2005-01:Es war einmal...das AntiCastorNetz

Aus grünes blatt
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Es war einmal... das AntiCastorNetz

Vom Ende einer emanzipatorischen Struktur

ACN Fast zwei Jahre ist das faktische Ende des AntiCastorNetz Magdeburg schon her. Aber manchmal fällt es schwer sich zu lösen und sich mit der Realität abzufinden. Damit, dass es das AntiCastorNetz auch in veränderter Form nicht mehr geben wird und die Versuche der Wiederbelebung hoffnungslos waren und sind, habe ich mich zum Beispiel erst jetzt abgefunden.

Wie alles anfing

Alles hatte seinen Anfang im Kontaminationsskandal 1998, als AKW-Betreiber und Umweltministerium zugeben mussten, dass über ein Jahrzehnt hinaus bekanntermaßen gesetzliche Sicherheitsvorschriften beim Transport von Atommüll missachtet worden waren. Die damalige Bundesumweltministerin Angela Merkel, die sich heute gern ein Sauberfrau-Image gibt, war damals gezwungen einen Transportestopp zu verhängen. Alphastrahlende Partikel mit einer den Grenzwert zum Teil millionenfach überschreitenden Radioaktivität waren an den Behälterhüllen nachgewiesen worden.

Ausgerechnet das neuerdings bündnisgrüne Bundesumweltministerium hob nun diesen Transportestopp auf und machte damit neue Castortransporte, ohne die die bundesdeutschen Atomkraftwerke Gefahr liefen sich bis zur Schließung zu verstopfen, möglich. Im Oktober 2000 schien es soweit zu sein. Ein Castortransport aus dem AKW Philippsburg in die Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) La Hague war geplant. Gegen diesen ersten WAA-Transport wurde bundesweit mobilisiert. Tausende AtomkraftgegnerInnen befanden sich gewissermaßen in den Startlöchern, um sich dem Transport in den Weg zu stellen.

Zu diesem Zeitpunkt gab es ein erstes offenes Treffen für Leute, die sich in Magdeburg querstellen wollten. Dieses Treffen fand im Ökozentrum Magdeburg statt und war im wesentlichen von AktivistInnen der Greenkids initiiert worden. Mit dabei waren schließlich auch VertreterInnen anderer Ökogruppen (NAJU und BUND) und sehr viele Menschen aus der linksradikalen Magdeburger Szene.

Es wurde dort beschlossen den Schwerpunkt der Aktivitäten auf eine Anti-Castor-Demonstration zu legen. Für viele AktivistInnen war dies die erste größere selbstorganisierte Aktion. Dazu wurde starke Öffentlichkeitsarbeit gemacht, Transparente im Vorfeld entworfen und andere Gruppen beteiligt. Wie so oft zu dieser Zeit dominierte dann die schwarze Antifa-Kluft die kleine Demo; von vielen sich nicht als "linksradikal" verstehenden Leuten wurde hinterher erzählt, sie seien extra gekommen, wären aber durch dieses Auftreten abgeschreckt gewesen. Negativ tat sich auch der Anmelder hervor, der den Druck der Polizei auf die DemonstrantInnen weiterreichte und in verschiedener Weise die Demo entschärfte. Leider gab es mit ihm später nie eine Auseinandersetzung darüber, so dass dieses Problem nicht zur Aussprache kam.

Kurz vor der geplanten Abfahrt des Castors sagten die Verantwortlichen den Transport ab. Trotzdem fuhren viele hunderte Menschen nach Philippsburg, um mit Aktionen zu bekunden, dass auch im Ernstfall mit konsequentem Widerstand zu rechnen ist. Durch die Transport-Absage kamen die frischen Anti-Atom-Aktivitäten in Magdeburg auch wieder zum Erliegen und von entsprechenden Aktivitäten war nichts mehr zu hören.

Das AntiCastorNetz entsteht

Anfang 2001 startete die rot-grüne Bundesregierung zusammen mit der Atomwirtschaft einen neuen Anlauf. Die gesamte Zeit war unklar, welcher Transport der erste sein würde: ein Transport aus Frankreich nach Gorleben, ein Transport ins nordrhein-westfälische Ahaus oder ein solcher in eine WAA. Dies war die Zeit, in der Bundesumweltminister Trittin erstmals öffentlich den Begriff einer "nationalen Verantwortung" für "unseren" Atommüll in den Mund nahm.

