Diskussion:2009-03:Plädoyer für eine antikapitalistische Kritik der Agro-Gentechnik

Aus grünes blatt
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Entgegnung:

Plädoyer für eine emanzipatorische Gentechnikkritik

jb Das Plädoyer für antikapitalistische Gentechnikkritik klingt gut - wäre aber im Kontext der inhaltlichen Debatte in den meisten Kreisen von AktivistInnen gegen die Gentechnik ein Rückschritt. Denn die Reduzierung gesellschaftlicher Analyse auf ökonomische Aspekte blendet eine Vielzahl von weiteren Machtsphären aus. So ist Blödsinn, dass Menschen nur Marionetten ökonomischer Bedingungen sind. Tatsächlich wirken vielfältige Formen von Zwängen und Erwartungshaltungen auf sie ein. Aus Kreisen der FeldbefreierInnen und FeldbesetzerInnen besteht schon seit ca. drei Jahren eine Argumentation für eine umfassende herrschaftskritische und, positiv formuliert, emanzipatorische Gentechnikkritik - nachzulesen sowohl im Internet (www.projektwerkstatt.de/gen/emanz_kritik.htm) wie auch in dieser Zeitschrift (Ausgabe Frühjahr 2008). Es wäre nützlich gewesen, wenn diese Texte dem Text über antikapitalistische Gentechnikkritik zugrundegelegt worden wären. So aber erweist sich die/der AutorIn als KritikerIn tatsächlich vorhandener Position, aber gerade nicht der hier an dieser Stelle üblichen. Und die scheinbar progressive Position im Text ist das nur im Vergleich mit den reduzierten Kritiken bei Grünen, BUND & Co. - nicht aber der hier bereits entwickelten.

Zu alledem frönt der Text einem klassischen Konstrukt, dass bei näherer Betrachtung vor allem dem einen dient: Eine gute Ausrede fürs Nichtstun zu haben. Die Kritik an der Nennung von Namen bei der Offenlegung von Seilschaften zwischen Behörden, Konzernen, sogenannter Forschung und Lobbyarbeit behauptet implizit, dass die Welt auch ohne die konkreten Menschen funktioniert. Das ist natürlich Unsinn. Menschen sind zwar austauschbar, aber sie sind da. Ohne die Sphäre der EntscheiderInnen und Eliten sowie die große Zahl williger VollstreckerInnen würden weder Kapitalismus noch andere Herrschaftsformen funktionieren. Wer aber auf das Konkrete nicht schauen will, wird auch keinen Weg mehr finden, Widerstand zu leisten. Denn gegen den abstrakten Verwertungszwang lässt sich ebenso wenig antreten wie gegen das Risiko der Auskreuzung. Widerstand findet gegen die konkreten Erscheidungsformen statt - oder er findet nicht statt. Richtig wäre die Forderung, mit dem konkreten Protest immer die weitgehendere Kritik und Forderung zu verbinden. Aber dass gerade FeldbesetzerInnen und FeldbefreierInnen erzählen zu wollen, wäre wohl überflüssig. Den dort ständig benannten Positionen hinkt der vorstehende Text eher hinterher.

Entgegnung dazu: Keine Emanzipation ohne Antikapitalismus

vega Ich als Autor des kritisierten Textes erwidere jb hiermit folgendes:

