2017-01:Verschwörungsideologien

Aus grünes blatt
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Update Verschwörungsideologien

Verdummung mit Pseudo-Medizin – und mit der Kritik daran

jb Der Buchmarkt mit vermeintlich hochwirksamen Alternativverfahren der Krankheitsheilung quillt über – und Stück für Stück auch das Gegenprogramm. Geld verdienen lässt sich mit beidem. Für den Verkaufserfolg eines Buches kommt es vor allem darauf an, Inhalte vereinfacht und verkürzt darzustellen, also zusammengefasst: populistisch zu sein.

Das ist fast allen Heilsvermeldern in Buchform anzusehen. Es gilt aber ebenso für viele der kritischen Bücher. Ein prägnantes Beispiel ist „Der große Bluff“ von Theodor Much (2013, Goldegg in Berlin, 237 S.). Seite für Seite seziert er verschiedene alternative Heilverfahren. Immer wieder sind Passagen in Anführungsstriche gesetzt, doch ob es Zitate sind, lässt sich nicht einmal erahnen. Quellenangaben enthält das Buch sowieso nicht. Was nicht zur (industriefreundlichen) Schulmedizin passt, ist offenbar per se schlecht. Ein typisches Beispiel ist die Kritik an Impfgegnern. Obwohl in deren Reihen tatsächlich viel krudes Zeug verbreitet wird, schafft Much nur so Sätze wie: „Für die Behauptung, dass Impfungen Erkrankungen verursachen würden, existieren keinerlei Beweise“ – gerade so, als wenn eine solche Gefahr selbst im knallharten Kapitalismus nie vorkommen könnte und alle Veröffentlichungen dazu nur Nonsens enthalten. Sein „in mehreren US-Studien konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass“ deckt sich mit dem Stil der anderen Seite. „Es gibt unzählige Beweise“ bläht den eigenen Text auf mit der zusätzlichen Folge, dass dann oft keine einzige Studie wirklich benannt wird.

So schlimm treiben es Dittmar Graf und Christoph Lammers in „Anders heilen?“ (2015, Alibri in Aschaffenburg, 178 S., 14 €) nicht. „Wo die Alternativmedizin irrt“ steht im Untertitel. Das gibt die Richtung vor – und in der Tat zeigen die Autor_innen des Buches eine Menge kruder Vorstellungen auf, die mit dem Glauben an Homöopathie und andere Formen der Paramedizin, wie alle abweichenden Methoden außer der Schulmedizin genannt werden, zusammenhängen. Allerdings darin liegt genau das Problem des Buches: Es ist nützlich für einen skeptischen Blick auf viele Einfachlehren, esoterische Phantasien usw. Aber es macht einen eigenen Blick auf Wahrheit auf, der ein Dogma ist: Was die Wissenschaft sagt, stimmt. Es gibt auch immer nur ein „richtig“. Das ist nicht einmal wissenschaftlich. Solche Bücher zertrümmern ebenso wie die Verteufelung jeder Schulmedizin den wichtigsten Wirkstoff, den es gibt: Das Gespräch z.B. mit der_dem heilenden Person und die Suggestion an die Wirksamkeit des Medikamentes (Placebo). Wenn es hilft, warum solche Suggestion verteufeln? Wollen die Autoren uns weismachen, dass Krankheiten immer nur rein physische Grundlagen haben und folglich die Psychosomatik unwissenschaftlich ist? Das wäre gefährlich, denn dann würde der Körper zu einer reinen Experimentierzone für profitabel verkaufte Chemikalien. Dass ein selbsternannt eher anarchistischer Verlag die Selbstbestimmung des Menschen (Autosuggestion, psychologische Selbstheilungskräfte usw.) verdammt und die chemieschwere Schulmedizin hypt, zeigt, wieweit der Kapitalismus die letzten Ritzen der Gesellschaft erobert hat.


Wichtiger Hassschreiber gegen Flüchtlinge gestorben

jb "Grenzenlos kriminell" - so hieß eines der letzten Bücher von Udo Ulfkotte im Kopp-Verlag (2016, 318 S., 19,95 €). Akribisch fügte er mit Stefan Schubert Bruchstücke aus Polizeimeldungen, -statistiken und vor allem den Medien zusammen. Es war ein typisches Ulfkotte-Buch.

