2007-03:Erfahrungsbericht - Camp for Climate Action UK - Das Camp

Aus grünes blatt
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Während sich ein anderer Artikel mit den Aktionen, die auf dem diesjährigen Camp for Climate Action stattgefunden haben, beschäftigt, handelt dieser Artikel von den anderen beiden Grundsäulen des Climate Camps. Namentlich "Emissionsfreies Leben" sowie "Vernetzung und Workshops."

jhc. Vom 14. - 21. August fand das Camp for Climate Action („Klima-Aktions Camp“) in direkter Nähe des Londoner Flughafens Heathrow statt. Die drei Säulen auf denen das Camp basierte waren treibhausgas-neutrales Leben auf dem Camp, Vernetzung und Bildung durch ein vielfältiges Workshop-Programm sowie Direct Actions oder Direkte Aktionen gegen die Wurzeln des Problems „Klimawandel“ in der geteilten Überzeugung, das wir die Lösungen selbst in die Tat umsetzen müssen und nicht auf Wirtschaft und Regierungen vertrauen können. Dieser erste Erfahrungsbericht konzentriert sich auf die ersten beiden Aspekte des Camps. Ich selbst war vom 12. bis zum 18. August vor Ort. Ein zweiter ausführlicher Bericht, der sich auf die Aktionen konzentriert folgt in Kürze.

Nächtliche Feldbesetzung – "Taking the Site"

zweistöckiges Tripod

Nach langem Warten auf den Anruf der "Feldbesetzer–Gruppe" um den genauen Ort des Campes mitgeteilt zu bekommen geht es dann endlich los: In einer Nacht–und–Nebel Aktion wird in der Nacht zum 12. August ein Feld in unmittelbarer Nähe zum Flughafen London–Heathrow besetzt. Ca. 100 Menschen errichten zwei zwei–stöckige Tripods um die Räumung des Feldes so gut wie unmöglich zu machen.

Die Polizei, die einige Zeit braucht um den Ort des Campes überhaupt zu finden, wartet gleich zu Beginn mit Schikanen auf. Handy–Daten werden kopiert, Menschen unter Terroristen–Paragraphen durchsucht. Ankommende Materialtransporte für Infrastruktur (Strom, Wasser, sanitäre Anlagen) zu Beginn von der Polizei zurückgehalten, sodass vorerst nur einige Zelte aufgebaut werden können. Die erste Nacht müssen die Aktivisten im Sitzen und frierend in ihren Schlafsäcken verbringen. Alle ankommenden HelferInnen werden fotografiert, gefilmt und nicht selten komplett durchsucht. 2 Menschen werden aus haarsträubenden Gründen (Besitz einer Studenten–BahnCard ohne Studenten–Nachweis) vorläufig fest bzw. in Gewahrsahm genommen.

Gleich zu Beginn mischt sich die lokale Bevölkerung unter die Klimacamper in der Hoffnung, dass das Camp ihrem schon Jahre andauernden Kampf gegen eine dritte Start– und Landebahn wieder neue Kraft gibt.

Aufbau und Infrastruktur – "Permaculture in Practice"

Grauwasser-Filteranlage

Auch am nächsten Tag werden nur willkürlich und sporadisch Fahrzeuge zum Camp durchgelassen. Die meisten Materialien müssen von den knapp einen Kilometer entfernten Straßensperren zum Camp getragen oder in Schubkarren und Mülltonnen zum Camp gefahren werden. Die Polizei zeigt Präsenz, auch auf dem Campgelände, wird jedoch von jeweils 2 Campteilnehmern begleitet und davon abgehalten brauchbare Informationen zu sammeln. Außerdem bauen die Beamten Flutlichter, Telemikrophone und mobile Kameraüberwachungen auf um das Camp 24–Stunden lang observieren zu können. Ein Polizeihelikopter patrouilliert regelmäßig über dem Camp. Die bürgerlichen Medien sind zu Hauf vor Ort.

Trotz der Repression nimmt das Camp mit dem Ziel eines temporären "Ökodorfs" Gestalt an. Die Stimmung ist gut und es wird viel gelacht und gewerkelt. Für die erwarteten 1500 Teilnehmer werden Komposttoilletten, mobile Pflanzenkläranlagen, Solarduschen, Waschstationen (sogenannte "Rocket–Stoves" also holzbefeuerte Öfen zum Wasserkochen), zahlreiche VoKüs (Volksküchen), Workshop–, Wohlfühl/Chill–Out–, Kinder–, Erste–Hilfe, Indymedia–, Kino–, Bar– und Orgazelte aufgebaut. Recyclingsysteme für den Müll stehen schon nach den ersten beiden Tagen.

