2008-02:Keine deutsche Affäre

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Keine deutsche Affäre

Klassik, Romantik und der weltweite politische Kampf um eine Grundlegung menschheitlicher Zivilisation(en)

Werner Braeuner In der taz vom 27.09.2007 findet sich ein bemerkenswerter und mit "Blaue Blume gleich Flower Power" überschriebener Beitrag von Ulrich Gutmair, der die jüngste Buchveröffentlichung von Rüdiger Safranski rezensiert und diskutiert. Dessen "Romantik. Eine deutsche Affäre", Hanser Verlag, München 2007, liegt hier zwar nicht vor, allerdings kann das von Gutmair mit wenigen klaren Strichen in der taz ins Bild gesetzte bestens in das im folgenden Vorzustellende einführen.

U.G.: "Safranskis Buch ist (...) als eine Verteidigung der Romantik gegen die harte ideologische Linie der 68er, die Kunst durch Sozialromantik ersetzten, und zugleich als vorsichtige Verteidigung ihrer enthusiastischen Motive zu lesen." Doch offenbar reißt R.S. wesentliche Aspekte seines Themas lediglich an der Oberfläche an. Gutmairs Rezension verweist da zunächst auf das an Klassik und Romantik Auffallende, ihre jeweiligen Parteigänger in allen politischen Lagern und Richtungen finden zu können. Die sich unter den Fahnen von Klassik und von Romantik jeweils zusammenfindenden politischen Lagerkoalitionen sind buntester Kompott. Dies allein muß die Absicht Safranskis und seines Buchs halsbrecherisch erscheinen lassen. Der Rezensent bringt dafür etliche Belege bei.

"Romantik. Eine deutsche Affäre" ist auf Anhieb ein Bestseller geworden. In ernüchterten Zeiten gewinnt das Wort Romantik allein schon Anziehung. Ernüchternd das Ende jenes Napoleon aus Ostwestfalen-Lippe bzw. jenes von sich selbst so genannten "Projekts", Rot-Grüns. R.S. sieht einen solchen Zusammenhang nicht. Obschon jener dies, so mutmaßt der Rezensent, als wohl zu starr wahrgenommen haben wird, hat der Buchautor mit folgendem Wort abgegrenzt: "Hier Literatur, Kunst, Philosophie, dort Politik." Ohne diese Wehr müßte R.S. wohl in den Verdacht des Tröstenwollens geraten, stellt er doch 68 in die Nachfolge der Romantik, Rot-Grün in die von 68 ein. Letztere Nachkommenschaft ist zwar nicht in seinem Buch behauptet, das R.S. mit 68 hat enden lassen, allerdings behauptet er sie in zahlreichen Interviews nach dessen Erscheinen. Attestiert das Buch den Romantikern, sie eigneten sich "nicht sonderlich für die Politik", klingt das nun mit Blick auf jene Interviews unweigerlich wie ein "Es kam mit Rot-Grün, wie es mit Romantikern nun einmal kommen muß!" Originalität ist von Tröstungen nicht gefordert.

Womit R.S. sich einigen Spott des Rezensoren einträgt, der solchem Trösten eine ironische Note entgegenhält und auf Peter Hacks verweist, einen entschiedenen Parteigänger der Klassik. Hacks habe Goethe, Heine, Napoleon und Stalin allesamt in der Frontlinie der Klassik verortet und den romantischen Widerpart als zugleich konservativ und ultralinks geschmäht. Ein Ball, den der Rezensent flugs auf R.S. zurückspielt. Ultralinks sei Rot-Grün gewesen, indem jene "wahrscheinlich bürgerlichste deutsche Regierung nach Kriegsende mit Hartz IV gleichzeitig damit begann, sozialistischen Vorstellungen von Gerechtigkeit den Garaus zu machen". Auch Peter Hacks entgeht dem Rezensenten nicht und wird gnadenlos aus dem Sattel seiner felsenfesten Gewißheiten geworfen. Hacks habe "die Romantik ganz richtig verstanden". Allerdings "aus den falschen Gründen". Denn wird nur das rot-grüne Selbstverständnis einmal zu Rate gezogen, ist jene Regierung gleichermaßen gut mit dessen Definition des Klassischen beschrieben. Das nämlich, so Hacks, stehe für die Herrschaft der Vernunft, für Vorrang der Form, für Mitte, Ordnung und all jenes, was Goethe zufolge "stark, frisch, froh und gesund" sei - dies alles Attribute, die Rot-Grün ohne Abstriche für sich hätte in Anspruch nehmen können! Zumal derzeit ein naiv-gutes doch knallhart vernünftiges Bürgermädchen mit Massenenteignung und Zwangsarbeit klassisch stalinistische Politik treibt und damit lediglich fortsetzt, was ein burschig-romantischer doch knallhart moderner Kanzleramtsusurpator und -imperator zuvor begonnen hat.

