2012-01:Von Pferden, Gewalt und Solidarität

Aus grünes blatt
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Von Pferden, Gewalt und Solidarität

Castor Schottern 2011 – ein ganz persönlicher Bericht aus dem Wendland

Strahlende Erdbeere In weißen Schutzanzügen, teilweise gepolstert zum Schutz gegen Polizeischlagstöcke und ausgerüstet mit selbstgebastelten „Visieren“ gegen das Pfefferspray, zogen wir an diesem Novembersamstag von unserem Camp los. Das geschah natürlich nicht unbemerkt von der Polizei, die unser Camp ständig beobachtete. Dennoch kamen wir zunächst ungestört gut voran, bis wir an einer größeren Straße auf die erste Polizeikette trafen. Hier ging die „Fingerstrategie“ ziemlich gut auf – soweit ich es mitbekommen habe, schafften es alle mit nur kleinen Rangeleien durch die Kette. Allerdings taten die Polizisten dann etwas, mit dem jedenfalls ich nicht gerechnet hatte: Als klar war, dass sie uns nicht aufhalten konnten, blieben sie nicht etwa zurück, sondern liefen in einer Reihe neben uns her. Also ging es nun nicht mehr im zügigen Spaziergang weiter, sondern laufend über den Acker. Ziemlich anstrengend auf Dauer. Nach einer Weile liefen die Polizisten nicht mehr nur in einer Reihe neben uns, sondern auf beiden Seiten. Das war schon ein wenig beängstigend. An einer Verengung versuchten sie dann auch die Kette vorne zu schließen, scheiterten aber. Weiter ging es über den Acker; ich war froh, dass ich zumindest ab und zu joggen gehe, und wünschte mir gleichzeitig, in besserer Form zu sein.

Wir erreichten ein großes Feld, das wieder von einer großen Straße begrenzt wurde. Alles begann auf einmal zu johlen, denn uns entgegen liefen Presseleute – Öffentlichkeit, die immer zumindest einen kleinen Schutz gegenüber Polizeigewalt darstellt. Dann aber wurde klar, was die Polizei vorhatte. Sie hatten eine Reihe von Wannen (Polizeibussen) Stoßstange an Stoßstange an der Straße geparkt und wollten diejenigen von uns, die an der Polizeikette und dem kaputten Stacheldrahtzaun vorbeikamen, so aufhalten. Ihr Plan ging auf. Wir splitteten uns in zwei Finger auf, der eine Finger wurde quasi komplett eingekesselt, und unser Finger schaffte es auch nur mit großen Verlusten durch die Wannen. Ich kletterte zwischen zwei Wannen hindurch, blieb stecken und wurde von meinem Tandempartner spektakulär befreit, während hinter mir ein Bulle seinen Knüppel schwang. Vor lauter Adrenalin bekam ich davon aber nichts mit. Wir waren ein stark dezimiertes Grüppchen von vielleicht 80 Leuten, das sich auf der nächsten Wiese sammelte. Ein Mitglied unserer Bezugsgruppe hatten wir an den Polizeikessel verloren. Die Polizisten folgten uns nicht, so konnten wir uns ein wenig verpusten, Wasser trinken und stärken. Dann ging es weiter.

