2005-02:Rollkommando

Aus grünes blatt
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Rollkommando

aaa-Redaktionsräume durchsuht Arbeitsgrundlage beschlagnahmt

Am Donnerstag, den 11. August wurden die Redaktionsräume der Zeitschrift anti atom aktuell (aaa) durch die Staatsschutzpolizei durchsucht. Beschlagnahmt wurden 3 PCs und zahlreiche Datenträger. Verfolgt wird mit dieser Polizeiaktion ein Text auf einer Internetseite.

Etwa 35 Uniformierte der Bereitschaftspolizei und ein knappes Dutzend zivil gekleidete Angehörige der Staatsschutzabteilungen in Lüchow, Lüneburg und Hannover verschafften sich zunächst mit Hilfe eines 3 Tage alten richterlichen Beschlusses Zutritt zur Wohnung von Martin N., Redakteur der Bewegungszeitschrift. Das Hauptinteresse der BeamtInnen richtete sich auf einen der Redaktionsräume der aaa und hier insbesondere auf die Computeranlagen. Daneben wurden das Archiv, die Küche, Bett, Wäsche, Nahrungsmittel, selbst der Speicher mit einer Räucherkammer durchstöbert.

Während diese Durchsuchung lief, erwirkten die Staatsschützer bei Richter Stärk vom Amtsgericht Dannenberg einen weiteren Durchsuchungsbeschluss, den dieser in einer Sitzungspause unterzeichnete. Daraufhin wurde die Wohnung von Elisabeth K., einer anderen aaa-Redakteurin, auf den Kopf gestellt. Auch hier machte das Durchsuchungskommando vor nichts Halt. Private und redaktionelle Notizen wurden ebenso eingetütet wie Plakate und Flugblätter aus der umfangreichen Materialsammlung; drei Rechner und zahlreiche Disketten und CDs wurden beschlagnahmt. Damit war der Redaktion die Grundlage zur Weiterarbeit zunächst entzogen.

Die Beschuldigten werten diese Polizeimaßnahme als politische Kriminalisierung: "Mit einer Begründung, deren Fadenscheinigkeit mehr als offenkundig ist, soll missliebige Recherche und Meinungsbildung behindert werden. Der Staatsschutz zielt darauf, Menschen mundtot zu machen, die sich ebenso gegen Sozialraub wie gegen Castortransporte engagieren; die Justiz stützt sich dabei auf Vorwürfe, die an den Haaren herbeigezogen sind." Elisabeth K. und Martin N. hatten sich an der Vorbereitung des "prekärcamps" beteiligt, auf dem sich etwa 120 Personen von verschiedenen Initiativen gegen Sozialraub aus der BRD für eine Woche im Wendland versammelt hatten.

Im Programm des Camps, auf das sich Richter Stärk mit seinen Entscheidungen stützt, wird für den 10.8. eine Yomango-Modenschau angekündigt. Ein Hinweis, wer wen wodurch zu welcher strafbaren Handlung aufgefordert hat, ist in seiner Begründung nicht zu finden. (Wegen des naßkalten Wetters fiel dieser Programmpunkt im Übrigen aus.) Völlig unverständlich bleibt, was auf diese Weise polizeilich ermittelt werden kann. In Fällen, wo tatsächlich strafbare Inhalte auf einer website auftauchen, ist es bislang üblich, die Domain-InhaberInnen per Strafandrohung zur Unterlassung aufzufordern.

"Die Polizei war weder zur Vereitelung noch zur Aufklärung von Straftaten unterwegs; dieses Rollkommando hat die Gelegenheit genutzt und sich als strafende Exekutive aufgeführt, in der Hoffnung, nebenbei noch dies oder das Gerichtsverwertbare zu finden.", beklagt Elisabeth K. diesen massiven Einbruch in die Privatsphäre. "Die Vertraulichkeit der Information, das Redaktionsgeheimnis, die Arbeit der Presse allgemein steht unter dem Schutz der Verfassung. Was Staatsanwaltschaft, Polizei und Gericht davon halten - vor allem, wenn es um Medien sozialer Bewegung geht - haben sie mit ihrer Aktion überaus deutlich gemacht.”

