2014-02: Möglichkeiten und Grenzen des Zusammenkommens politischer und rebellischer Gefangener

Aus grünes blatt
Zur Navigation springenZur Suche springen

Möglichkeiten und Grenzen des Zusammenkommens politischer und rebellischer Gefangener

Oliver Rast Vom Gefangenenrat zur Projekt-Idee einer Gefangenen-Union – Ansätze einer rebellischen Gefangenenbewegung

In den vergangenen 40 Jahren existierten mehrere (kurzlebige) Initiativen der Organisierung von Inhaftierten. Es bedarf allerdings eines gewissen archäologischen Aufwandes, frühere Projekte an die Erdoberfläche zu heben. Die Initialzündung einer Anti-Knastarbeit in der Ära der Nach-68er-Bewegung setzte mit der Mobilisierung gegen die Inhaftierung eines SDS-Aktivisten im oberfränkischen Ebrach Mitte 1969 ein. Legendär wurde das Ebracher Knastcamp, auf dem sich einige spätere Aktivistinnen der militanten und bewaffneten Linken tummeln sollten. Zu Beginn der 1970er Jahre pulsierte in den bundesrepublikanischen Knastanlagen die Renitenz der Inhaftierten fühlbar. Die verstärkten Unmutsäußerungen aus den Knästen der Jahre 1972/1973, die sich als praktische Kritik und mitunter aufrührerisch gegen den Strafvollzug der BRD manifestierten, führten nicht nur zu einer erhöhten Presseresonanz, sondern zu Bestrebungen, den Inhaftierten eine autonom organisierte Stimme zu geben.


Der GR und der „militante Kompromiss“

Die Motivation zur Gründung des (Frankfurter) Gefangenenrats (GR) im Herbst 1973 resultierte zum einen aus der Existenz verschiedener Roter und Schwarzer Hilfen und der Bildung der Komitees gegen Folter, sowie zum anderen aus der Beobachtung der Zunahme internationaler Knastrevolten seit dem Beginn der 1970er Jahre.

Den Beginn des GR und deren Zusammensetzung benennen die Anti-Knast-Aktivistinnen in der ersten Nummer ihres Blatts Nachrichtendienst (ND) vom Dezember 1973:

„Wir sind eine Gruppe von entlassenen Strafgefangenen und ehemaligen Inhaftierten der psychiatrischen Haftanstalten. Wir haben in Frankfurt einen lokalen Gefangenenrat gebildet. In verschiedenen Anstalten haben sich uns Gruppen angeschlossen, die dort innere Gefangenenräte errichten.”

Grundsätzlich wurde von den GR-Aktivistlnnen die Zweiteilung von politischen und sozialen Gefangenen verworfen. Mit dieser Unterscheidung werde einer Hierarchisierung innerhalb der Population der Inhaftierten nicht nur Vorschub geleistet, sondern diese auch zementiert. Vorzugsweise dann, wenn anhand der Frage der Isolationshaft ein „Vorrecht” in der Solidaritätsarbeit gegenüber politischen Gefangenen abgeleitet wird, obwohl der knastinterne Isolationismus gleichermaßen renitente soziale Gefangene betrifft.


Der GR fokussierte – nicht ganz ohne Koketterie – ausdrücklich auf das inhaftierte Lumpenproletariat. Damit sollte ein klassenspezifischer Gegenpol zum vermeintlich kleinbürgerlich-studentischen Inhaftierten, der sich in Gruppenstrukturen der militanten oder bewaffneten Linken organisierte, geschaffen werden. Damit wird auch erklärt, dass sich die „kriminellen” Gefangenen auf ihre eigenen Kräfte besinnen müssen, um selbstorganisiert zu einem Faktor werden zu können.

