2015-02:Reise zum sichersten Ort der Welt

Aus grünes blatt
Zur Navigation springenZur Suche springen

Filmbesprechung:

Reise zum sichersten Ort der Welt

fb Der Einstieg beginnt schon gut: ein Atom-Lobbyist teilt seine Befürchtung mit, die Atomenergienutzung könne "sterben", wenn es nicht gelänge die Leute glauben zu machen, dass eine sichere Atommüllentsorgung möglich sei. Nett ist, dass er selbst darauf hinweist, dass uns die Atomindustrie ein Problem bereitet, das selbst nach einem Ausstieg aus der Atomkraft bleibt - "wir müssen dann immer noch den Atommüll loswerden". Die Reise, auf die Regisseur Edgar Hagen mit dem "Sichere-Endlagerung-ist-möglich"-Gläubigen geht, ist für letzteren nichts anderes als eine Propaganda-Tour für die Atomkraft - zumindest scheint dies die Intention von Lobbyist Charles McCombie zu sein.

Mit ihm geht es zunächst nach China, wo der enthusiastische Endlagerprogramm-Direktor Ju Wang bekräftigt, wie wichtig McCombies Besuch für die nukleare Gemeinschaft sei. Bei der modernisierten Propaganda der Industrie, der wir hier begegnen, darf es an umgewandelten Argumenten der Gegenseite nicht fehlen: So erklärt Wang energisch, dass es unverantwortlich sei, Atomkraftwerke zu bauen, ohne sich um eine "Toilette" für den dabei produzierten Müll einen Kopf zu machen - in China ginge es um mehr als 80.000 Tonnen hochradioaktiven Mülls. Das haben die Atomindustrie und ihre Protagonist*innen zwar seit Jahrzehnten genau so getrieben, aber das merkt doch keiner... Er will seinen hochradioaktiven Atommüll in der Wüste Gobi verbuddeln, und preist an, dass es dort ja gar nicht so schlecht sei - nur vier Familien leben in der Gegend, die er ausgesucht hat; ein kleines Opfer ist doch noch vertretbar, nicht wahr?

Schnell wird deutlich, dass Wangs eigene Parolen nicht erfüllt werden - von wegen ein Atommülllager wird gleichzeitig mit den Dutzenden neuen Atomkraftwerken errichtet. Offenbar sind entgegen der schönen Worte auch jetzt eher vage Überlegungen für einen potenziellen Endlagerstandort an der Tagesordnung, denn mehr als ein paar erste Bohrlöcher und Satellitenkarten kann er nicht vorweisen. - Der "sicherste Ort der Welt?" - nein, aber "einer der sichersten", behauptet der Direktor.

Als nächstes führt die Reise - jetzt ohne Lobbyist McCombie - nach Hanford, USA, einem hochkontaminierten militärischen Atomkomplex. Da die Gegend, das annektierte Land der Yakama Nation, ohnehin schon hochgradig belastet war, sollte hier ein Endlager entstehen. Danach geht es nach Großbritannien, genauer: nach Sellafield, der Skandal-Anlage, die schon einige Menschen das Leben kostete und wegen ihrer extremen radioaktiven Freisetzungen selbst die ferne Ostsee als drittgrößter Verschmutzer belastet hat. Hier treffen wir auch wieder mit dem Atom-Enthusiasten zusammen, der beim Spaziergang durch den Atomkomplex seine jugendlichen Atomphantasien romantisiert.

Weiter geht es auf einen Atommüllfrachter mit hochradioaktiven Müll aus Sellafield. Dort offenbart der Kapitän eine naive Technikgläubigkeit, wenn er erklärt, dass sie nicht "über sinkende Schiffe" reden, und dass selbst dann der Atommüll sicher verkapselt wäre, also nichts passieren würde. Etwas später im Film wird die vor einigen Jahrzehnten noch ganz bewusst betriebene Verklappung von Atommüll in den Meeren angesprochen. Schon damals war das alles "sicher". Nächster Zwischenstopp ist in der Schweiz, am Vorzeigeprojekt Felsenau für die Endlagerung niedrig- und mittelradioaktiver Abfälle aus den 1970er Jahren. Und wieder stoßen wir auf Charles McCombie, der 1978 von der Schweizer Atomindustrie beauftragt wurde ein Gutachten zu erstellen, dass beweisen sollte, dass der Granit der Schweiz sicher sei. Die Interpretation der Erkenntnisse sei schwierig gewesen, aber es gelang ihm die Regierung zu überzeugen. Seine Arbeit bezeichnet er als "Erfolg", und zwar, weil sie dazu geführt hat, dass die schweizer Atomkraftwerke nicht abgeschaltet worden. Soviel zum Thema Prioritäten. Dieser Typ, der heute noch an die Sicherheit der Endlagerung glaubt, hatte seine Finger offenbar in einer Vielzahl umstrittener Projekte, die ja wohl allesamt gescheitert sind - denn es gibt bis heute kein sicheres Endlager für Atommüll. Trotzdem wird er von seiner Lobby als Experte hochgefeiert.

Die Reise auf der Suche nach einem sicheren Endlager führt noch durch eine Reihe von Atommüllstandorten aus Vergangenheit und Gegenwart: Nevada Test Site/Yucca Mountain, USA (auch da sollte McCombie 1993 den Job machen); Officer Basin/Westaustralien (McCombie wollte hier mit seinem PANGEA-Projekt im Auftrag von Schweiz und Großbritannien Atommüll aus aller Welt abkippen und tat den Widerstand in Australien als "psychologisches Problem" ab); IAEA-Hauptquartier in Wien (wo McCombie Vertreter aus Atomstaaten berät, wie sie ihre Endlager besser durchsetzen können); Castorprotest im Wendland, hier soll die "Sicherheit" des Atommülls wohl von der Polizei gewährleistet werden; WIPP - Waste Isolation Pilot Plant in Carlsbad, USA (wo der Bürgermeister bereit ist, seine Gemeinde für ein paar Jobs, Geld und "American Football" zur Atommüllkippe machen zu lassen); zurück in Großbritannien ein Treffen mit dem Direktor des britischen Endlagerprogramms, das derzeit am Widerstand der lokalen Gemeinden scheitert (beraten durch McCombie); Östhammar/Forsmark, Schweden; Rokkasho, Japan (McCombie war Vorsitzender der von Japan eingesetzten internationalen technischen Kommission für die Atommüllentsorgung); Benken, Schweiz.

Zusammengefasst: ein schöner Film, produziert von W-Film, der viele Eindrücke von unseriösen und gescheiterten Endlagerprojekten mit den Erfolgsstories der Propagandisten verwebt. Der Titel selbst ist etwas irreführend, denn es geht nicht um den "sichersten" Ort der Welt, sondern die Suche dreht sich um Akzeptanz und Durchsetzungsvermögen von Regierungen und Atomindustrie. "Sicherheit" ist zwar ein beliebtes Wort in der Sprache der Atomlobby, hat offenbar aber wenig Wert.