Ungereimtheiten

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Lüneburg hat der Richter beim Amtsgericht Dannenberg Thomas Stärk die Erlaubnis zur Durchsuchung und Beschlagnahme gegeben. Im Zusammenhang mit dieser richterlichen Entscheidung sind einige Ungereimtheiten aufgetaucht:

  • Was ist eigentlich der Tatvorwurf?
  • In welchem Verhältnis stehen Ermittlung und Durchsuchung / Beschlagnahme?
  • Wie sachkundig wurde entschieden?
  • Wie kam der zweite Beschluss zustande?
  • Wogegen wird eigentlich ermittelt?

Die Begründung der richterlichen Entscheidung gibt darüber keine Auskunft. Wörtlich heißt es im Durchsuchungsbefehl vom Montag, den 8.8.05: "Der Beschuldigte steht im Verdacht, öffentlich und durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat aufgefordert zu haben, indem er auf der Internetseite zum Prekär Camp eine 'Yomango-Aktion' am 10. August 2005 ankündigte. 'Yomango' steht in der spanischen Umgangssprache für: 'Ich stehle'. Unter der Kategorie 'Plakat und Aufruf' wird für die Teilnahme am Prekär Camp vom 5.-15. August geworben. Unter der Überschrift 'Es gibt was zu tun' wird das vorläufige Veranstaltungsprogramm mitgeteilt, in dem für den 10. August 2005 eine 'Yomango-Aktion' angekündigt wird. Domain-Inhaber der Webseite ist der Beschuldigte. Insoweit besteht der Tatverdacht, dass dieser die Aufforderung auf der Homepage öffentlich verbreitet."(Zitatende)

Zum Vergleich mit den Tatsachen empfiehlt sich ein Klick auf www.prekaer-camp.org/aktiv.php Die einzige Aufforderung, die sich hier finden lässt, heißt "Que se vayan tod@s" (Sie sollen alle abhauen) und ist der Titel eines Films über Argentinien. Ebenso wenig lassen sich hier strafbare Handlungen ausmachen. Für den 10. August wird eine Yomango-Modenschau angekündigt. Die Antwort darauf, was Yomango bedeutet, bleibt die gesamte Homepage schuldig. Unter dem Menüpunkt "Texte" ist eine Rubrik "Aneignung" geführt. Selbst hier finden sich nur Texte theoretischer Natur. Diesem Mangel hat die Staatsanwaltschaft abgeholfen, indem sie eigenständig recherchiert hat. Leider blendet ihre Erklärung alles aus, was über die unvollständige Übersetzung hinausgeht. (Empfehlung: Geben Sie den Begriff mal bei Google ein!)

Den zum Vorwurf gemachten Aufruf zu einer strafbaren Handlung gibt es nicht.

In welchem Verhältnis stehen Ermittlung und Durchsuchung / Beschlagnahme?

Beantragt wurde die Maßnahme am 5.8.; am 8.8. stimmte der Richter zu. Die zur Begründung genannte Aktion hätte am 10.8. sein sollen. Welcher Sinn ergibt sich aus polizeilicher Sicht für eine Maßnahme am 11.8.? Für Strafvereitelung ist es zu spät; die Urheberschaft für eine Tat, die nicht stattgefunden hat, ist nicht zu ermitteln.

Einmal angenommen, eine Gruppe hätte im Programm den Punkt eingebracht: "Spuckt dem Staatsanwalt kräftig in die Suppe!" und hätte keinen Zweifel daran gelassen, dass sie zu verbotswidrigem Tun auffordert. Das Strafgesetzbuch legt fest, dass Anstifter nicht schwerer bestraft werden dürfen als Täter. Was könnte die Durchsuchung von Räumen und die Beschlagnahme von Computern dazu beitragen, diejenigen ausfindig zu machen, die diese Aufforderung verbreiten?

Zur Klärung der Haftungsfrage trägt diese Ermittlungsmaßnahme nicht bei. Der durch den Entzug von Produktionsmitteln angerichteteSchaden übersteigt das Maß einer theoretisch zu entrichtenden Strafe bei weitem.

Wie kam der zweite Beschluss zustande?

