Diskussion:2007-02:Interview mit Emma

Aus grünes blatt
Zur Navigation springenZur Suche springen

Kurzfassung Printausgabe

Für den Abdruck im grünen blatt "Frühsommer 2007" war dieses Interview zu lang. Hier ist die gekürzte Druckfassung zu sehen:

Interview mit Emma

Hallo Emma! Du warst bei den Protesten gegen das G8-Gipfeltreffen in Heiligendamm dabei. Was war deine Motivation?

Ganz platt kommt mensch an so einem Großereignis überhaupt nicht. Zweitens ist es natürlich so, dass die G8 ein total de-legitimes Gremium sind, das einfach über Dinge entscheidet, die ganz viele Menschen betreffen. Und das ohne dass die Leute, die da zusammenkommen, überhaupt eine Ahnung davon haben, was die Entscheidungen, die sie da treffen, für die Menschen bedeuten. Darüberhinaus waren die Proteste für mich eine Gelegenheit, wo ganz viele interessante Gegenentwürfe zu dem was die G8 bedeuten vor Ort waren. Dort sind Menschen zusammengekommen, mit denen mensch sich vernetzen kann, die an konkret stattfindenden alternativen Lebensentwürfen arbeiten oder diese schon leben. Und das fand ich einen ganz spannenden Punkt.


Wo genau warst du, was hast du gemacht?

Ich hab mich in Rostock, im Convergence Center aufgehalten, in dem sich auch das Independent Media Center befunden hat, und im Protestcamp Reddelich. An beiden Orten habe ich an einem Radioprojekt mitgewirkt, das "jetsam radio" hieß. Dieses Radioprojekt sollte die Aktivistinnen und Aktivisten vor Ort bei ihrem Protest zu unterstützen. Ich habe beim technischen Aufbau mitgeholfen, die Recherchearbeit gemacht, Sendungen moderiert – alles was so zum Radiomachen dazugehört. Und damit praktisch versucht, ein Teil der Infrastruktur zu sein die den Aktivist_innen vor Ort hilft.


Meinst du, dass der Widerstand gegen den G8-Gipfel gut organisiert war? Was hätte deiner Meinung nach besser gemacht werden können?

Ich war auf jeden Fall konkret von der "Block G8"-Kampagne sehr beeindruckt, ich fand die richtig gut organisiert. Da hätte auf jeden Fall auch noch Besseres passieren können, wenn Menschen sich im Vorfeld mehr vorbereitet hätten. Aber ich fand, dass zum Beispiel diese Kampagne es wahnsinnig gut geschafft hat, Leute, die überhaupt gar keine Demonstrationserfahrung hatten, einzubinden und denen die wichtigsten Sachen zu verklickern.

Was hätte besser gemacht werden können? - Also ich glaube, alle Menschen, die was gemacht haben, haben richtig richtig gute Arbeit geleistet. Alles was noch besser hätte laufen können, wären noch mehr Leute, die sich im Vorfeld noch konkret mit Sachen auseinandersetzen und konkret an Sachen arbeiten.


Zu jetsam radio: Was war überhaupt euer Anliegen, was sollte jetsam sein: Nachrichtenticker, Debatte, Austauschforum, Background-Information, ...?

Wir haben irgendwann mal gesagt, wir möchten das Radio so machen, wie wir uns das wünschen würden, wenn wir da draußen auf den Straßen wären und versuchen würden zu protestieren. Das hat für uns bedeutet, auf der einen Seite – ganz wichtig – Informationen, und zwar abgesicherte Informationen, mit denen die Leute auch was anfangen können, zu vermitteln. Informationen ganz konkret über die lokale Situation: wie sieht es jetzt auf Straße so und so gerade aus, aber auch Informationen, die darüber hinausgehen - also was wird am nächsten Tag an Aktionen passieren, was für Infrastruktur gibt es überhaupt vor Ort, wenn ich jetzt ankomme? Und in welches Camps kann ich gehen, wo kann ich mir selber Informationen besorgen? Aber auch Reflektion ermöglichen, wenn Leute von Aktionen wiederkommen, ihnen die Möglichkeit geben darüber zu reden. Gleichzeitig auch an den Tagen, wo Aktionstage sind und wo es Themen gab, über diese Themen nochmal zu informieren (Beispiel Migratiostag). Dann natürlich immer wieder Musik zwischendurch. Ja, und einfach ganz viel Motivation. Wir haben einfach ganz viel Motivation von den Menschen auf der Straße bekommen und mir war es ein ganz wichtiges Anliegen, diese Motivation auch wieder zurück zu geben.


