2005-01:Geschichte der Umweltbewegung - Fortsetzungsgeschichte

Aus grünes blatt
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Widerstand & Vision:

Fortsetzungsgeschichte: Geschichte der Umweltbewegung

In der letzten Ausgabe ging es um die auf Dialog ausgerichtete Politik der Umweltverbände und Kritik daran. Wir setzen hier nun in der "Vierten Phase (Mitte/Ende der 90er Jahre)" ein.

Modernisierung und Ökoneoliberalismus

Die Kooperationsphase war nur der Übergang zu einer weitergehenden Veränderung - Umweltverbände übernahmen neoliberale Forderungen, riefen selbst nach mehr Markt und mehr Staat. Zwischen den so veränderten FunktionärInnen, den Regierungen und der Industrie brauchte es fortan gar keine konsensualen Prozesse mehr, sondern es entstanden fast immer sofort Bündnisse aus Umwelt-NGOs (wie sie sich modernisiert nannten), Firmen und Regierungsstellen. Heute kommt kaum eine Broschüre heraus, findet ein Kongreß statt oder wird ein Positionspapier der Öffentlichkeit vorgestellt, an dem nicht AkteurInnen aus allen drei Bereichen mitgewirkt haben. Diese Phalanx im Detail wurde auch zum neuen Vorschlag für moderne Demokratien: "Governance" statt Regierungen hieß das Zauberwort und sollte einen ständigen Verhandlungsprozeß zwischen Wirtschaft, Parteien/Staat und den NGOs schaffen. Die Menschen spielen keine Rolle mehr.

Im Original: Mike Moorer, WTO-Chef, im Interview mit der FR, Magazin 9.2.2002, S. 5:
Wir brauchen eine Abteilung, die die Zivilgesellschaft stärker einbezieht, die sich um die NGOs, die regierungsunabhängigen Organisationen kümmert. Die haben da draußen eine ganze Reihe brillianter junger Leute mit Doktortiteln, die helfen können.
Was ist "Global Governance"? aus: erlassjahr.de - Kampagnen-Kurier Oktober 2001, S. 9:

Da, wo Rot und Grün sich auf eine ernsthafte Debatte über die Nord-Süd-Dimension der Globalisierung einlassen, treffen sie sich zumeist mit kritischen Bewegungen bei der Forderung nach Globalen Regelungsmechanismen (neudeutsch: "Global Governance") für eine weltweite und grundsätzlich kapitalistisch verfaßte Wirtschaft. Diese grundsätzliche Forderung nach Regulierung statt Liberalisierung haben soziale Bewegungen in den letzten Jahren erfolgreich auf sehr konkrete einzelne Forderungen zugespitzt, an denen sich nun die Ernsthaftigkeit einer proklamierten Reformbereitschaft auf Seiten der Regierungsparteien überprüfen läßt. Die Forderung nach einer Devisentransaktionssteuer ("Tobin Tax") gehört ebenso dazu, wie die nach einer Reform der schuldenproduzierenden staatlichen Exportbürgschaften (Hermes-Reform).

Erhard O. Müller, Bündnis-90-Mitgründer und NGO-Funktionär, in einem Beitrag zur Zukunft der Grünen, FR 23.10.2001, S. 18:
In den kommunalen Bündnissen zur "Lokalen Agenda 21" zum Beispiel finden sich etliche jener zivilgesellschaftlichen Strukturen wieder, die nach der Wende auf lokaler und regionaler Basis entstanden sind. Hier entsteht und verdichtet sich exakt jenes politisches Milieu, aus dem die künftige Wählerschaft eines offenen, bürgernahen Parteiprojekts erwachsen kann und wird.
Der Agenda 21-Prozess und ähnliche zivilgesellschaftliche Ansätze böten den verbliebenen bündnisgrünen Aktivisten im Osten die Chance, sich aus dem isolierenden Parteikokon zu befreien und sich mit dem vorhandenen Erfahrungspotenzial (etwa dem der Runden Tische) als Initiatoren und Konstrukteure solcher neuen Bündnisse zu betätigen.
(...)
Nicht zuletzt geht es darum, einem solchen zivilgesellschaftlichen Aufbruch eine publizistische Stimme zu geben: (...)
... ist es möglich und nötig, die auf politische Teilhabe drängenden Teile der Zivilgesellschaft politisch zu bündeln und ihnen ein größeres Gewicht in den defizitären Entscheidungsstrukturen unserer Gesellschaft zu verschaffen.
(...)
Dieter S. Lutz, Ist die Demokratie am Ende?, in: Willy-Brandt-Kreis (Hrsg.), 2001, "Zur Lage der Nation", Rowohlt-Verlag, zitiert nach FR, 14.1.2001, S. 6:

Warum eigentlich gibt es kein "Expertenparlament", das heißt einen "Zukunftsrat" zusätzlich zu dem Generalistenpartlament, das wir haben und das wir vermutlich auch weiterhin benötigen? Einen "Zukunftsrat" ausschließlich für existenzielle Fragen.

(...)

Warum also sollte die Zuständigkeit für "existenzielle" Fragen der Menschen und der Menschheit (Krieg und Frieden, Entwicklung, Armut, Umwelt, Klima, Menschenwürde) nicht einer neuen dritten "Kammer", einem Zukunftsrat übertragen werden können?

(...)

