2015-01:BRD, Deutsches Reich oder überhaupt irgendwas?

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BRD, Deutsches Reich oder überhaupt irgendwas?

jb Was ist davon zu halten? Genau nichts. Und das gleich aus mehreren Gründen.

Erstens: Die meisten Behauptungen sind schlicht falsch - und das ziemlich auffällig. Nehmen wir zum Beispiel den Hinweis, die BRD sei eine GmbH. Der wird oft noch verknüpft mit dem Hinweis, dass Deutschland somit nur noch eine Verwaltungseinheit ist, gelenkt von - na wer wohl? Richtig: Den USA oder wahlweise irgendwelchen Banken. Doch lassen wir diese Steigerung weg. Eine BRD GmbH gibt es gar nicht. Gemeint ist in der Regel die BRD Finanzagentur GmbH. Die ist im Frankfurter Handelsregister eingetragen. Wer aber steht dort als Gesellschafter? Die BRD. Also muss es sie geben, sonst gäbe es auch die GmbH nicht. Die Existenz der GmbH beweist also nicht, dass es die BRD nicht gibt, sondern dass es sie gibt. Der Nationalstaat BRD, dessen Rechtsform keinerlei Rolle spielt, weil er Inhaber des Gewaltmonopols ist und über seine Waffen definiert, was formal ist und was nicht, hat sich viele GmbHs gegründet, um marktwirtschaftlich operieren zu können. Das ist keine große Überraschung, sondern gelebter Kapitalismus.
Ähnlich sieht es mit anderen Behauptungen aus, z.B. dem vermeintlich fehlenden Friedensvertrag, fehlenden Unterschriften auf Gerichtsurteilen oder der fehlenden Verfassung.

  • Einen Friedensvertrag gibt es. Er heißt zwar nicht so, aber auch unter dem allgemein bekannten Namen „2plus4-Vertrag“ enthält er die entscheidende und von vielen Weltvereinfacher_innen als fehlend reklamierte Klausel, dass Deutschland wieder voll souverän ist.
  • Die Unterschriften der Richter_innen fehlen in der Tat oft, aber nicht, weil diese gar keine Beamt_innen sind (da die BRD nicht existiert), sondern weil es das Gesetz so vorschreibt. Der § 275 StPO lautet z.B.: „Die Ausfertigungen und Auszüge der Urteile sind von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben und mit dem Gerichtssiegel zu versehen.“