An diesem Beispiel lässt sich leicht die Unsinnigkeit und die herrschaftliche Machterhaltungsstrategie vorführen. Atommüll, der von speziellen Firmen aus Profitgründen mit Unterstützung bestimmter PolitikerInnen produziert wurde, wird nun zu "unserem Müll" konstruiert. Willkürlich gesetzte Grenzen sollen bestimmen, dass wir zu "unserer" Nation gehören. Weder haben wir eine reelle Wahl, noch gibt es weitergehende objektive Kriterien, die das "deutsch sein" definieren würden. Aber wir sollen es sein. Mit dieser nationalen Zuordnung werden Unterschiede konstruiert und Machtansprüche gesetzt.

Die Herrschenden, auf welchem Weg sie auch immer in diese Position kommen, bestimmen über das Konstrukt und die darin lebenden Menschen: über offene und versteckte Herrschaftsinstrumente - Diskurse in Massenmedien und kleineren Machtzellen wie der kleinbürgerlichen Familie, durch die Bindung von Privilegien und Rechten an die nationale Zuordnung und vieles mehr - wird den Menschen dieses künstliche Gebilde und seine Notwendigkeit solange eingebleut, bis sie selbst daran glauben und manche sogar dafür sterben würden.

Plötzlich wird der Müll einer Privatfirma zur nationalen Angelegenheit, einer Sache für die "wir alle" die Verantwortung tragen. Zwar fragt uns niemand, ob wir diesen Müll überhaupt haben wollten, aber wenn die Proteste gegen seine Produktion und anschließende Verschickung zu mächtig werden, haben wir plötzlich Verantwortung und sollen still sein.

In Gegenstrategie zu Trittins Polemik einer "nationalen Verantwortung" machte die Anti-AKW-Bewegung deutlich, was der Gorleben-Castor wirklich war: der Türöffner für neue WAA-Transporte nach Frankreich. Die französische Regierung war durch ein Gerichtsurteil unter Druck geraten und konnte neuen Atommüll aus der BRD erst annehmen, wenn die alten Abfälle wieder ihren Rückweg antraten. Ohne Gorleben-Castor konnte es also keine WAA-Transporte geben und die bundesdeutschen AKW wären bald an ihrem eigenen Müll erstickt.

Vor diesem politischen Hintergrund fand ein neues Anti-Castor-Treffen im Ökozentrum Magdeburg statt. Wieder waren viele interessierte und vor allem szene-neue Leute da. Aus der Erfahrung des Vorjahres hatte mensch gelernt und es sollte nun keine Energie für eine Demo verschwendet werden.

Von Februar bis Mitte März 2001 fanden nun ein halbes Dutzend atompolitische Infoveranstaltungen statt. Sie sollten öffentliche Aufmerksamkeit schaffen, die eigenen Leute inhaltlich weiterbilden und zur Mobilisierung dienen. Um verschiedene Spektren und Menschen anzusprechen, fanden die Veranstaltungen an verschiedenen Orten statt und wurden unterschiedlich beworben.

Zusammen mit den Infoständen, Flugblattverteilungen und kreativen Aktionen bildeten sie einen bunten Mix von Anti-Atom-Aktivitäten in Magdeburg, die der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben konnten. Innerhalb der drei bis vier Wochen vor dem Gorleben-Castor gab es vielleicht wöchentlich zwei Tage ohne Aktivitäten, denn auch Organisationstreffen und die Teilnahme an bundesweiten Anti-Castor-Demos in anderen Städten war angesagt.

Auch jetzt gab es wieder eine massive Öffentlichkeitsarbeit durch Presseinformationen, Artikel und beispielsweise einen gemeinsamen Aufruf vieler Magdeburger Organisationen. Das AntiCastorNetz Magdeburg war entstanden.