Um eine wichtige Frage vorab zu klären: Die wertvollen und fruchtbaren Ressourcen, die in den unter den Kompostklos postierten Mülltonnen anfallen, sowie die vollgepinkelten Strohballen gingen nach dem Camp an lokale Bio–Bauern, die das ganze zu gutem und hygienischen Kompost verarbeiteten und auf ihrem Hof ausbrachten.

Die Materialien für die Infrastruktur sind zum überwiegenden Teil in London containert worden und damit direkt recycelt oder werden von den regionalen Vorbereitungsgruppen aus ganz England, Wales und Schottland mitgebracht. Überall tauchen Solarpanels und Windräder auf, die für die CO2–neutrale Stromversorgung des Camps sorgt. Das pedalbetriebene Soundsystem ist natürlich auch nicht vergessen. Strom gibt es Dank starkem Wind im Überfluss.

Leben im Camp – "Low–Impact Living – Hight Impact Acion"

Am 14. August öffnet das Camp offiziell seine Tore. Schon in den letzten Tagen haben sich die verschiedenen Regionen in England zu Neighbourhoods oder Nachbarschaften im Camp zusammengefunden und das Camp damit in verschiedene lokale Sektoren aufgeteilt. Sie stärken somit das Prinzip der Dezentralisierung, das für die Entscheidungsfindung auf dem Camp durchaus hilfreich ist. Alle Nachbarschaften haben ihre eigenen kleinen Besonderheiten und spezielle Atmosphäre. In "Schottland" wehen grün–schwarze Fahnen, und "Wales" hisst seine Nationalfahne neben rot–schwarzen Flaggen. Viele Nachbarschaften haben ihre eigenen Küchen, in denen die jeweiligen "Bewohner" versorgt werden. Darüber hinaus gibt es eine Zentralküche die alle anderen Aktivisten versorgen, die nicht in den Nachbarschaftsküchen essen.

Auch für ein buntes Kinderprogramm wird gesorgt. Eine der größten Attraktionen ist wohl das "Rinky–Dink" aus Nottingham, in Worten schwer zu beschreiben, es fährt, ist bunt und produziert sogar noch Strom für Musik. Durch das Angebot angelockt, besuchen Schulklassen und Pfadfinder–Gruppen das Camp und lernen über die verschieden ökologischen Maßnahmen vor Ort.

Es gibt 2 Kinozelte mit interessantem Kinoprogramm, ein Indymedia Zelt mit gut 12 internetfähigen Rechnern die zu bestimmten Zeiten benutzbar sind. Auch ein Fahrradverleih mit für alle zugänglichen Aktionsrädern wird vor Ort von der "Lancaster"–Nachbarschaft zur Verfügung gestellt.

Skandalös sind hingegen die immer wieder auftauchenden Schikanen der Polizei die den Campteilnehmern ihrer Grundbedürfnisse wie Hygiene und Essen beraubt. Essenslieferung werden nicht aufs Campgelände gelassen. Transporter mit Baumaterialien für Wasserversorgung aufgehalten. Als aber die ersten Essenslieferungen eintreffen wird gleich fleißig geschnippelt. Bio und regional wo immer möglich. In der "South–Western" Nachbarschaft kocht der "Anarchist Teapot".

Unangenehm könnte mensch die Massen an Journalisten und Fotographen emfinden, die in den "Besuchsstunden" über das Camp "geführt" werden. Zeitweise geraten diese "Führungen" aber außer Kontrolle und wer Erfahrung mit Pressephotographen hat, weiß, dass sie schwer kontrollierbar sind.

Ein riesiges Workshop–Programm sorgt dafür, dass es auch intellektuell nie langweilig wird. Das Angebot ist so vielfältig wie die Teilnehmeren des Camps die aus allen Spektren der politischen, sozialen Bewegungen und der Bevölkerung kommen. Von morgens halb 10 bis spät abends wird debattiert und diskutiert. Eine immer wieder auftauchende Schlussfolgerung ist "Social Change not Climate Change". Der Klimawandel ist nicht aufzuhalten ohne radikale soziale Veränderung. Von der "Anarchist Federation", "Rising Tide" oder der "Islamic Foundation for Ecology and Environmental Sciences" bis hin zu Greenpeace, Friends of the Earth (BUND in der BRD) und christlichen Hilfsorganisationen ist alles dabei. Entscheiden soll jeder selbst. Auch praktisches wie "Arbeiten mit der Sense", "Permakultur in der Praxis und im Climate Camp" oder Wildkräutersammlungen sind dabei. Diese Offenheit ohne Aufgabe des radikalen Anspruches auf Umweltschutz "von Unten" ist wohl eine Vorraussetzung dafür, dass am Hochpunkt gut 1300 Aktivisten auf dem Camp sind und vielleicht noch mehr an den Aktionen teilnehmen.