Der innere GR gab sich in politischer Hinsicht betont dezent. Die Aktivisten der Knast-GRs rechtfertigten dies damit, dass sie größtenteils mit apolitischen Insassen zu tun hätten. Eine „linkslastige” Orientierung, mit der zumindest ein Emanzipationsgedanke transportiert werden konnte, war den „Rats-Mitgliedern” nicht abzusprechen, auch wenn das Einfallstor eines dubiosen politischen Neutralismus weit offen stand.

Ein deutlich zu vernehmender Radikalisierungskurs des GR präsentierte sich in einem Beitrag mit dem Titel „Die drei Schritte der Gefangenenbewegung”. Einleitend heißt es in Abgrenzung zur (akademischen) sog. Randgruppenstrategie: „Die Gefangenenbewegung beginnt mit den Querulanten. Wir wollen das ausdrücklich feststellen, um denen entgegenzutreten, die sie mit den betreuerischen Einflüssen der Studentenbewegung beginnen lassen, und außerdem, um auf die Entgegengesetztheit beider Bewegungen hinzuweisen.”

„Die Anfänge der Gefangenenbewegung setzen im Großen fort, was Erfahrung des Widerstands der Querulanten war: die hoffnungslosen juristischen Gefechte, die nur einen Sinn als Sabotage der Justizmaschinerie haben und auch zuletzt von den meisten Aktiven so gehandhabt wurden.” Und diese im Querulantischen liegenden Momente von Sabotage erzielte man durch eine „punktuelle Überlastung des Apparates” infolge von „massenhafte[n] Beschwerden und Anzeigen.” Aber auch das stieß insofern wiederum an seine Grenzen, wenn die Anstaltsbürokratie im Verbund mit der Juristerei systematisch dazu überging, bspw. Strafanzeigen unbearbeitet im Papierkorb verschwinden zu lassen.

In der letzten Phase der Relevanz des GR standen sich zwei Positionen gegenüber, die sich nur schwerlich vermitteln ließen. Zum einen orientierte der „pragmatische Flügel” auf einen linksliberalen, menschrechts- und rechtsstaatlichen Diskurs, mit dem eine „Humanisierung des Strafvollzugs” erwirkt werden sollte. Zum anderen tendierte der „Sozialrevolutionäre Flügel” auf einen militarisierten Konfrontationskurs innerhalb und außerhalb der Knäste. Der GR lähmte sich in dem Spannungsfeld zwischen „Gefangenen-Miliz und Knast-Karitas” faktisch selbst.

Neben den innerstrukturellen Unvereinbarkeiten der Positionen hinsichtlich der politischen Ausrichtung unterlag der GR letztlich den repressiven Penetrationen der Verfolgungsbehörden. U. a. wurde der § 129 ins Feld geführt, mit dem der GR zu einer „kriminellen Vereinigung” stigmatisiert werden sollte. Diese Repressionswelle konnte vom strukturell und personell nicht sonderlich stark aufgestellten GR kaum effektiv abgeblockt werden, zumal die Solidarisierungsbasis zu schmal war, um eine breit angelegte Kampagne zu entfalten.


Einschub: Ein Aktionsprogramm für gefangene Arbeiterinnen?

Oftmals wird die Ignoranz politischer Gefangener gegenüber der überwiegenden Mehrheit der Inhaftierten angeführt. Dabei wird vernachlässigt, dass sich politische Gefangene keineswegs vordergründig mit einem elitären Habitus durch die Knastzeit bewegten.

Das von Ulrike Meinhof verfasste „Provisorische Kampfprogramm für den Kampf um die politischen Rechte der gefangenen Arbeiter” (1974) stellt ein recht frühes Dokument von politischen Gefangenen dar, die Trennlinien zwischen einzelnen Gefangenengruppen aufzuweichen. Dieses Aktionsprogramm aus der Feder der Mitbegründerin der RAF verschwand nach dem dritten kollektiven Hungerstreik politischer Gefangener und dem Tod von Holger Meins recht schnell in der Schublade, sodass eine breitere Diskussion über die Aspekte einer Sammlungsbewegung von Gefangenen über „Statusgrenzen” hinweg ausblieb. Ein Fehler.