Philosophie und Autonomie

Die Grundidee war ein Netzwerk von Menschen und Gruppen, die gegen die menschenfeindliche Politik - nicht nur der Atomwirtschaft - aktiv werden wollten. Ganz bewusst wurde betont, dass das AntiCastorNetz keine neue Gruppe, sondern eine Struktur zur Vernetzung, zum Informationsaustausch und zur Bereitstellung von Aktionsmaterial sein sollte. Doch obwohl dies offensiv bei den Infoveranstaltungen, die auf Einladung von Gruppen aus Magdeburg und anderen Orten stattfanden, vermittelt wurde, nahm ein Großteil der Öffentlichkeit und der linksradikalen Szene das AntiCastorNetz als eine weitere Gruppe wahr.

Es hatte die befürchteten Auswirkungen: die "autonome" Magdeburger Szene äußerte immer häufiger, für "Anti-Atom" nicht zuständig zu sein, dafür gebe es ja das AntiCastorNetz und statt dass Menschen aus verschiedenen Gruppen an den Vernetzungstreffen teilnahmen und so einen Informationsaustausch über viele Strukturen hinweg ermöglicht hätten, sank die Zahl der GruppenvertreterInnen bei den Plena des AntiCastorNetzes im Laufe eines Jahres immer weiter. Zuletzt hatten die äußeren Umstände das AntiCastorNetz zu dem gemacht, was es nicht sein wollte: eine eigenständige Gruppe, die zwar offiziell von einer Vielzahl Organisationen unterstützt wurde, aber in der Praxis nur von einem harten Kern von einem halben Dutzend vorwiegend in dieser Gruppe aktiven Menschen getragen wurde.

Die Ansätze des AntiCastorNetzes waren bereits herrschaftskritisch ausgeprägt. Dezentrale Aktions- und Organisationsformen waren angestrebt. Herrschaftskritik, die über Atomkraft hinaus ging, bekam mit der Zeit einen größeren Anteil und schließlich fand auch eine Auseinandersetzung über Hierarchien in der Gruppe statt.

Diese Auseinandersetzung über ein "konstruktives Miteinander" regte diverse andere Gruppen und Menschen in Magdeburg zur Reflexion der eigenen Strukturen an und führte zu ungedachten Entwicklungen. Anfangs moderierte und angeleitete Veranstaltungen wurden immer selbstbewusster "von unten" organisiert und bis zum Ende des AntiCastorNetzes war dies eine der wenigen Gruppen, die ich kennengelernt habe, die Hierarchien nicht nötig hatte, sie reflektierte und in einem immerwährenden Prozess abzubauen versuchte. Das ging so weit, dass der Versuch dominanten Auftretens eher hinderlich als effizient gewesen wäre.

Auch auf die sich selbst "autonom" verstehende Szene wirkte dieser Prozess, denn die AktivistInnen des AntiCastorNetzes waren auf vielen thematischen Feldern aktiv und wirkten zunehmend in verschiedenen Gruppen mit. Erstaunlich war irgendwann die Erklärung einer der autonomen Antifagruppen, mensch habe sich mal mit internen Hierarchien auseinandergesetzt und beschlossen jetzt hierarchiefrei zu sein... so einfach ging das dagegen beim AntiCastorNetz nicht... *g*

Das AntiCastorNetz bezeichnete sich selbst nie als "autonom", obwohl das Selbstverständnis vieler AktivistInnen hier meiner Meinung nach mehr mit der Grundidee autonomen Lebens zu tun hatte, als manche der Magdeburger "Autonomen" es praktizierten - was nicht verallgemeinernd gemeint ist. Diese Uneinordnenbarkeit hatte den Vorteil, radikale Positionen auch in bürgerlichen Kreisen vermitteln zu können, brachte aber u.a. den Nachteil, bei der Vernetzung der "autonomen Szene" Magdeburgs nicht ernstgenommen zu werden. Hier gab es bekanntermaßen auch positive Äußerungen zu Positionen des AntiCastorNetzes.

Als jedoch ein Netzwerk der autonomen Gruppen entstehen sollte, wurde das AntiCastorNetz von bestimmten Personen konkret ausgeladen. Auch in den späteren Ausgrenzungsvorfällen gegen Leute der eigenen Szene waren AktivistInnen des AntiCastorNetzes betroffen. Damals wurde diskutiert, das AntiCastorNetz insgesamt auszuschließen, was dann doch nicht geschah.

