2013-03:Tar Sands

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Teil 3

"Tar Sands":
Nachhaltige Zerstörung von Urwäldern und Feuchtgebieten, Enteignung indigener Menschen und größter Einzelverursacher des Treibhauseffekts

fb Die ersten beiden Teile dieses Artikels gaben einen Überblick über die Tar Sands-Vorkommen, deren Abbautechnologie sowie die Ölindustrie in Alberta. Weiterer Fokus waren die ökologischen Auswirkungen der Tar Sands-Industrie. Zuletzt ging es um die Technologie der Rohölerzeugung aus den Tar Sands. An diesem Punkt setzt dieser Artikel wieder an.



Konditionierung

Der erste Schritt in der langen Kette aufwendiger Verarbeitungsprozesse auf dem Weg vom "Teersand" zu einer Art künstlichen Rohöls, das dann in der konventionellen Ölindustrie weiter verwendet werden kann, wird "Konditionierung" (Conditioning) genannt. Gemeint ist damit das Aufbrechen und Zerkleinern der klebrigen Tar Sands-Brocken in kleinere Stücken sowie die Entfernung groben Materials. Anschließend wird heißes Wasser hinzugefügt, um das Gemisch transportfähig zu machen. Diese Vorbereitung für den "Hydrotransport" zur Extraktionsanlage (extraction plant) wurde bereits am Ende des letzten Teils dieses Artikels angedeutet.

Das Beimengen heißen Wassers bewirkt auch die Freisetzung von in den Tar Sands eingeschlossener Luft. Die Luft, die in winzigen Blasen in dem Tar Sands-Schlamm gefangen ist, und das heiße Wasser verursachen durch ihre verstärkten Bewegungen eine Abtrennung des Bitumens. Zur Erinnerung: die als "water-wet" bezeichneten Athabasca-Tar Sands sind genau genommen Sandkörner, die zunächst von einer dünnen Wasserschicht und, darauf liegend, von einer Bitumenhülle umgeben sind. Die Erhitzung und die Einwirkung der Luftbläschen führen zu einem größerem Abstand des Bitumens vom Sand. Im nächsten Schritt wird dieser Prozess verstärkt, bis das Bitumen gänzlich vom Sandkorn abgetrennt ist.

Heutzutage werden allerdings auch Konditionierungstechniken angewendet, die der Mixtur wiederum mehr Luft und weitere Zusatzstoffe hinzuführen. Auch sind manche Tar Sands-Lagerstätten sind nicht "water-wet" und bedürfen zusätzlicher Lösemittel, um Sand und Bitumen zu trennen. Vor der Einführung des Hydrotransportes waren große Trockentrommeln genutzt worden, um den Matsch aus Tar Sands und Wasser zu konditionieren. Dies war eine der ersten Methoden zur Konditionierung der Tar Sands. Die Trommeln führten Luft in den Schlamm herein und siebten grobe Materialien heraus.

Die Konditionierung ist ein wichtiger Schritt, der komplexe physikalische und chemische Veränderungen einleitet. Sie startet die "Separation" durch das Aufbrechen der Bindungen, die das Bitumen, Wasser und Sand zusammen halten.


Abtrennung

Der nächste Teilschritt findet im primären Scheidekessel statt und wird "Abtrennung" (Separation) genannt. Hier wird dem Schlamm weiteres heißes Wasser beigemengt und sogenannter "Bitumen-Schaum" gebildet. Dieser trennt sich in einem rapide ablaufenden Prozess von anderen Bestandteilen des Gemisches (Sand, Wasser und weitere Feststoffe). Er steigt im Scheidekessel ganz nach oben und strömt dort über die Kante. Er läuft in eine Rinne und wird zur weiteren Verarbeitung abgeleitet, während der Sand auf den Behälterboden zurückfällt. Der Schaum enthält etwa 90 % des Bitumens. Er setzt sich für gewöhnlich aus etwa 30 % Wasser, 60 % Bitumen und 10 % Feststoffen zusammen. Er muss nun "entlüftet" und gereinigt werden.

Wenn Lehm und Schlick sich vom Bitumen-Schaum und vom Sand getrennt haben, bleibt ein Teil davon als Schwebstoffe im mittleren Bereich des Kessels, zusammen mit kleineren Mengen Bitumen. Die sogenannten Middlings werden kontinuierlich zur Weiterverwertung (sekundäre Abscheidung) abgeführt. Dann wird der Flüssigkeit in Flotationstanks erneut Luft zugeführt. Diese bewirkt die Bildung von weiterem Bitumen-Schaum, der allerdings größere Wasser- und Feststoffmengen enthält. Er wird dann entweder dem zuerst gewonnenen Bitumen-Schaum beigemengt, oder einzeln weiterverarbeitet. Teilweise werden so geringere Mengen von Bitumen wiedergewonnen, die andernfalls auch in die Klärgruben (Tailing Ponds) fließen würden.