Vielleicht hätten wir an dieser Stelle die Aktion abbrechen oder beschließen sollen, das Ziel zu ändern und nicht mehr zu versuchen, an die Schiene zu kommen, sondern nur noch Polizeikapazitäten zu binden. Im Nachhinein war klar, dass wir viel zu wenige waren, um als Massenaktion effektiv schottern zu können. Vielleicht wiegte uns aber die Tatsache, dass uns die Polizei erst mal nicht mehr folgte, in Sicherheit. Wir marschierten also weiter über die nächsten Felder durch ein kleines Dorf und plötzlich waren wieder ziemlich dicht hinter uns Polizisten. Sie waren mit Wannen in das Dorf hineingefahren. Also weiter im Laufschritt, Barrikaden errichtend mit Baumstümpfen usw. Als wir das nächste offene Feld erreichten, sahen wir, wie von rechts eine Reiterstaffel herangaloppierte. Wir versuchten, uns gegenseitig in Sicherheit zu wiegen: Die reiten nicht mit den Pferden in die Menge, das ist nur, um uns Angst zu machen. Mit Indianergeheul rannten die ersten Aktivist_nnen auf die Reiter zu, die uns den Weg abschneiden wollten. Von hinten rückte die Hundertschaft auf. Es herrschte nur noch Chaos, wir riefen ständig den Namen unserer Bezugsgruppe, unserer Tandempartner_innen. Einen Graben zwischen uns und der Schiene übersprangen wir, eine Freundin landete komplett mit einem Bein drin, ich nur mit einem Fuß, nass ging es weiter. Ein Polizist blieb zu unserem Vergnügen im Graben stecken. (Alles ist sehr schön in einem Video auf www.graswurzel.tv zu sehen.) Ich hatte zu diesem Zeitpunkt das Gefühl, am Ende meiner Kräfte angelangt zu sein, aber irgendwie war nun auch klar, dass man nicht einfach anhielt. So rannten wir weiter, die Pferde mittendrin, Polizisten warfen Leute um und knüppelten. Als wir die Schiene fast erreicht hatten, war ich voll auf ein Pferd konzentriert, das vor mir lief. Später habe ich auf Fotos im Internet gesehen, dass direkt neben mir jemand überritten wurde. Plötzlich sah ich mich einer Polizistin mit Pfefferspray gegenüber und bekam eine volle Ladung ins linke Auge. Mein selbstgebasteltes Visier war verrutscht gewesen. Meinen Tandempartner, der eine Sekunde vorher noch neben mir gewesen war, hatte ich in dem Chaos verloren. Ich konnte nichts mehr sehen, bekam Panik mitten im Getümmel und hatte das Gefühl ohnmächtig zu werden. Aber sofort eilte mir ein anderer Aktivist zu Hilfe, der mich an der Schulter nahm und beruhigend auf mich einredete. Als ich meine Umwelt wieder mitbekam, waren wir im Polizeikessel. Der Aktivist spülte mir das Auge und nach einer Weile fühlte ich mich besser, wenn auch noch etwas wackelig. Nach etwa zwei Stunden im Kessel wurden wir mit Platzverweisen und nach sehr sorgfältigem Filzen freigelassen.

Von Freunden, die es bis auf die Schiene geschafft hatten, weiß ich, dass sie anschließend noch über Felder gehetzt wurden. Mehrere wurden festgenommen, mussten auf dem kalten Ackerboden sitzen und wurden dann zwei Tage in der Gefangenensammelstelle in Lüneburg festgehalten. Mein Tandempartner wurde von dem schlimmsten Reiter aus der Reiterstaffel gejagt, der mit irrem Gesichtausdruck immer wieder „ich krieg dich!“ brüllte. Er entkam – man mag sich kaum ausmalen, was passiert wäre, wenn der ihn wirklich gekriegt hätte, so aggressiv und außer Kontrolle wie er schien. Doch der Aktivist sprang über einen Elektrozaun direkt hinter einem Graben, dorthin konnte der „Preuße“, wie wir ihn nannten, ihm nicht folgen.

Ich wusste zwar schon vor dem Castor-Transport aus persönlichen Berichten und aus den Medien, dass die Polizei oft unverhältnismäßig hart gegen Aktivist_innen vorgeht. Es ist jedoch etwas komplett anderes, diese Unverhältnismäßigkeit am eigenen Leibe zu erfahren. Die Polizei hat mit dem Reiterstaffeleinsatz in Kauf genommen, dass Menschen tödlich verletzt werden. Und das alles, um eine Sachbeschädigung zu verhindern. Und ein Satz zum Vorgehen einzelner Polizist_innen, die ja immer als so unwillige Helfer des Castortransports in Schutz genommen werden: Sicher, ihre Anwesenheit im Wendland ist nicht bei allen freiwillig (wenn man einmal die Entscheidung, Polizist_in zu werden außer Acht lässt). Aber die Art und Weise, wie die Einzelnen dort agieren, untersteht immer noch ihrer persönlichen Verantwortung. Niemand kann kontrollieren, ob sie „hart genug“ gegen die Aktivist_innen vorgehen, ob sie genug Pfefferspray einsetzen und genug knüppeln. Von dieser Brutalität kann ich die einzelnen Menschen, die mir dort in ihrer sie zu einer einheitlichen Masse verschmelzenden Uniform gegenüberstanden, nicht freisprechen. Denn die Ausrede „wir führen nur unsere Anweisungen aus“ ist löchrig und gefährlich.

Aber die Kritik an gewalttätigem und rechtswidrigem Verhalten der Polizei ist nicht neu. Ebenso wenig die Frage, was passieren muss, damit Pfefferspray, Reiterstaffeln oder Wasserwerfer bei Demonstrationen verboten werden. Neu ist nur das Gefühl, das ich nun habe, wenn ich einen Polizeibus durch die Straßen rollen sehe.

Fotos (copyleft): Castor Schottern