Gedankenspielerei um eine Gefangenen-Union

Die seit 2005 bestehende Interessenvertretung Inhaftierter (Iv.I) ist als ein selbstorganisierter Kreis von agilen Gefangenen aktuell der einzige Ausdruck einer Organisierung hinter Gittern. Deren Reichweite ist aber bislang deshalb arg begrenzt, weil die Iv.I zu wenigen Gefangenen bekannt ist. Es ist auszuloten, inwiefern sich diese Vertretungsform von und für Gefangene zu einer entschieden auftretenden basisgewerkschaftlichen Initiative ausbauen lässt.

Die Projekt-Idee einer Gefangenen-Union tendiert in eine ähnliche Richtung. Der Versuch der praktischen Umsetzung einer basisgewerkschaftlichen Selbstorganisierung, die nicht von der sog. Gefangenenmitverantwortung gedeckt ist, dockt an Überlegungen aus den 1980er Jahren an, die allerdings das (folgenlose) Entwicklungsstadium nicht verlassen haben. Trotz dieses frühzeitigen Versackens dieser Versuchsprojekte kann es nur hilfreich sein, die damaligen Erfahrungswerte zusammenzutragen, um nach Anknüpfungspunkten zu suchen.

Der Knast ist seitens der Inhaftierten bislang ein gewerkschaftsfreier Raum; ein Raum, in dem selbst das nach bürgerrechtsstaatlichen Kriterien garantierte Koalitionsrecht außer Kraft gesetzt scheint. Aufgrund dieser nicht existenten basisgewerkschaftlichen Selbstorganisierung für Gefangene fällt ein wesentlicher Schutzraum und Aktionssektor weg. Die Verwirklichung dieses Unionsgedankens steht und fällt damit, ob es von den beiden klassenkämpferischen basisgewerkschaftlichen Dachverbänden, der Freien Arbeiterinnen-Union (FAU) und der Industrial Workers of the World (IWW), ein erklärtes Interesse gibt, eine Sektion von sich selbstorganisierenden Inhaftierten aufzumachen.

Die in den vergangenen Jahrzehnten gemachten Erfahrungen mit den Einzelgewerkschaften des DGB zeigen, dass Menschen, die sich auf den untersten Stufen der Sozial-Skala befinden, in der sozial- und christdemokratisch dominierten sog. Einheitsgewerkschaft keine Betätigungsmöglichkeiten finden.

Es ist nicht wegzureden, dass das knastspezifische Standbein einzelne Gefangenengruppen nicht umfassen kann. Dieser Ausschluss steht einem Ansatz einer alle Inhaftierten einschließenden Gefangenen-Union entgegen. Stimmt, aber es ist nicht vermittelbar, bspw. notorische NSlerInnen oder Pädophile in einem solchen Projekt agieren zu lassen.

Zu besprechen ist, inwiefern die geringen personellen und infrastrukturellen Kapazitäten, die sich auf diverse JVAs sowie Anti-Knast-Gruppen und Solidaritäts- bzw. Antirepressionsorganisationen verteilen, zusammengelegt werden sollten, um abgestimmter und gemeinsamer auf der öffentlichen Bildfläche zu erscheinen.


Einschub: Ringvereine als beispielhafte Vorlage?

Der „Reichsverein ehemaliger Strafgefangener” gründete sich 1890 in Berlin. Bekannter sind die sich in dessen Nachfolgerschaft sehenden sog. Ringvereine, die vor allem in den 1920er Jahren ihren Höhepunkt erreichten. Zu den Zulassungsbedingungen und Aufnahmekriterien dieser „Verbrechersyndikate” gehörte eine mindestens zweijährige abgesessene Zuchthausstrafe, die durch die Entlassungspapiere zu dokumentieren war. In den Ringvereinen sammelten sich die bevorzugten „Berufsgruppen” des (organisierten) Verbrechens wie Hehler, Diebe, Schränker, Einbrecher. „Bewerbern”, in deren Strafregistern Mord oder sexualisierte Gewalt notiert waren, wurde eine Mitgliedschaft versagt.