Das Halluzinieren formaler Konstruktionsfehler im Gebilde „BRD“ füllt nur einen Teil der Liste seltsamer Mythen über Deutschland. Bemerkenswert häufig kommt ein Jammern auf, Deutschland sei (zumindest seit 1945 oder schon immer) die Melkkuh der Welt. Für die neuere Zeit sind damit Reparationszahlungen nach dem zweiten Weltkrieg oder aktuelle Zahlungen an die EU bzw. EU-Länder gemeint. Das klingt böse, fördert Neid und Nationalismus und lenkt von innen- und sozial politischen Fragestellungen im Inland wunderbar ab. Gefährlich also ... und falsch! Denn Deutschland war bis 2009 Exportweltmeister. Diese Berechnung erfolgten auf Basis absoluter Zahlen, d.h. Deutschland hatte mehr Warenwert exportiert als jedes andere Land der Welt. Es ist dann von China überholt worden - nicht hingegen von anderen westlichen Ländern, auch nicht von den USA. Das ist bemerkenswert, denn gegenüber den USA, Russland oder China ist Deutschland ein eher kleines Land. Obwohl es nur ein Fünfzehntel der Bevölkerung von China hat, produzierte es bis 2009 mehr Exportwaren als dieses viel größere Land - nicht pro Kopf, sondern absolut. Pro Kopf ist die Exportleistung der BRD immer noch viel höher als der genannten, größeren Nationen. Selbst im Warenaustausch mit China hat Deutschland die Nase vorn. Laut SZ vom 11.9.2013 lieferte Deutschland an China Waren im Wert von 66,44 Milliarden €, in die andere Richtung waren es 5 1/2 Milliarden weniger. Unter solchen Bedingungen zu behaupten, Deutschland blute aus, ist genau so absurd wie die Forderung autoritärer (A)SozialpolitikerInnen, Deutschland müsse die Lohnkosten senken, weil es international nicht konkurrenzfähig sei. Tatsächlich, das zeigte eine Tabelle der europäischen Staaten im Zeitraum 2000 bis 2007 in der FR, nimmt Deutschland Platz 1 bei den Exporthöhen und Platz 3 bei den Unternehmensgewinnen, jedoch jeweils den schlechtesten Platz bei der Entwicklung von Löhnen und Gehältern, der Lohndiskriminierung von Frauen, der Langzeitarbeitslosigkeit, der Hochschulabschlussquote und dem Schulversagen ein. Deutschlands Wirtschaftsmacht beruht also auf einer brutalen Ausbeutung der Welt für Rohstoffe, Futter- und Lebensmittel und billige Arbeitskräfte UND auf einer asozialen Politik im eigenen Land. Es sind die inneren Politiken gewollten Reichtumsgefälles, die Armut und Diskriminierung schaffen - nicht irgendwelche fremden Mächte. Die waren sogar überwiegend ziemlich nachgiebig - selbst dann, wenn die Nation Mord und Zerstörung über die Welt bringt. In der Nachkriegszeit wurde Deutschland sofort von den West-Siegermächten aufgepäppelt, um als Bollwerk gegen den verhassten Ostblock zu fungieren. Dazu wurden massenweise Nazis in ihren Ämtern belassen oder wieder hineingehievt. Statt der ursprünglichen Idee einer De-Industrialisierung (Morgenthau-Plan) wurde Deutschland schnell wieder aufgebaut (Marshall-Plan). Das Ergebnis hätte vorteilhafter für Deutschland und damit ungerechter gegenüber den vielen, vom aus Deutschland angezettelten Krieg zerstörten Ländern nicht sein können: Die BRD war das erste Land mit einem starken wirtschaftlichen Aufschwung und enormer nationaler Reichtumsansammlung (wenn auch sehr ungleich verteilt). Andere Länder sind heute arm (z.B. Griechenland), weil sie ständig Geld an Deutschland und seine Konzerne bezahlt haben.


Deutschland - ein Migrantenstadl?

Die ständige Behauptung, das Deutsche Reich würde weiterbestehen, mutet schon von sich aus merkwürdig an, wären doch alle Argumente über die vermeintliche Ungültigkeit der BRD-Rechtsgrundlage beim Deutschen Reich mindestens ebenso zutreffend (siehe oben). Dass rechte Ideologien zu der Sehnsucht nach den Zeiten Bismarcks, Kaiser Wilhelms, Paul von Hindenburgs oder gar Adolf Hitlers führen, bestätigt sich durch viele thematische Verknüpfungen in Reden, Texten oder ganzen Büchern. Wer sich einmal durch das Spektrum des Kopp-Verlags (führender Verlag und Versand für Werke mit vereinfachten Welterklärungen aller Art) geblättert oder geklickt hat, wird das schnell erkennen. Ein Beispiel für viele Hetzschriften gegen Migrant_innen und die vermeintlich zu lasche Einwanderungspolitik bietet Udo Ulfkottes vielsagender Titel „Kein Schwarz. Kein Rot. Kein Gold“. Für ihn ist Deutschland nur ein „lustiger Migrantenstadl“. Schon die Kapitalüberschriften zeigen, wo es lang geht. Mit „systematischer Wohlstandsvernichtung“ und „Heuschrecken der Integrationsindustrie“ geht es los. Dann folgt „Brüssel - eine Stadt wird islamisch“ und „Türken erobern Europa“, später „Politiker wollen den multikulturellen Menschen züchten“ und „Europa verblödet durch Zuwanderung“. Nach der „Abrechnung: Migranten kosten uns mehr als eine Billion €“ endet das Buch dann mit dem Kapitel „Sparen wir uns die kulturfernen Migranten!“. Im Buch werden Einzelfälle und einige Statistiken aneinandergereiht. Zu vollständigen Argumentationsketten verknüpft der Autor sie aber nirgends. Niveauvolle Fragen über die Ursachen von Migration (oft ja Flucht aus von der NATO zerbombten oder mit deutschen Waffen zerfleischten Ländern) oder die Grenzziehung zwischen Kulturen, Ethnien oder gar Rassen lässt er gleich ganz aus. Mit platten Schubladen lassen sich einfache Weisheiten besser stricken.


