aber mindestens eine | + | Die Problematik der Proliferation bei Th-/U-233 bedarf einer differenzierten Analyse, pauschale Antwortversuche führen in die Irre. Daher sei zuerst die Waffentauglichkeit von U-233 untersucht. Als Kriterien für eine gute Waffentauglichkeit gelten eine niedrige kritische Masse sowie eine niedrige Spontanspaltungsrate. Die kritische Masse von U-233 beträgt nur 40 Prozent derjenigen von U-235, bei Plutonium-239 (''Pu-239'') ist die kritische Masse circa 15 Prozent kleiner als beim U-233. Für einen einfach zu bauenden nuklearen Sprengsatz werden etwa 20 bis 25 Kilogramm U-233 benötigt. Die Spontanspaltungsrate ist wichtig, weil die durch Spontanspaltung erzeugten Neutronen als Starter der Kettenreaktion wirken; zur effizienten nuklearen Explosion muss der Spaltstoff aber mindestens eine Kritikalität<ref>Kritikalität: Zahl der Spaltungen, die eine einzelne Spaltung durch die von ihr produzierten Neutronen unmittelbar zur Folge hat.</ref> von circa 2,5 haben. Kommt es bereits während der konventionellen Bombenzündung in der Kritikalitätsphase zwischen 1 und 2,5 zu einer merklichen Kettenreaktion aufgrund von Spontanspaltungen, könnte das zu unerwünschten schwachen nuklearen Explosionen führen, welche die Überkritikalität beenden, bevor ein nennenswerter Anteil des Spaltstoffs reagiert hat. Das hängt wesentlich auch davon ab, wie schnell die Kritikalitätsphase von 1 bis 2,5 durchschritten wird. Waffenplutonium (''überwiegend Pu-239'') und vor allem Reaktorplutonium haben – anders als die genannten Uranspaltstoffe – eine vergleichsweise hohe Spontanspaltungsrate, was ihre Verwendung in einfach zu bauenden Bomben ausschließt. |
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+ | Konkret kann Plutonium in einer Gun-Bombe nicht zur Explosion gebracht werden, wohl aber die beiden Urannuklide; Plutonium benötigt die viel komplexere Implosionsbombe, auf die hier nicht eingegangen werden soll. Eine Gun-Bombe (''Kanonenrohranordnung, in der ein Spaltstoffprojektil auf einen Spaltstoffblock geeigneter Form geschossen wird, sodass sie zusammen eine hoch überkritische Anordnung ergeben, s. Abbildung auf Folie 7 in (Adelfang 2011<ref name="1">Pablo Adelfang, Research Reactor Section / IAEA: Symposium on Progress, Challenges, and Opportunities for Converting U.S. and Russian Research Reactors from Highly Enriched to Low Enriched Uranium Fuel, Moscow, 8-10 June 2011, | ||
+ | http://dels.nas.edu/resources/static-assets/nrsb/miscellaneous/Adelfang-Presentation_Moscow_June_2011_Ali.pdf</ref>)'') wurde in Hiroshima eingesetzt; hier liegt das Durchlaufen der Kritikalitätsphase 1 bis 2,5 im Bereich von Millisekunden – ein relativ langer Zeitraum, in welcher sich ein Plutoniumsprengsatz durch eine schwache nukleare Explosion, initiiert durch Spontanspaltung, selbst zerstören würde. Solche Uran-Gun-Anordnungen sind heute in modernen Waffenarsenalen nicht mehr zu finden:<ref>Zwischen 1977 und 1990 baute die Apartheidregierung in Südafrika 7 Gun-Atombomben auf der Basis von Uran-235 (Anreicherungsan-lage); man scheute den hohen Entwicklungsaufwand für moderne Implosionsbomben. Das Forschungszentrum Jülich lieferte trotz Embargos 1988 an das Apartheidregime HTR-Technologie, welche zur Entwicklung eines Antriebs für Atom-U-Boote, in denen die Bomben sicher verwahrt werden sollten, dienen sollte. Die Bomben wurden 1993 demontiert.</ref> Ihr Wirkungsgrad ist mit nur maximal einigen Prozent nämlich verhältnismäßig schlecht, sie sind sperrig (Hiroshima-Bombe: 3,6 Tonnen schwer, 3,2 Meter lang), unflexibel und für Interkontinentalraketen als Trägersysteme eher ungeeignet. Auf der anderen Seite sind Gun-Anordnungen hoch zuverlässig und sehr einfach zu bauen. Auch die Internationale Atomenergie-Agentur (IAEA) rechnet damit, dass größere Terrorgruppen in der Lage sind, einen nuklearen Sprengsatz auf Basis von Gun-Anordnungen zu konstruieren, wenn sie in den Besitz ausreichender Mengen an geeignetem Spaltstoff gelangen.</ ref name="1"> Bomben einer Stärke von maximal dem Doppelten bis 2,5-fachen der Hiroshima-Bombe sind so denkbar. Aus diesem Grund bemühen sich die Atommächte USA und Russland seit Jahrzehnten intensiv, das früher weltweit gelieferte hochangereicherte U-235 (HEU) zurückzuholen. | ||
