2004-03:Biologische Strahlenwirkung

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Biologische Strahlenwirkung

von Juliane Furkert und Timo Janßen

Grundlagen

Zu unterscheiden sind direkte Wirkungen - Biomoleküle (Enzyme usw.) werden direkt durch ionisierende Teilchen oder durch ausgelöste Sekundärelektronen geschädigt, z.B. Alpha- und Betastrahlung - und indirekte Wirkungen - Energie wird in Umgebung der Biomoleküle absorbiert und dabei entstehen Radikale und andere für den Körper gefährliche Stoffe wie Wasserstoffperoxid, welche Schädigungen auslösen, z.B. Gamma-, Röntgen- und Neutonenstrahlung.

Strahlenwirkung

Trifft ionisierende Strahlung (Radioaktivität) auf lebende Organismen, kann sie schwere Schäden verursachen. Ionisierende Strahlung zerstört chemische Bindungen (Moleküle) und löst in den Zellen des Organismus eine unüberschaubare Vielfalt biochemischer Reaktionen aus. So kann zum Beispiel ein einziges Betateilchen (Betastrahlung) im menschlichen Gewebe tausende chemische Verbindungen sprengen. Erzielt die Strahlung direkte Treffer in der DNS, d.h. im Erbgut eines Zellkerns, wird der darin verankerte genetische Code verändert (Mutation). Dies kann neben Funktionsstörungen und Zelltod (akute Strahlenschäden) zum Verlust der Wachstumskontrolle der Zellen führen. Weitere DNS-Schäden können durch chemische Radikale, die durch die Strahlung in DNS-Nähe erzeugt werden, entstehen. Mögliche Folge des DNS-Defekts: Krebs. Findet die DNS-Veränderung in einer Keimzelle statt, kann der veränderte genetische Code auf die Nachkommen übertragen werden und zu genetischen Strahlenschäden führen. Zellen besitzen Reparaturmechanismen, die einen Teil der DNS-Schäden beheben können - jedoch nicht alle.

Erscheinungsbild

Vom Erscheinungsbild her unterscheidet man stochastische und nicht stochastische Strahlenschäden. Nicht stochastische Schäden treten erst ab einer bestimmten Strahlendosis auf, dann allerdings mit Sicherheit, das Ausmass der Schädigung nimmt mit der Strahlendosis zu (akute Strahlenschäden, Strahlenkrankheit). Für stochastische Strahlenschäden gibt es keinen Schwellenwert, jede noch so kleine Strahlendosis kann zu einem Strahlenschaden führen. Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten des Schadens nimmt mit der Erhöhung der Strahlendosis zu, nicht aber die Schwere der Krankheit, diese wird eher durch andere Faktoren beeinflusst (Alter, Geschlecht, Konstitution usw.). Spätschäden wie Krebs und Missbildungen sind stochastische Schäden. Das Tumorrisiko beträgt etwa 5% pro Sievert und das Risiko eines Erbschadens immerhin 1%/Sv. Welcher Schaden infolge einer Strahlenbelastung auftritt, hängt entscheidend von der zeitlichen Verteilung der Dosis ab: Die gleiche Dosis, die bei einmaliger Bestrahlung zu schweren akuten Strahlenschäden führt, verursacht bei gleichmässiger Verteilung über längere Zeit keinerlei akute Strahlenschäden, kann aber durchaus zu Spätschäden führen.

