2010-02:Zugespitzte Atomspaltungen?

Aus grünes blatt
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Zugespitzte Atomspaltungen?

Überlegungen zu „Castor? Schottern!“

vega Seit einiger Zeit hat die Anti-AKW-Bewegung enormen Zulauf. Das passt gut zu den absolut unzumutbaren Verlängerungen des AKW-Risikos, die der Gesetzgeber gerade in die Wege leitet. Festzustellen ist jedoch, dass sich die neuen Aktionsformen meist auf symbolische Massenaktionen beschränken (Menschenkette), wo die Einzelnen dann doch eher passiv agieren, während die aus den Bewegungseliten stammenden Organisatoren Prestige und Medienaufmerksamkeit en masse einstreichen. Eine interessante neue Perspektive eröffnet hingegen der Aufruf „Castor? Schottern!“ der vor einigen Tagen veröffentlicht wurde.

Interessant aus verschiedenen Gründen: Zunächst einmal, weil die Grenze vom Protest zum Widerstand überschritten wird („Protest ist, wenn ich sage, das und das passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das, was mir nicht passt, nicht länger geschieht.“ ‒ Ulrike Meinhof, 1968). Weil nicht mehr nur mit medienwirksamen Bildern appelliert (vielleicht auch aufgeklärt) wird, sondern weil tatsächlich die Gewaltverhältnisse (und etwas anderes war der Abbau von Uran, der Betrieb von AKWs und der Umgang mit dem Atommüll mit all ihren Risiken und tagtäglichen Gesundheitsschäden und ökologischen Desastern noch nie) jetzt auch wirklich physisch und unmittelbar angegangen werden. Hierbei werden die TeilnehmerInnen auch eher zu tatsächlichen AkteurInnen als bei der bloßen Formierung zu Bildmaterial für den Medienbetrieb.
Und schließlich: Es wird ernsthaft der Versuch unternommen, die Massenbasis die der außerparlamentarische Protest gegen die Atomkraft in den letzten zwei Jahren entwickelt hat (als eine von ganz, ganz wenigen Sozialen Bewegungen in Deutschland), auch auf das Gebiet des physischen Widerstandes zu übertragen. Das ist keine Selbstverständlichkeit! Denn während in den letzten Jahren die Menschenmassen eher bei den symbolischen Veranstaltungen auftauchten (Demo im Wendland bevor der Castor da ist, insbesondere aber Menschenketten, Umzingelungen, Großdemo in Berlin etc.) gab es zwar durchaus auch direkten Widerstand gegen die Atompolitik ‒ dieser war zwar auch technisch oft hochqualitativ, jedoch ging er von recht überschaubaren Personenkreisen aus, und ist bei staatlichen Bedarf dementsprechend leicht zu kriminalisieren (als ein Beispiel von vielen sei hier auf die Castor-Blockade bei Berg, vor 2 Jahren verwiesen). Sollte es nun gelingen, diesen Widerstand auf eine Massenbasis zu übertragen, dann würde dies nicht nur seine Kriminalisierung sehr erschweren. Auch seine gesellschaftliche Relevanz würde sprunghaft zunehmen.