Sie wissen es selbst

Eine Überraschung bietet hingegen ein anderes Werk. Das kommt nicht nur auch aus dem Kopp-Verlag, sondern wird in etlichen der Mythen-Bücher zu Deutschland als Quelle angegeben - nämlich Karl Albrecht Schachtschneiders „Die Souveränität Deutschlands“. Offenbar haben diejenigen, die sich auf dieses Buch beziehen, es nie gelesen. Denn Schachschneider zeigt sich zwar als nationalbewusst und EU-kritisch. Aber für die Flausen von BRD GmbHs und fehlenden Friedensverträgen hat er nichts übrig. Präzise schildert er, welche Verträge wann geschlossen wurden und wie gelten. Sein Fazit: Deutschland wurde etappenweise souverän, hat diese aber viel zu stark an die EU abgegeben. Das konnte es nur, weil es eben souverän war. Schachtschneider zeigt für die Mythen der vereinfachten Welterklärer wenig Verständnis - interessant, dass die oft genutzte Quelle für die BRD-Mythen genau das Gegenteil aussagt von dem, was sich mit ihm begründet.


Ablenkung von politischen Problemen

Bei allem wäre es also sinnvoller, gegen die asoziale Binnenpolitik deutscher Regierungen zu kämpfen statt auf böse andere Nationen zu schimpfen. Doch das Gefasel um GmbHs, fehlende Friedensverträge oder Unterschriften ist noch aus einem anderen Grund unsinnig. Denn ein Staat legitimiert sich ganz anders. Ob er formal gegründet wurde oder nicht, ist völlig egal. Manche Staaten lassen sich die von kleinen Kreisen nach ihrem Gutdünken ausgearbeitete Verfassung zwar nachträglich durch eine Volksabstimmung legitimieren. Doch dass sie dieses überhaupt können, zeigt schon, dass sie nicht erst durch die Verfassungsgebung entstanden, sondern umgekehrt. Ein Referendum dieser Art kann ja nur durch den bereits vorher vorhandenen Machtapparat im Staat inszeniert werden. Die Verfassung braucht den Staat, nicht umgekehrt. Insofern startet jeder Staat ohne Legitimation. Sie legitimieren sich durch nichts Anderes als ihr Gewaltmonopol: Waffen, Gefängnisse, Armeen, Polizei. Deutschland hat all das, daher existiert dieser Staat genauso wie der Rest der Nationen dieser Welt. Wer in diesem oder anderen Ländern die bewaffneten Einheiten unter Kontrolle bringt, ist dort der Staat. Ist aber nicht so einfach ...


Deutschland, was ist das eigentlich?

Die ganze Deutschlandsache ist noch absurder. Ob Nazis die überlegene Herrenrasse beschwören, oder Verschwörungstheoretiker_innen den Aufbruch „Gold-Rot-Schwarz“ inszenieren - die Germanen und ihre Geschichte sind immer ein wichtiges Thema. Die Blicke zurück in die alten Zeiten borden dabei von Mythen und Projektionen nur so über. Die schlechte Nachricht für die Deutschlandanhänger_innen ist jedoch: Es lässt sich noch nicht einmal sicher nachweisen, dass es „Germanen“ als irgendeine zusammenhängende Erscheinung überhaupt gab. Das wird unter anderem im Buch „Die Germanen“ von Norbert F. Pötzl/Johannes Saltzwedel zusammengetragen. Akribisch haben die Autoren zusammengetragen, was über die Vor-Deutschen an Wissen vorliegt und was nur Legende ist. Schlechte Zeiten für Deutschtümler_innen, die von diesem Buch lieber die Finger lassen sollten, um weiter ihre dumpfen Ideen verbreiten zu können.