Spätschäden

Die meisten WissenschaftlerInnen gehen heute davon aus, dass für Spätschäden kein Schwellenwert existiert und ein linearer Zusammenhang zwischen Dosis und Wirkung besteht, das heißt, dass die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung proportional mit der Dosis zunimmt. Am umstrittensten ist die Dosis-Wirkungs-Beziehung für kleine Strahlendosen unter 10 mSv/Jahr. Im konkreten Einzelfall hängt das Strahlenrisiko von einer Vielzahl von Faktoren ab, z. B. Alter, Gesundheit und Lebensgewohnheiten des Bestrahlten (z. B. junge Menschen sind besonders strahlenempfindlich), dem Vorhandensein chemischer Umweltgifte (im Zusammenwirken können sich chemische Gifte und Strahlenbelastungen wechselseitig beeinflussen), dem Ort der Strahlenbelastung (ganzer Körper oder einzelne Organe, Anreicherung) und der Art der Strahlung. Die verschiedene biologische Gefahr von Strahlung wird grob durch das Konzept der Äquivalenzdosis (in Sievert - Sv) erfasst. Für jede Strahlenart gibt es einen biologischen Gefährdungsfaktor, der mit ihrer Energiedosis (Gray) verrechnet wird. So wird die Äquivalenzdosis ermittelt. Der Gefährdungsfaktor (Qualitätsfaktor) für Neutronenstrahlung z.B. im Atomkraftwerk ist 10 und in unmittelbarer Nähe eines Castorbehälters wird sogar von 75 ausgegangen. Für Alphastrahlung beträgt der Faktor 20, für Beta-oder Gammastrahlung dagegen nur 1. Je höher der Faktor, desto höher ist die Gefährdung für Lebewesen. In der Regel sind 6 Sv als Einzeldosis für die Hälfte der Betroffenen tödlich. Ab 0.25 Sv besteht eine Gefährdung. Je nach Strahlungsart wird die Dosis mehr oder weniger schnell erreicht. In Deutschland beträgt die mittlere natürliche Strahlenbelastung 2,4 mSv. Hinzu kommen medizinische Strahlenbelastungen, erhöhte Dosen durch Flüge und andere Einflüsse.

Frühschäden

Akute Strahlenschäden (Frühschäden) gehören zu den nicht stochastischen Strahlenschäden und treten bei kurzzeitigen Ganzkörperdosen ab 0,5 Sv auf. Ab solchen Dosen werden so viele Zellen durch die ionisierende Strahlung abgetötet oder funktionsgestört, dass innerhalb von Stunden oder Tagen zahlreiche Schäden sichtbar werden, die bis zum Tod führen können. Der Krankheitsverlauf ist um so schwerer, je höher die Dosis war. Speziell betroffen sind Zellen, die sich häufig teilen, insbesondere die blutbildenden Zellen im Knochenmark, deren Ausfall das Immunsystem schwächt bis lahmlegt, die Zellen des Darmepithels, deren Ausfall zu Störungen im Wasser- und Mineralhaushalt sowie Darmkoliken führt, und die Haarwurzel, deren Schädigung Haarausfall nach sich zieht und natürlich Embryonen, Keimdrüsen u.v.m. Weitere mögliche akute Strahlenschäden sind die Trübung der Augenlinse (Grauer Star), Hautschädigung, Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit, Missbildungen, Tod- und Fehlgeburten durch Bestrahlung des Embryos. Der typische Krankheitsverlauf wird Strahlenkrankheit genannt. Todesfälle bis etwa 5 Sv sind meist Folge des geschwächten Immunsystems. Bei höheren Dosen sind Darmstörungen Haupttodesursache. Bis etwa 10 Sv Ganzkörperdosis haben Bestrahlte bei stationärer medizinischer Versorgung Chancen zu überleben. Bei den Überlebenden können zahlreiche Spätschäden (Strahlenschäden) auftreten: Krebs, unspezifische Lebensverkürzung, Sterilität, dauerhafte Immunschwäche etc. Quelle dieser Erkenntnisse sind die Atombombenopfer in Hiroshima und Nagasaki und Betriebsunfälle im Kernkraftwerksbereich.

Strahlenkrankheit

Die Strahlenkankheit ist die Folge einer Ganzkörperbestrahlung oder einer ausgedehnten Teilkörperbestrahlung und tritt schon bei relativ kleinen Strahlendosen auf. Der Schweregrad der Strahlenkrankheit, der klinische Verlauf sowie die Prognose und die Letalität (Sterblichkeit) sind von der Art und Dosis der ionisierenden Strahlung abhängig. Erste Symptome sind Schwäche und Krankheitsgefühl, gepaart mit Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen. Dieser Periode folgt eine Phase relativen Wohlbefindens mit unterschiedlicher, der Strahlenexposition indirekt proportionalen Dauer. Im weiteren Verlauf kann es innerhalb von Tagen bis Wochen zu Auftreten von Fieber, Infektionen, Durchfällen und Blutungen, Haarausfall, Mund- und Rachengeschwüren sowie Hirnödem mit anschließendem Tod des Opfers kommen. Überlebt der Strahlengeschädigte dieses Stadium, folgt eine lange Phase der Erholung mit schrittweisem Verschwinden der Symptome. Wird die Strahlenkrankheit überlebt, können sich nach einem mehrmonatigen oder auch jahre- bis jahrzehntelangen Intervall chronische Strahlenschäden manifestieren.