Zu prüfen wird jedoch sein, inwieweit sich dies auf die Qualität der Inhalte der Anti-AKW-Bewegung auswirkt. Prinzipiell ist festzustellen, das hier nicht nur auf theoretischer Ebene einiges an Ent-Radikaliserung stattgefunden hat. Das hat auch viel mit dem gesellschaftlichen Kontext zu tun. In den 70er und 80er Jahren war die Atomkraft ein wichtiges Programm, um große Mengen Kapital gewinnbringend loszuwerden. Wer sich der Atomkraft in den Weg stellte, der/die stand schon fast der Verwertung an sich im Weg. Dies mag auch ein Mitgrund gewesen sein, warum dieser Widerstand mancherorts bürgerkriegsähnliche Züge annahm. Und auch ein wichtiger Bezugspunkt für die radikale Linke war (während heute Linksradikale bei den AKW-Protesten durchaus vorhanden, aber doch eher Exoten sind).
Heute hat sich an der ökonomischen Bedeutung der Atomenergie einiges geändert. Die Sparte der erneuerbaren Energien wächst enorm schnell ‒ und macht hohe Gewinne. Hier zeigt sich ein ganz anderes Bild als bei vielen anderen Einzelkämpfen: Das angegriffene Projekt ist nicht alternativlos für die erfolgreiche Kapitalverwertung. Das heißt aber nicht, dass die Alternativen des Kapitals zum Anliegen von emanzipatorische Bewegungen werden sollten! Denn auch die Durchsetzung der Erneuerbaren auf dem Markt ändert nichts daran, dass Produzierende und KonsumentInnen nicht die Produktionsmittel kontrollieren und dass der Strom nur für jene da ist, die ihn bezahlen können. Schließlich haben die, die mit Erneuerbaren Energien Geld verdienen zwar ein Interesse an der Durchsetzung der Erneuerbaren ‒ aber nicht daran, den Klimawandel tatsächlich zu stoppen oder gegen die vielen sonstigen Zumutungen vorzugehen, die der Kapitalismus der Menschheit einbrockt ‒ denn das macht sich nicht in ihrem Geldbeutel bemerkbar. Nicht zuletzt auch, dass es an einigen Orten lokale Proteste gegen Windkraftanlagen gibt, die so aufgestellt werden, dass sie die Lebensqualität der Anwohner_innen beeinträchtigen, und zunehmende Berichte über miserable Arbeitsbedingungen in den Firmen[1] machen deutlich, dass die Gesetzmäßigkeiten des Marktes eben auch vor Ökos nicht Halt machen.
Angesichts der Auslastung der Stromnetze ist es jedoch Fakt, dass mit dem Ausbau/Neubau von AKWs und Kohlekraftwerken das weitere Wachstum der Erneuerbaren Energien ausgebremst wird ‒ der Alptraum jedes, ganz egal wie gearteten Kapitals. Es handelt sich also längst um einen Konflikt zwischen verschiedenen Kapitalfraktionen. Und naturgemäß hat keine von ihnen ein Interesse daran, dass der bürgerliche Staat bzw. der Kapitalismus an sich in Frage gestellt wird ‒ denn mögen diese noch so destruktiv und unsozial sein, sie sind dennoch die Existenzbedingung jedes Kapitals. Dazu passend sind auch die neuen Aktionsformen: Sie sind legalistisch, symbolisch und die Menschenkette war auch ein Fotoshooting für jene, die den kapitalistischen Normalvollzug gerne mitgestalten würden (SPD und Grüne). Dass ein „Öko-Kapitalist“ aus der Sparte der erneuerbaren Energien ein Bus sponserte, mag bis jetzt ein Extremfall gewesen sein, zeigt aber deutlich, wohin die Reise geht.

Der Aufruf zu „Castor? Schottern!“ grenzt sich auf dem ersten Blick angenehm hiervon ab: „Vielmehr entspricht es häufig gemachter Erfahrung, dass Appelle an die da oben wenig ausrichten ‒ sind die doch treibende Räder in einem System, in dem Wachstum und Profit das gesellschaftliche Geschehen bestimmen. Die Interessen der Menschen treten in den Hintergrund.“ Auch wenn die gesellschaftlichen Strukturen nicht beim Namen genannt werden und eine gründliche Analyse unterbleibt (was dem Format des Textes und dem Ziel, für breite Kreise anschlussfähig zu bleiben geschuldet sein mag, reformistischen Auslegungen aber Tür und Tor öffnet), ist das dennoch inhaltlich radikaler als alles, was bisher bei den rein symbolischen Massenaktionen an Message rüberkam.
Die Frage ist, was daraus aus in Praxis werden wird. Bleibt die Aktion überschaubar und bedeutungslos, weil die Aktionsform nicht zu den ökonomischen Verhältnissen passt, wird sie trotz ihres radikalen Gestus dennoch konstruktiv in die modernisierten Herrschaftsverhältnisse integriert (die große Anzahl an Linkspartei und Gewerkschaftsfunktionären die den Aufruf unterstützen macht dies durchaus denkbar), oder gelingt es ihr den Anti-AKW-Protest in Theorie und Praxis zuzuspitzen?
Diesbezüglich scheint sich inzwischen selbst die Gewerkschaft der Polizei ernsthaft Sorgen zu machen, mensch beachte diese Pressemitteilung. Sicherlich sind die Ergüsse der GDP in der Regel nicht der Weisheit letzter Schluss. Dennoch ist es schon bemerkenswert, wenn selbst die Polizei der Auffassung ist, die „Neue Atompolitik wird Polizei unweigerlich an Belastungsgrenze bringen“, und ganz offensichtlich von enormen kommenden außerparlamentarischen Auseinandersetzungen ausgeht.