  1. Der Text auf der Seite der Projektwerkstatt (im folgenden ProWe-Text) war mir bekannt, bevor ich meinen Text verfasst habe. Ich finde vieles an dem ProWe Text gut und wichtig. Daher hab ich eine Reihe von Argumentationen von ihm übernommen, und verweise am Ende meines Textes noch einmal ausdrücklich auf dem ProWe-Text. Dies zu verschweigen hilft zwar möglichst polemisch zu reagieren, verhindert aber eine ausgewogene Kritik.
  2. In meinen Augen wird im ProWe-Text der ökonomische Aspekt zu kurz behandelt. Ich finde das das Funktionieren kapitalistischer Ökonomie zu kurz dargestellt wird (trifft eingeschränkt auch auf meinen Text zu), ich fand es außerdem wichtig die tatsächlichen Gründe noch einmal rein durch die ökonomische Brille zu analysieren und so einen schlüssigen Zusammenhang mit den Scheinvorteilen herzustellen und daraus resultierend die doppelt verschleiernde Funktion der Pro-Gentechnikargumente im Gentechnik- und Kapitalismusdiskurs aufzuzueigen. Des weiteren sehe ich (auch bei den radikalen) GentechnikkritikerInnen viele Argumentationen, die einer fundierten Kapitalismuskritik im Weg stehen.
  3. Wenn jb behauptet die kritisierten Positionen würden von den radikalen Teilen der GentechnikkritikerInnen nicht oder nur marginalisiert geäußert werden ist das ein offener Widerspruch zu den Erfahrungen die ich in diesen Kreisen gemacht habe. Sicherlich hat ein Teil dieser Zusammenhänge mal den ProWe-Text verfasst, viele vertreten auch emanzipatorische Positionen. Das ändert aber nichts daran, dass es ebenfalls viele gibt, die keine oder nur wage Vorstellungen vom Funktionieren kapitalistischer Ökonomie haben, und die die von mir kritisierten Positionen vertreten – dafür aber das Label antikapitalistisch irgendwie hipp finden. Dies schlägt sich nicht unbedingt in Texten in diesem Blatt nieder, denn Leute mit wagen politischen Ideen neigen nicht unbedingt zum Verfassen von Texten. Diese Sachverhalte zu leugnen ist in meinen Augen ein Hindernis auf dem Weg zu einer emanzipatorischen Bewegung. Den Vorwurf des tendenziellen Hinterherhinkens gebe ich zurück an jb, für seine meiner Meinung nach beschönigende Analyse der Verfasstheit unserer Zusammenhänge.
  4. Ich habe einen Artikel geschrieben, kein 500-Seitiges Buch. Aufgrund dieser Tatsache war für manche Aspekte meiner Kritik an der Gentechnik kein Platz – die Verkürzung ist technisch bedingt. In meinen Augen verhällt es sich genauso mit dem ProWe-Text. Ich habe mich auf die ökonomische Seite beschränkt, weil es meiner Meinung nach bei den sich als emanzipatorisch verstehenden GentechnikkritikerInnen hier der größte Nachholbedarf besteht - nicht weil ich denke, Herrschaft ausschließlich auf wirtschaftliche Unterdrückungsverhältnisse reduzieren zu können. Wenn jb mir vorwirft zu verkürzen und ich dasselbe erwidern würde, liefe das auf den Grundvorwurf hinaus das wir beide keine dicken Bücher zu dem Thema geschrieben haben. Diese Vorwürfe wären dem Ego sehr förderlich, aber eine blödsinnige Basis für eine Diskussion.
  5. Der Absatz von jb über die Kritik an konkreten Personen zielt in eine richtige Richtung, ich füge ihm an dieser Stelle nicht viel hinzu. Allerdings finde ich es schade, dass hier ein weiteres Mal vor lauter Beißreflex mein Text nicht gründlich genug gelesen zu worden sein scheint. Ich schreibe, dass der Kritik am Filz ein Fortschritt im Vergleich zum Verschweigen desselben ist. Desweiteren schreibe ich, dass die Gefahr droht in vereinfachte Kriktmuster abzurutschen – nicht das die Zwangsläufigkeit besteht. Desweiteren behaupte ich an keiner einzigen Stelle, der Kapitalismus würde ohne Menschen funktionieren (wie jb es schafft, dass in meinen Text reinzulesen weiß ich nicht) - ich beschreibe lediglich ihre Austauschbarkeit.
  6. FeldbesetzerInnen und FeldbefreierInnen klar zu machen, dass für emanzipatorische Standpunkte die Kritik am Konkreten mit der Kritik am Abstrakten verbunden werden muss, erscheint mir nicht überflüssig, sondern notwendig – denn in unserer Praxis gibt es da genug blinde Flecken.


Danke für die Diskussion, aber ...

Also erstmal: Das "Danke" ist ernst gemeint, denn oft sind Beiträge ja Abrechnungen und keine Diskussionsbeiträge. Da hast Du nun schon das Gegenteil durch Deine Antwort bewiesen - das ist gut. Nichtsdestotrotz bleibe ich der Meinung, dass Du mit Deinem Text ausgerechnet oder zumindest vermutbar die Runde von Leuten angreifst, innerhalb derer eine emanzipatorische Kritik der übliche Stand der Dinge ist. Das wird durch Deinen (richtigen) Hinweis, dass es auch viele gibt, die bei Aktionen mitmachen, aber keinen oder wenig Theoriehintergrund haben nicht entkräftet. Denn wer nicht erreicht werden will und sich nicht äußert, ist von mir auch nicht gemeint gewesen beim Bezug auf bestehende Positionen.