Nachdem die Durchsuchung bei Martin N. abgeschlossen war, machten die BeamtInnen ihre Absicht deutlich, nun auch die zweite Wohnung zu durchsuchen. Den Beginn einer Durchsuchung in polizeilicher Eigenermächtigung konnte die in ihrem Hausrecht verletzte aaa-Redakteurin nur unter Aufbietung aller Energie und mit Unterstützung ihrer Anwältin abwenden.

Wenig später präsentierte der Einsatzleiter ein erkennbar hastig produziertes Dokument: er wies eine richterliche Entscheidung vor, die sich gegen Elisabeth K. richtete, im Begründungstext aber eindeutig auf einen Mann bezogen war. Außerdem trug dieses Papier keine Unterschrift. Nachdem die Anwältin darauf insistierte, allenfalls einen unterzeichneten Durchsuchungsbefehl zu akzeptieren, bemühte sich der leitende Kriminalbeamte Heinz Wolters bei Gericht um einen zweiten Beschluss. Durch einen seiner Mitarbeiter ließ er Richter Stärk aus einer Verhandlung rufen; dieser unterzeichnete in einer Sitzungspause den ihm vorgelegten Text.

Wie sachkundig wurde entschieden?

Eine aaa-Vertriebsmitarbeiterin führte am Freitag, den 12.8. ein Gespräch mit dem Richter Thomas Stärk über die Ereignisse vom Vortag. Die Zweifel an der Echtheit seiner Unterschrift räumte er aus. Der Kriminalbeamte Schorling habe ihm in einer Verhandlungsunterbrechung berichtet, durchs Fenster sei im Büro das Wort "prekär" zu lesen gewesen. In der Eile sei er, Stärk, von der Notwendigkeit überzeugt worden, auch der Durchsuchung der zweiten Wohnung zuzustimmen.

Befragt nach den Tatsachen, die dem Verdacht zugrunde liegen, führte Richter Stärk aus, ihm sei der Umgang mit dem internet nicht vertraut. Er sei nicht in der Lage, sich die inkriminierte Homepage selbst anzuschauen. Es würde auch nicht weiterführen, wenn er Hilfestellung dabei erhalte, weil er nicht bereit sei, sich damit zu befassen.

Mit seiner Entscheidung habe er sich gestützt auf Aussagen der Polizeibeamten. Diese hätten ihm dargestellt, auf der website des prekärcamps werde zu einer Aktion des organisierten Ladendiebstahls aufgerufen. Ihm seien Ausdrucke von Internet-Seiten vorgelegt worden, auf denen "die Aktion Yomango" dargestellt werde. In welchem Zusammenhang diese zum Camp ständen, könne er nicht beurteilen.

Wie entscheidet Richter Stärk über den Widerspruch?

Noch vor Ort hat die Anwältin gegen die Polizeimaßnahmen Widerspruch eingelegt. Vor einer Auswertung der sichergestellten Gegenstände muss sich daher der zuständige Richter erneut mit der Rechtmäßigkeit der Aktion befassen. Inzwischen ist ihm auch bekannt, dass es sich bei den beschlagnahmten Gegenständen um die Ausstattung einer Redaktion einer regelmäßig erscheinenden Zeitschrift handelt. Dies sei ihm von den Beamten verschwiegen worden. Im Gespräch mit der Beschuldigten lehnte er es ab, sich über die Sachlage zu informieren - trotz der ganzen Ungereimtheiten, auf die er hingewiesen wurde. Es sei Sache der weiteren Ermittlungen, festzustellen, ob der Anfangsverdacht zutreffe.

Richter Thomas Stärk billigt mit seiner Unterschrift massive Eingriffe in Grundrechte, obwohl er nichts weiß und auch nichts wissen will.

Warum beteiligt sich die Redaktion der anti-atom-aktuell am prekärcamp?