Bei der Frage, wie denn aber eine (durchaus auch zugespitzte) außerparlamentarische Auseinandersetzung um die Atompolitik im Konkreten aussehen wird, zeigen sich auch die Gefahren dieser Aktionsformen. Denn die Praxis in Deutschland hat gezeigt, dass Massenproteste aller Art, auch wenn sie nach innen meist basisdenmokratisch organisiert sind (wobei auch hier die Grenzen zwischen rate-ähnlichen Strukturen mit imperativem Mandat und repräsentativen Strukturen, die über die Köpfe vieler AkteurInnen hinweg entscheiden, fließend sind), dass diese Aktionen nach außen hin meist instrumentalisiert werden. Instrumentalisert in dem Sinne, dass aus den Bewegungseliten stammende OrganisatorInnen meist allein für die Pressearbeit verantwortlich sind (Transparenz gibt es in diesem Bereich in der Regel nicht), und sich anmaßen, für alle AktionsteilnehmerInnen zu sprechen ‒ ohne die je nach ihrer Meinung gefragt zu haben. Durch das Vorgehen dieser selbst ernannten „SprecherInnen“ dient dann unterm Strich das Engagement von Vielen oft dazu, Einfluss und Macht, den einige Wenige und ihre Organisationen im Diskurs entfalten, zu erhöhen. Solche Strukturen waren z.B. bei den Aktionen von x-tausend mal quer zu beobachten, beim G8-Gipfel in Heiligendamm, beim Klimacamp 2008 in Hamburg und beim Klimagipfel in Kopenhagen.
Bei einem Teil (!!) der Aufrufenden zum Schottern scheint es durchaus plausibel, dass sich solche Abläufe wiederholen. Neben einigen VertreterInnen der Linkspartei (die ja vielerorts die außerparlamentarischen Kämpfe nutzt, um sich zu profilieren und so eines Tages den kapitalistischen Normalbetrieb mitgestalten zu dürfen) springen mehrere Gruppen und Personen ins Auge, die sich im Zusammenhang mit G8/Klimacamp/Kopenhagen, vorsichtig gesagt, nicht gerade mit Ruhm bekleckert haben. Stellvertretend für mehrere problematische Personalien sei hier nur Monty Schädel (Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen) genannt, der beim G8 2007, als die Protestierenden nach den Auseinandersetzungen vom 2. Juni von der bürgerlichen Presse in die Schmuddelecke gestellt wurden, versuchte die Ehre von sich und seiner Gruppe zu retten, indem er die militanten Auseinandersetzungen zwischen Linksradikalen und Polizei mit den Brandanschlägen von Faschisten auf Ausländerwohnheime in Rostock-Lichtenhagen gleichsetzte. „Wir wollten, dass von Rostock diesmal andere Bilder ausgehen als jene Bilder, die die Pogrome von 1992 hervorbrachten. Dieses Ziel haben wir verfehlt. Das haben wir nicht geschafft. Das wurde uns von einigen kaputt gemacht“ Zwar hat er sich später von der konkreten Aussage distanziert, aber nicht von dem Gedankengut dahinter (zur Gleichsetzung Rechts-Links und zu Spaltungen zwischen „guten“ und „bösen“ AktivistInnen hat er kein kritisches Wort verloren). Was er und andere über den Anti-AKW-Widerstand sagen werden, falls dieser im November auch stigmatisiert wird, bleibt abzuwarten. Und ob das tatsächlich schlimmer sein wird, als das was von solchen Leuten zu hören sein wird, wenn nichts derartiges passiert.
In jedem Fall würden derartige Kommunikationsstrukturen einem Widerstand mit tatsächlich mündigen AkteurInnen sehr schaden. Und so blicke ich (trotz aller Sympathie) insgesamt doch eher mit gemischten Gefühlen auf das Konzept „Castor? Schottern!“.

  1. Gemeint sind vor allem die ersten 2 Seiten, den größten Teil des Beitrags des IG-Metall-Funktionärs halte ich für totalen Quark.