2007-01:Kein "Schöner Wohnen" in dieser Zeit

Aus grünes blatt
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Kein "Schöner Wohnen" in dieser Zeit

Offenes Projekt im Entstehen

fb Es ist ein großes Haus mit Raum für Seminare, Werkstätten, Medienplattform, Bibliothek und mehr. Anlaufpunkt und Ausgangsbasis für emanzipatorisch interessierte politische Leute. Aber auch offen für alle Anderen und Reibungsfläche mit der Normalität. Ein großes Grundstück bietet Platz für Garten, Wägen, Anbauten und neue Ideen. Hier gibt es keinen Vorstand, der festlegt was zu geschehen hat, und kein Plenum segnet die Vorschläge kreativer Menschen ab. Das Haus, die Projekte darin und drumherum sind ein laufender Prozess aus Kommunikation, Aktivitäten und Veränderung. Da es niemanden gibt, "die den Hut aufhat", tauschen sich die Menschen hier über ihre Ideen und Vorhaben aus und teilen einander mit, wenn sie Probleme sehen. Kritik ist willkommen, alles kann in Frage gestellt werden, aber die Entscheidung darüber, was sich dann auch wirklich verändern wird, liegt immer bei denen, die konkret betroffen sind.

Gerade laufen die ersten Aktivitäten zum Ausbau des Hauses, ein günstig erworbenes sanierungsbedürftiges Gebäude mit wild bewachsenem Gelände drumherum am Rand der Siedlung. Eigentümerin ist jetzt eine Stiftung, die aber über einen speziellen Vertrag allen an der Nutzung interessierten Menschen freie Gestaltungsmacht übertragen hat. Nur eine Privatisierung oder Kommerzialisierung darf nicht geschehen. Das Haus, das Grundstück und alles darauf und darin ist "enteignet". Es gibt kein Privateigentum oder Kollektiveigentum. Hier wird experimentiert mit "Horizontalität" - dem Umgang miteinander "auf gleicher Augenhöhe", also mit dem Anspruch einer umfassenden Gleichberechtigung.

Aber zurück zu den Bauarbeiten. Holz und anderes Material wurden "containert" (aus den Abfallcontainern von Firmen und Händlern "gerettet" und weiterverwendet), von Baumärkten und Handwerksbetrieben gespendet oder im Tausch gegen Werbeanzeigen in einer befreundeten Zeitung erworben. Das wenige Geld, das noch gebraucht wurde, kam von einer Stiftung, denn dieses Projekt ist gleichzeitig Modell für ökologisches Bauen. Auf ähnliche Art und Weise wurden auch Geräte und Technik besorgt. "Selbstorganisation" heißt das Prinzip, an dem sich hier orientiert wird - der Versuch, möglichst unabhängig vom "Markt" und vom Zwang zu Lohnarbeit und ähnlich zeitaufwendigen Geldbeschaffungsmaßnahmen zu werden und trotzdem alles nötige - und machmal noch mehr - zur Verfügung zu haben.

Während eine Gruppe junger Menschen aus verschiedenen Teilen Europas einen Anbau aus Strohballen errichten - hier sollen einmal Seminar- und Schlafräume entstehen, werkeln Andere im Haus, reißen alte Zwischenwände ein und gestalten das Innere völlig neu. Hier soll einmal ein lokales unabhängiges Medienzentrum (in der Art der Independent Media Centers - IMCs - siehe http://de.indymedia.org) seinen Platz finden und Raum für weitere offene Büroinfrastruktur geschaffen werden. Die Leute kommen aus ganz verschiedenen Projekten, die sich immer wieder gegenseitig unterstützen, aus Politgruppen von überall her oder haben einfach von dem neuen Projekt gehört und fanden es spannend, hier eine Weile mal aktiv zu werden.

Es gibt keinen festen Plan, wie alles einmal werden soll. Für einzelne Bereiche (z.B. die Medienplattform oder den Strohballenbau) haben sich interessierte Leute zusammengefunden, die weitestgehend autonom überlegt haben, was passieren soll. Natürlich haben sie sich auch mit anderen ausgetauscht, damit entstehende Flächen sich gegenseitig ergänzen und einander nicht im Wege stehen. Und auch für die Materialorganisation besteht ein reger Austausch, da es unsinnig wäre, wenn alle nur das besorgen, was sie selbst brauchen. So ist schon der Bauprozess ein in Ansätzen utopisches Unterfangen.