“Wendet Ihr Euch jetzt einem anderen Thema zu?” wurden wir gefragt. Die Frage liegt nahe: immerhin haben wir uns als Redaktionsleute an einer Veranstaltungswoche beteiligt, auf derem Programm kein einziges der typischen antiAtom-Themen stand. Und wir engagieren uns dafür, dass im kommenden Jahr der Bundeskongreß der entwicklungspolitischen Aktionsgruppen BUKO 29 sich das Thema “Energie als Versprechen - Energie als Beute” vornimmt. Ist uns also der Bereich antiAtom zu fad geworden? Unsere Antwort ist eindeutig. Nein.

Nach wie vor ist die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen der zentrale Punkt unserer politischen Aktivität. Wenn es anders wäre, müssten wir die Gestaltung einer Zeitung mit dieser Zielsetzung anderen überlassen. Wenn wir uns jetzt im Zusammenhang der Widerstände gegen Sozialraub engagieren, wenn wir für uns das Thema Weltpolitik auf die Tagesordnung setzen, dann tun wir das, weil es eben keine anderen Themen sind, sondern nur andere Teile unseres Themas.

Fast klingt es wie ein alter Hut. Wir sagen es trotzdem noch einmal: Das Engagement in der antiatom Bewegung ist für uns mehr als nur der Kampf gegen eine Technologie, die Umwelt und Menschen gefährdet und zerstört. Wir sehen einen Zusammenhang zwischen der zivil-militärischen Nutzung der Atomenergie und der kapitalistischen Globalisierung weltweit. Beides beruht auf einer Gesellschaftsstruktur, in der Profit mehr zählt als Menschenleben. Beides erneuert beständig eine Struktur, die in immer mehr Bereichen Menschen der Verwertungslogik unterwirft. Für einen größer werdenden Teil der Bevölkerung bedeutet das Verarmung und Ausgrenzung.

Soziale Bewegung kann sich auf einen Punkt konzentrieren - sie darf sich in ihrer Wahrnehmung aber nicht darauf beschränken. Mit zahlreichen aaa-Themenheften haben wir uns in der Vergangenheit bemüht, den Blick über den Tellerrand zu öffnen und Zusammenhänge herzustellen. Mit den Montagsdemos im vergangenen Jahr ist öffentlich wahrnehmbar geworden, was sich in der Bundesrepublik seit langem tut. Was vielen Menschen unter den Nägeln brennt, ist die zunehmende Verunsicherung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen. Dafür steht dieses neue Modewort “Prekärisierung”.

Vielleicht war es nicht sehr glücklich die Veranstalungswoche zu einem Thema, das viele angeht, so zu nennen, dass fast niemand es versteht: prekärcamp.

Trotzdem: das Anliegen finden wir gut. Dieser Prekarisierung nachzugehen, unterschiedliche Aspekte näher zu beleuchten und zu diskutieren, Perspektiven zu entwickeln, sich politisch einzumischen, das stand auf der Tagesordnung des prekärcamp. Davon wollten wir lernen, hier wollten wir uns einbringen. Und die antiAtom-Bewegung hat vieles, was sie einbringen kann.

Auf dem prekärcamp standen auch Yomango-Workshops auf dem Programm. Durch die Initiative der Staatsanwaltschaft Lüneburg stellt sich jetzt für Interessierte die Frage, was es damit eigentlich auf sich hat. Wir sind nicht so die Yomango-ExpertInnen. Trotzdem schreiben wir auf, wie wir darüber denken. Ein Versuch über: Yomango - weil man das Glück nicht kaufen kann.

Beginnen wir mit einer Beschreibung: Menschen sehen sich gezwungen zu klauen, um zu überleben. Sie fahren schwarz, weil sie sich die Fahrkarte nicht mehr leisten können, um Freunde zu besuchen. Andere arbeiten illegal, weil sie den Zuverdienst unbedingt brauchen. Was tun, wenn der Schwimmbadbesuch das Alg2-Budget überstrapaziert? Menschen gehen nicht mehr zum Arzt, weil sie die 10 Euro Praxisgebühr für andere Dinge brauchen. Jede Rezeptgebühr ist ein tiefer Einschnitt ins Portemonnaie.

Die gesellschaftliche Entwicklung, die vom Diktat “Wachstum und Profit” bestimmt wird, hat in den letzten Jahren zu zunehmender Verarmung und Unsicherheit in den Arbeits- und Lebensbedingungen vieler Menschen geführt. Selbst hier in einem Wohlstandsland leben Menschen unter dem Existenzminimum. Die Hartz-Gesetze zum Beispiel bringen Menschen in finanzielle und psychische Notsituationen.

