Diskussion:2008-01:Neuromantik

Aus grünes blatt
Version vom 23. November 2007, 13:27 Uhr von Genduerilla (Diskussion | Beiträge) (Bemerkungen abgeschlossen)
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Kritik geht am Text vorbei?

Oder: oberflächliche Attacken auf emanzipatorische Beziehungsansätze

Beim ersten Lesen dieses Textes bekomme ich den Eindruck, die AutorIn schreibt von einem anderen Artikel als sie in ihrer Einleitung andeutet. Dort ist die Rede vom Text "Utopie emotionaler Beziehungen", der im grünen blatt "Spätsommer 2007" abgedruckt wurde. Schon im ersten Zitat, das von der Zurichtung der Menschen als Arbeitsmaschinen spricht, geht dieser Kontext verloren. Es entsteht der Eindruck, dies sei eine Textstelle aus dem genannten Artikel; im weiteren Verlauf argumentiert die AutorIn dementsprechend auf dieser Zitatgrundlage. Nur: das Zitat entspringt nicht dem kritisierten Artikel! Dadurch wird auch das weitere Kritikgebäude ein künstlich konstruiertes. Es wird sich auf Aussagen bezogen, die in der "Utopoe emotionaler Beziehungen" so nicht getroffen werden. Die Kritik wird in einen phantasierten Raum projiziert. Das macht es schwierig, konstruktiv darauf einzugehen. Das ist schade, denn die erkennbare grundsätzliche Kritik an dem vorhergehenden Artikel motiviert zu weiterführenden Diskussionen.

Wenn, wie angedeutet wird, die gesellschaftlichen Einflüsse komplex sind – somit auch kontingent, vielfältig, und inhomogen – wie erklärt sich dann die Schlußfolgerung, daß die angestrebte Zurichtung sich auf nur ein „mehr oder weniger offen formuliertes Ziel: Anpassung und Reproduktion der herrschenden Verhaltensweisen und Normen“ beziehe? - müssen Komplexität und eine Tendenz in der Wirkungsrichtung ein Widerspruch sein? Systeme haben meist die Eigenschaft sich selbst zu reproduzieren, Prozesse und Mechanismen auszubilden, die tendenziell im Rahmen des Systems bleiben und dieses stärken - es herrscht Systemimmanenz. Auch wenn die Mechanismen innerhalb einer großen und vielfältigen sozialen Gesellschaft wie der hiesigen (die sich aus Menschen aus der ganzen Welt zusammensetzt, aber deswegen nicht gleichbedeutend mit "alle Menschen", sondern eine unscharfe Menge bzw. ein nicht eindeutig definiertes Gebilde ist) komplex sind - was ja zunächst bedeutet, dass Ursachen und Wirkungen ineinander spielen, dass primäre und weitere Ziele nicht immer übereinstimmen, dass es keine Eindeutigkeit gibt - deuten sie meiner Auffassung nach tendenziell in Richtung Reproduktion herrschender Verhältnisse. Und dazu gehören - in der Teilgesellschaft (ich meine jetzt nicht mehr die ganze Welt), die ich hier erlebe - heterosexuelle ausschließende Zweierbeziehungen. Allerdings nicht immer in Reinform, es gibt viele Muster, die Heterosexualität reproduzieren, andere romantisieren und stützen damit die Ausschließlichkeit, die Besonderkeit einzelner Beziehungen, wieder andere Mechanismen tragen dazu bei, dass Zweierbeziehungen (auch bei sogenannten "Offenen Beziehungen") prägend sind.

Im selben Absatz kritisiert die AutorIn meine Verwendung des Wortes "naturbedingt" und wiederholt damit meine zuvor selbst angemerkte Kritik. Fußnote "4" in der hier verlinkten Textversion sagt: "Ich verwende dieses Wort (naturbedingt), obwohl mir bewusst ist, dass seine Anwendung problematisch ist, da es häufig mit biologistischen Betrachtungen assoziiert wird. Das meine ich aber nicht, sondern dass es in der "Natur der Sache" liegt bzw. von den wirkenden Mechanismen bedingt ist, dass eine andere Verhaltensweise nicht einfach ist." Wenn nun von Orland@ sagt Würde die Allmacht der Prägung „naturgemäß“ so sein, wie vorgestellt, wie sollten dann Menschen überhaupt ausbrechen wollen?, geht die Kritik an meiner Aussage vorbei. Ich behaupte nicht, dass es notwendigerweise so ist, dass Menschen das bestehende immer wieder reproduzieren. Ich sage, dass es schwierig ist, daraus auszubrechen, weil es Prozesse gibt, die immer wieder auf das Altbekannte zurückführen.