Auch wenn in einigen Monaten die dringensten Arbeiten geschafft sein werden, wird das Bauen und Werkeln immer weitergehen. Das Projekt hat keinen Endzustand, denn es ist Raum genug, um immer neue Ideen umzusetzen. Gerade trifft sich ein Grüppchen, das hier eine kleine Druckerei einrichtichten will und überlegt, welche Räume dafür mitgenutzt werden könnten und was noch angebaut werden muss.

Diese Geschichte ist (noch) fiktiv. Aber es gibt verschiedene Menschen, die etwas ähnliches initiieren wollen. Erste Ansätze dazu wurden in einer Internet-Wiki-Seite zusammengetragen (http://web-designing.de/projekt/wiki). Aber Internet und Computer sollen nicht die einzigen Kommunikationsebenen sein. Du kannst beispielsweise im Jugend-Umweltbüro anrufen (+49 391-55 70 753) oder mit den Beteiligten ins Gespräch kommen und mitmachen.

Übrigens, zum Titel "Schöner Wohnen": Die bisher an der Projektidee Beteiligten waren sich in einem schon sicher - dass dies kein weiteres "Schöner Wohnen"-Projekt mit ein bisschen politischem Anspruch werden soll, sondern es um ein politisches Zentrum geht, wo aktive Leute selbstverständlich auch leben können. Dieses Zentrum soll nicht das Projekt einiger Leute werden, die hier nun ihren Schwerpunkt sehen. Vielmehr geht es um die Idee eines Netzwerkes "Offener Räume", von denen dieser nur einer ist. Diese Projekte sollen nicht speziellen Gruppen zugeordnet sein, sondern von immer wechselnden Menschen genutzt und "betrieben" werden. Damit wäre es ein Teil des Netzwerkes, das auch als "Widerstands-NomadInnen" diskutiert wurde.


Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst von Politisierung und Emanzipationsprozessen...

fb Nein, es soll nicht um den Kommunismus oder eine seiner Spielarten gehen, auch wenn der Titek an einen bekannten Satz im "Kommunistischen Manifest" anlehnt. Es geht hier um politische Vorstellungen zur Wirkungsweise und Entwicklung des "Schöner Wohnen"-Projekts.

Irgendwo am Rand eines Dorfes oder einer Stadt - und gleichzeitig mit angrenzender Natur, z.B. einem Wald - steht eine Projektwerkstatt. Das ist ein größeres Gebäude mit viel Außengelände, wo sich Werkstätten, Büroräume und Archive befinden. Insgesamt all die Infrastruktur, die politische Projekte, Kampagnen und Aktionen ermöglicht und erleichtert. Der Standort wurde mit Bedacht gewählt. In die Überlegungen flossen die Verkehrsanbindung (gute Erreichbarkeit per Trampen und Wochenendticket-Reisen), Selbstorganisationsmöglichkeiten (z.B. zum Containern oder Schnorren von Material und Lebensmitteln), politische Rahmenbedingungen (wie wichtige Institutionen oder lokale Gegebenheiten) und die Verteilung anderer Offener Raum-Projekte mit ein. Somit ist der Rahmen der Möglichkeiten hier gut bis ideal für selbstorganisierte politische Aktivitäten.

Am anderen Waldrand ist eine umgebaute ehemalige Gartenlaube, das "Haus des Waldes". Hier gibt es einen kleinen Versammlungsraum und Infotafeln an den Wänden. Von diesem Haus ausgehend finden ab und zu naturkundliche Exkursionen statt und von hier aus werden auch Informationsveranstaltungen zu allen möglichen ökologischen Themen organisiert. Dadurch hat das "Haus des Waldes" Bekanntheit als Umweltorganisation bekommen, die auf lokale Besonderheiten hinweist, den Menschen vor Ort die Natur "vor der Haustür" nahebringt, aber auch auf globale Zusammenhänge eingeht. Immer wieder gibt es hier auch fundamentalkritische Veranstaltungen, z.B. zur komplett verfehlten Klimaschutzpolitik oder wo der sogenannte "Atom-Konsen" als Atomkraft-Verlängerungsvertrag demaskiert wird. Die Leute, die im "Haus des Waldes" aktiv sind, haben sich mit anderen NaturschützerInnen in Verbindung gesetzt und vernetzen ähnliche Aktivitäten. Sie arbeiten sich in regionalspezifische Themen ein un informieren darüber. Da Naturschutz ein Einstiegsthema für politische Arbeit auf niedrigem Level ist, werden hier viele "einfache Leute" erreicht und für weitergehende Themen sensibilisiert.

