2005-03:Fuck the Police ?! Repressionswelle in Mittelhessen

Aus grünes blatt
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Fuck the Police?!

Repressionswelle in Mittelhessen

von Jörg Bergstedt Ein Kreidespruch "Fuck the Police!" führte in Giessen zu einer absurden Verurteilung wegen Beleidigung (§ 185 StGB). Obwohl das Bundesverfassungsgericht im Verfahren um das Tucholsky-Zitat "Soldaten sind Mörder" feststellte, dass es keine Kollektivbeleidigung einer vagen Berufsgruppe gibt. Die SoldatInnen bzw. PolizistInnen müssten schon direkt angesprochen werden. Die Verurteilung im Fall "Fuck the Police!" lässt eine Repressionswelle wegen jeglicher allgemeiner Äußerungen befürchten. Und tatsächlich: wegen Tragen von "ACAB"-Sprüchen wurden bereits neue Strafverfahren eingeleitet.

Erfindung: Beleidigung durch Unterlassung

Wenn mensch in der Nähe steht, wenn eine Beleidigung geschieht, ist das Beleidigung durch Unterlassung. Sagt jedenfalls die Giessener Polizei. Und die Staatsanwaltschaft findet das auch so - kennt man von ihr (siehe Dokumentation über Polizei, Justiz usw.). Die Law-and-Order-Amtsrichterin Kaufmann macht auch gleich einen Strafbefehl klar. Dass zu alledem auch gar keine Person beleidigt wurde, sondern ein irgendwo rumstehender Polizeibeamter durch den Kreide-Schriftzug auf der Straße "Fuck the police" sich selbst als Person beleidigt fühlt, zeigt nur, wie phantasievoll die Gießener Repression arbeitet. Staatsanwaltschaft und Gerichte spielen mit

"Fuck the police" schrieb eine Aktivistin mit Kreide auf den Parkplatz vor der Bereitschaftspolizei in Lich. Grund: Die waren prügelnd nach Köln gegen das dortige Grenzcamp 2003 gezogen. So machten einige eine "Inspektion" der Polizei - Aktionsbericht siehe [1].

Eigentlich ist es klar: "Fuck the police" ist keine Beileidigung, denn "die Polizei" ist nicht ein konkreter Polizist. In Gießen aber ticken die Uhren der über kreative Proteste stinkewütenden Obrigkeit anders. Staatsanwälte und RichterInnen sind willige VollstreckerInnen der Regierenden. Richterin Kaufmann, eine besondere Hardcore-VerurteilerIn, ließ sich denn auch einige Pointen einfallen, wie aus "the police" doch der ganz konkrete Polizist Koch aus Grünberg wurde. Der ist zwar nicht einmal bei der Bereitschaftspolizei Lich, also nicht einmal mit der Aktion gemeint gewesen, aber lest selbst was in Gießener Urteilen gegen Leute aus dem Umfeld der Projektwerkstatt so zu finden ist... die ausführlichen Texte dazu finden sich auf [2].

Die Berufung ... es kommt noch dicker

Das Berufungsverfahren vor dem Gießener Landgericht hatte zweierlei zu bieten - zum einen eine Gewaltorgie der Sicherheitskräfte [3], zum anderen ein Urteil, dass noch desaströser ist als das Urteil der ersten Instanz. Zudem wurde das Polizeivideo vorgespielt. Zu sehen war, dass die Kreidemalereien nicht nach der Rede begannen, sondern viel später. Zeuge Koch von der Polizeistation Grünberg hatte also gelogen - und hat inzwischen auch eine Anzeige wegen Falschaussage kassiert.

Doch das Berufungsurteil bietet noch mehr - ein prägnantes Beispiel, dass RichterInnen in Gießen einfach nicht alle Tassen im Schrank haben! Auszüge aus dem Urteil und Kommentare auf der schon genannten Internetseite.

Das Gericht behauptet sogar, "Fuck the police" würde gar nicht die "Polizei als solche" meinen. Wenn aber "the police" nicht "die Polizei" meint, was dann?