Die in dieser Hinsicht zu oberflächlicher Analyse des Artikels "Utopie emotionaler Beziehungen" und auf Projektionen, was das geschriebene Wort meinen sollte, aufbauende Detailkritik setzt sich leider im weiteren Verlauf fort. Nun behauptet die AutorIn, das von mir beschriebene Bild passe in die preußische Kaiserzeit, heute dagegen sei so gut wie alles erlaubt. Wenn nun als Beleg Beispiele wie die Sado-Maso-Kultur und andere Beispiele sexueller Spielarten aufgeführt werden, zeigt dies wieder, dass die Fußnoten ignoriert wurden. Dass es diese Bereiche gibt, wurde dort benannt und begründet, warum sie aber nur Nischen sind, die keine Relevanz für den herrschenden Diskurs haben: "Es gibt natürlich auch die Subkulturen, in denen mensch sich dann wiederum "heimisch" fühlt und nicht alleine ist. Da gibt es dann viele andere, ähnlich denkende Menschen. Problematisch an solchen "Heimatorten" ist die Gefahr einer kollektiven Identitätsbildung über solche Betrachtungsweisen, die dann schnell in Abgrenzung und Reduzierung der Kommunikation mit Anderen gipfelt." (Fußnote 5) Sollte die AutorIn tatsächlich glauben, dass die Beziehungsweisen der hier lebenden Menschen frei sind, nur weil viele Spielarten nicht mehr offiziell bestraft werden? Das halte ich für eine Theorie, die an den tatsächlichen Verhältnissen vorbei geht. Wenn mir unterschwellig oder offen moralische Vorwürfe gemacht werden, weil ich keine "festen" Ausschlussbeziehungen führen möchte, wenn ich steuerlich benachteiligt bin, weil ich keinen Bock auf eingetragene PartnerInnenschaften habe, wenn mir und anderen Menschen in allen Kanälen suggeriert wird, es sei ganz natürlich, dass Menschen ihre Beziehung zu Anderen nicht "teilen" wollen, und dies Verunsicherung und häufig auch eine Orientierung an den so immer wieder vorgelebten Beziehungsnormalitäten hervorruft, dann möchte ich nicht von Selbstbestimmung und freien Handlungsmöglichkeiten sprechen. Die Diskurse, strukturelle (und familiäre) Bedingungen und zum Teil auch offene Diskriminierung z.B. in Form der noch immer überwiegenden Homophobie nehmen massiven Einfluss darauf wie mensch sich entfalten kann. Das auszublenden halte ich für analytisch unzulässig.

Bedenklich finde ich die Forderung es solle ein vom „Mainstream getragenes Bild davon, wie offene, freie Beziehungen allumfassend (sic!) funktionieren können“ geben. - diese Forderung ist freie Interpretation, nicht aber die Aussage des Textes. Hier heißt es im Original: "Es gibt kein übereinstimmendes, vom Mainstream getragenes Bild davon, wie offene, freie Beziehungen allumfassend funktionieren können[6]. Vielleicht wird es solche pauschale Antworten dazu auch nie geben." Hierin steckt die Feststellung, dass es kein allgemeines Konzept für offene, freie Beziehungen gibt. Für die heterosexuelle, ausschließliche Zweierbeziehung (die auch und trotzdem ein Containerbegriff für verschiedene Spielarten von Beziehungen steht) gibt es hingegen solche Konzepte. Sie werden ständig reproduziert und füllen dabei nicht nur Bände in irgendwelchen LifeStyle-Regalen. In der Offenheit und Unklarheit darüber, wie freie Beziehungswelten aussehen, steckt eine große Chance für eigene Wege und Ausgestaltungen. Es soll gar kein Mainstream-Bild geben, das auch diesen Bereich wieder einengt (doch stünde dieses ohnehin sofort im Widerspruch zur Idee emanzipierter Beziehungsweisen).