Klassik und Romantik lassen sich modernen politischen Protagonisten nicht eindeutig zuordnen. Sollen jene beiden historischen Strömungen nicht als politisch völlig inhaltsleer und bedeutungslos abgetan werden, müßte der Moderne entweder das eine oder das andere zugewiesen werden - insgesamt! R.S. teilt mit, um welche Krone da gestritten wird; Gutmair schreibt: "Obwohl Safranski sich im zweiten Teil seines Buches, das sich der Karriere des Romantischen vom Kaiserreich bis zur 68er Bewegung widmet, gegen die These wendet, es sei dem politisch Reaktionären gleichzusetzen und gar für den Nationalsozialismus verantwortlich, so reproduziert er doch dauernd das alte Klischee, wonach die Romantik eine tendentiell vernunftfeindliche Vorliebe fürs Extreme, Impulsive, Dunkle und Träumerische gewesen sei." Sein Buch sei letztendlich von der Frage angetrieben, ob sich extremistischer Überschwang mit vernünftiger Politik verträgt". Safranski zufolge, liebe das Romantische die Extreme, "eine vernünftige Politik aber den Kompromiß". "Vernunft"! Wo bitte ist da die Definition! Mit schwammigen Begriffen läßt sich alles behaupten und beweisen. Und es lassen sich solche Begriffe wunderbar als beliebig anzustrahlende Projektionsflächen nehmen, hinter denen sich ungesagt bleiben Sollendes viel wunderbarer noch verbergen läßt. Offensichtlich soll "Vernunft" hier als Platzhalter für das moralisch Gute und für das moralisch Verantwortliche herhalten und zugleich verdecken, was wirklich gemeint ist: Operationale Logik, eine Logik von optimierten Handlungsabläufen, eine reine Zwecklogik. Die aber ist von allem Guten und Verantwortlichen per Definition und per se freigestellt. Begeht der Teufel, vor Vergnügen prustend, eine Missetat, tut er dies gewöhnlich und in aller Regel im Rahmen einer sauberen Operationalen Logik. Das thematisiert eine deshalb hier zu erwähnende französische cineastische Produktion aus den 50ern, welche die protoklassische literarische Figur des Dr. Faustus unter dem Titel "La beauté du diable", Die Schönheit des Teufels, ausleuchtet. Ist das "Starke, Frische, Frohe und Gesunde", mit dem sich der Teufel einen Dreck um das moralisch Gute und Verantwortliche schert, etwa jene von der Klassik bejubelte "Vernunft"? Als Ahnung zumindest scheint dies auch in Thomas Manns letztem und ebenfalls mit Dr. Faustus betitelten Roman durch. U.G. hat die Frage nach der "Vernunft" ganz vorsichtig so formuliert: "Muß man sich zumindest die Früh-Romantik aber nicht vielmehr als philosophische Bewegung vorstellen, deren Programm über die damals vorherrschende cartesianischen Vorstellungen von der Dualität von Körper und Geist und dessen mechanistisches Weltbild weit hinaus wies, also den Rationalismus zu erweitern suchte?" ...Operationale Logik also um Vernunft zu erweitern suchte, soll jene Frage präzisiert werden.

Displaced person namens Gott

Auf obige Frage hatte der von R.S. unter die Romantiker gezählte Nietzsche eine einfache Antwort. Mit Blick auf Cartesianismus bzw. den großen Geistesaufklärer René Descartes erhob Nietzsche den Vorwurf: "Ihr habt ihn getötet!" Gemeint ist Gott. Als Descartes "Ich denke, also bin ich" formulierte, meinte er damit "Ich denke operational logisch, also bin ich eine Maschine". Nietzsche stellte dem ein "Ich lebe, also denke ich" entgegen und meinte damit: Ich lebe als Fleisch, also denke ich vernünftig!