Aktivitäten der Hochphase

Vor allem in der Anfangszeit des AntiCastorNetzes (2001) war das Interesse der Verfolgungsorgane (Polizei, LKA) spürbar. Im LKA Magdeburg wurden Flugblätter oder andere Veröffentlichungen gesammelt und Ermittlungen gegen zumindest einE AktivistIn geführt. Ein Antrag auf Akteneinsicht beim Verfassungsschutz wurde mit einer doppeldeutigen Begründung abgelehnt.

In der ersten Hälfte 2001 mobilisierte das AntiCastorNetz zu jedem Castortransport. Bis zuletzt war die Beteiligung für Magdeburger Verhältnisse groß. Es gab immer auch öffentliche Veranstaltungen und Aktionen zur Mobilisierung. In den ersten Monaten wuchs das AntiCastorNetz immer mehr, so dass es notwendig wurde, über eine Veränderung der Organisationsstrukturen nachzudenken. Es war unmöglich, alles bei den zweiwöchentlichen Plena zu besprechen, also wurden dazwischen sogenannte Koo(rdinierungs)-Treffen eingerichtet, die vor allem vom aktiveren Teil für Organisationsabsprachen genutzt wurden.

Verantwortlichkeiten für verschiedene Bereiche wie Presse, Flyer, Aktionen, Mobilisierung etc. wurden aufgeteilt, eine komplexe Mobilisierungskette, die ein gewisses Maß an Konspirativität bot, wurde entwickelt und so weiter.

In dieser Zeit fuhren AktivistInnen des AntiCastorNetzes etwa zwei- bis dreiwöchentlich zu Castortransporten und beteiligten sich dort an Aktionen, entwickelten eigene Protestformen und brachten sich in die Diskurse der Anti-AKW-Bewegung ein. Für viele andere Anti-Atom-Gruppen entstand der Eindruck einer großen, aktiven Organisation, was zumindest durch die Masse an Aktivitäten und die begleitende Öffentlichkeitsarbeit gestützt wurde. Allerdings war es doch immer ein bestimmter Kern von Menschen, der die organisatorische Arbeit erledigte.

Bis August 2001 gab es neben den Mobilisierungen auch eine Vielzahl kreativer Aktionen in Magdeburg, Bonn und anderswo. Das Kreativitätslevel war verglichen mit Öko-Aktionen in Magdeburg davor und danach sehr hoch. Vor allem in Folge der Castorblockaden Anfang 2001 gab es eine Reihe juristischer Verfahren, die zum größten Teil bis heute nicht abgeschlossen sind. Dazu finden sich umfangreiche Informationen (der komplette Schriftverkehr und zum Teil andere mit den Aktionen zusammenhängende Materialien) im Internet auf http://www.antiatom.de/magdeburg/prozess.

Dominanz und Organisation

Innerhalb des AntiCastorNetzes gab es eine tiefgehende Auseinandersetzung mit eigenen Dominanzen und Finanzierungsformen. Auslöser für die Dominanzdiskussionen war die Konzentration von Verantwortung und Organisatorischem auf eine Person, die dies selbst nicht wollte. Da sich im Zuge des Prozesses zeigte, dass anderen auch wichtig war solche Hierarchien aufzulösen, konnte sich dieser Mensch ein Stück zurücknehmen. Zwar war ihre Dominanz nie völlig verschwunden, weil scheinbar die Selbstorganisationsfähigkeit vieler Beteiligten nicht groß genug und ihre Bereitschaft die Gruppe scheitern zu lassen fehlte, doch fand eine immerwährende Reflektion dieser Verhältnisse und eine punktuelle Problemlösung statt. Viele Teilbereiche im AntiCastorNetz wurden auch autonom organisiert, um mit diesem Problem umzugehen.

In der Frage der Organisations- und Finanzierungsform gab es mehrfach die Option an Fördertöpfe zu gelangen. Aus den Erfahrungen anderer Gruppen wurde jedoch abgelehnt Organisationsformen anzunehmen, die zu einer Verkrustung der Strukturen, zu stärkerer Durchschaubarkeit für Verfolgungsorgane und zu einer Ent-Kreativierung führen würden. Über diese Dinge wurde viel diskutiert und abgewogen. Doch die Erkenntnis, dass das Vorhandensein vieler Gelder für die Kreativität und Handlungsfähigkeit der Gruppe eher nachteilig wirken kann, überwog.