Der Ehrenkodex, der u.a. eine unbedingte Verschwiegenheit von jedem Mitglied einforderte, schaffte die Basis des innigen Zusammenhalts der „Ringbrüder” untereinander. Diese Zusammengehörigkeit hatte sich vor allem während der Inhaftierung eines Mitglieds eines Ringvereins zu beweisen. Nicht nur die intensive freundschaftliche Betreuung des gefangenen Mitglieds, seine materielle und finanzielle Absicherung im Knast, sondern auch die Rundum-Versorgung seiner Familie galten als Selbstverständlichkeit.

Zu den widersprüchlichen Seiten der Ringvereine zählt, dass diese innerhalb des „kriminellen Milieus” eine gewisse Ordnungsfunktion übernahmen und bspw. den Aktionsradius der von ihnen als „Ratten” betitelten Parallelstrukturen eindämmten.

Mit der Machtübertragung an die Nazis wurden die Ringvereine zum 1. Januar 1934 für aufgelöst erklärt. Das gleichzeitige Inkrafttreten des bis heute bestehenden Gesetzes zur sog. Sicherungsverwahrung wurde insbesondere auf die Mitglieder der Ringvereine angewendet. Viele von ihnen fanden sich im KZ-Lagersystem der Nazis wieder. Eine Reorganisierung der (Sub-)Kultur der Ringvereine nach 1945 scheiterte recht kläglich, sodass ein direkter Anschluss an ein traditionsbeladenes Syndikatswesen sozusagen zeitig bankrott ging.

Es ist eine Gratwanderung, nach Elementen aus dem Spektrum der Ringvereine zu suchen, die für Linksradikale als „anschlussfähig” gelten können. Zu den Ambivalenzen gehört schlussendlich, dass eine Verschränkung von mafiosen Milieus mit staatlichen Stellen ebenso typisch ist wie eine „kriminelle” Selbstversorgungsstruktur als „Solidargemeinschaft”, die aus der klassenspezifischen Unterprivilegiertheit der Beteiligten resultiert.


Von der Internationalen Roten Hilfe zur rote hilfe international – Ansätze einer politischen Gefangenenbewegung

Die seit 2000 existierende Kommission für den Aufbau der roten hilfe international (rhi) orientiert sich an der Internationalen Roten Hilfe (IRH). Die IRH, die zwischen 1922 und 1943 wirkte, konnte in der Zeit ihres Bestehens u.a. durch die Anprangerung der rassistischen Klassenjustiz in den USA oder die Unterstützung der Verfolgten des weißen Terrors in China und der repressierten proletarischen Bewegung in Bulgarien Höhepunkte der internationalen Solidarität setzen.


Klassensolidarität und Einheitsfront in der Politik der IRH

Die IRH als Organisation einer (revolutionären und proletarischen) Einheitsfrontpolitik kann als ein bedeutendes Beispiel der (aktiven) Solidarität mit den proletarischen, revolutionären und politischen Gefangenen in allen Erdwinkeln betrachtet werden. Von den Leitungsgremien und Aktivistinnen der IRH wurde viel Wert darauf gelegt, dass die IRH nicht mit einer „philanthropischen Hilfsorganisation” verwechselt werden konnte.

Der erste Paragraf des im 1928 angenommenen IRH-Statuts gibt den Entstehungshintergrund und die politisch-ideologische Grundausrichtung der IRH wieder. Danach „[ist] das Entstehen und Wirken der IRH eng mit den von den ausgebeuteten Klassen und unterdrückten Völkern gegen die kapitalistische Willkürherrschaft geführten Befreiungskämpfen verbunden.”