Resümee

Radioaktive Gefährdung droht zum einen durch Bestrahlung von außen (v.a. Gamma-, Röntgen-und Neutronenstrahlung, weniger durch Alpha- oder Betastrahung, da diese eine geringe Reichweite haben). Zum anderen kann es zu Kontamination (Verunreinigung der Körperoberfläche durch radioaktive Stoffe) kommen. Ganz gefährlich ist eine Inkorporation, d.h. die Aufnahme von radioaktiven Stoffen in den Körper. Dies kann über die Atemwege geschehen (Schwebstoffe/Gase in der Atemluft), durch Verschlucken und über Wunden. Hier richten Alpha- und Betastrahlung den größten Schaden an.


Strahlenarten

Aus den Kernen instabiler Atome werden Strahlen ausgesandt (Radioaktivität). Diese Strahlung ionisiert Stoffe, d.h. sie ist im Gegensatz zu anderen Strahlenarten (Sonnen-, Wärmestrahlen) in der Lage Elektronen aus einem Atom herauszulösen.

Alphastrahlung

Bei der Alphastrahlung werden Alphateilchen (Heliumkerne) ausgestrahlt,welche in Materie schnell abgebremst werden. Die Reichweite beträgt wegen der vergleichsweise hohen Masse in Luft nur wenige cm, im menschlichen Körper unter einem mm. Bei Aufnahme in den Körper (Inkorporation) hat Alphastrahlung auf ihrem kurzen Weg jedoch eine sehr hohe Ionisationsdichte und richtet einen größeren Schaden als die anderen Strahlenarten an. Sie kann aber schon durch ein Blatt Papier oder Kleidung aufgehalten werden. Wichtig ist, dass sie nicht in den Körper gelangt.

Betastrahlung

Betastrahlung besteht vor allem aus Elektronen, die aus dem Kern eines Radionuklids abgegeben werden. Die Reichweite beträgt in Luft etwa 50 cm und im Körper mehrere mm. Zur Abschirmung kann dichtes Material verwendet werden, z.B. Plexiglas. Die Gefahr besteht auch hier im hohen Ionisationsvermögen; Hautverbrennungen sind z.B. eine Folge.

Gammastrahlung

Gammastrahlung ist energiereiche Strahlung (Vernichtungsstrahlung), welche bei Kernumwandlungen (z.B.Alpha-oder Betastrahlung) entsteht. Die Reichweite ist praktisch unendlich, so dass die Strahlung nur geschwächt werden kann. Dazu werden dicke, dichte Schichten aus Blei oder Beton verwendet. Der Körper wird also durchstrahlt, im hohen Durchdringungsvermögen liegt daher auch die Gefahr. Röntgenstrahlung hat ähnliche Eigenschaften, aber meist einen niedrigeren Energiegehalt.

Neutronenstrahlung

Bei der Neutronenstrahlung werden Neutronen aus den Atomkernen herausgeschlagen. Dies geschieht in unserer Atmosphäre beim Zusammenprall von kosmischen Primärteilchen mit Luftmolekülen oder aber um ein Vielfaches verstärkt im Atomkraftwerk. Die Halbwertsdicke, d.h. die Dicke eines durchstrahlten Materials, nach der die Strahlung auf die Hälfte reduziert ist, beträgt in Wasser 3 cm und in Beton 12 cm. Die besondere Gefährdung liegt darin, dass die Strahlung weitere Kernreaktionen auslöst, es kommt also eine Kettenreaktion zustande.