Revision ist eingereicht. Ob allerdings das Oberlandesgericht nicht auch dem langen Arm der Law-and-Order-Regierung unterliegt, muss mensch sehen:

OLG bestätigt Landgerichts-Urteil

Ende Oktober 2005 bestätigt das Oberlandesgericht Frankfurt am Main das Berufungsurteil im "Fuck the police"-Prozess. Obwohl es sich ohnehin nur auf eine rechtliche Prüfung beschränken konnte, da es bei der Revision ausschließlich um Verfahrensfehler geht, lässt sich die Kammer des OLG ausführlich dazu aus, warum "Fuck the police" konkrete Polizeibeamte beleidigen kann - wie bereits das Landgericht begreift es "fuck" als Ausdruck der Fäkalsprache , wobei unklar bleibt, was "fuck" eigentlich direkt mit Fäkalien zu tun hat, aber gut.

Bemerkenswert: Die Kammer des OLG schafft es, dass Bundesverfassungsgericht und dessen richtungsweisendes Urteil zu zitieren, dass unüberschaubar große Gruppen nicht beleidigungsfähig sind, um dann auf der nächsten Seite zu erklären, dass dieser Umstand egal ist... man ist geneigt zu formulieren: "the OLG gives a fuck about Verfassungsgericht"...

Was bedeutet "Fuck"?

Ganz unfreiwillig ist die Gießener Allgemeine zum Kronzeugen geworden gegen das absurde Urteil. In einem ganz anderen Zusammenhang sinnierte die Zeitung über die Bedeutung des Wortes. Und kam zu einem Ergebnis, dass wohl kaum eine Beleidigung wäre... aber natürlich, Gießener Gerichte leben halt in ihrer eigenen Wirklichkeit - und verfolgen vor allem Interessen!

Allerdings zeigte Vaupel inzwischen selbst, dass es ihm nur um die Kriminalisierung ging. Denn inzwischen hat er ein weiteres Ermittlungsverfahren angezettelt - und zwar gegen den Autor eines Textes über das Fuck-the-police-Gerichtsverfahren. Dieser Text war übertitel mit "Fuck the police?" - und genau das wertet Vaupel jetzt auch als Beleidigung, um den Autor zu kriminalisieren. In seinem Text lässt er sich dahingehend aus, dass ein Fragezeichen den Inhalt eines Satzes gar nicht verändert... mit Grammatik scheint Vaupel sich nicht so auszukennen bzw. sein Verfolgungswahn hat ihm jegliche Denkfähigkeit geraubt. Mehr dazu auf [4].

Weitere Infos zur vermeintlichen Beleidigung durch Kritik an Polizei:

Manche sind gleicher als andere

Bemerkenswert ist, dass das OLG Frankfurt selbst eine Reihe von Urteilen in der Vergangenheit gefällt hat, die klar gegensätzlich sind dem "Fuck-the-Police"-Revisionsspruch. Hier entsteht der Verdacht, dass der Personenkreis, der verurteilt wurde, anders behandelt werden sollte - vielleicht weil die Landesregierung es so wollte?

Beispiele für Freisprüche für deutlich derbere Beschimpfungen von Staatsorganen durch das OLG Frankfurt:

  • „Jeder Soldat ist ein berufsmäßiger, trainierter Mörder, jeder Ausbilder ein Anstifter zu Mordtaten, jeder Luftwaffenpilot ein professioneller Bombenwerfer, jeder Waffenwart ein Bombenbastler, jeder Musiker einer Militärkapelle ein public-relation-Mann des Todes, jede Armee ist eine Terrorbande.“(OLG Frankfurt, 26.5.1982, Freispruch)
  • „Nebenbei bemerkt ist für mich jeder deutsche Soldat (Polizist, Jurist) aus der BRD ein potentieller Judenausrotter (sind nur leider keine mehr da) und Säuglinge-mit-dem-Kopf-an-die-Wand-Klatscher, wie es ja wohl auch neben dem Skatspielen eine der Lieblingsbeschäftigungen der deutschen Wehrmacht (Polizei, Justiz etc.) im 3. Reich war.“(OLG Frankfurt, 11.11.1983: Freispruch)

Weitere Quellen

Weitere Links