Genauso autonom organisiert wie das "Haus des Waldes" hat sich ein Grüppchen von Leuten zusammengefunden, das jede Woche in der Innenstadt eine öffentliche Volxküche veranstaltet. Da können dann an einem kleinen Stand mit Tischen und Bänken alle, die es wollen, kostenlos oder gegen Spende essen und sich über dies und das informieren. Häufig hat die Volxküche ein Thema und sie wird auch darüber hinaus von verschiedenen Gruppen zum regen Austausch genutzt. Das Essen ist fast vollständig containert oder geschnorrt und das wöchentliche Gratisessen wird auch zum Anlass genommen, die Ideen von Umsonstökonomie und Selbstorganisation zu verbreiten. Die Volxküche arbeitet auch eng mit der neu gegründeten örtlichen Lebensmittelkooperative zusammen. Dort sind Menschen organisiert, die den vorhandenen gesellschaftlichen Reichtum effektiv gemeinsam nutzen wollen, abwechselnd containern, sich zum gezielten Spendenanfragen bei lokalen HändlerInnen und überregionalen Biofirmen verabreden und weitere alltägliche Organisationsarbeiten koordinieren. Zum Beispiel das wöchentliche Aufstrichkochen. Verschiedene Leute bereiten aus übriggebliebenen containerten oder überschüssigen selbstangebauten Früchten Marmeladen und würzige Aufstriche, die sie dann austauschen und innerhalb der Kooperative verteilen. Immer wieder werden neue "Connections" zu Firmen und Projekten in der Region aufgebaut, die weitere Lebensmittel und anderes Sinnvolle beinhalten.

Einmal pro Woche wird ein Bauwagen, der als Umsonstladen gestaltet wurde, in die Innenstadt gezogen. Auf dem Gelände der Projektwerkstatt hat er immer geöffnet, in der Stadt dagegen nur zu bestimmten Zeiten. Die Bewerbung dieses Projekts in den Medien und über Postwurfsendungen hat dazu geführt, dass viele BürgerInnen Klamotten, Geräte, Bücher und vieles mehr, das sie nicht mehr brauchen, vorbeibringen und anderen daher kostenlos bereitstellen. Auch der Umsonstladen dient der Thematisierung einer alternativen Ökonomie, die nicht auf dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung aufbaut. Er ist aber auch für die Leute aus den verschiedenen Projekten Quelle aller möglichen Dinge, die so gebraucht werden können.

Von hier aus hat sich auch ein "Infrastrukturpool" entwickelt. Dieser ist im Wesentlichen ein Infosystem, in dem Leute mitteilen, welche Geräte(z.B. Bohrmaschine, Motorsäge), Infrastruktur (Telefon- oder Internetflatrate) und Kompetenzen (z.B. Englisch-Nachhilfe) sie Anderen zur Verfügung stellen wollen. Da kaum jemand ihre Gerätschaften ständig nutzt, haben viele - auch "normale" - BürgerInnen festgestellt, dass sie sich solche teilen können und damit auch Geld sparen. Auch der lokale Tauschring ist in Infrastrukturpool und Umsonstladen eingebunden. Allerdings löst er sich allmählich auf, da seine Mitglieder festgestellt haben, dass sie genausogut ihre Leistungen auch ohne Gegenwert bereitstellen können, weil so viel mehr Leute ihrerseits Material und Know-How anbieten und in der Gratisökonomie die Verwaltung der Tauschring-Währung wegfällt.