Eine parteipolitische Engführung sollte von Beginn an vermieden werden, ohne allerdings den klassenspezifischen Standort zu verleugnen. Die IRH „führt”, so die engagierte Position, „einen ständigen Kampf gegen den weißen Terror, gegen den Faschismus, gegen die bürgerliche Klassenjustiz, gegen das Lynchen, für das Asylrecht der politischen Flüchtlinge.”

Die IRH konnte zu hunderten nationalen und internationalen, breit angelegte Antirepressionskampagnen aufrufen und Kooperationen der proletarischen Klassensolidarität u.a. mit der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) von Willi Münzenberg eingehen.


Die rhi als Nukleus für politische Gefangene weltweit

Der Vorlauf der rhi geht auf eine Initiative der politischen Gefangenen aus den Kämpfenden Kommunistischen Zellen (CCC) und deren Angehörigenorganisation APAPC zurück. 95 kommunistische, anarchistische, antifaschistische und antiimperialistische Gefangene aus verschiedenen europäischen Ländern bildeten die „Plattform des 19. Juni 1999, mit der Eckpunkte für revolutionäre (Langzeit-)Gefangene formuliert wurden.

Bestandteile dieses Eckpunktekatalogs waren u.a. die Freilassung der haftunfähigen Gefangenen, die materielle Unterstützung der Gefangenen und eine aktive internationale Solidarität im Rahmen von Gefangenenkämpfen (z.B. Hungerstreiks). Des Weiteren erfolgte eine Fixierung der Leitlinien der Gefangenen-Plattform, die u.a. das Solidaritätsprinzip („Solidarität ist eine Waffe”, „Ein Angriff gegen eine/n von uns ist ein Angriff gegen uns alle!”), das Revolutionsprinzip („Man hat das Recht zur Revolte!”, „Ohne Gerechtigkeit kein Friede!”) und das Prinzip der politischen Unbeugsamkeit („Weder Reue noch Kapitulation!”) in den Vordergrund stellten.

Es ist leider häufiger zu beobachten, dass die Tatkraft, die bei Aktivistinnen und Solidarischen durch eine Aufwärtsbewegung im Antirepressionskampf ausgelöst wird, eher durch Vorgänge im Inneren als durch Interventionen von außen blockiert wird. Der rhi-Auftakt blieb von solch einer Entwicklung gleichfalls nicht verschont.

In der Konzeption der rhi wird den gefangenen Genossinnen ein hoher Stellenwert eingeräumt. Ausdrücklich wird von der rhi-Kommission erklärt, dass „[...] [wir] die revolutionären Gefangenen als kämpfenden und wertvollen Teil der revolutionären Bewegung mit ein[beziehen].” Und vor dem Hintergrund der Anfang Juli letzten Jahres gestarteten rhi-Solidaritäts-Kampagne für den libanesischen kommunistischen Langzeitgefangenen Georges Ibrahim Abdallah wird optimistisch betont: „Wir denken, dass die Bedingungen für einen Prozess der Zusammenführung der Kämpfe der revolutionären Gefangenen gekommen sind.”

So sympathisch und motivierend dieser Passus auch ist, gegenläufige Tendenzen können dem erwarteten (Zwischen-)Hoch im Prozess des Aufbaus der rhi einen Rückschlag erteilen. Wir unterliegen als radikale Linke zu regelmäßig der Versuchung, Situationen für die Umsetzung bestimmter Projekte für reifer zu halten als sie tatsächlich sind.

Ich halte es in diesem Kontext für unabdingbar, eine Diskussion über den Zustand des baskischen Gefangenenkollektivs zu führen, das sich offensichtlich fast geschlossen in einer Reuebekundung erging, um Aktivitäten aus dem Befreiungskampf für Unabhängigkeit und Sozialismus in Euskadi nachträglich zu denunzieren. Wir sollten nicht davor zurückschrecken, uns mit diesem „Sachverhalt” des zahlenmäßig größten Kollektivs politischer Gefangener in Westeuropa zu befassen. Vor allem dann nicht, wenn es um eine nachhaltige Stärkung an der politischen Gefangenenfront gehen soll.