Darüber zu reden ist immer noch ein Tabu. Die Betroffenen behalten es für sich, fühlen sich schuldig an ihrer Armut und schämen sich, wenn sie dabei erwischt werden, wie sie "Verbotenes" tun, um am Lebensnotwendigen teilzuhaben. Sie bekommen einen roten Kopf, wenn sie beim Schwarzfahren entdeckt werden, und die Umstehenden wenden sich peinlich berührt ab.

Wer nicht die Augen verschließt vor dem, was in der Bundesrepublik gerade so passiert,dem werden viele solcher Situationen begegnen. Und wer sich in der Welt ein wenig umschaut, kann ohne Anstrengung Beispiele aus anderen Ländern nennen, wo Menschen mit Elend und Armut kämpfen. Auf diesem Hintergrund werden Menschen politisch aktiv, um auf die ungerechte Verteilung gesellschaftlichen Reichtums aufmerksam zu machen und Möglichkeiten der Veränderung zu diskutieren.

Gleichzeitig erzeugt es Angst, wenn Normen ins Wanken geraten. "Du sollst nicht stehlen - wenn diese gesellschaftliche Regel aufgekündigt wird, wird vielleicht auch mir noch das weggenomen, was ich mir mühsam erarbeitet und erspart habe." Wer lebt schon gerne in einer Welt, in der alle ständig alles festhalten müssen, damit es nicht davongetragen wird?

Sozial engagierte Menschen in Spanien haben den Begriff Yomango kreiert. Yomango ist so etwas wie das Logo für eine künstlerische und politische Kampagne und steht für die Idee, die oben beschriebenen Momente des alltäglichen Lebens aus der Heimlichkeit zu holen. Menschen sollen sich nicht dafür schämen müssen, dass sie arm sind; dass sie Lücken suchen und andere Wege gehen, um sich das zu nehmen, was eigentlich jedem Menschen zustehen sollte: ein Leben in Würde und Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum. Das Problem öffentlich zu machen soll die Angst nehmen, die Leute in ihrer Not gefangen hält. Und es soll die Möglichkeit eröffnen, mit anderen darüber zu sprechen und nach solidarischen Lösungswegen zu suchen.

Yomango ist ein Wortspiel: yo mango heißt "ich esse", "ich nehme". Yomango sieht aus wie das Label einer Kleidermarke und einer Ladenkette. Yomango wird aber auch benutzt für "ich klaue". Das ist eine Provokation, ist anstößig, weil es mit einem gesellschaftlichen Tabu bricht. Es gibt Anstoß zur Beschäftigung mit einem realen gesellschaftlichen Problem.

Wenn Menschen sich mit Yomango befassen, dann kann es in unseren Augen nicht darum gehen, Klauen als coolen Lebensstil zu propagieren. Es geht darum, einen gesellschaftlichen Missstand zum Thema zu machen und öffentlich zur Diskussion zu stellen. Klauen findet statt, tagtäglich, heimlich und anrüchig, ist gesellschaftliche Realität. Sich damit zu befassen, nach den Hintergründen und Zusammenhängen zu fragen, was Menschen in solche Situationen bringt, ist notwendig für eine kritische Öffentlichkeit.

Wir als Redaktion einer Bewegungs-Zeitung haben nicht zu "organisiertem Ladendiebstahl" aufgerufen, wie uns Gericht und Staatsschutz unterstellen, und wie das zum Teil in den Medien weitergegeben wurde. Wir setzen uns ein für eine Welt, in der es niemand nötig hat zu klauen; für ein lebenswertes Leben für alle, auch für die, die in der kapitalistischen Verwertungslogik keinen Platz haben. Wir bauen auf Eure Unterstützung. Soziale Bewegung lässt sich nicht mundtot machen. Oder doch? Die Antwort darauf hängt davon ab, ob es “uns” gelingt, diesen staatlichen Angriff auf ungebändigte Äußerung und Recherche abzuwehren. Zusammen mit FreundInnen und Freunden hat sich die Redaktion das Ziel gesetzt, am 5. September 2005 die nächste Ausgabe in den Versand zu bringen.