Der Sand und etwas Schlick und Lehm setzen sich schnell am Boden ab und werden kontinuierlich entfernt. Diese Stoffe werden außerhalb des primären Scheidekessels wieder mit Wasser verdünnt und in Tailing Ponds abgeleitet.

Für die Extraktion des Bitumen aus den Tar Sands wird sehr viel Wasser zur Verdünnung benutzt. Letztlich wird das Abwasser, das immer noch große Mengen Öl und zugesetzte Chemikalien enthält, in den Tailing Ponds gespeichert - große Becken, in denen sich die Feststoffe absetzen sollen. Die Tailings stellen eine Art dauerhafte Zwischenlösung dar. Sie liegen oft neben Flüssen, aus denen das Wasser entnommen wird. Da sie nicht völlig dicht sind, sickern täglich große Mengen der giftigen, ölhaltigen Substanz in das Flusssystem. Das kontaminierte Wasser gelangt flussabwärts und belastet hier Fische und andere Tiere sowie Pflanzen[1]. Viele Fische tragen Schäden davon, deformieren oder mutieren. Die Gifte lagern sich in den Tieren und Pflanzen ein und gelangen so auch in die Nahrungskette der dort lebenden Menschen. Es gibt viele kranke Menschen flussabwärts[1]. Der Athabasca River fließt an Fort Chipewyan vorbei, wo vier Communities leben, drei davon sind indigen. Sie alle sind von den Giften betroffen. Der Athabasca River mündet wenig später in den riesigen Athabasca Lake und erreicht somit den Wood Buffalo Nationalpark.

Täglich werden einer Studie der Universität Waterloo, Ontario, zufolge ca. 400 Millionen Liter giftiger Abwässer in den Athabasca Tar Sands produziert.[2] Informationen aus der Industrie zufolge, die von der NGO Rainforest Action Network aufbereitet wurden, dehnen sich die toxischen Klärbecken über 50 km²[3][4] aus und lassen täglich mehr als 11 Millionen Liter kontaminiertes Wasser an die Umwelt durchsickern[2].


Froth Treatment

Auf die Separation folgt nun die "Schaum-Behandlung" (Froth Treatment), wo die in dem sprudelnden Bitumen-Schaum enthaltene Luft wieder entfernt wird. Sonst wäre der Schaum schwierig weiter zu pumpen. Dabei werden auch verbleibendes Wasser und jegliche Feststoffe abgeschieden.

Luftabscheider sind lange Säulen gefüllt mit Einsätzen, sogenannten "shed decks". Der Bitumen-Schaum kaskadiert den Schacht hinunter durch die einzelnen Etagen. Dampf wird in den Schacht eingeleitet und steigt hinter dem Bitumen nach oben. Dieser steigende Dampf hilft bei der Ableitung der Luft aus dem Bitumen und erhitzt es weiter.

Nachdem die Luft entfernt ist, wird das erhitzte Bitumen mit einem Verdünnungsmittel gemischt, üblicherweise Naphta oder ein anderer deutlich leichterer Kohlenwasserstoff. Jetzt erst beginnt die eigentliche "Schaum-Behandlung".

Durch die Verdünnung des Bitumens verringert sich dessen Zähflüssigkeit und seine spezifische Gravitation. Das bedeutet, dass verdünntes Bitumen, anders als reines, auf dem Wasser schwimmt, also leichter davon abgetrennt werden kann. Bei durchschnittlichem "entlüfteten" Bitumen macht Wasser immer noch 30 % seines Gewichts aus, und 10 % sind mineralische Partikel. Unter Einsatz von Lamellenklärern, verschiedenen Typen von Zentrifugen und etwas neuerer Technologien wie Hydrozyklone und Eindickern müssen Wasser und die Feststoffe reduziert werden. Der Verdünner wird später zurückgewonnen und bei der Schaum-Behandlung wiederverwendet.