Ein Nachteil von U-233 in der Waffentechnik liegt darin, dass es – wenn es ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Energieerzeugung produziert wird – mit maximal 250 ppm6 an U-232 (Halbwertszeit 70 Jahre) kontaminiert ist.[2] Das beeinträchtigt die Explosionsfähigkeit zwar nicht, aber die Uran-232-Zerfallsreihe geht in die eingangs erwähnte Thorium-Zerfallsreihe mit dem hart strahlenden Tl-208 über: Eine stark strahlende Bombe ist natürlich – aus Handhabungsgründen und weil die Strahlung die Bombenelektronik stört – im militärischen Umfeld unerwünscht: In den USA gilt eine Grenze von 50 ppm U-232, ab der U-233 als nicht mehr waffentauglich gilt. Trotzdem resultiert aus U-232 keine wirkliche Entlastung der Proliferationsproblematik beim U-233: Zum einen benötigen simple Gun-Anordnungen keinerlei Elektronik; weiterhin dürften Strahlenschutzgesichtspunkte beim Bombenbau bei Terrororganisationen, welche Selbstmordattentäter einsetzen, kaum eine Rolle spielen. Außerdem entsteht der harte Strahler Tl-208 erst am Ende der Zerfallsreihe von U-232: Frisch hergestelltes oder gereinigtes U-233/U-232 strahlt daher für einige Wochen nur wenig und ist leichter handhabbar.[2] Zum anderen lässt sich die Bildung von Uran-232 weitgehend unterdrücken, wenn man beim Erbrüten von U-233 Neutronen mit Energien größer 0,5 MeV ausblendet (zum Beispiel indem man Thorium im Reaktor hinter einer moderierenden Schicht anordnet) und Thorium aus Erzen verwendet, die möglichst wenig Uran enthalten. Eine besonders elegante Möglichkeit zur Gewinnung von hochreinem U-233 stellen angedachte Flüssigsalzreaktoren mit integrierter Wiederaufarbeitung dar: Beim Erbrüten von U-233 aus Thorium entsteht nämlich als Zwischenprodukt Protactinium (Pa-233) mit einer Halbwertszeit von circa 1 Monat. Isoliert man – wie in Flüssigsalzreaktoren beabsichtigt – dieses Zwischenprodukt und lässt es außerhalb des Reaktors zerfallen, erhält man ein optimal für Kernwaffen geeignetes U-233. | Ein Nachteil von U-233 in der Waffentechnik liegt darin, dass es – wenn es ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Energieerzeugung produziert wird – mit maximal 250 ppm6 an U-232 (Halbwertszeit 70 Jahre) kontaminiert ist.[2] Das beeinträchtigt die Explosionsfähigkeit zwar nicht, aber die Uran-232-Zerfallsreihe geht in die eingangs erwähnte Thorium-Zerfallsreihe mit dem hart strahlenden Tl-208 über: Eine stark strahlende Bombe ist natürlich – aus Handhabungsgründen und weil die Strahlung die Bombenelektronik stört – im militärischen Umfeld unerwünscht: In den USA gilt eine Grenze von 50 ppm U-232, ab der U-233 als nicht mehr waffentauglich gilt. Trotzdem resultiert aus U-232 keine wirkliche Entlastung der Proliferationsproblematik beim U-233: Zum einen benötigen simple Gun-Anordnungen keinerlei Elektronik; weiterhin dürften Strahlenschutzgesichtspunkte beim Bombenbau bei Terrororganisationen, welche Selbstmordattentäter einsetzen, kaum eine Rolle spielen. Außerdem entsteht der harte Strahler Tl-208 erst am Ende der Zerfallsreihe von U-232: Frisch hergestelltes oder gereinigtes U-233/U-232 strahlt daher für einige Wochen nur wenig und ist leichter handhabbar.[2] Zum anderen lässt sich die Bildung von Uran-232 weitgehend unterdrücken, wenn man beim Erbrüten von U-233 Neutronen mit Energien größer 0,5 MeV ausblendet (zum Beispiel indem man Thorium im Reaktor hinter einer moderierenden Schicht anordnet) und Thorium aus Erzen verwendet, die möglichst wenig Uran enthalten. Eine besonders elegante Möglichkeit zur Gewinnung von hochreinem U-233 stellen angedachte Flüssigsalzreaktoren mit integrierter Wiederaufarbeitung dar: Beim Erbrüten von U-233 aus Thorium entsteht nämlich als Zwischenprodukt Protactinium (Pa-233) mit einer Halbwertszeit von circa 1 Monat. Isoliert man – wie in Flüssigsalzreaktoren beabsichtigt – dieses Zwischenprodukt und lässt es außerhalb des Reaktors zerfallen, erhält man ein optimal für Kernwaffen geeignetes U-233. | ||