Umgang mit Polizei und Gewaltfreie Verteidigung des Camps – "Out, out, out!"

Zwei zweier–Pärchen von "Community–Police"–Beamten patrouillieren von früh morgens bis spät Abends im Camp. Es werden jedoch rotierende "Begleitungen" für die Polizei organisiert, sodass jeweils 2 Leute die Beamten "im Griff" haben. Außerdem gibt es 4 Wachposten rund um das Camp um die Bullen im Auge zu behalten und einen fünften Anprechpartner im Camp, der dort mögliche unerfreuliche Ereignisse weiterverbreiten kann. Diese Aufgaben werden rotationsförmig übernommen, sodass sie 24 Stunden besetzt sind. Weiterhin wird die Polizei nicht selten von Aktivisten mit Bannern daran gehindert zu filmen oder Photos von Individuen zu schießen.

Datei:2007-03-cca polizei gedrängel.jpg
Gedrängel mit der Polizei

Zu einem Zwischenfall kommt es, als am Abend des ersten Camptages ca. 30 Polizisten das Camp unangekündigt, mit Pfefferspray gerüstet betreten. Sofort wird das Camp alarmiert und ein menschlicher Block durch Ketten geformt die sich gegen die anrückenden Bullen stemmen und diese unter lauten "Out"-Rufen nach und nach zurückdrängen. Zeitweise wird wild mit Pfefferspray herumgesprüht, was jedoch eher die Polizei beeinträchtigt als die vielen oft vermummten Widerständler. Den sich Entgegenstellenden wird zeitweise an die Gurgel gegangen und ein Mensch durch Schläge der Polizei leicht verletzt bis diese entgültig vom Camp "entfernt" wird. Kurz nachdem die Bullen vom Feld gedrängt sind, machen sich im Hintergrund "Riot–Police" und "Robo–Cops" fertig, von deren Einsatz aber letztendlich abgelassen wird. Beachtlich ist hier die konsequente Gewaltfreiheit aller Protestierenden, die wohl dafür verantwortlich ist, dass das Camp nicht geräumt wird. Dass es überhaupt zu dieser Situation kommt liegt daran, dass die Fläche des Camps nicht durch einen Zaun oder ähnliches, den die Bullen beschädigen müssten um uns zu erreichen, geschützt ist. Wäre das der Fall, würden sich die Bullen laut "Besetzer"–Gesetz der Sachbeschädigung strafbar machen, zumindest bis ein Gericht die Besetzung für Unrechtmäßig erklärt. Das ganze kommt aber wie gesagt nicht zur Anwendung, das Camp ist nur mit Plastikbänken markiert, aber nicht anderweitig gesichert.

Entscheidungsfindung – "Consensus Decision Making"

Die Strukturen für Entscheidungsfindungen sind trotz Dezentralität relativ komplex. Da es eine Massenaktion am Ende des Camps geben soll, auf die sich "das ganze Camp", außer natürlich den autonomen Bezugsgruppen, die wissen was sie vorhaben, einigen sollen, gibt es oft intensive und ausschweifende Plena die im Konsensverfahren arbeiten. Wer sich schonmal mit dem Thema Konsens beschäftigt hat, weiß wie das mit einigen hundert Menschen enden kann. Daher werden auch viele Entscheidungen an die Nachbarschaftstreffen am Morgen delegiert, die dann jeweils Sprecher zu einem weiteren Treffen schicken. Außerdem werden in den Nachbarschaften auch Sprecher für ein "Notfalls–Plena" ausgewählt das schnelle Entscheidungen treffen muss. Insgesamt bleibt mir der Entscheidungsfindungsprozess ein wenig schleierhaft, was aber wohl auch daran liegt, dass mein Interesse an ellenlangen Plena nicht sonderlich hoch ist. Dennoch halte ich Entscheidungen für Großaktionen mit vielen Menschen nicht für unproblematisch und denke, dass kleine Bezugsgruppen oft mehr ausrichten können. Das Climate Camp in England hat da jedoch eine gute Mischung finden können, die eine vielzahl von Zielen abdeckt.