Die politische Gefangenschaft ist ein Ausdruck der Existenz einer Fundamentalopposition, die sich phasenweise offensiv gegenüber den herrschenden Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse zeigt. Es liegt in der Funktion der Repressionsorgane des bürgerlichen Klassenstaates, bereits Anzeichen eines Nährbodens eines sich organisierenden radikalen Milieus trockenzulegen. Allein hieraus ist „[d]ie Notwendigkeit der Einheit gegenüber der bürgerlichen Repression” zu folgern, wie es in dem rhi-Vorschlag richtig heißt. Die Abwehr staatlicher Repression ist in den Kampf für eine gänzliche Umwälzung der herrschenden Verhältnisse eingeschlossen. In dieser Wechselwirkung agieren politische Gefangene als „Bewegungssplitter” der radikalen Linken.


Eine rebellisch-politische Zangenbewegung?

Im Gegensatz zu früheren Abschnitten der Knast(kampf)geschichte bestehen keine Kollektivstrukturen politischer Gefangener in der BRD. Angehörige der migrantischen Linken, die vorrangig nach §129b (Mitgliedschaft in einer sog. ausländischen terroristischen Vereinigung) abgeurteilt wurden, werden in der überwiegenden Mehrzahl entweder der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) oder der Revolutionären Volksbefreiungspartei/-Front (DHKP-C) zugerechnet. Diese migrantischen politischen Gefangenen, hierzulande etwa einige wenige Dutzend, treten in der Haft nicht kollektiv auf und werden über Unterstützerinnen-Komitees (Azadi) oder die Rote Hilfe e.V. materiell und ideell getragen.

Auch die zumeist keine Handvoll zählenden nicht-migrantischen Linken in Haft agieren nicht in einem wie auch immer gesetzten kollektiven Rahmen, sondern äußern sich als inhaftierte politische Aktivistinnen einzeln u.a. über schriftliche Wortmeldungen. Eine hörbare Stimme erhalten sie im Einzelfalle über Soli-Komitees, die sich in der Hauptsache um die aktive Unterstützung der „persönlich-politischen Belange” des/der Inhaftierten bemühen.

Die Lage der rebellischen Gefangenen zeigt sich keinesfalls rosiger. Die soliden Berufsverbrecherinnen, die der (nicht nur literarischen) Figur der Sozialbanditln am nächsten kommen, bilden ein versiegendes Reservoir der Inhaftierten. Diese Umgruppierung bleibt natürlich nicht folgenlos, wenn die „Klassiker-Gilde” (Schwarzenberger) mehr ein Relikt der Vergangenheit in den Knästen ist, als einen lebendigen Faktor hinter Wachturm, Mauer und Nato-Draht darstellt.


Von einer kritischen Außenperspektive ausgehend, bildet eine interne Gefangenenorganisierung zuvorderst eine Art „Hilfe zur Selbsthilfe”. Unter den Bedingungen des Knastregimes ist aber eine organisierte Selbsthilfe, die sich kleinteilig im Anstaltsalltag darbietet, nicht wertlos. Allerdings berührt eine solche organisatorische Ausrichtung noch nicht eine Infragestellung des Knastes an und für sich.


Nach der Betrachtung des aktuellen Standes hinter Gittern ist es angezeigt, den anvisierten Bewegungscharakter innerhalb der Knastanlagen zu relativieren, denn es dürfte angemessener sein, allenfalls von bewegungsähnlichen Tendenzen zu sprechen.


Was steht zur Themenwahl?

Die Frage ist nun, an welchen thematischen Strängen sich entlang zu hangeln ist, um ein Zusammenkommen rebellischer und politischer Gefangener zu versuchen.