Habt ihr mit eurem Radio inhaltliche bzw. strategische Debatten innerhalb der Protestbewegung begleitet oder initiiert? Gab es solche überhaupt?

Eine Debatte, die bei uns vergleichsweise früh eingesetzt hat, war die über die Rolle der Medien in Zusammenarbeit mit der Polizei. Wir haben einen Fall relativ früh entdeckt, in dem Mainstream-Medien ungeprüft Informationen aus dem Polizeiticker übernommen haben, die sie dann später als Falschaussagen kennzeichnen mussten. Ich weiß nicht, ob wir damit einen Diskurs anstoßen konnten, aber das war auf jeden Fall etwas, wo ich das Gefühl hatte, das ist bei uns recht früh aufgekommen und das wird mittlerweile auch an anderen Stellen diskutiert. Ein für mich auch noch entscheidender Schwerpunkt war Polizeirepression. Was passiert da, warum passiert das, was kann man da machen.


Wurde deine Arbeit als JournalistIn von Polizei & Militär behindert? Wie stellte sich das Verhältnis zwischen unabhängigen MedienmacherInnen und den Sicherheitskräften dar?

Ich hatte nur zwei konkrete Kontaktsituationen mit Polizei. In der ersten war ich draußen auf der Straße, als die Menschen, die das Camp Wichmannsdorf aufbauen wollten, gerade eingekesselt und mehrere Stunden festgehalten wurden. Da hat der Pressesprecher der Kavala-Einheit sehr höflich auf uns reagiert und hat uns auch bereitwillig Auskunft gegeben. Ein anderes, sehr negatives Erlebnis hatte ich im Independent Media Center, als die Polizei das Convergence Center in Rostock-Evershagen umstellt hat. Es gab mehrere Situationen, in denen das CC nur gegen Personalienkontrolle betreten oder verlassen werden konnten. Da hat ein Presseausweis einen anderen Effekt gehabt: „Ach, das ist ja interessant – wir wollten nur mal gucken, wer sich hier so aufhält“.


Wie kam jetsam bei den AktivistInnen rund um Heiligendamm an? Gab es Beteiligung, Feedback?

Ja, leider wie immer bei Feedback, viel zu wenig. Es gab in Reddelich sehr positive Rückmeldungen. Da gab es auch eine besondere Situation, über die wir uns sehr gefreut haben: dort gab es noch eine zweite Gruppe, von der wir nicht wissen, wer es war, die unseren Internetstream abgefangen hat und über UKW nochmal ausgestrahlt hat, so dass jetsam im ganzen Camp zu hören war, teilweise sogar auf den Blockaden. In Steffenshagen und den Blockaden westlich von Heiligendamm. Im Camp kamen mehrfach Menschen zu uns und haben gesagt, „es ist so toll, dass es euch gab, es hat uns richtig geholfen“. Und es hat auch einfach das gemacht, was wir wollten, nämlich motiviert und Informationen gebracht.


Ein solches Projekt zu machen, bedeutet gewiss auch viel auf den Beinen, ständig unterwegs sein. Wie bist du damit umgegangen? Gab es Punkte, an denen du nicht mehr weitermachen konntest? Wie bist du dem drohenden Burnout ausgewichen?