Wie in intellektuellen Kreisen nicht selten, stellt die AutorIn mit rhetorischen Mitteln ihre Überlegenheit dar. Das häufige HerumgeSIC!e soll auf inhaltliche Widersprüche hinweisen, die es nicht wert sind überhaupt noch weiter erörtert zu werden. Aber es ist nicht selbstverständlich und derartige Markierungen sollten auch erläutert werden, wenn sie nicht nur argumentlose rhetorische Kniffe sein sollen.

In den Sphären der eigenen Projektionen versuppt auch der nächste, eigentlich für eine konstruktive Debatte ganz brauchbare Kritikansatz: Was einerseits daherkommt, wie eine der üblichen linken „Kritiken der RZB“ entpuppt sich zuweilen als verwirrender Monolog über die Untiefen eben des romantischen Verliebtseins, an dem eigentlich nichts auszusetzen ist, außer mensch fühlt sich als dogmatischeR LinkeR, alles vermeintlich „bürgerlich“ riechende verachtend. Denn „Bürgerlichkeit“ ist das böse, von dem mensch sich abheben muß zwecks Distinktionsgewinn. Aber zurück zu den unschuldigen Verliebtseinsgefühlen. Das empfinden von romantischen Gefühlen verwirrt den linken Menschen. Sowas darf nicht sein, weil ja romantisch – und deswegen böse, weil bürgerlich und aufoktruiert. Rückschrittlich. - Wo bitte schön wurde gesagt, dass Romantik schlimm ist? Wovon wird die Behauptung abgeleitet, die Kritik an fremdbestimmten Beziehungswelten baue darauf auf, dass diese "bürgerlich" sind? Dieser Absatz wirkt wie ein vorgezogenes Abwehrgefecht zur Verteidigung bürgerlicher Werte und der "romantischen Zweierbeziehung" (RZB) - getreu dem Prinzip "Angriff ist die beste Verteidigung". Aber das ist jetzt meine Interpretation.

Doch welche Rolle spielen die unterstellten möglicherweise verinnerlichten Abwehrreflexe gegen Bürgerlichkeit und Romantik? Ich denke, die Kritik ist grundsätzlich nicht falsch, wenn sie bei der "Utopie emotionaler Beziehungen" auch auf einer frei phantasierten Grundlage angebracht wird. Vielfach habe ich den Eindruck, dass gerade im linken Spektrum Menschen vor Situationen und Verhaltensweisen zurückschrecken, weil sie sie an die Verhältnisse erinnern, die ihnen in anderer Weise unangenehm sind, die sie kritisieren und abwickeln wollen. Bei mir wirken solchen Mechanismen gewiss auch. Umso wichtiger ist doch, zu hinterfragen, warum ich mich gegen bestimmte Verhaltensmuster wehre, um dann für mich entscheiden zu können, wie ich mich verhalten will.

Ein Problem mit der Romantik ist die Anfälligkeit für eine reine Reproduktion vorgelebter Verhaltensweisen. Die vielzitierte "rosarote Brille" blendet vieles aus, was ich im nächsten Moment wieder wichtig finde. Andererseits hilft sie aus allzu einseitiger Rationalität auszubrechen und mit anderen Blickwinkeln zu schauen. Es gibt für mich also auch hier keine eindeutige Ablehnung oder Zustimmung. Wieder brauche ich Reflexion über mein Handeln, Empfinden und Wollen, um die Chance auf möglichst weitreichende Selbstbestimmung im eigenen Verhalten zu haben.

"Bürgerlichkeit" ist ein so unscharfer Begriff, dass es eigentlich wenig Sinn macht, darauf eine Argumentation zu stützen. Ich verwende dieses Wort in der "Utopie emotionaler Beziehungen" genau einmal als Adjektiv zur Zweierbeziehung: "... Auf diesen Aspekt bezogen gibt es eigentlich keinen Unterschied mehr zur Wirkung bürgerlicher Zweierbeziehungen – alle anderen Beziehungen sollen der einen Beziehung untergeordnet werden. ..." Hier bezog sich "bürgerlich" auf die normalen Verhältnisse; vielleicht nicht die treffende Vokabel an dieser Stelle.