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''Dieser Artikel wurde erstveröffentlicht im Strahlentelex Nr. 746-747 / 02.2018.'' | ''Dieser Artikel wurde erstveröffentlicht im Strahlentelex Nr. 746-747 / 02.2018.'' | ||
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+ | <ref>Jungmin Kang, Frank N. v. Hippel: U-232 and the Proliferation-Resistance of U-233 in Spent Fuel, Science & Global Security, 2001, Volume 9 pp 1-32, | ||
+ | http://fissilematerials.org/library/sgs09kang.pdf</ref> | ||
+ | [3] | ||
+ | <ref>Stephen F. Ashley: Thorium fuel has risks, Nature 31, Vol. 492, 6 Dec. 2012, | ||
+ | https://www.researchgate.net/publication/233880587_Nuclear_energy_Thorium_fuel_has_risks</ref> | ||
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+ | <ref>IAEA: Average number of neutrons emitted per fission, 2008, https://www-nds.iaea.org/sgnucdat/a6.htm</ref> | ||
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[5] Rainer Moormann: Transmutation, ein Weg aus der Atommüllfalle? Strahlentelex 744-745 v. 4.1.2018, S. 5-7, | [5] Rainer Moormann: Transmutation, ein Weg aus der Atommüllfalle? Strahlentelex 744-745 v. 4.1.2018, S. 5-7, | ||
http://www.strahlentelex.de/Stx_18_744-745_S05-07.pdf | http://www.strahlentelex.de/Stx_18_744-745_S05-07.pdf |
Version vom 13:11, 10. Mai 2020
Thorium - Brennstoff für eine bessere Kerntechnik?
Thorium wird aktuell von manchen Atomkraftbefürworter*innen als bessere Alternative zum Uranbrennstoff bezeichnet. Thorium selbst ist aber kein Spaltstoff, sondern kann nur über Brüter- und Wiederaufarbeitungtechnologie in spaltbares Uran-233 umgewandelt werden. Es kommt 3- bis 4-mal häufiger vor als Uran. Bezüglich Sicherheit und Entsorgung sind keine durchgreifenden Vorteile gegenüber dem klassischen Uranbrennstoff erkennbar. Ein schwerwiegender Nachteil liegt darin, dass aus Thorium erbrütetes Uran-233 zum Bau von einfachen aber hochwirksamen Nuklearsprengsätzen zum Beispiel durch Terrororganisationen taugt. Die aktuell noch vielfach angestrebte Thoriumverwendung ohne wirksame Denaturierung des erbrüteten Spaltstoffs erscheint daher unverantwortlich.
Einleitung
Thorium (Th) ist ein Schwermetall der Ordnungszahl 90 (Uran: 92). Es zählt zu den Aktinoiden, kommt etwa 3- bis 4-mal häufiger vor als Uran und ist radioaktiv[1]. Technische Anwendungen hat es bisher kaum gefunden. Eine Besonderheit ist die sehr harte (durchdringende) Gammastrahlung aus seiner Zerfallsreihe[2]. Thorium wird seit circa 10 Jahren von einer weltweit aktiven Gruppe von Atomkraftbefürworter*innen als Brennstoff für eine sichere und kostengünstige AKW[3]-Technik ohne größere Entsorgungs- und Proliferationsprobleme empfohlen. Dieser Anspruch soll hier einem wissenschaftlichen Faktencheck unterworfen werden. Dazu werden die Behauptungen der Thoriumbefürworter*innen sukzessive geprüft.
Behauptung 1: Mit Thoriumnutzung lassen sich die nuklearen Brennstoffreserven um den Faktor 400 strecken
Thorium selbst ist kein Spaltstoff. Es kann in Brüterreaktoren[4] aber in spaltbares Uran-233 (U-233) umgewandelt werden, ähnlich wie das nicht spaltbare U-238[5] in einem Brüterreaktor in spaltbares Plutonium umgewandelt werden kann. Thoriumnutzung setzt also Brüter- und Wiederaufarbeitungstechnologie voraus. Da letztere aus verschiedenen Gründen fast weltweit in Verruf geraten sind, könnte es sein, dass der noch unverbrauchte Begriff Thorium hier genutzt wird, um einen beabsichtigten Wiedereinstieg in diese problematischen Technologien zu verschleiern.
Nun zum Faktor 400: Dieser vergleicht Urannutzung in klassischen Leichtwasserreaktoren (LWR) mit Thoriumeinsatz in Brüterreaktoren. Ein Faktor von circa 100 geht dabei auf die Brüterverwendung zurück, und wäre im weiter entwickelten Uran/Plutonium-Kreislauf ebenfalls zu erreichen; nur ein Faktor von 3 bis 4 ist spezifisch für Thorium, weil es eben um diesen Faktor häufiger vorkommt als Uran.