Ich bin dem drohenden Burnout entkommen, indem ich einfach nicht aufgehört habe mit dem Weitermachen. Ich war zwei Wochen vor Ort und bin nach wie vor sehr beeindruckt, was Begeisterung bewirken kann. Ich hab durch das energiegeladene Umfeld mehr schaffen können als ich dachte. Durch das selbstorganisierte Arbeiten und die Atmosphäre konnte ich mir immer eine Aufgabe suchen, die mich so interessiert hat, dass ich auch einfach über meine Müdigkeit hinausarbeiten konnte. Es hat ganz viel dazu beigetragen, dass einfach jeder und jede immer das gemacht hat, was sie gerade wichtig fand und auch Energie dafür hatte und sich das trotzdem zu einem Ganzen zusammengesetzt hat. Oder gerade deswegen.


Wie war dein/euer Verhältnis zu anderen (Mainstream-)JournalistInnen?

Mit Mainstream-Medien haben wir gar nicht zusammengearbeitet. Also wir hatten auch am Eingang zum Independent Media Center ein großes Schild hängen „Alles, was wir hier nicht wollen“ und da war auf jeden Fall die Mainstream-Presse mit dabei. Begründet durch ein Misstrauen, das sich durchaus auch als gegenständlich herausgestellt hat. Dass eben Mainstream-Medien z.B. Auflagenzahlen hinterherrennen müssen und deshalb bestimmte Methoden benutzen, die wir einfach nicht gut finden und sich oft an Absprachen nicht halten.


Welche Bedeutung hatte jetsam radio für den Widerstand? Konntet ihr die Leute erreichen, für die ihr gesendet habt?

Ich glaube, wir haben auf jeden Fall sehr viel mehr Leute erreicht durch diese Gruppe, die dankenswerter Weise unser Programm per UKW ausgestrahlt hat. Wir haben durch den Internetstream auf jeden Fall auch Leute außerhalb der Lokalität dort erreicht, also Leute, die uns irgendwo anders in Deutschland gehört haben.

Ich weiß, dass wir im Camp Rostock so gut wie niemanden erreicht haben, dass wir in Wichmannsdorf nur am Infopunkt zu hören waren, dass wir auf den Blockaden östlich von Heiligendamm nicht zu hören waren. Das finde ich sehr schade. Da bestünde noch Potential auch auf der Suche nach Medienformen die das möglich machen.


Würdest du beim nächsten Mal etwas anders organisieren? - Was?


Natürlich hätten wir mehr Leute gebraucht, das ist ja oft so bei solchen Projekten. Andererseits gab es auch vor Ort einfach immer Leute, die für ein, zwei Tage mitgemacht haben. Mit mehr Leuten hätte die Qualität wahrscheinlich noch gesteigert werden können.


Wird jetsam radio nach dem G8 fortgeführt? Was entsteht jetzt aus euren Kontakten und dem Know-How, das ihr euch angeeignet habt?"

Es gibt auf jeden Fall eine ganze Reihe Leute, die vom Radiomachen ganz angefixt sind, die hoffentlich in die Strukturen von Freien Radios in Deutschland einsteigen wollen. Es gibt durchaus auch Überlegungen in der Gruppe einfach noch mal was zu machen, das ist aber alles noch nicht in Sack und Tüten. Und die internationalen Kontakte, die geknüpft wurden, Vernetzungen, werden bestehen bleiben – auf dieser oder jener Ebene.


Welchen Eindruck hattest du von der Taktik der Polizei? Was war deren Strategie?

Das ist schwierig für die ganze Zeit über zu beantworten. Naja, die vielgepriesene Deeskalationstaktik hab ich auf jeden Fall nicht in allen Teilen so wahrgenommen. Mal so ganz vorsichtig ausgedrückt. Datensammeln war auf jeden Fall eine ganz wichtige Strategie der Polizei. Und ansonsten war das glaub ich auch ein richtig gutes Durcheinander. Von der Auftaktdemo in Rostock habe ich Berichte gehört, dass sich teilweise Einheiten gegenseitig in die Arbeit gefallen sind, sozusagen, weil sie einfach unterschiedliche Befehle hatten und dann gegeneinander gearbeitet haben. Also ich weiß gar nicht, ob man da so sehr von „der Taktik der Polizei“ sprechen kann, weil die anscheinend sehr widersprüchlich war.