Die Idee war, keine eigenen Finanzen zu organisieren (abgesehen von Spendensammlungen bei Treffen und Veranstaltungen) und stattdessen Ausgaben über Kooperationen mit anderen Gruppen abzudecken. Dies funktionierte auch bis zuletzt. Es waren sogar nach dem faktischen Ende des AntiCastorNetzes irgendwann im Jahr 2003 noch über fünfhundert Euro aus Spenden übrig, die nach und nach für Anti-Atom-Aktivitäten ausgegeben und inzwischen vollständig aufgebraucht wurden.

Bei jedem Plenum gab es den obligatorischen Punkt "Finanzen", bei dem der Stand der Kasse bekanntgegeben und immer aufs neue beschlossen wurde, wieviel Geld bis zum nächsten Plenum wofür bereitgestellt werden würde. Eine Person war dann jeweils für die Verwaltung der Kasse zuständig. Es wurde jedoch gezielt versucht, Finanzentscheidungen für kurze Zeiträume zu treffen, um auch hier Strukturverkrustungen vorzubeugen.

Im Laufe der Zeit kamen jede Menge Materialien zusammen, die archiviert werden sollten, um die Arbeit des AntiCastorNetzes zu dokumentieren. Es fand sich dann auch ein Mensch, die die Verantwortung für das Archiv des AntiCastorNetz übernehmen wollte. Sie entwickelte ein Archivsystem, das fortan genutzt werden sollte. Allerdings kam es aus verschiedenen, vor allem in organisatorischen Problemen begründeten Ursachen nie zum Einsatz.

Aktionen des AntiCastorNetzes

  • Anti-Castor-Picknick in der Fußgängerzone
  • Klima-Atomtod-Theateraktion
  • Tschernobyl-Tag mit schwarzgeschminkten Personen, die Schilder mit kurzen Hinweiswörtern wie "Tod", "Krankheit", "Krebs" etc. trugen
  • Beteiligung an Aktionen gegen das Dresdener Atomforum in "Strahlenschutzanzügen"
  • Die-Ins, z.B. zum Hiroshima-Tag oder Tschernobyl-Tag
  • Pro-Atom-Infostand mit inszinierten Gegenaktionen
  • Bußgeld-Zettel-Aktion anlässlich eines Bußgeldverfahrens wegen Castorblockaden
  • Aktion "Wir sprengen den Bahnhof"
  • Beteiligung an den Versuchen alternativ-emanzipatorischer Straßenfeste
  • Beteiligung an Friedensdemos
  • Beteiligung an Aktionen gegen das Stuttgarter Atomforum
  • Beteiligung am "Regionalen Aktionstag Ökostrom"
  • unzählige Infostände und Flugblatt-Aktionen
  • Besetzung von Schacht Konrad mit anderen Gruppen

Angeregt durch die Aktivitäten des AntiCastorNetzes wurden vor allem in der Anfangszeit auch noch andere Gruppen, die als "daheimgebliebene" mit Spontan-Demos auf Castortransporte, Klimakonferenz etc. aufmerksam machten bzw. aus Protest gegen einen Castortransport militante Aktionsformen verübten.

Es wurden Ausstellungen zu Atomthemen entworfen, Weiterbildungsveranstaltungen im eigenen Kreise organisiert und eine Vernetzung mit anderen Gruppen angestrebt. Bei vielen Delitreffen regionaler Anti-Atom-Strukturen war auch das AntiCastorNetz vertreten.

Es geht abwärts

Von Februar 2001 bis etwa Mitte 2003 war das AntiCastorNetz aktiv. Dabei ist ganz klar die Hochphase in der ersten Hälfte des Jahres 2001 zu finden. Bis Mitte 2002 gab es mit den Aktivitäten zum Stuttgarter Atomforum und der Besetzung Schacht Konrads immer noch Aktionen. Das war auch der Zeitraum, zu dem diese Struktur noch als solche bezeichnet werden konnte. Insbesondere die Plena kennzeichneten die Handlungsfähigkeit des AntiCastorNetzes. Bis zum Ende dieser Aktionsphase waren beim zuletzt nur noch monatlichen Plenum mindestens ein Dutzend Menschen da, und eigentlich auch immer noch Leute aus anderen Gruppen vertreten.