Behauptung 2: Thorium kam bei der Atomenergieentwicklung nicht zum Zuge, weil es nicht zur militärischen Nutzung taugt
Die ersten Anfänge der Kerntechnik in den USA (1944 bis Anfang der 1950er Jahre) sind durch eine Situation gekennzeichnet, in welcher die Anreicherungstechnologie noch sehr unterentwickelt war. Besser entwickelt waren demgegenüber graphitmoderierte Reaktoren, die Natururan verwenden konnten und Plutonium erbrüteten. Zur Thoriumnutzung[6] wäre als Spaltstoff zwingend angereichertes Uran oder eventuell Plutonium erforderlich gewesen. Beide Wege der Thoriumnutzung wurden anfänglich nicht gewählt, da sie die insgesamt noch geringe Gesamtkapazität der militärischen Spaltstofferzeugung zwangsläufig gedrosselt hätten.[7]
Erst als die US-Anreicherungsanlagen Anfang der 1950er Jahre hinreichende Mengen an angereichertem Uran lieferten, begann der militärische und später auch zivile Einstieg in die Thoriumtechnologie: 1955 wurde eine überwiegend auf U-233 aus Thorium basierende Bombe gezündet und es wurde eine strategische U-233-Reserve von gut 2 Tonnen angelegt. Der große Vorsprung der Plutoniumbombe war zu diesem Zeitpunkt aber nicht mehr einzuholen, und Plutonium blieb weltweit der führende militärische Spaltstoff[8]: Zum Abschluss der militärischen Untersuchungen zur Thoriumnutzung wurde aus Sicht der US-Kernwaffennutzung dokumentiert, dass U-233 zwar ein hochpotentes Kernwaffenmaterial sei, aber kaum Vorteile gegenüber dem etablierten Plutonium böte.Referenzfehler: Ungültige Verwendung von <ref>
: Der Parameter „name“ darf kein reiner Zahlenwert sein. Benutze einen beschreibenden Namen. Da die LEU-Leichtwasserreakroren[9] schon zu weit entwickelt waren, blieb auch in der zivilen Kerntechnik der Thoriumeinsatz eine Nischenanwendung: Etwa im kurz betriebenen deutschen „Thoriumreaktor“ THTR-300 in Hamm, der aber de facto ein Uranreaktor war[10], da der auf Thorium zurückgehende Anteil an der Energieerzeugung 25 Prozent nicht überstieg.
Behauptung 3: Thoriumverwendung birgt kaum Proliferationsgefahren
Die Problematik der Proliferation bei Th-/U-233 bedarf einer differenzierten Analyse, pauschale Antwortversuche führen in die Irre. Daher sei zuerst die Waffentauglichkeit von U-233 untersucht. Als Kriterien für eine gute Waffentauglichkeit gelten eine niedrige kritische Masse sowie eine niedrige Spontanspaltungsrate. Die kritische Masse von U-233 beträgt nur 40 Prozent derjenigen von U-235, bei Plutonium-239 (Pu-239) ist die kritische Masse circa 15 Prozent kleiner als beim U-233. Für einen einfach zu bauenden nuklearen Sprengsatz werden etwa 20 bis 25 Kilogramm U-233 benötigt. Die Spontanspaltungsrate ist wichtig, weil die durch Spontanspaltung erzeugten Neutronen als Starter der Kettenreaktion wirken; zur effizienten nuklearen Explosion muss der Spaltstoff aber mindestens eine Kritikalität[11] von circa 2,5 haben. Kommt es bereits während der konventionellen Bombenzündung in der Kritikalitätsphase zwischen 1 und 2,5 zu einer merklichen Kettenreaktion aufgrund von Spontanspaltungen, könnte das zu unerwünschten schwachen nuklearen Explosionen führen, welche die Überkritikalität beenden, bevor ein nennenswerter Anteil des Spaltstoffs reagiert hat. Das hängt wesentlich auch davon ab, wie schnell die Kritikalitätsphase von 1 bis 2,5 durchschritten wird. Waffenplutonium (überwiegend Pu-239) und vor allem Reaktorplutonium haben – anders als die genannten Uranspaltstoffe – eine vergleichsweise hohe Spontanspaltungsrate, was ihre Verwendung in einfach zu bauenden Bomben ausschließt.