Descartes glaubte, alles Reale funktioniere operational logisch, was sich sodann in menschlichem Geist widerspiegeln müsse. Da er weiter glaubte, alles Reale müsse von Gott geschaffen sein, zog er daraus den Schluß, auch Gottes Geist müsse operational logisch funktionieren. Ja, Gott müsse reiner operational logischer Geist sein. Und sobald nun etwas operational logisch denken könne, müsse es von Gott geschaffen sein. Darum sei operational logisches Denken zugleich auch moralisch gut. Ein Beiprodukt des Cartesianismus ist die Erschaffung von etwas, das immaterieller, reiner Geist sei.Damit hat er nicht allein zwei voneinander völlig verschiedene Sphären geschaffen, sondern auch Gott überflüssig gemacht. Denn Gottes Denken und Wollen "stecke" in der Sphäre des Dinglich-Materiellen. Und da sich Gottes Denken und Wollen so auch im menschlichen Geist widerspiegele, sei es vom Menschen vollständig zu kennen. Gott konnte gehen, er wurde nicht mehr gebraucht. Nietzsches Gegenposition ist simpel: Sobald Operationale Logik sich gegen das Leben oder gar zerstörerisch gegen den Menschen wendet, sei sie moralisch schlecht, gleichgültig ob die Operationale Logik dabei vor Vergnügen prustet oder ernst, nachdenklich oder ein wenig traurig ausschaut wie ein Sozialdemokrat.

Operationale Logik war Nietzsche nicht vernünftig genug. Vernunft könne es nur da geben, wo Leben für sich selbst Partei ergreift! Im Zeitalter der Moderne nährt sich die gesellschaftliche Praxis aus dem Wahn, der Mensch könne sein wie Gott, da der Mensch den göttlichen Willen erkennen bzw. nachvollziehen könne: Operationale Logik. Gott wird allenfalls noch als moralischer Leumund und sittliche Staffage benötigt, weswegen moderne Staaten nicht auf die Kirchen verzichten möchten. Was aber war das für ein Gott, der sich mit solch einem billigen Trick wie dem von Descartes hatte in die Flucht schlagen lassen? Warum hatte Gott sich nicht gewehrt? Warum ließ er sich "töten"? Diesem Geheimnis suchte Nietzsche auf die Spur zu kommen und er untersuchte die Religion jenes hasenfüßigen Gottes, das Christentum. Nietzsche fand, die Religion dieses Gottes habe von Beginn an auf seine Vertreibung hingearbeitet und sich mit dem Zeitalter der Moderne völlig erfüllt. Denn von Anbeginn an sei der christliche Gott ein Feind des Lebens gewesen. Im Zeitalter der Moderne erfülle sich der Wille dieses Gottes, alles Leben zu vernichten.

Nietzsche war dabei ein durch und durch materialistischer Denker, allerdings war ihm nicht Materie, Descartes' "Ding", sondern das Lebendige das zu befragende "Material". Aus seinem "Ich lebe, also denke ich" läßt sich fugenlos ein "Wie ich lebe, so denke ich" ableiten, und sofort und unmittelbar gerät Marx in den Blick. Doch nicht mit dem vielzudeutenden Marx wird hier im weiteren erörtert werden, was "Vernunft" sei und wer sich ihre Krone aufsetzen dürfe. (über Marxens Vieldeutigkeit siehe: Moishe Postone, "Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft. Eine neuartige Interpretation der Marxschen Kritischen Theorie der kapitalistischen Produktionsweise", ca ira Verlag, Freiburg 2003). Ein anderer und weithin unbekannter Autor kann eindeutigere Auskunft geben, der im Jahre 1934 nach Palästina geflüchtete Berliner Arzt und Psychologe Erich Neumann (1905-1960) bzw. zwei seiner Buchveröffentlichungen, "Ursprungsgeschichte des Bewußtseins" sowie "Tiefenpsychologie und neue Ethik", beide erstmals im Jahre 1948 veröffentlicht.

WAS DIE ZIVILISATION IM INNERSTEN ZUSAMMENHÄLT

Peter Hacks, so faßt U.G. zusammen, hielt die Romantik für eine "Stimmung gegen eine aufgeklärte und vernünftige Ordnung", und wenn ein Franz Müntefering im aktuellen innerparteilichen Reformstreit um sie Agenda 2010 bzw. im Rahmen der Inszenierung Kurt Becks als sozialeren sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten zu Protokoll gibt, "die Agenda nicht liegen lassen, das ist eine vernünftige Expedition" (taz vom 2./. Oktober 2007, Seite 6), geht es ihm wie auch Hacks um etwas offenbar Großes, die "Vernunft", und damit noch offenbar ums Ganze, ums Große Ganze also: um die Zivilisation und ihre Bewahrung. Müntefering glaubt, dazu sei "Vernunft" vonnöten. Vielleicht ja, doch Sicherlich nicht die, die er meint: Operationale Logik. Sie ist das letzte, an das mit Blick auf die Bewahrung von Zivilisation zu denken ist!