Zu einem nicht ganz aufgeklärten Streit kommt es als die Wachposten einige Ankömmlinge die der "Socialist Workers Party (SWP)", einer trotzkistischen Partei, zugerechnet werden, anhalten, durchsuchen und Flyer und Pamphlete "beschlagnahmen". Dieser Vorgang basiert auf der vorangegangen Entscheidung, dass keine politische Partei offen auf dem Camp vertreten sein soll. Das sich die SWP daran nicht hält, wird von einigen im Camp erwartet. In der Londoner Nachbarschaft gibt es stark auseinandergehende Meinungen dazu. Von voller Zustimmung bis reservierter Ablehnung des Vorgehens der "Wachposten".


Die Aktionen – Eine Übersicht – "She superglued herself to the gate!"

Da ich am letzten Tag, an der die "Mass–Action" stattfinden sollte, nicht mehr dabei war, kann ich hier nur eine kleine Übersicht an Dingen geben, die gelaufen sind:

16. August

  • Größere Bezugsgruppen blockieren unter anderem mit "Lock–Ons" für mehrere Stunden zwei Flughäfen außerhalb Londons, die ausschließlich private Geschäftsflüge anbieten. Es gibt zahlreiche Verhaftungen.

17. August

  • Eine Bezugsgruppe besetzt die Büros eines Billigflug–Anbieters für mehrere Stunden.
  • Eine Bezugsgruppe von ca. 10 Menschen hat das Verkehrsministerium lahmgelegt. Einige Aktivisten haben sich mit Sekundenkleber an die Türen geklebt und damit den Arbeitsalltag der Mitarbeiter durcheinander gebracht.

18. August

  • 40 Aktivisten besetzen das Gelände von "Carmel Agrexco" und verwüsten deren Büroräume. Die Firma gehört zu 50 % dem israelischen Staat und handelt nach Überzeugung der Aktivisten mit "illegalen Siedlungs–Gütern" der West–Bank. Diese unterstützen nicht nur die "israelische Apartheid–Politik und militärische Besetzung Palästinas" sondern werden ausschließlich per Luftfracht nach Europa geflogen und sind damit Mitverursacher des Klimawandels.
  • Klimacamper zeigen Solidarität mit streikenden Lufcargo–Arbeiteren und überreichen ihnen ein Banner.
  • Unter anderen Kinder und ihre Eltern blockieren das Fracht–Terminal vom Flughafen London Heathrow für mehr als eine Stunde.

19. und 21. August

24 Stunden "Day of Mass Acion" und mehr

mit Schloss und Kleber festgemacht
  • Eine "familien–freundliche" Demonstration markiert symbolisch das Gebiet das durch die vorgeschlagene dritte Start– und Landebahn zerstört werden würde.
  • Vom Dach der "Heathrow Business Academy" wird von drei Aktivisten ein Banner mit der Aufschrift "Make Planes History" gehängt.
  • Die Büroräume der "British Airports Authority", die sich im Vorhinein durch die Forderung von vorbeugenden Repressionsmaßnahmen gegen die Klimacamper einen Namen gemacht hatte, werden von mehreren Aktivisten "umcampt", die die ganze Nacht über dort verbleiben werden. Sie werden vom Fahrradkollektiv mit Essen, Kuchen und warmen Getränken versorgt.
  • Das British Airways Fracht–Terminal wird von mehreren aneinander geketten Aktivisten effektiv blockiert.
  • Einige Aktivisten versuchen vergeblich einen Abschiebeknast in der Nähe von Heathrow zu erreichen um die Verbindung zwischen Flüchtlingen, Klimawandel und Abschiebung hervorzuheben.
  • Der Eingang des Atomkraftwerks "Sizewell" in Suffolk wird von einigen aneinander geketteten Aktivisten blockiert. Ein Banner erklärt: "Atomenergie ist keine Antwort auf den Klimawandel!"
  • Eine Bezugsgruppe klebt sich mit Sekundenkleber an die Eingänge des Firmensitzes von "British Petroleum (BP)"
  • Fast gleichzeitig werden die Büros von "Bridge Point Capital" den Betreibern des Fulghafens in Leeds von Klimacampern "gestürmt" und ihrer Funktionstüchtigkeit beraubt.
  • Außerdem werden die Büroräume einer Firma namens "Climate Carre" besetzt, die einen Ablasshandel mit privaten CO2–Zertifikaten betreibt (nach dem Motto "einen Baum pflanzen dann fliegen").
  • Und zu guter Letzt dringt ein Teil der transnationalen Clownarmee in den Privat–Garten "Lord Soley" ein, der federführend bei der Erweiterung des Heathrower Flughafen ist und markieren die 4.(!) Start– und Landebahn auf seinen Rasenflächen.


Diese Liste ist sicherlich nicht vollständig, zeigt aber exemplarisch die unheimliche Vielfalt des Protestes.

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