Deshalb stürzt es den linientreuen AnarchoHippieLinken in ein Dilemma: „Die Gefahr ist groß, daß die Bedürfnisse weiterwirken, ich sie nur sehr lange nicht mehr bemerke, bis sie sich unangenehm Geltung verschaffen.“ - eine gemeine Auslassung ist dieses Zitat, wird hier doch suggeriert, dass Bedürfnisse als an sich Negatives bewertet würden. Zwei Sätze davor aber heißt es: "Wie gehe ich mit den Bedürfnissen, Erwartungen, Sicherheitswünschen um, die ich verspüre, von denen ich zum Teil denke, dass sie mir eingetrichtert wurden, dass sie nicht da sein müssten?" Es geht also nicht allgemein um Bedürfnisse, sondern um solche, von denen ich annehme, dass sie mir fremdbestimmt aufgesetzt sind. Die Kritik wurde also wieder einmal falsch rekontextuiert, wie so oft bei oberflächlichen intellektuellen Verrissen. Dazu passend ist die Polemik von der linientreuen AnarchoHippieLinken, die eine Diffamierung der Person ohne weiter notwendige Begründung versucht.

Es soll nicht um Gefühle gehen, es soll um effektives self-management gehen! Enthaltsamkeit und beständiges Arbeiten am Selbst führt langsam zum Erfolg. - Wenn jeder zweite Satz kommentiert und durch Wiederholen des schon geschriebenen widerlegt werden muss, scheint die Kritik nicht gerade gründlich erarbeitet zu sein. Das trifft auch hier zu, denn es geht weiter mit Schlussfolgerungen, die die AutorIn aus ihren eigenen Projektionen ableitet. Denn von Enthaltsamkeit war im Text keine Rede. Es ging darum die eigenen Bedürfnisse zu erkennen, um selbstbestimmt zu entscheiden wie ich mich verhalten möchte. Orland@s rhetorische Attacken gegen Ansätze emanzipatorischen Lebens sind ätzend, aber nichts desto trotz ohne Substanz. Wenn nun im nächsten Satz behauptet wird, Selbstbestimmung zu versuchen wäre eine Einstellung des Mainstreams, widerspricht die AutorIn ihrer zuvor gemachten Absage an den Mainstream der Angepassten. Aber das sagt auch etwas über die Qualität des Artikels aus.

Dann wirbelt die AutorIn wieder mit - ungekennzeichneten - Zitaten offenbar anderer Quelle um sich, wohl um die eigene Darstellung zu belegen: „Angesichts dessen, wie viel Gewalt und Entfremdung in unseren Beziehungen steckt, ist eine Auseinandersetzung um andere Beziehungsformen nur denkbar in Verbindung mit (Anti-)Sexismus und (sic!) allen anderen Unterdrückungsformen.“

Der weitere Text handelt nun den "Romantizismus" ab, lästert ein wenig über ein diffuse Zusammenstellung von Projekten und Szeneklientel und bastelt dann einen Zusammenhang zwischen den Phantasien der AutorIn und dem zum Anlass für diesen sprachlichen Erguss genommenen Artikel "Utopie emotionaler Beziehungen". In wirrer Folge werden dafür historische Zitate mit den nicht weiter belegten Unterstellungen herbeigezogen. Die Argumentation der AutorIn ist hier so wenig präzise, dass eine konstruktive Auseinandersetzung damit kaum möglich ist. Flach und nur noch polemisch, wenig weiterbringend, sind dann auch die Bemerkungen zu den Wünschen an eine andere Beziehungswelt.

Einige kleine Hinweise zeigen, dass die Motivation der AutorIn wohl in einem der vorgestellten "Utopie emotionaler Beziehungen" entgegengesetzten Beziehungsbild liegt; die Attacken und oberflächlichen, mit rhetorischen Mitteln aufpolierten, Analysen hängen möglicherweise mit dieser Aversion zusammen. Das eigene Bild wurde in Frage gestellt - nun gilt es die Andere in Grund und Boden zu stampfen; aber auf intellektuell (erscheinendem) Niveau. Ein schöner Beweis für dieses Beziehungsbild ist folgende Formulierung: Und wahre romantische Liebe ist ewig, bedingungslos, unersättlich, unteil- und untilgbar – gegen jeden Widerstand. - Solche ständig wiederholten Mythen begleiten die in der "Utopie emotionaler Beziehungen" kritisierte Zurichtung von Menschen auf eine bestimmte Art Beziehungen zu führen. Als Mythos ist die Behauptung einer "wahren", "ewigen" Liebe, die "unteilbar" sei unbelegt. Dass so viele Menschen daran glauben, liegt gewiss auch an dem ewigen Predigen von Leuten wie Orland@.

-- Genduerilla 13:27, 23. Nov 2007 (CET)