Konkret kann Plutonium in einer Gun-Bombe nicht zur Explosion gebracht werden, wohl aber die beiden Urannuklide; Plutonium benötigt die viel komplexere Implosionsbombe, auf die hier nicht eingegangen werden soll. Eine Gun-Bombe (Kanonenrohranordnung, in der ein Spaltstoffprojektil auf einen Spaltstoffblock geeigneter Form geschossen wird, sodass sie zusammen eine hoch überkritische Anordnung ergeben, s. Abbildung auf Folie 7 in (Adelfang 2011Referenzfehler: Ungültige Verwendung von <ref>
: Der Parameter „name“ darf kein reiner Zahlenwert sein. Benutze einen beschreibenden Namen.)) wurde in Hiroshima eingesetzt; hier liegt das Durchlaufen der Kritikalitätsphase 1 bis 2,5 im Bereich von Millisekunden – ein relativ langer Zeitraum, in welcher sich ein Plutoniumsprengsatz durch eine schwache nukleare Explosion, initiiert durch Spontanspaltung, selbst zerstören würde. Solche Uran-Gun-Anordnungen sind heute in modernen Waffenarsenalen nicht mehr zu finden:[12] Ihr Wirkungsgrad ist mit nur maximal einigen Prozent nämlich verhältnismäßig schlecht, sie sind sperrig (Hiroshima-Bombe: 3,6 Tonnen schwer, 3,2 Meter lang), unflexibel und für Interkontinentalraketen als Trägersysteme eher ungeeignet. Auf der anderen Seite sind Gun-Anordnungen hoch zuverlässig und sehr einfach zu bauen. Auch die Internationale Atomenergie-Agentur (IAEA) rechnet damit, dass größere Terrorgruppen in der Lage sind, einen nuklearen Sprengsatz auf Basis von Gun-Anordnungen zu konstruieren, wenn sie in den Besitz ausreichender Mengen an geeignetem Spaltstoff gelangen.</ ref name="1"> Bomben einer Stärke von maximal dem Doppelten bis 2,5-fachen der Hiroshima-Bombe sind so denkbar. Aus diesem Grund bemühen sich die Atommächte USA und Russland seit Jahrzehnten intensiv, das früher weltweit gelieferte hochangereicherte U-235 (HEU) zurückzuholen.
Ein Nachteil von U-233 in der Waffentechnik liegt darin, dass es – wenn es ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Energieerzeugung produziert wird – mit maximal 250 ppm6 an U-232 (Halbwertszeit 70 Jahre) kontaminiert ist.[2] Das beeinträchtigt die Explosionsfähigkeit zwar nicht, aber die Uran-232-Zerfallsreihe geht in die eingangs erwähnte Thorium-Zerfallsreihe mit dem hart strahlenden Tl-208 über: Eine stark strahlende Bombe ist natürlich – aus Handhabungsgründen und weil die Strahlung die Bombenelektronik stört – im militärischen Umfeld unerwünscht: In den USA gilt eine Grenze von 50 ppm U-232, ab der U-233 als nicht mehr waffentauglich gilt. Trotzdem resultiert aus U-232 keine wirkliche Entlastung der Proliferationsproblematik beim U-233: Zum einen benötigen simple Gun-Anordnungen keinerlei Elektronik; weiterhin dürften Strahlenschutzgesichtspunkte beim Bombenbau bei Terrororganisationen, welche Selbstmordattentäter einsetzen, kaum eine Rolle spielen. Außerdem entsteht der harte Strahler Tl-208 erst am Ende der Zerfallsreihe von U-232: Frisch hergestelltes oder gereinigtes U-233/U-232 strahlt daher für einige Wochen nur wenig und ist leichter handhabbar.[2] Zum anderen lässt sich die Bildung von Uran-232 weitgehend unterdrücken, wenn man beim Erbrüten von U-233 Neutronen mit Energien größer 0,5 MeV ausblendet (zum Beispiel indem man Thorium im Reaktor hinter einer moderierenden Schicht anordnet) und Thorium aus Erzen verwendet, die möglichst wenig Uran enthalten. Eine besonders elegante Möglichkeit zur Gewinnung von hochreinem U-233 stellen angedachte Flüssigsalzreaktoren mit integrierter Wiederaufarbeitung dar: Beim Erbrüten von U-233 aus Thorium entsteht nämlich als Zwischenprodukt Protactinium (Pa-233) mit einer Halbwertszeit von circa 1 Monat. Isoliert man – wie in Flüssigsalzreaktoren beabsichtigt – dieses Zwischenprodukt und lässt es außerhalb des Reaktors zerfallen, erhält man ein optimal für Kernwaffen geeignetes U-233.
Ein Vorteil von U-233 gegenüber Pu-239 hinsichtlich militärischer Anwendung liegt darin, dass es viel weniger dazu neigt, bei Neutronenbestrahlung während der Herstellung im Reaktor in unerwünschte, die Explosionsfähigkeit beeinträchtigende Nuklide überzugehen. U-233 lässt sich (wie U-235) durch Zumischen von U-238 relativ leicht waffenuntauglich machen: Mischt man dem Thorium bereits bei der Zugabe in den Reaktor abgereichertes Uran zu, erhält man bei der Entnahme ein kaum noch waffenfähiges Nuklidgemisch. In Flüssigsalzreaktoren mit integrierter Wiederaufarbeitung ist das allein allerdings nicht ausreichend wirksam, hier muss zusätzlich auf die Abtrennung von Protactinium-233 (Pa-233) verzichtet werden.[9]
Als Fazit ist festzuhalten, dass Thoriumnutzung gravierende Proliferationsgefahren mit sich bringt. Diese liegen allerdings weniger darin, dass es für hochentwickelte Staaten damit leichter würde, in den Besitz von High-Tech-Atomwaffen zu gelangen, als vielmehr darin, dass die Hürde zum Bau einfacher, aber hochwirksamer nuklearer Sprengsätze für Terrororganisationen oder instabile Staaten enorm gesenkt wird.