Damit nicht nur das möglich wird, sondern auch der Fortbestand der “Zeitung für die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen” gesichert wird, sind viele kleine (und gerne auch große) Maßnahmen wichtig und hilfreich.

Juristisches

Die Anwälte haben beim Amtsgericht Widerspruch eingelegt und Akteneinsicht gefordert. Die Entscheidung darüber, wie mit den beschlagnahmten Gegenständen zu verfahren ist, liegt nun bei

Thomas Stärk, Richter am Amtsgericht
Amtsberg 2. 29 445 Dannenberg
Fax: 0 58 61 - 954 333

Auf Nachfrage hat Oberstaatsanwalt Warnecke sich von der Einschätzung überrascht gezeigt, bei der Polizeiaktion könne es sich um eine Einschränkung der Pressefreiheit handeln.

Staatsanwaltschaft, Burmeisterstraße 6.
21335 Lüneburg - Fax: 04131 - 202 474

Eine ungeheure Menge von Fragen und Aspekten eröffnet sich durch diesen Fall, die im langen Telefonat, in umfangreichen Schreiben oder auch beim persönlichen Gespräch mit den VertreterInnen der Justiz zu erörtern wären. Manchmal reicht aber auch schon die kurze, aber treffende Kommentierung.

Manchmal reicht aber auch schon die kurze, aber treffende Kommentierung.

Öffentlichkeit

Artikel, Briefe an Redaktionen, Radiosendungen, mails an FreundInnen/GenossInnen, Diskussionen beim Einkaufen, beim Sport, an der Arbeit - all dies kann dazu beitragen, dass außerparlamentarische Politik nicht einfach in den Einebnungen des Alltags verschwindet. Nehmt diese Kriminalisierungsaktion und setzt sie auf die öffentliche Tagesordnung!

Ausstattung

Mit der freundlichen Hilfe von Fachleuten stricken wir uns gerade eine Übergangslösung, auf der wir die nächste Ausgabe produzieren. Irgendwann müssen geliehene Komponenten aber wieder zurück, und möglichst schnell soll die Redaktions- und Layoutarbeit ohne Abstürze, brennende Augen und Geduldsproben vonstatten gehen.

Geld

Widerstand ist nie umsonst. Gerade jetzt merken wir, dass er nicht nur wichtig, sondern auch teuer ist. Spendet reichlich!

Förderverein anti atom aktuell
Konto 0004150066
bei der KSK Lüchow-Dannenberg
Bankleitzahl 258 51 335
Stichwort: Durchsuchung

Vereinigt Euch!

Die Mitgliedschaft in unserem Förder-Verein ist eine gute Art, die aufklärende und meinungsbildende Arbeit gegen Atomprojekte ideell und finanziell auch dann zu unterstützen, wenn man oder frau für das persönliche Engagement gerade wenig Möglichkeiten sieht. (Was natürlich niemand davon abhalten soll, doch auf die Straße zu gehen, wenn es Not tut.) Mitgliedsbeiträge und Spenden sind von der Steuer abzugsfähig. verein@anti-atom-aktuell.de


Kein Anfangsverdacht

Durchsuchung der "anti atom aktuell" war rechtswidrig

Die Polizeimaßnahme gegen die Redaktion der Zeitschrift "anti atom aktuell" (aaa) war nach Auffassung des Landgerichts Lüneburg rechtswidrig. Mit dieser Entscheidung rügte das Gericht die Durchsuchung der Redaktionsräume und der Wohnungen der Journalisten Elisabeth Krüger und Martin Nesemann. Die Durchsuchung der bedeutendsten Zeitschrift der deutschen Anti-Atom-Bewegung war nach Angaben der Redaktion im August von einem Großaufgebot der Polizei durchsucht und Computer und zahlreiche Unterlagen beschlagnahmt worden. Dagegen hatten die Hamburger Anwälte Schön und Römmig Beschwerde eingelegt. "Das Amtsgericht Dannenberg hat zu Unrecht gegen die Beschuldigten Durchsuchungsbeschlüsse erlassen", heißt es im Beschluss der 6. Strafkammer des Landgerichts Lüneburg, selbst "Anhaltspunkte, die einen Anfangsverdacht rechtfertigen, sind nicht ersichtlich."