Nach dieser eigentlichen Lebensepoche des AntiCastorNetzes wurden die Plena fortgesetzt, doch die Zahl der Beteiligten und ihre Motivation sank immer deutlicher. Wesentlichen Ausschlag gaben hierbei auch der für einige Monate völlige Rückzug der bereits als dominierend beschriebenen Person aus der Struktur. Hier zeigte sich leider, dass die Gruppe sich zwar soweit entwickelt hatte, einzelne Aktionen eigenständig zu organisieren, die Koordination und Weiterführung jedoch scheiterte.

Doch gewiss spielen auch andere Rahmenbedingungen eine Rolle. Der 11. September 2001 und die daraus resultierenden Repressionen gegen politisch Andersdenkende konnte nicht folgenlos bleiben. Wie in anderen linken Strukturen auch wandten sich einige nun mehr Friedens- oder Antirepressionsthemen zu. Obwohl das AntiCastorNetz sich nie als reine Anti-Atom-Gruppe verstand, war es hier offensichtlich nicht attraktiv genug für diese Themenbesetzung. Andere Leute resignierten - insbesondere nach der Räumung der "Ulrike", eines besetzten Hauses, in dem neben dem AntiCastorNetz auch renommierte Organisationen wie BUND und Greenkids Veranstaltungen abgehalten und es als kulturellen bzw. politischen Raum geschätzt hatten.

Durch die mit dieser Räumung zusammenhängende "Zerschlagung" der alternativen Vernetzungsstrukturen - nach außen als Ermittlungsverfahren wegen terroristischer Aktivitäten, die Menschen aus dem "Ulrike"-Zusammenhang zugeordnet wurden, getarnt - entfielen viele Kontakte zwischen in diesem Falle dem AntiCastorNetz und anderen nicht gruppengebundenen Menschen. Auch die allgemeine Solidarität unter den alternativen Gruppen hinsichtlich ihrer Arbeit sank spürbar, was sich an mangelnder gegenseitiger Information und Unterstützung zeigte.

Zuletzt war die Zahl der Beteiligten an den Plena des AntiCastorNetzes auf ein bis drei gering motivierte Menschen gesunken. Abgesehen von vereinzelten Infoveranstaltungen und der Beteiligung an Infoständen der jetzt wieder relevanteren anderen Umweltgruppen (Greenkids, NAJU, ...) gab es auch keine Aktionen mehr. Zwar war der Wille dazu vorhanden, aber die notwendige Motivation und Energie konnte offensichtlich nicht aufgebracht werden.

Doch war zumindest bei mir (und vielleicht auch den zwei anderen bis zuletzt Beteiligten) noch die Hoffnung vorhanden, es handele sich nur um eine Phase, die wieder vorbeigehen würde. Auch nach 2003, als es schon keine Plena mehr gab, wurde das AntiCastorNetz noch einige Male zaghaft reaktiviert - z.B. als es um die Mobilisierung zu Gorleben-Castortransporten oder die sich entwickelnden Morsleben-Aktivitäten ging. Aber eine Reinkarnation gab es nicht. Dazu fehlten wohl auch die motivierten und handlungsbereiten Menschen. Die alten AktivistInnen haben sich heute entweder aus der politischen Arbeit zurückgezogen oder sind in anderen Gruppen aufgegangen. Die Einsicht, dass das Ende des AntiCastorNetzes unveränderlich ist, wurde nun höchste Zeit.

Emanzipatorische Ausrichtung

Für den Titel dieses Rückblicks habe ich das Wörtchen "emanzipatorisch" gewählt - sehr bewusst, weil meiner Meinung nach diese Struktur, Gruppe oder Zusammenhang, wie auch immer mensch das Organisationsgefüge nun bezeichnen mag, viele emanzipatorische Elemente vereinigte und anstrengte. Mir scheinen hier viele Prozesse und Reflektionsabläufe vorhanden gewesen zu sein, die für einen emanzipatorischen Zusammenhang wichtig sind. In anderen Gruppen ist einiges davon wieder zu verwirklichen versucht worden, aber das Niveau des AntiCastorNetzes nicht erreicht worden. Es stellt sich natürlich die Frage, wieso das damals gelang und heute in anderen Gruppen nicht wirklich funktioniert.