Behauptung 4: Thoriumreaktoren sind sicherer als konventionelle Uranreaktoren
Die Spaltung von U-233 ergibt etwa die gleiche Menge der sicherheitsdominierenden Nuklide (Jod-131, Cäsium-137, Strontium-90) wie die U-235-Spaltung. Auch die Nachzerfallswärme unterscheidet sich praktisch nicht. Die Unterschiede bei den gebildeten Aktinoiden (s. nächste Behauptung) sind für das Risiko im AKW-Betrieb/Störfall von untergeordneter Bedeutung. Von daher sind keine sicherheitstechnischen Vorteile für eine Thoriumnutzung zu erkennen. Von größerer sicherheitstechnischer Bedeutung ist, dass die U-233-Spaltung um 60 Prozent weniger sogenannte verzögerte (also nicht bei der Spaltung unmittelbar, sondern aus kurzlebigen Spaltprodukten entstehende) Neutronen liefert als die U-235-Spaltung.[4] Nur aufgrund der Existenz von verzögerten Neutronen ist ein AKW überhaupt regelbar und je größer ihr Anteil ist (zum Beispiel 0,6 Prozent bei U-235), umso größer ist auch der Kritikalitätsbereich, in dem eine Regelbarkeit gegeben ist (man spricht von verzögert überkritisch). Oberhalb dieses Regelbereichs (prompt überkritisch) kommt es zum nuklearen Durchgehen des Reaktors, wie in Chernobyl geschehen. Das Faktum, dass der verzögert überkritische Bereich bei U-233 deutlich kleiner ist als bei U-235, muss als wichtiger sicherheitstechnischer Nachteil der Thoriumnutzung gewertet werden.
Bei der Auslegung von thermischen Flüssigsalzreaktoren (Brütern) stellte man fest, dass sich bei Thoriumverwendung Probleme mit der Kritikalitätssicherheit ergeben, welche die klassische Urannutzung in diesen Reaktoren nicht mit sich bringt. Für Thoriumnutzung in Flüssigsalzreaktoren musste man deshalb auf schnelle Reaktoren ausweichen. Das lässt sich zwar nicht verallgemeinern, zeigt aber, dass Thoriumnutzung zusätzliche größere Sicherheitsprobleme haben kann.
Als gravierendes Sicherheitsmanko der Thoriumnutzung ist auch die eingangs schon erwähnte Notwendigkeit zum Einstieg in Brüter- und Wiederaufarbeitungstechnologie anzusehen. Thorium wird häufig in Verbindung mit sogenannten fortgeschrittenen Reaktoren (Generation IV) beworben. Die dabei dem Thorium zugeschriebenen vorteilhaften Sicherheitseigenschaften sind in der Regel nicht Thorium-spezifisch, sondern eine Eigenschaft des Reaktorkonzeptes. Ob diese fortgeschrittenen Reaktorkonzepte in einer Gesamtsicht wirklich einen Sicherheitsgewinn bringen, soll in einem späteren Artikel separat untersucht werden.
Behauptung 5: Thoriumnutzung bringt kaum Entsorgungsprobleme mit sich
Thoriumnutzung erzeugt praktisch die gleichen Spaltprodukte wie klassische Urannutzung. Das gilt auch für die bei der Langzeitendlagerung wichtigen langlebigen Spaltprodukte, die in einem früheren Artikel behandelt wurden.[5] Diese mobilen Spaltprodukte bestimmen das Risiko eines Endlagers, wenn Wassereinbruch als dominierender Störfall angesetzt wird. Damit ergeben sich also keine Verbesserungen bezüglich Entsorgung. Die Argumente der Thoriumbefürworter zielen darauf ab, dass bei Thoriumnutzung keine Minoren Aktinoide (MA)[5] und kein Plutonium entstehen. Sie argumentieren, diese Nuklide seien hochtoxisch (was hinsichtlich Inkorporation korrekt ist) und vergleichen nur die reine Toxizität durch Inkorporation für Thorium- und Urannutzung, ohne zu berücksichtigen, dass die Aktinoide im Endlager kaum beweglich sind. Auch entstehen bei Thoriumnutzung zwar keine MA, aber andere langlebige Aktinoide, vor allem Protactinium-231 (Pa-231; Halbwertszeit 33.000 Jahre), mit ähnlichen Eigenschaften wie MA. Doch ist bei Thoriumnutzung von Vorteil, dass die Menge der entstehenden langlebigen Aktinoide um etwa einen Faktor 5 kleiner ist als die der MA bei Urannutzung. Andererseits: U-233 im Abfall ist keineswegs unproblematisch: Zu seiner dem Plutonium vergleichbaren Toxizität und seiner langen Halbwertszeit (160.000 Jahre) kommt erschwerend hinzu, dass sein Zerfallsprodukt Th-229 (Halbwertszeit 8.000 Jahre) ein recht starker Gammastrahler (neben Alphastrahlung) ist. Die maximale Konzentration an Th-229 im Endlager würde erst nach etwa 100.000 Jahren erreicht.