Zwei Überschneidungspunkte fallen sofort auf: zum einen sind die Arbeitsverhältnisse in den Knastanstalten anzugehen. Die lächerliche Entlohnung, die Ausklammerung vom allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn, das Produzieren unter Missachtung von Arbeitsschutzrichtlinien – alles das liegt unbearbeitet vor uns. Zum anderen eröffnet sich ein weiter Bereich der permanenten Anstaltswillkür gegenüber den Inhaftierten, die zu skandalisieren und zu denunzieren ist.


Die zahlreichen Dokumentationen, die seitens der Iv.I seit Jahren vorgenommen werden, liefern ausreichend Material, um sich hier auch juristisch abgesichert einmischen zu können. Also: An diesen beiden Strängen ist beispielhaft gemeinsam zu ziehen, um Verknüpfungspunkte herzustellen.

Welche Schlussfolgerungen sind weiterhin zu riskieren, wenn wir uns die spezifischen Gegebenheiten in den bundesdeutschen Knasten vergegenwärtigen? Auch hier ist wieder von beiden Linien auszugehen:

Was die soziale Gefangenschaft in der BRD betrifft, ist der Fokus auf das (schwindende) Potential der „Klassiker-Gilde” zu legen. Bei jener ist am ehesten zu vermuten, „Restexemplare” von „SozialbanditInnen” aufzuspüren.

Was die politische Gefangenschaft in der BRD betrifft, ist der Fokus auf §129b-Gefangene aus der migrantischen Linken zu legen. Sie stellen zum einen die Mehrzahl inhaftierter politischer Aktivistinnen dar, und sie sind zum anderen einem System des institutionellen Rassismus ausgesetzt, der zudem auf die Zerschlagung fortschriftlicher Exilstrukturen zielt.

Berechtigterweise ist der Einwand vorzubringen, dass an dieser Stelle eine „avantgardistische Rolle” für rebellische (Langzeit-)Gefangene und politische Gefangene reklamiert wird. Damit geht einher, aus der Gefangenenmasse zwei kleine Segmente von (vermeintlichen) Protagonistinnen herauszubrechen. Dieser situationsbedingte „Sonderstatus” ermöglicht diesen Gefangenen, falls sie denn diese „Rolle” annehmen, moderierend und organisierend im Knastalltag aufzutreten, ohne dabei die Marotten eines Höhergestellten anzunehmen. Im „sozialen Leben” des Knastalltags schlagen „Überflieger”, zumal wenn sie ohne größere Rückendeckung sind, sehr zeitnah auf dem Boden der Tatsachen auf.


Wo liegen letztlich die Hinderungsgründe für die Existenz einer Gefangenenbewegung und eines (breiten) solidarischen Umfeldes, die sich „drinnen & draußen” ausdrucksvoll in Szene setzen könnten? Die Fragmentierung innerhalb der Gefangenen-Population, die in den Knästen leicht feststellbar ist, ist – oh, Überraschung! – gleichfalls in den Solidaritäts- und Antirepressionsgruppen zu finden.

Es ist eine dreifache Vermittlungsübung erforderlich: Erstens muss innerhalb der Gefangenenschaft aus dem Inneren heraus die Notwendigkeit des Zusammenkommens erkannt werden; zweitens muss außerhalb der Knäste ein vermehrtes Interesse an der (politischen und rebellischen) Gefangenenfrage wahrzunehmen sein, und drittens muss zwischen den Akteurlnnen drinnen und draußen ein gegenseitiger Austausch stattfinden. Zu guter Letzt braucht es ein Sprachrohr für eine derartige Fusionierung von Interessenlagen sozialer und politischer Gefangener. Nach Möglichkeit ist ein publizistisches Forum zu kreieren, das einerseits über einen hohen Verbreitungsgrad verfügt und andererseits einen Meinungspluralismus zulässt. #Öffnen die Gefangenen Info (Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen), die Entfesselt (Anarchist Black Cross) und nicht zuletzt die Rote Hilfe Zeitung (Rote Hilfe e.V.) ihre Spalten für eine solche kontroverse Diskussionsrunde?


Einschub: Einheit im Knast?