Nach dem Durchlaufen der Kaskaden ist die Schaum-Behandlung vollendet und das verdünnte Bitumen enthält nur noch etwa 4 % Wasser und lediglich 0,5 % Feststoffe. Damit ist es rein genug für den nächsten Verarbeitungsschritt, das Upgrading. Das ist es, wonach es der Ölindustrie begehrt. Es muss in vielen weiteren Prozessen aber noch aufbereitet werden. Bis hierher wurden eigentlich noch keine chemischen Umwandlungsprozesse vorgenommen, aber bereits große Mengen Energie und Wasser aufgewendet.


Bitumen

Anders als Leichtöl enthält Bitumen eine Heerschar an Schadstoffen einschließlich Schwefel, Salzen, Stickstoff, Lehm, Asphalten, Harze und Schwermetalle (z.B. enthält Western Canadian Select, eine Mischung aus Bitumen und synthetischem Rohöl, achtmal mehr Schwefel als "West Texas"-Rohöl). Nordamerikanische Raffinerien, die dazu gebaut wurden Leichtöle zu behandeln, haben vielzählige Bedenken über ihre Fähigkeit verdünntes Bitumen zu säubern und zu verarbeiten angebracht. Öl geringerer Qualität von den Tar Sands hat den Energieverbrauch von US-Raffinerien zwischen 2003 und 2007 um 47 % erhöht, was sich auch in höhere Treibhausgasemissionen ausschlägt.

Das Canadian Industrial End-use Energy Data and Analysis Centre (CIEEDAC) kam 2008 zu der Schlussfolgerung, dass synthetisches Rohöl, das aus Bitumen gewonnen wurde, die höchste Verbrennungsabgasdichte von fünf heimischen Petroleum-Produkten hatte und am energieintensivsten in der Verarbeitung war.


Upgrading

Bitumen ist, wie Rohöl, eine sehr komplexe Mischung von Chemikalien. Es enthält ebenso wie dieses eine im Verhältnis zum Wasserstoff große Zahl an Kohlenstoffatomen. In manchen Upgrading ("Veredelung")-Prozessen wird Kohlenstoff entfernt. Dies wird "Coking" genannt. Andere Verfahren fügen Wasserstoff hinzu oder ändern die molekularen Strukturen. Upgrading umfasst auch die Sortierung des Bitumens in seine Komponenten und deren anschließende Verwendung zur Produktion einer Reihe von weiteren Produkten und Nebenprodukten.

Manche dieser Produkte können "wie sie sind" verwendet werden. Andere werden zu Rohmaterial für die weitere Verarbeitung. Das Hauptprodukt des Upgrading ist synthetisiertes (künstliches) Rohöl, das später wie konventionelles Öl zu einer Reihe Konsumprodukten raffiniert werden kann.

Upgrading erfolgt in vier Hauptverfahren. Per Distillation werden unterschiedliche Kohlenwasserstoffe voneinander getrennt. Thermische Konversion, katalytische Konversion und Hydrodesulfurierung umfassen die Herbeiführung chemischer Veränderungen der Kohlenwasserstoffe. Verschiedene Unternehmen verwenden diese Prozesse auf unterschiedliche Art und Weise und in verschiedenen Stadien der Transformation von Bitumen zu Rohöl, aber das Grundprinzip hinter dieser Umwandlung ist das gleiche. Auf diese Verfahren hier im einzelnen einzugehen, würde den Rahmen des grünen blatts sprengen.


Klimaauswirkungen

Im Rahmen des ohnehin kläglichen Kyoto-Protokolls, in dem erste Festlegungen zu CO²-Einsparzielen der Industriestaaten gemacht wurden, hat Kanada sich verpflichtet verglichen mit dem Stand von 1990 seine Kohlenstoffdioxid-Emissionen um 6 % zu reduzieren[5]. Jahre zuvor hatte das Wissenschaftler*innen-Gremium der Vereinten Nationen IPCC schon errechnet, dass weltweit mindestens 75 % Einsparungen notwendig wären.

Die kanadische Atomlobby frohlockte bereits 2008, dass diese Ziele nicht zu erreichen seien, und verkündete "Kanada wird auf Atomkraft angewiesen sein, um seine Klimaziele erreichen zu können." - Atomkraft zum Klimaschutz ist natürlich genauso unsinnig wie die Verbrennung der letzten Erdgasvorräte für die Tar Sands-Industrie, um unabhängiger vom Erdgas zu werden.

Aber in einem hat die Atomindustrie recht zu frohlocken: Schon jetzt sind die Teersande Kanadas größter CO²-Verursacher. Der massive Ausbau der Tar Sands in Kanada führt statt zum Erreichen der mickrigen Klimaziele zu einer enormen Erhöhung der Treibhausgasemissionen.