Für eine emanzipatorische Entwicklung ist meines Erachtens entscheidend, dass die beteiligten Leute selbst den Wunsch danach haben und sich dafür stark einsetzen. Das war bis 2002 hinein der Fall beim AntiCastorNetz. Auch lassen sich viele Dinge, wie hierarchiearme Gruppenprozesse besser in Gruppen mit einer entsprechenden Personenzahl ausprobieren und üben. Diesen Anspruch gibt es bei den früher hier aktiven Leuten vielfach zwar noch immer, aber ich glaube, dass Jahre ohne Übung dieser Umgangsformen auch solche Kompetenzen verfallen lassen. Jedenfalls würde ich mir heute nicht anmaßen zu behaupten, einen solchen eigenen Reflektionsgrad beim eigenen Auftreten in größeren Zusammenhängen zu haben, wie er mir 2001 und 2002 beim AntiCastorNetz als ganz selbstverständlich und für den Umgang miteinander als Grundvoraussetzung vorkam.

Wichtig war zum Anfang des AntiCastorNetzes auch, dass die meisten Leute hochmotiviert waren. Nicht nur in Hinsicht auf die eignen Aktionsmöglichkeiten, sondern auch im Vertrauen auf die "linke Szene". Ausgrenzungsversuche, plattes und oberflächliches Auftreten und dominante, kaum reflektierende Verhaltensweisen in der Magdeburger linksradikalen Szene und in der bundesweiten Anti-Atom-Bewegung haben enttäuschend und demotivierend gewirkt. Bei einigen AntiCastorNetz-Leuten hatten diese politischen Realitäten wesentlichen Einfluss auf ihren Rückzug und das heute vielleicht noch kritische, aber insgesamt inaktive Verhalten. Es ist gewiss auch schwer sich in einer kleinen Gruppe motiviert zu halten, wenn die Zusammenhänge, denen mensch sich irgendwie zugehörig fühlt, so ernüchternd schlecht sind.

Das ist gewiss keine für den linken Antifa-Mainstream mittragbare Meinung, sondern stark geprägt durch die Hierarchie- und Herrschaftskritischen Einflüsse, die die AktivistInnen des AntiCastorNetzes durch den Austausch mit der kleinen und politisch unbedeutenden Kreativ-Widerstandsszene genossen. Leider ist es schwer Motivation zum Handeln nur aus dem Bewusstsein anderer Handlungs-, Verhaltens- und Aktionsmöglichkeiten zu schöpfen.

Dass ein "AntiCastor"-Netz derzeit keine großen Chancen für einen Neubeginn hätte, liegt auch an der thematischen Ausrichtung der derzeitigen politischen Gruppen. Neben dem linken Mainstream-Thema "Antifa", das ich eher als selbstverständliches Element jeder emanzipatorischen Gruppe, aber nicht notwendigerweise als alleiniges Schwerpunktthema begreife, sind Frieden und Sozialabbau dominierende Sparten. Dagegen ist auch nichts zu sagen - Anti-Atom hat im Augenblick einfach auch wenig Priorität bei vielen politischen AktivistInnen.

Die emanzipatorischen Elemente, auf die ich vorher hindeutete, sind: Reflektion des eigenen Handelns und Wirkens, der Versuch die politische Auswirkung von Aktionen beispielsweise in herrschaftskritischer Hinsicht zu betrachten, der Anspruch nicht isoliert, sondern vernetzt mit anderen Gruppen und Themenfeldern zu agieren, Dominanzabbau und Kreativität. Nicht alle davon müssen notwendigerweise mit Emanzipation im Zusammenhang stehen, für die Vielfalt und das Wirken des AntiCastorNetzes waren sie jedoch wichtig.