Es war sehr viel von Gewalt die Rede. Wie hast du das wahrgenommen? Gab es die medial dargestellten massiven Ausschreitungen? Trat die Polizei tatsächlich aggressiver auf als sonst ohnehin schon?

Also zu Medien und Gewalt: Die Auftaktdemonstration ist um einiges schlimmer dargestellt worden als sie meiner Meinung nach war. Also es gab dort genau ein brennendes Auto und zwei oder drei Autos mit eingeworfenen Fensterscheiben. Und diese vier Fahrzeuge waren einfach auf sämtlichen Fotos, Filmen zu sehen. Wenn es einen Brandherd gibt, dann ist der überall aus sämtlichen Perspektiven zu sehen und dann sieht es so aus, als hätte es zwanzig gegeben.

Zur Gewalt der Polizei: Ich hab im Vorfeld sehr viel mehr Angst gehabt auch vor dem Hintergrund, was zum Beispiel beim G8 in Genua passiert ist. Im Vergleich damit bin ich sehr erleichtert. Ich muss aber trotzdem sagen, dass es unverhältnismäßig krasse Sachen gegeben hat. Zum Beispiel, dass mindestens ein Mensch sein Auge verloren hat, weil er so einen starken und gezielten Wasserwerferstrahl abbekommen hat. Das sind einfach Sachen, die kann man sich fast gar nicht vorstellen kann, sowas muss einfach nicht sein – eine friedliche Blockade mit einem Wasserwerferstrahl so gezielt zu bombardieren, das verstehe ich einfach nicht.


ATTAC, Kirche, IL und andere aus dem Orga-Kreis der Auftaktdemo am 2. Juni gaben am Tag nach der Demo eine peinliche Pressekonferenz, bei der alle den größten Teil ihrer Redezeit darauf verwendeten die Polizei zu loben und auf den „Schwarzen Block“ zu schimpfen. Wie hast du das wahrgenommen?

Ehrlichgesagt gar nicht so intensiv, weil ich an dem Tag mit der Vorbereitung auf den nächsten Thementag beschäftigt war.


Einige reden jetzt davon, dass nach dem Gipfel klar sei, dass Kooperationen mit ATTAC zukünftig nicht mehr gehen würden. Welche Meinung hast du dazu?

Ich finde es ganz schwierig, wenn sich Leute von einer Protestform so distanzieren. Gleichzeitig muss ich sagen, dass ATTAC trotzdem eine ganz wichtige finanzierende Rolle für diese Proteste gespielt hat. Ich finde es prinzipiell total wichtig, dass sich verschiedene Protestformen ergänzen und wenn schon das nicht, dann sich wenigstens gegenseitig akzeptieren.


Wie ist dein Eindruck nach dem G8-Gipfel? War der Widerstand erfolgreich? Was hat dir diese Zeit gebracht?

Dass die großen Blockaden so funktioniert haben, finde ich auf jeden Fall erfolgreich. Ich habe zu keinem Zeitpunkt erwartet, dass es wirklich möglich sein wird, den Zaun zu stürmen und ins Kempinski zu laufen. Wie gesagt fand ich aber auch einen anderen Teil des Widerstandes wichtig - der Austausch zwischen den vielen verschiedenen Menschen die dort zusammen gekommen sind. Und das war eben für mich ein ganz großer Gewinn daran, zu sehen, wie so große Strukturen funktionieren können. Ich selber hab einfach im Radiomachen ganz viel gelernt, aber auch wie ich mich in selbstorganisierte Strukturen einbringen kann.


Was sind deine Pläne für die nächste Zeit?

Ich werde auf jeden Fall das dort gelernte hier in meinem lokalen Freien Radio wieder einbringen und versuchen in meine 'altägliche Strukturen' zurückzutragen.


Das Interview mit Emma führte Falk Beyer.