Umweltorganisationen wie Greenpeace oder Rainforest Action Network zufolge verursacht die Gewinnung von Öl aus den Tar Sands drei- bis fünfmal mehr Treibhausgasemissionen als bei der ohnehin schon schmutzigen konventionellen Erdölproduktion.[1] Die CO²-Freisetzung beträgt zwischen 62 und 176 kg pro produziertem Barrel Öl[2].

Schon für 2010 wurde hochgerechnet, dass Kanadas Treibhausgasemissionen 35 % über dem Vergleichswert von 1990 lagen. Und bis 2015 wird erwartet, dass sich die Tar Sands-bezogenen Emissionen von den 25 Megatonnen im Jahr 2003 auf 126 Megatonnen mehr als vervierfachen werden. 2013 verursachten die Tar Sands der Industrie zufolge 8,7 % von Kanadas Treibhausgasen und war verantwortlich für 0,13 % der globalen Treibhausgasemissionen; Kanada setzte im selben Jahr 2 % der weltweiten Emissionen frei[6]. 2020 wird diese Industrie für fast die Hälfte der CO²-Emissionen des Landes verantwortlich sein[1]. Sollte die Erweiterung der Abbaugebiete wie geplant erfolgen, wird Kanada durch die damit verbundene Luftverschmutzung zu dem Staat werden, der zweitgrößter Treibhausgas-Verursacher der Welt ist[2]. Die kanadische Tar Sands-Industrie wurde bereits 2009 als weltweit "größtes Energieprojekt"[2] betrachtet - damals noch mit 36 Megatonnen Emissionen, und damit schon größeren Treibhausgasemissionen als viele europäische Nationen. Daran hatten die Ölkonzerne Suncor (11 MT) und Syncrude (15 MT) den größten Anteil.

Im hochgradig umstrittenen "Carbon Capture and Storage" (CCS) - CO²-Abscheidung und -Speicherung, so propagiert die Provinzregierung Albertas, läge die Lösung für das Klimaproblem. Bis 2050 sollten 70 % der Emissionen der Provinz per CCS aufgefangen und sicher gelagert werden. "Sichere Endlagerung", das wird gewiss ebenso gut funktionieren wie beim Atommüll. Nur, dass es bei Freisetzungs-Katastrophen nicht um siechende Erkrankung und langfristiges Sterben gehen wird, sondern dass solche Super-GAUs für die an der Oberfläche Betroffenen sofort tödlich wirken werden. Eine Umweltkatastrophe mit plötzlicher Freisetzung von 1,6 Millionen Tonnen CO² fand 1986 am Nyos-See (Kamerun) statt. Das freigesetzte Gas tötete etwa 1.700 Menschen und Tausende von Tieren in bis zu 27 km Entfernung vom Unglücksort.


Fortsetzung folgt! Weiter geht es mit diesem Hintergrundbericht in der nächsten Ausgabe - oder, wer nicht so lange warten will, kann auf der Internetseite des grünen blatts schon weiter lesen.

Dieser Artikel basiert auf Vorort-Recherchen in Alberta, Interviews mit Vertreter*innen von kanadischen Umwelt-NGOs, First Nations, aus Ölindustrie und Politik sowie auf Internet-Recherchen.


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  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Greenpeace/Christoph von Lieven: Tatort Kanada: Ölsand-Abbau zerstört Wald und Klima; Greenpeace e.V.; Hamburg, 25.11.2009
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 Greenpeace: Ölsand-Abbau zerstört Wald und Klima. Wird Kanadas Natur der Profitgier geopfert?; Schwandorf, November 2009
  3. Rick Schneider/Simon Dyer: Deep oil sands may transform 21 % of Alberta; Canadian Parks and Wilderness Society + Pembina Institute; Edmonton, August 2006
  4. Im Gegensatz dazu besagt eine neuere Publikation der Regierung von Alberta, dass es sich um mehr als 170 km² Tailings Ponds handelt
    http://www.oilsands.alberta.ca/FactSheets/FS-CES-Tailings.pdf - gesichtet 14. Februar 2015
  5. Kanada hatte sich mit dem Kyoto-Protokoll zu einer Treibhausgas-Reduktion von 6 % bis zum Jahr 2012 verpflichtet. Aus:
    Greenpeace/Christoph von Lieven: Tatort Kanada: Ölsand-Abbau zerstört Wald und Klima; Greenpeace e.V.; Hamburg, 25.11.2009
  6. http://oilsandstoday.ca/Pages/default.aspx - gesichtet 14. Februar 2015