Militanz und Utopie

Wichtig war auch die gegenseitige Toleranz, nicht nur persönlicher Art, sondern auch bezüglich politischer Positionen. Das AntiCastorNetz hat sich beispielsweise nie gegen Militanz oder "Gewalt" positioniert, weil die Frage nach Gewalt falsch gestellt ist. Wenn ich sage, dass ich gegen Gewalt bin (das kann ich im allgemeinen so auch formulieren), bezieht sich das auch auf die staatlich verübte Gewalt mittels Polizei und Justiz, die strukturelle Gewalt durch Schule, Sozialgesetzgebung und andere Vorschriften und nicht zuletzt die psychische Gewalt, die mir und anderen durch Normierung, massenmediale Beeinflussung und Ausgrenzung durch intolerante BürgerInnen angetan wird. Wer mit der Gewaltfrage nur die Gewalt einer politischen Aktion meint, stärkt damit nur die Gewaltmaschinerie des Staates und der damit verbundenen gesellschaftlichen Mechanismen.

Interessanter als die Frage nach Gewalt ist die nach der Ausübung von Herrschaft. Auch Gewalt ist eine Form von Herrschaftsausübung. Wenn ich sie jedoch anwende, um mich einer unterdrückenden Herrschaft zu erwehren, kann sie eine Form der Befreiung sein, die ich nicht als falsch verstehen kann. Jedes Verhalten kann schon Gewalt für einen anderen Menschen darstellen. Wichtig ist daher zu reflektieren wie es wirkt und wer welche Herrschaft dabei ausübt.

Mir scheint überhaupt, dass in allen mir wichtigen politischen Bereichen Herrschaftsausübung das eigentliche Problem bzw. die Wurzel des Übels ist. Erst die Möglichkeit Herrschaft in irgendeiner Form auf andere ausüben zu können, machen Patriarchat, Kapitalismus, Faschismus, globale Umweltzerstörung und so vieles mehr attraktiv und möglich. Anders herum ist für mich beispielsweise Umweltschutz in herrschaftsförmiger Organisation widersprüchlich.

In einem Herrschaftssystem gibt es immer bestimmte mit dieser Macht verknüpfte Handlungsmotivationen. Diese sind mit Machterhalt verbunden und haben wenig mit Umweltschutz oder Emanzipation zu tun. Und selbst wenn Umweltschutz ein machterhaltendes Element würde, stellt sich die Frage, wer sich anmaßen kann zu entscheiden, welche Politik die richtige zur Erhaltung einer lebenswerten Umwelt ist. Jeder Eingriff in die Natur (und diese gibt es notwendigerweise in der Zivilisation) hat Auswirkungen, auch "Umweltschutzmaßnahmen", denn viele Arten passen sich inzwischen an die neuen Umstände an und werden unter den Folgen von Veränderungen zu leiden haben.

Ich glaube, da liegt ein Dilemma, mit dem eine Gesellschaft umgehen muss. Da es kein Wahrheitsmonopol gibt, auf dessen Grundlage jemand über die Köpfe anderer hinweg entscheiden könnte was das richtige ist, halte ich es für sinnvoller eine Gesellschaft und Organisationsformen zu entwickeln, in der Herrschaft und ihre Ausübung reflektiert, erkannt und eingedämmt wird. Entscheidungen werden dadurch nicht richtiger, aber ich finde es sehr wesentlich, wenn Fremdbestimmung reduziert werden kann.

Solchen Utopien wird oft entgegengebracht, dass sie nur einen geringen Organisationsgrad, wenig Komfort und langsamere Entwicklung zulassen würden. Außerdem lägen Konkurrenz und Machtstreben in der Natur des Menschen. Abgesehen davon, dass es diese "Natur des Menschen" nicht gibt, sondern derartige allgemeine Tendenzen Ergebnis von Sozialisation und Konditionierung sind, hat es noch niemand probiert, wie Menschen sich in einer solchen Utopie verhalten werden. Es kann nur spekuliert und theoretisch argumentiert werden; die tatsächlichen Verhältnisse können sich erst in der Praxis zeigen. Doch scheint es mir dieser Versuch wert zu sein, da immer klarer wird, dass das geltende Gesellschaftssystem abgrundtief schlecht ist und diese Utopie - theoretisch - zumindest die Chance für ein faireres und besseres Leben birgt.

Schön fände ich es, wenn sich wieder Zusammenhänge ergeben würden, die emanzipatorische Politik versuchen und ernsthaft im Agieren und auch im Innenverhältnis praktizieren. Im Moment scheinen mir die Chancen dafür nicht gut, auch wenn ich immer wieder auf vereinzelte Menschen stoße, die ähnliches wollen...