Es ist ja letztlich der alte Streit um Hauptwiderspruch oder Herrschaft als alle Bereiche durchziehendes Etwas. Hier werden wir uns wohl kaum einigen. Deine Formulierung zeigt hier, wie ich finde, schon sehr deutlich, dass für Dich Gesellschaft = Ökonomie ist. Daher hier nochmal zitiert: "Wie weiter vorne beschrieben ist die Gentechnik erfolgreich, weil sie dem Kapital hilft seinem Interesse an immer mehr Verwertung gerecht zu werden. Das ist der einzige Grund für ihren Erfolg – nicht etwa Korruption, Filz oder Verschwörung. Würden die Interessen der Akteure des Gentechnik-Filzes denen des Kapitals widersprechen, hätten sie nicht einmal einen Bruchteil ihres gesellschaftlichen Einflusses." Und das sehe ich eben nicht so. Die hegemoniale Steuerung der Gesellschaft entspringt einem undurchdringlichen Geflecht verschiedener Sphären und Einflussformen. Die Reduzierung auf ökonomische Macht ist geradezu geeignet, eine Personalisierung oder zumindest eine Lokalisierung der Macht zu ermöglichen - z.B. in Form von Aussagen, die Finanzmärkte dominieren alles andere u.ä. Tatsächlich ist Macht eine Matrix ohne feste Orte, aber immer mit konkret Ausführenden. Wer wo welche Einflüsse ausübt und was welche Effekte hat, kann immer nur ansatzweise vorausbestimmt werden. Seilschaften sind dabei Rückversicherungsnetzwerke, die Prozesse steuerbarer machen und konkreten Personen herausgehobene Gestaltungsmöglichkeiten zu verschaffen. Natürlich ließe sich die Darstellung des Prinzips auch nach der Art "X sitzt gleichzeitig dort, agiert auch dort und entscheidet dort mit" machen. Aber ob nun "X" oder "Broer" da steht, ist unerheblich für die Analyse. "X" heißt nunmal grad "Schrader" oder "Schmidt" - morgen vielleicht anders. Dann wäre die Broschüre "Organisierte Unverantwortlichkeit" zu aktualisieren - mehr nicht.


Verwertungszwang + X

vega Der Text richtet sich erstmal an alle, die ihn lesen. Beim Schreiben hatte ich vor allem (aber nicht nur!) die Leute im Kopf, die direkte Aktionen gegen Gentechnik machen oder mittragen. Innerhalb dieser Gruppe die mit wenig Theoriehintergrund mehr als die, die bereits einen relativ umfangreichen Theoriehintergrund haben. Ich finde, schon allein diese Diskussion zeigt aber, dass sich die Lektüre auch für Leute lohnt, die schon einen relativ fundierten Theoriehintergrund haben. Mir fällt auf, dass du mehrmals betonst, dass eine emanzipatorische Kritik schon besteht. Ich denke, eine emanzipatorische Kritik kann niemals komplett sein. Es sollte immer diskutiert werden, ob es Sinn macht einzelne Elemente zu überarbeiten oder Neues zu ergänzen. In diesem Sinne verstehe ich meinen Text als Ergänzung zu dem auf der ProWe-Seite.

Was die Debatte um den Stellenwert der Ökonomie innerhalb einer Gesellschaft angeht, schlage ich die Begrenzung auf die Frage der Gentechnik vor. Mir sind hierbei zunächst folgende Aussagen wichtig (und ich denke, dass wir uns da gar nicht so uneinig sind):

  1. Das Erschließen neuer Märkte ist ein Grundproblem des Kapitals. Dementsprechend ist der Verwertungszwang eines der zentralen Prinzipien unserer Gesellschaft.
  2. Die Agro-Gentechnik bietet dem Kapital zahlreiche Möglichkeiten, neue Absatzmärkte zu erschließen.
  3. Viele der Probleme die die Agro-Gentechnik angeblich lösen soll, sind Folgen des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Daher verschleiert der Pro-Gentechnik-Diskurs gleich doppelt die negativen Folgen der kapitalistischen Wirtschaftsweise (als Grund für die Gentechnik und Verursacher vieler Probleme die sie lösen soll, aber nicht kann.)

Daher finde ich, dass sich die Kritik am Verwertungszwang als Roter Faden bei der Kritik der Agro-Gentechnik anbietet. Ich würde noch weitergehen und sagen, dass der kapitalistische Verwertungszwang der Hauptgrund für die Notwendigkeit und den Erfolg der Agro-Gentechnik in diesem Gesellschaftssystem ist.

Was ich damit nicht sagen will ist, dass ihr Erfolg und Notwendigkeit ausschließlich durch die kapitalistische Wirtschaftsweise erklärbar sind. Zum einen haben viele Pro-Gentechnik-Akteure kein vollständiges oder gar kein Verständnis des Verwertungszwanges. Ihre individuellen Motivationen sind oft andere, und auch diese sollten ebenfalls analysiert und kritisiert werden. Zum anderen sind bei der Gentechnik natürlich auch noch andere gesellschafts-immanente Zwänge und Herrschaftsmechanismen im Spiel, die selbstverständlich auch im Rahmen einer emanzipatorischen Kritik in den Fokus genommen werden sollten. Hier lohnt sich der Rückgriff auf den ProWe-Text und auf andere, die noch zu schreiben sind.