Insgesamt betrachtet könnte sich im Aktinoidenbereich ein begrenzter Entsorgungsvorteil für die Thoriumnutzung ergeben, aber nicht hinsichtlich der sicherheitsdominierenden langlebigen Spaltprodukte. Von daher ist das Argument, Thoriumnutzung erleichtere die Entsorgung deutlich, nicht nachvollziehbar. Ein geologisches Endlager wird weiter benötigt.
Fazit
Die von den Thoriumbefürwortern benannten Argumente für einen Umstieg vom Uran auf Thorium erweisen sich bei detaillierter Betrachtung als nicht ausreichend stichhaltig: Eine auf Thorium basierende Kerntechnik würde keines der bekannten Probleme der aktuellen Kerntechnik lösen können, aber erforderte einen enormen Entwicklungsaufwand und erzwänge den Einstieg in Brüter- und Wiederaufarbeitungstechnologie. Von daher erweist sich die Thoriumtechnologie als Sackgasse.
Schwerwiegend an der Thoriumnutzung erscheint mir der Proliferationsaspekt: Hier kommt es zu einer gravierenden Verschlechterung der aktuellen Situation, da die Hürden zum Bau wirksamer nuklearer Sprengsätze etwa durch Terrororganisationen ganz erheblich gesenkt werden. Diesem Aspekt muss besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Zwar ist zu hoffen, dass IAEA, USA und Russland, deren jahrzehntelange Bemühungen um HEU-Rücknahme durch die Thoriumtechnologie ja konterkariert würden, deren unkontrollierter Ausbreitung Widerstand entgegensetzen würden; andererseits ist der aktuelle Thoriumhype teilweise durch einen von Halbwissen getragenen Fanatismus geprägt, was in einem populistischen Gesamtumfeld zu unkalkulierbaren Entwicklungen führen kann. Mir scheint es daher wichtig, dass Umwelt- und Friedensbewegung gemeinsam darauf drängen, dass eine Thoriumtechnologie ohne ausreichende Proliferationssicherheit international ähnlich geächtet wird, wie aktuell schon die HEU-Verwendung. Als Minimalforderung bedeutet das, dass es keine Thoriumtechnologie ohne U-233-Denaturierung mit U-238 und ohne Verzicht auf Online-Wiederaufarbeitung in Flüssigsalzreaktoren geben darf.
Anhang: Umfang der internationalen Bemühungen um die Thoriumtechnologie
Zwischen der lautstarken Propaganda der Thoriumbefürworter und den realen Aktivitäten zur Entwicklung einer Thoriumtechnologie besteht noch ein großes Missverhältnis – zumindest in den westlichen Industrieländern: Getragen werden die aktuellen Arbeiten zum Thorium großenteils von kleineren Start-up-Firmen. Die großen Unternehmen verhalten sich weiterhin passiv und die staatliche Förderung für die Thoriumtechnologie bleibt gering. Eine vollständige Entwicklung von Thoriumtechnologie würde Investitionen von mehreren Milliarden Euro erfordern, hingegen summiert sich die aktuelle EU-Förderung auf einen unteren einstelligen Millionenbetrag pro Jahr. Das zusammen darf als Zeichen von Skepsis gegenüber der Thoriumtechnologie gewertet werden. Solche Skepsis wurde genährt durch umfängliche Studien, etwa der Regierungen von Großbritannien und Norwegen, die im Tenor eher pessimistisch hinsichtlich Thorium ausfielen.[8,10] Von daher erscheint es mir noch aussichtsreich, durch Aufklärung den Fehlentwicklungen eines Einstiegs in Thoriumtechnologie entgegenzuwirken. Als verhalten positives Zeichen ist zu nennen, dass die kanadische Firma Terrestrial Energy, die Flüssigsalzreaktoren entwickelt, 2013 aus Gründen der Proliferationssicherheit aus Thoriumtechnologie und Online-Wiederaufarbeitung ausstieg und seitdem einen auf klassischer Uranverwendung aufbauenden Flüssigsalzreaktor (IMSR) bearbeitet.