Dies sind nur einige Projekte aus dem Umfeld des "Schöner Wohnen"-Projekts (dessen Titel auch dringend verändert werden sollte), genügen aber bereits, um einige wichtige Vorgehensweisen und Wirkungen zu demonstrieren: die Autonomie der einzelnen Projekte, die Vermittlung tiefergehender Kritik und Utopieansätze über Einstiegsangebote an Nicht-Politaktivistis sowie die Kooperation zwischen den Projekten. Zwar wurde einiges davon von den neu hinzugezogenen Aktivistis initiiert, aber diese haben sich frühzeitig in Verbindung mit lokalen Gruppen und den "Menschen auf der Straße" gesetzt und so laufen verschiedene Projekte von Anfang an eigenständig und selbstverantwortlich. Auch ein neues Medium hat mit den Aktivistis Einzug in die Stadt genommen: das "Unabhängige X-Dorfer Wochenblatt", das in der Medienplattform der Projektwerkstatt zusammengestellt wird. Es ist eine Mischung aus Indymedia-Nachrichten, selbstgeschriebenen Artikeln und Lokalnews Querbeet von Politik über Kultur bis zu den Kommunalinfos, die immer mit dabei sein müssen. Besondere Bedeutung haben die LeserInnenseiten, wo Kommentare und Diskussionen des Publikums abgedruckt werden. Regelmäßig lädt die Zeitung auch zu Medienworkshops ein, damit sich auch "ganz normale Leute" zutrauen etwas für die Zeitung zu schreiben. Anfangs wurde die Zeitung in alle Briefkästen eingeworfen. Da sich auf das Abo-Angebot hin eine Vielzahl von Leuten zurückgemeldet hat, entsteht gerade die Idee, der alten konservativen Tageszeitung ernsthafte Konkurrenz zu machen.

Dass alle Einzelprojekte voneinander unabhängig organisiert sind, hat viele Vorteile. Beispielsweise sinkt das Risiko einschneidender Konsequenzen beim Scheitern eines Projekts, weswegen auch leichter mal experimentiert werden kann. Auch die üblichen Aversionen gegenüber allzu radikalen Gruppen kommen nicht voll zum Tragen, da die jeweiligen Projekte unabhängig voneinander auftreten. Es gibt auch keine zentrale Steuerung und nur wenige personelle Überschneidungen, dafür aber viel Austausch und vielfältige Erfahrungen mit alternativer Organisation. Selbst der Staatsschutz, der längst aufmerksam geworden ist, blickt hier nicht durch.

Inzwischen hat sich auch einiges organisatorisches Wissen angesammelt, von dem möglichst Viele profitieren sollen. Damit das Wirklichkeit wird, finden immer wieder unterschiedliche Selbstorganisationsseminare statt. Zum Beispiel zum Stellen von Finanzanträgen, zur Vereinsorganisation und Workshops zum effektiven Spendenaquirieren. Einige der Projekte werden über EU-Mittel finanziert, andere von Stiftungen bezahlt. Dabei entstehen immer wieder Überschüsse, die für neue Projekte mitgenutzt werden können. Ziel ist immer eine geldunabhängige Organisation der Projekte, was aber nicht immer völlig umgesetzt werden kann.

Bekanntlich steht das "Schöner Wohnen"-Projekt nicht isoliert für sich, sindern ist Teil eines Netzwerkes Offener Räume. Hier aktive Leute organisieren auch in anderen Städten Projekte und vernetzen sich miteinander. Dabei entstehen Zweck-Kooperationen (z.B. steht die Druckmaschine auch anderen Projekten zur Verfügung) und ein reger Austausch über Strategien, Methoden und Erfahrungen. Eine noch nicht ganz ausgereifte Idee ist ein Selbstorganisationskongress, der regelmäßig in mehrjährigem Abstand aus diesem Netzwerk heraus - aber auch offen für weitere Aktivistis - veranstaltet werden soll. Bislang fanden zu einzelnen Themen (z.B. Finanzierungsworkshops, Dominanzabbau-Seminare, Selbstorganisations-Trainings) Weiterbildungsveranstaltungen statt, die in diesem Kongress zusammengeführt werden könnten. Dann werden wieder einzelne Themenstränge autonom organisiert, der Gesamtrahmen aber effektiver bereitgestellt. Ein bisschen erinnert diese Idee an den Jugendumweltkongress, allerdings ist dies hier zielorientierter und mit höherem Anspruch an Koordination und Organisation. Der Kongress soll dem Austausch der bereits Aktiven, dem Aneignen weiterer Kompetenzen, aber auch der Erreichung bisher nicht aktiver Menschen dienen.

(Wie vermutlich schon zu bemerken war, handelt es sich hier um die fiktive Beschreibung eines Projektes, das aber so oder ähnlich Wirklichkeit werden soll. Daran Interessierte sollen sich bitte melden - z.B. unter magdeburg@projektwerkstatt.de.)