In Ihrer Begründung weist die Kammer nach Angaben der Redaktion auf die besondere Schwere hin, mit der durch eine Hausdurchsuchung in Grundrechte eingegriffen wird. Die "sorgfältige" Überprüfung des Sachverhalts durch den zuständigen Richter müsse Grundvoraussetzung einer solchen Maßnahme sein.

Der Republikanische Anwaltsverein (RAV) hatte zuvor in einer Stellungnahme diesen Richtervorbehalt angemahnt und gerügt, dass das Amtsgericht Dannenberg - "wie bereits häufig im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die Lagerung von Atommüll in Gorleben" - seine Wächterfunktion missachtet habe.

Staatsanwaltschaft: "Aufforderung zu Straftaten"

Eingeleitet hatte die Staatsanwaltschaft Lüneburg das Verfahren offenbar wegen einer "Aufforderung zu Straftaten". Sie habe damit Bezug auf die Internetseite der Veranstaltungswoche "prekärcamp" genommen.

In der Programmübersicht seien an mehreren Tagen Workshops zum Thema "Yomango" genannt worden. In der spanischen Umgangssprache bedeute yo mango sowohl "ich esse" wie "ich klaue". "Yomango" ist laut anti atom aktuell eine von Künstlerinnen in Barcelona initiierte Form des Protests gegen Verarmung und Verunsicherung der Lebensverhältnisse.

Landgericht: keine Anhaltspunkte - "bloße Vermutungen"

Auch hiermit hat sich die Landgerichts-Kammer unter Vorsitz von Dr. Gützow befasst und schreibt im Beschluß: "Zahlreiche Fragen sind offen, beziehungsweise die Antworten auf diese Fragen sind bloße Vermutungen: Wo sollten etwaige Taten stattfinden? In welchen Geschäften sollte in der provinziell angehauchten Kleinstadt Lüchow gegen angeblich zunehmender Kommerzialisierung durch Diebstähle protestiert werden?" Eine Aufforderung zur strafbaren Handlung konnte das Gericht nicht erkennen.

Republikanischer Anwaltsverein: "Gute Gelegenheit, sich Daten über eine nicht genehme Publikation zu verschaffen"

Nach Auffassung von Karen Ullmann vom Republikanischen Anwaltsverein "entsteht der Verdacht, dass hier eine aus Sicht der Staatsanwaltschaft gute Gelegenheit genutzt wurde, sich Daten über eine nicht genehme Publikation, die anti atom aktuell, zu verschaffen. Hierin ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Pressefreiheit zu sehen. Auch die gesetzlichen Schweigerechte von Redakteur/innen über Informant/innen wurden so wegen eines geringfügigen Vorwurfs schwer verletzt."

Deutsche Journalisten-Union: "Eingriff war unverhältnismäßig"

Da sich die Aktion gegen eine Redaktion gerichtet habe, wiege die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffs besonders schwer, meint der Vorstand der Deutschen Journalisten-Union (dju). Wie schon in früheren vergleichbaren Fällen könne der angebliche strafrechtliche Anlass für die Durchsuchung nur als Vorwand für eine Ausforschung des Redaktionsgeheimnisses verstanden werden.

Die Journalisten-Union warnt ausdrücklich davor, den Vorgang wegen des geringen publizistischen Marktgewichts des betroffenen Presseorgans zu unterschätzen. "Die Pressefreiheit existiert entweder ungeteilt oder sie existiert nicht", meint der Sprecher der Journalisten-Union Manfred Protzner. "Wer Rechte der anderen nicht verteidigt, setzt die eigenen aufs Spiel."

Wie die Redaktion der anti atom aktuell offenbar von Oberstaatsanwalt Warnecke erfuhr, sind die beschlagnahmten Gegenstände freigegeben. Eine Aushändigung durch Beamte der Staatsschutzpolizei sei in die Wege geleitet.