Bei dem geforderten Zukunftsrat handelt es sich also immer auch um eine Versammlung der wissenschaftlichen Elite des Landes. Öffnet der Zukunftsrat damit - gewollt oder ungewollt - Tür und Tor hin zu einer Elitendemokratie ohne Bezug zum Souverän, dem Volk? Diese Frage wäre als Vorwurf berechtigt, wenn es sich bei den Experten und Expertinnen des Zukunftsrates ausschließlich um Vertreter und Vertreterinnen der hauptberuflichen Wissenschafts- und Forschungsgemeinde handeln würde. Das Gegenteil ist der Fall: Strategische Kompetenz kann auch über ehrenamtliches Engagement gewonnen und themenspezifisches Fachwissen über die Mitarbeit in Sozialen Bewegungen und vor allem in NGO erworben werden. Nicht zufällig sind mittlerweile selbst bei hochrangigen wissenschaftlichen Konferenzen Vertreter und Vertreterinnen der "Praxis" gesuchte Referenten und Diskussionsteilnehmer.

Darüber hinaus kann die Rückbindung an die Zivilgesellschaft, insbesondere an die Kommunikationsstrukturen der Bewegungen und NGO, dadurch gefördert werden, dass nicht ein zentraler Bundes-Zukunftsrat, sondern 16 Länder-Zukunftsräte gebildet werden.

(...)

Die Wahlen zur Dritten Kammer könnten an die Wahlen zu den Länderparlamenten gebunden werden. Die Kandidatenaufstellung würde allerdings nicht durch die Parteien, sondern durch (durchaus miteinander konkurrierende) Institute, NGOs und Bewegungen erfolgen. Inhaltlich richteten sich die Verbände immer mehr auf marktförmige Vorschläge aus. Ein bemerkenswertes Beispiel ist der Klimaschutz. Hier werden Luftverschmutzungsrechte handel-, also auch aufkauf-, d.h. akkumulierbar. Wer das Geld hat, kann weiter Luft verschmutzen, sich industrialisieren - angesichts der finanziellen Abhängigkeiten durch die Schuldenkrise eine fürchterliche Vorstellung, wenn ärmere Länder ihre Möglichkeiten der Entwicklung an die bereits industrialisierten Zonen abgeben. Und wenn die reichen Länder immer mehr Industriezonen als Freihandelszonen in die angrenzenden Länder verlagern. Das alles ist moderner praktizierter Umweltschutz, ökoneoliberal und herrschaftsausdehnend.

Im Original: Auszug aus dem Entwurf der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, 2002, S. 24/2
Zugleich soll das Gesetz ermöglichen, dass bereits im Inland befindliche Extremisten besser erkannt und ihre Aktivitäten rascher unterbunden werden können. Dazu sollen unter anderem
  • biometrische Merkmale in Pässe und Personalausweise aufgenommen,
  • den Sicherheitsbehörden mehr sicherheitsrelevante Daten zur Verfügung gestellt,
  • identitätssichernde Maßnahmen im Visumsverfahren verbessert,
  • die Kontrollen von Personen mit sicherheitsrelevanten Tätigkeiten verstärkt,
  • Grenzkontrollmöglichkeiten verbessert und
  • die Aktivitäten extremistischer Ausländervereine in Deutschland schneller unterbunden werden.
  • ...
Neben der Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit erfordert Nachhaltige Entwicklung einen Rechtsstaat, der Freiheit sichert. Sicherheit im Innern und nach außen ist ein wichtiger Beitrag zu Lebensqualität und sozialem Zusammenhalt.

Ende der 90er Jahre kam zudem das Geschäft mit der Ökologie in Schwung. Geldanlagen in immer größere Ökoprodukte wurden lukrativ, Milliarden flossen in Windkraftanlagen, Ökokaufhäuser. Viele verspekulierten sich, gingen bankrott, andere entwickelten immer profitablere Anlageformen - oft auch über die Belange des Naturschutzes hinweg sowie ohne Mitbestimmung der jeweiligen Bevölkerung. Atomkraftwerke erhielten das Öko-Audit - und Umweltverbände lobten das Öko-Audit als Instrument. Konfliktlinien verschwanden bis zur Unkenntlichkeit.

Ideologische Grundlage für die Entwicklung war die Nachhaltigkeitsdebatte. Im wirtschaftlichen Sinne bedeutet dieses Wort nichts anderes als den augenblicklichen Zustand zu sichern. Mit seinem Rohstoffverbrauch und der zunehmenden Aufspaltung in Arm und Reich gefährdet der Kapitalismus als Herrschaftssystem die Grundlage des eigenen Profits. Irgendwann gäbe es nichts mehr zum Ausbeuten und die Menschen würden dann, wenn sie massenweise in eine aussichtslose Lage geraten, nicht mehr stillhalten. Also müssen Veränderungen erfolgen, die Rohstoffe effizienter und Menschen unauffälliger ausnutzen. Dann halten sie länger (still), das bestehende Herrschafts- und Wirtschaftssystem wäre gefestigt.

Besonders günstig ist, frühere KritikerInnen für die Idee einer technischen Lösung, die sog. "Effizienzrevolution" zu begeistern, sowie die vermögenden UmweltfreundInnen für die profitable Variante des Umweltschutzes, die ethischen Geldanlagen. So werden sie zu BündnisgenossInnen statt zu GenossInnen, arbeiten an der Modernisierung mit oder sind mehr denn je bereit, Zeit und Geld den Konzernen zu geben, die vom "Bock zum Gärtner" werden, zu neuen Hoffnungsträgern in Sachen Zukunftsfähigkeit - und nicht merken, daß es um die Zukunftsfähigkeit der geltenden Weltordnung geht.

aus: Jörg Bergstedt: Widerstand und Vision. Reich oder rechts? Umweltgruppen und NGO's im Filz mit Staat, Markt und rechter Ideologie, IKO - Verlag für Interkulturelle Kommunikation Frankfurt am Main/London, 2002