In Deutschland wird noch/ wieder zur Thoriumtechnologie gearbeitet: Das Forschungszentrum Jülich ist auf den Thoriumhype aufgesprungen, indem es seine früheren Erfahrungen zu thoriumhaltigen Kernbrennstoffen aufgearbeitet hat,[7] und in Karlsruhe beteiligen sich Joint Research Centre der EU-Kommission (JRC) und Karlsruher Institut für Technologie (KIT) an der von der EU geförderten Planung eines schnellen Flüssigsalzreaktors (MSFR) mit Thoriumnutzung. Aus dem MSFR müssten pro Jahr 150 Kilogramm überschüssiges U-233 ausgeschleust werden, was ohne Denaturierung zum Bau einiger nuklearer Sprengsätze ausreichen würde. In Freiburg und in Karlsruhe haben sich bereits Initiativen dagegen zusammengefunden, die Unterstützung verdienen.
Dr. Rainer Moormann
Dieser Artikel wurde erstveröffentlicht im Strahlentelex Nr. 746-747 / 02.2018.
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[5] Rainer Moormann: Transmutation, ein Weg aus der Atommüllfalle? Strahlentelex 744-745 v. 4.1.2018, S. 5-7, http://www.strahlentelex.de/Stx_18_744-745_S05-07.pdf
[7] H.-J. Allelein et al.: Thorium fuel performance assessment in HTRs, Nuclear Engineering and Design, Vol. 271, May 2014, P. 166-170, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0029549313006110 [8] Reinhard Wolff: Thorium ist auch keine Lösung, Absage von Norwegens Strahlenschutzbehörde, taz, 5. 1. 2009, https://www.taz.de/!5170129/ [9] Engel, J.R., Bauman, H.F et al.: Conceptual design characteristics of a denatured molten-salt reactor with once-through fueling, Department of Energy's (DOE) 1980, https://dx.doi.org/10.2172/5352526 [10] The Thorium Fuel Cycle, An independent assessment by the UK National Nuclear Laboratory, Position Paper, National Nuclear Laboratory, Aug. 2010, https://web.archive.org/web/20130126205622/http://www.nnl.co.uk/media/8241/nnl__1314092891_thorium_cycle_position_paper.pdf
- ↑ Halbwertszeit von Th-232 als Anfangsglied der Thorium-Zerfallsreihe 14 Milliarden Jahre im alpha-Zerfall
- ↑ Thallium-208 (Tl-208): 2,6 MeV; zum Vergleich die Gammastrahlung von Cs-137: 0,66 MeV
- ↑ AKW: Atomkraftwerk
- ↑ Ein Brüter ist ein Reaktor, bei dem bei Entnahme der abgebrannten Brennelemente mehr Spaltstoff vorhanden ist, als in frischen Brennelementen. Begriffliche Verwirrung stiftet gelegentlich, dass im kerntechnischen Sprachgebrauch jeder konventionelle Reaktor brütet, aber eben weniger als er verbraucht (und deshalb nicht als Brüter bezeichnet wird).
- ↑ 99,3 Prozent des Natururans
- ↑ Thorium enthält anders als Natururan ja keinen spaltbaren Anteil
- ↑ Thorium hat einen größeren Einfangquerschnitt für (thermische, also langsame) Neutronen als U-238. Daher benötigt es als Brutstoff im Reaktor eine höhere Spaltstoffdichte als U-238.
- ↑ Indische Atomwaffen sollen jedoch nach nicht nachprüfbaren Informationen U-233 enthalten
- ↑ LEU = Low Enriched Uranium
- ↑ Brennstoff: 10 % waffenfähiges 93%-angereichertes U-235 und 90 % Thorium
- ↑ Kritikalität: Zahl der Spaltungen, die eine einzelne Spaltung durch die von ihr produzierten Neutronen unmittelbar zur Folge hat.
- ↑ Zwischen 1977 und 1990 baute die Apartheidregierung in Südafrika 7 Gun-Atombomben auf der Basis von Uran-235 (Anreicherungsan-lage); man scheute den hohen Entwicklungsaufwand für moderne Implosionsbomben. Das Forschungszentrum Jülich lieferte trotz Embargos 1988 an das Apartheidregime HTR-Technologie, welche zur Entwicklung eines Antriebs für Atom-U-Boote, in denen die Bomben sicher verwahrt werden sollten, dienen sollte. Die Bomben wurden 1993 demontiert.
- ↑ Jungmin Kang, Frank N. v. Hippel: U-232 and the Proliferation-Resistance of U-233 in Spent Fuel, Science & Global Security, 2001, Volume 9 pp 1-32, http://fissilematerials.org/library/sgs09kang.pdf
- ↑ Stephen F. Ashley: Thorium fuel has risks, Nature 31, Vol. 492, 6 Dec. 2012, https://www.researchgate.net/publication/233880587_Nuclear_energy_Thorium_fuel_has_risks
- ↑ IAEA: Average number of neutrons emitted per fission, 2008, https://www-nds.iaea.org/sgnucdat/a6.htm