Die großen und langlebigen historischen Zivilisationen haben sich nicht durch "Vernunft" gehalten sondern durch Kult. So Kult nun Partei für das Leben ergreift, indem er Zivilisation bewahrt, ist er etwas Vernünftiges. Doch wer sagt, daß es sich bei solchem Kult um einen um Vernunft oder gar um "Vernunft" handeln müsse?! Überdies ist "Vernunft" eine historisch äußerst junge Erfidung. Doch ist der kult der Moderne nicht, wie rechte Denker gern behaupten, ein "Kult der Vernunft". Vielmehr ist der Kult der modernen Zivilisation einer zur Erzeugung von psychischer Energie, die handlungsfähig macht, ohne sich dabei auf die konkreten Gegebenheiten menschlichen Lebens und seiner Wirklichkeit beziehen zu müssen. Erich Neumann nannte dies einen "Bewußtseinskult", der auf beliebige Zwecke hin handlungsfähig macht, und dies permanent. Allerdings seien jene beliebigen Zwecke lediglich Mittel, Mittel um jenen Kult betreiben zu können. So hat da nicht etwa der Kult der Zivilisation zu dienen - indem er sie bewahrt -, sondern es hat die Zivilisation dem Kult zu dienen, den Kult zu bewahren! Bei Elektromotoren lassen sich die beiden Pole vertauschen, und er läuft dennoch. Bei Zivilisationen etwa auch? Sicherlich nicht. Besonders nicht, wenn dazu die Lebenswirklichkeit durch eine Simulation ersetzt werden muß. Simuliert wird eine operational logische Welt, die aus Zahlen und Daten besteht, die aus Kaslkaden hierarchisch angeordneter Rechenverfahren gewonnen werden, die wiederum einer Operationalen Logik folgen. Es hat diese Simulation eine einzige Schnittstelle zur Wirklichkeit, indem die mit den operational logischen Rechenverfahren gewonnenen Daten auf die Messung einer einzigen in der Wirklichkeit wahrnehmbaren Handlung fußen, nämlich auf der Messung der Anzahl von Waren in einer Zeit. Real sind dabei allein die Ware und der Mensch, der sie produziert. Alles andere bleibt unberücksichtigt bzw. muß sogar als störend wahrgenommen werden. So selbst der Mensch, sobald er das Meßergebnis beeinflußen möchte.

Bewußtseinskult läßt den Menschen zu einem Störfaktor werden, der nur geduldet wird, so lange er für die Aufrechterhaltung des Kults unersetzlich ist. Wo liegt in einem solchen Kult die Vernunft? Offensichtlich wehrt ein dauernd hochgespanntes und handlungswaches Bewußtsein mißliche seelische Empfindungen oder Zustände ab. Wer in dem Wahn lebt, nun die Stelle Gottes eingenommen zu haben, mag solche Zustände selbstverständlich nicht haben, sie konterkarieren eben jenen Wahn. Besonders gilt dies, wenn gesehen wird, daß dieser Gott eigentlich ein Maschinenbauingenieur gewesen ist. Nur wache und operational logische Maschinenbauingenieure können Gott sein! Offensichtlich handelt sich beim Bewußtseinskult um einen der gesellschaftlichen Funktionseliten. Sie allein benötigen "Geist". Die Angehörigen der Nichtelite haben den ihren vielmehr aufzugeben und den göttern zu schenken, indem sie Hand in Hand, Hirn und Nerven bis zum möglichen Maximum vorausgeben. Ihr Leib soll in "höhere", in abstrakte Werte "vergeistigt" werden. Ob ihnen das gelingt, läßt sich anhand einer Zahl messen, die an der Spitze der Kaskade aller Rechenverfahren steht: am Profit. Vergeistigung von Leib wird in der christlichen Religion als Wandlung oder Transsubstantiation bezeichnet. In der christlichen Kultfeier geht der Geist des Sonnengottes Christus in ein Stück Brot ein, wird so Leib. Allerdings vollziehen göttliche und proletarische Wandlung sich in die jeweils umgekehrte Richtung. Bei Gott und Geist zu Leib, beim Proletarier und Siemens-Angestellten von Leib zu Geist. Letzterer kann dabei die Form von Lohn oder von Profit annehmen. Profit ist hierbei die Opfergabe an die Götter. Wie zu sehen ist, beruht dieser Kult auf der dualistischen Spaltung in Leib und Geist. Wie bei René Descartes. "Vernunft" und "Aufklärung" sind etwas Christliches.