Nur selten wurden die Einzelfakten in einen Kontext gestellt, hier z.B. in einen Vergleich mit der gesamten Kriminalität. Berichte über Einzeltaten zeigen immer nur, dass die Kreise, aus denen Täter_innen stammen, keine besseren Menschen sind - was zu erwarten war. Offen bleibt stets die Frage: Sind sie schlimmer als andere? Und wenn ja: Gibt es spezifische Bedingungen, die das verursachen? Immerhin sind (bei Büchern im rechtspopulistischen Kopp-Verlag eher selten) Quellen angegeben. Die aber lassen schmunzeln: Spiegel, Bild, FAZ, n-tv, tagesschau, Focus, Zeit und andere dominieren. War das nicht die Lügenpresse? Egal: Ulfkotte ist Mitte Januar gestorben. Mal sehen, wer in die Lücke der billigen Buchverkaufserfolge springt. Und wer dann "Deutschland ins Verderben" halluziniert, den kommenden Bürgerkrieg ausruft oder so beeindruckende Sätze hervorruft, wie Ulfkottes Werke: "Überall Panzer und Soldaten zum Schutz vor Migrantenbanden?" (http://info.kopp-verlag.de).

Andere Autor_innen versuchen, gegen den Hass anzuschreiben. Gilles Reckingers Buch "Lampedusa (2013, Peter Hammer in Wuppertal, 230 S., 19,90 €) ist so ein Versuch. Er wirkt auf den ersten Blick wie ein Reiseführer. Auch auf den zweiten bleibt es das, aber nicht nur. Die auf Grund ihrer Lage zum Kampfplatz rassistischer Grenzpolitik berühmt gewordene Insel im Mittelmeer wird in vielen Geschichten und Erlebnissen beschrieben. Das Drama der Flüchtlinge und ihrer amtlichen Peiniger ist dabei immer wieder Gegenstand der Beschreibungen - eine Art Alltag auf der Insel. Diesem stehen seltsame Verwaltungsstrukturen entgehen, die angesichts erheblicher Geldflüsse aus EU-Kanälen eine Art "Hofstaat" entstehen ließen. Warum der Autor das alles immer als Chaos oder Anarchie bezeichnet, erklärt sich (wie üblich) an keiner Stelle. Ein intensiver Einblick in das Inselgeschehen ist das Buch aber allemal.

Eine interessante Stimme pro Einwanderung erhebt ausgerechnet die BertelsmannStiftung mit der Studie "Deutschland, öffne Dich!" (2012, 319 S., 35 €). Denn eigentlich gilt die Organisatoin als Schrittmacher der Modernisierung in der Gesellschaft - hin zu einem Staat, der wie eine Firma geführt wird, und zu einer Bevölkerung, die für die ökonomischen und machtpolitischen Führungsansprüche in der Welt fähig und willens ist. Da mag es zunächst überraschen, wenn von dort eine Stimme erhoben wird, die (so die Überschrift des ersten Kapitels) "Vielfalt ist Deutschlands Zukunft" lautet. Etliche Autor_innen tragen im Buch ihre Gedanken zu einer Willkommenskultur bei, die allerdings vor allem ökonomisch begründet wird. Und das ist eben der Hintergrund: Dass Merkel & Co. 2015 so viele Flüchtlinge ins Land gelassen hat, folgte vor allem dem Bedarf deutscher, auf weltweite Ausbeutung und Export ausgerichteten Industrie an qualifizierten, aber billigen Arbeitskräften. Im Buch schimmert diese Botschaft nur versteckt durch, z.B. in Andeutungen, dass nicht alle Menschen willkommen sind, sondern vor allem die nützlichen. Vom Elend in den Ländern, aus denen sich Menschen vertrieben fühlen, ist ohnehin nie die Rede. Und damit auch nicht vom Anteils Deutschlands an diesem Elend - unter anderem durch Firmen, die als "Lohn" ihrer weltweiten Zerstörungen nun frische Fachkräfte erhalten.