Benutzer:Dia/2015-01: Hueterbuab

Aus grünes blatt
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Martin Stuber Martin, Matthias Bürgi

Hüeterbueb und Heitsträhl- Traditionelle Formen der Waldnutzung in der Schweiz 1800 bis 2000.

di Die scharfe Trennung zwischen Wald und Weide/Acker wird heute aus vielen Gründen wieder aufgehoben (Stichwort: Agroforstwirtschaft, Waldgarten) und ist aus Natur- und Umweltschutzgründen zu begrüßen. Mit der Betrachtung historischer Nutzungsformen und einem Teil des Wissensschatzes vorangegangener Generationen liegen uns Hilfsmittel in den Händen, die wir zur Gestaltung einer langfristig fruchtbaren und vielseitig nutzbaren Landschaft verwenden können. Welche Nutzungsarten funktionierten an welchen Standorten gut, welche nicht? Martin Stüber und Matthias Bürgi versuchen mit dem vorliegenden Buch genau das: einen Teil alten Wissens zu dokumentieren. Zeitzeugen, die Wald (auch) anders nutzen als zu forstwirtschaftlichen Zwecken, wurden in 56 Interviews in 5 Regionen der Schweiz befragt. Und sie geben mögliche Antworten auf die Frage, warum über Jahrhunderte durchgeführten Waldnutzungen der Bevölkerung weitgehend aufgegeben wurden. Der Wald veränderte sich im Laufe der Jahrhunderte von einer sehr lichten Gehölzansammlung zum heutigen Forst. Häufige Waldnutzungsarten der Bevölkerung früher waren die Waldweide, das Sammeln von Laub und Nadeln sowie Beeren, Pilzen und Heilpflanzen, die Verwendung von Asche und Harzen sowie das Holzen für (Brenn)holz. Die meisten Nutzungsformen wurden anscheinend im Zuge von steigendem materiellem Wohlstand aufgegeben. Steigende Löhne, vermehrter Futter- und Streuzukauf, stagnierende Milchpreise und mehr Stallhaltung der Tiere führten zu einem Rückgang der Waldnutzung. Im Buch kommen Menschen zu Wort, die sich an Weidenutzung durch die Ziegen und Schafe landloser Menschen im Wald erinnern, wenn Allmenden nicht mehr zur Verfügung standen. Gesammelt wurden in Notzeiten sogar Flechten als Futter für Kaninchen! Die Hüeterbueben trieben die Nutztiere durch den Wald und mit dem Heitsträhl wurden Blaubeeren von den Sträuchern gerecht. Übrig blieben neben dem Holzen größtenteils Liebhaberei und Freizeitaktivität wie das Sammeln von Pilzen und Heidelbeeren. Hand in Hand ging der Wandel dieser Waldnutzung mit der Entstehung der Forstwirtschaft, wie wir sie heute kennen. Um Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in mehr und mehr mit Bäumen bestandenen Gebieten der Fokus auf Holzproduktion gesetzt und Beschädigungen der Bäume durch Verbiss oder Trittschäden nicht gerne gesehen. Durch Gesetzte untermauert wurde so die Nutzung des Waldes für den Großteil der Bevölkerung weiter eingeschränkt, indem Nutzungsbeschränkungen ausgeweitet wurden. Heutzutage sind historische Waldnutzungsformen vor Allem für den Naturschutz von Interesse. Auch, weil in lockerer Waldstruktur noch Arten Zuflucht finden, die mittlerweile im „normal“ bewirtschafteten Offenland keinen Lebensraum mehr haben. Aber in vielen Nutzungsarten steckt für uns Menschen mehr Potenzial, als nur Mittel zum Landschaftsdesign zu sein. Ich befürworte ein Wiederverwischen der scharfen Grenzen zwischen Wald und Wiese/Acker an, indem Bestand der Gehölze im „Offenland“ gefördert wird, um eine langfristig nachhaltige Landnutzung zu gewährleisten. Auch vom sozialen Blickwinkel lohnt es sich die Vergangenheit zu beleuchten: Wieder gebietsweise eingeführte Allmenden und vermehrte Produktion für den lokalen Markt können uns den Aufbau von resilienten, bedürfnisorientierten Lebensgemeinschaften erleichtern. Klar, es ist nicht alles Gold, was romantisch verklärt aus grauer Vorzeit wieder entdeckt wird, aber vieles ist auch gar nicht so verkehrt. Diese Menschen schafften es zum größten Teil von dem und mit dem zu leben, was um sie herum ist. Das ist mehr als wir „im modernen Westen“ von uns behaupten können. Wir schmücken und füllen uns bequem und in Massen mit Dingen aus fernen Ländern. In unserer Großelterngeneration und davor gibt es eine Menge an tollen Fähigkeiten zu entdecken und zu erlernen. Einige in dem Buch genannten Traditionen können uns sicherlich dabei helfen, einen nachhaltigeren Lebensstil zu führen. Vielleicht können wir so eine Art der Landnutzung entwickeln, die weder die Natur um uns herum, noch in fernen Ländern ausbeutet/degradiert? Für Futuristen und Historiker ist das Buch sehr empfehlenswert.


  • 2012, 2. Auflage.
  • Bristol-Stiftung; Bern, Stuttgart, Wien, Haupt Verlag. 302 Seiten+ DVD.
  • ISBN 978-3-258-07744-4