Warum sollte ausgerechnet der Knast ein Ort von Einheit sein? Liegt nicht vielmehr ein grundsätzlicher Konstruktionsfehler der „Einheits-Idee” allein schon darin, im fast ausnahmslos überwachten Mikrokosmos Knast Chancen von einheitlichem Handeln bei jenen erblicken zu wollen, die sich zu fügen und nicht zu regen haben? Und muss nicht aufgrund dieses Ur-Fehlers jeder weitere Schritt notwendigerweise ein fehlerhafter sein? Kann im Ergebnis etwas anderes stehen als: Irrweg – Organisierung fehlgeschlagen? Das Hauptinteresse aller (?) Inhaftierten liegt darin, den Knast möglichst schnell hinter sich lassen zu können, den Vollzug flott über die Bühne zu kriegen.

Um eine Einheit zu schaffen, dürfte sich eine zwanglose und in dem Sinne freiwillige Zusammenführung von Menschen als stabiler erweisen, als wenn die „akute Notlage” der Verknastung vorliegt.


Die Knast(kampf)geschichte und Tradition von Knastrevolten ist in der Rückschau keine Kette von kleineren, mittleren und größeren Erfolgsgeschichten, die sich nahtlos aneinanderreihen. Sie ist aber ebenso wenig eindimensional eine Ansammlung von drastischen Niederlagenserien. Sie ist voll von animierenden Widerstandsmomenten und ausgedehnteren Kampfetappen – was ermutigend sein sollte.

Wir können uns drehen und wenden wie wir wollen: staatliche Repression ist ein Kontinuum und wird uns als radikale Linke periodisch ereilen, solange wir einen (aktiven) Kontrapunkt zum realexistierenden Dreigestirn „Krise, Krieg und Kapitalismus” zu setzen verstehen.


Schlusswort

Als politische Gefangene haben wir einen realistischen Blick auf unsere eigene (Knast-)Situation zu werfen. Uns sind sprichwörtlich weitgehend die Hände gebunden. Mit unseren Wortmeldungen und Texteinwürfen haben wir aber immerhin die Option in der Hand, den Sensibilisierungsgrad gegenüber einzelnen sich zuspitzenden Entwicklungen in den internationalen Knastindustrien zu erhöhen. Ich habe den Eindruck, dass das insgesamt von gefangenen Genossinnen in der BRD zu wenig passiert.


Zwei „aktuelle Fälle” will ich erneut in den Vordergrund schieben:

In den kommenden Wochen erwarten die rebellischen und politischen Gefangenen in den griechischen Knästen ihre zwangsweise Verlegung in die sog. C-Typ-lsolationstrakte. Die Vorboten kündigen sich bereits jetzt an. Hiergegen wird sich eine knastinterne spektrenübergreifende Front aufbauen, in der sich u.a. kommunistische und anarchistische Gefangene koordinieren werden.

Seit einem dreiviertel Jahr unterliegen die beiden Gefangenen aus dem Aufbauprojekt der Kommunistischen Partei – politisch-militärisch (PCp-m) in Italien, Alfredo Davanzo und Vincenzo Sisi, einer totalen Zensur. Die Genossen Davanzo und Sisi haben sich seit ihrer Inhaftierung im Februar 2007 intensiv in die Debatten drinnen & draußen eingebracht bzw. einzelne initiiert. Mit dieser systematischen Unterbindung jeglicher Korrespondenz und Kommunikation sollen die beiden inhaftierten Aktivisten politisch buchstäblich ausgeschaltet werden.


Im Rahmen dessen, was umsetzbar ist: Solidarisiert euch!


Oliver Rast – § 129-Gefangener aus dem mg-Verfahren


Dieser Artikel wurde um etwa die Hälfte gekürzt.

Ganzer Artikel und mehr Infos:

(Update Herbst 2014: Inzwischen veraltet, Oliver ist nicht mehr inhaftiert)

Post an:

Oliver Rast (JVA Tegel)

Seidelstraße 39

13507 Berlin