2008-02:Wovor hatten die Ankläger Angst?

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Was den Amtsrichter Dr. Oehm in seine Rechtsbeugungen trieb

Blanke Angst

jb. Manch einE BesucherIn der Prozesse vom 26.8. bis 4.9.2008 mag sich die Frage gestellt haben, warum der Richter so vehement alle Fragen zur Gentechnik verbot. Waren es am ersten Prozesstag noch in der Sache hart, aber in der Form korrekte Maßnahmen des Richters, so verlor er am zweiten Tag völlig die Selbstbeherrschung und wehrte sich mit Verboten, Beleidigungen, sexistischen und kinderfeindlichen Handlungen sowie absurden Rechtspositionen gegen eine ganz unscheinbare Frage. Ob Insekten durch das Vogelschutznetz zu den Genpflanzen gelangen konnten, war der Beauftragte für die Biologische Sicherheit des versuchsdurchführenden Instituts gefragt worden. Oehm ging dazwischen.Einen Verhandlungstag später verbot er wieder alle Fragen und schloss einen der Angeklagten sogar vom Prozess aus. Was treibt einen Richter, der solche Fragen verbietet und die Frager mundtot macht?

Mindestens zweierlei. Zum einen ging es um den Schutz der Universität und der dort lehrenden Wissenschaftseliten. Gerade der Versuchsleiter beim angegriffenen Gengerstefeld, Prof. Kogel, ist einer der ambitioniertesten Karrieristen an der Uni Gießen, Vorkämpfer für die Umformung der Gießener Hochschule zu einer Elite-Uni und selbst Global Player in der Agro-Biotechnologie. So jemand braucht Vorzeigeversuche mit Strahlkraft. Der Prozess gegen die Feldbefreier hätte dreckige Details des Geschachers zwischen WissenschaftlerInnen, Konzernen und Behörden ans Tageslicht bringen können. Einmal, am zweiten Prozesstag, passierte das sogar versehentlich: Der Beauftragte für die biologische Sicherheit musste bei einer simplen Frage des Richters zur Gerste passen, weil er sich mit dieser Pflanze gar nicht auskannte. „Ich bin kein Landwirt“, stammelte er. Richter Oehm war gewarnt. Wollte er die Interessen von Uni, Professoren und/oder dahinterstehenden Behörden und Konzernen schützen, musste er durchgreifen. Die Uni ist die mit Abstand mächtigste Institution in Gießen. Lehrende und Lernende samt Anhang machen die Hälfte der EinwohnerInnenschaft aus. Forschungsarbeiten im Gentechnikbereich sind, wie vielerorts anders auch, verflochten mit Interessen großer und zahlungskräftiger Konzerne. Prof. Kogel war in früheren Jahren als Mitarbeiter in einer Patentanwaltskanzlei tätig und besitzt von BASF angemeldete Patente auf gentechnische Verfahren oder Produkte. Beim laufenden Gengersteversuch hat er immer jegliche Verbindung zu Konzernen verneint. Überprüfbar war das nie.
Auch die Genehmigungsbehörde BVL war bereits mehrfach in die Schlagzeilen geraten. Der dortige Leiter der Abteilung für Gentechnik, Dr. Buhk, war selbst in seiner Zeit als Spitzenbeamter noch für die Gentechnikkonzerne tätig gewesen und hatte bei seiner Einstellung solche Nebentätigkeiten verschwiegen. Eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Genehmigungsbescheides für das Gengerstenfeld in Gießen hätte umfangreiche Skandale auch in bundes- und EU-weiten Kontrollstrukturen aufdecken können. Zudem wurden einige notwendige behördliche Genehmigungen gar nicht eingeholt. Der Versuch war aus vielen Gründen von Anfang an rechtswidrig gewesen, doch eine offizielle Überprüfung hatte nie stattgefunden. Vor Gericht hätte das stattfinden müssen - wenn es mit Recht zugegangen wäre.

Zudem dürfte Richter Oehm schnell erkannt haben, dass eine Prüfung, ob gegen die Freisetzung gentechnisch manipulierter Pflanzen ein Recht auf Notwehr besteht, zum Ergebnis kommen könnte, dass es keine andere Möglichkeit gab, die offensichtliche Gefahr abzuwenden. Beim Gießener Gengersteversuch war das besonders schlimm: Politische Gremien und Parteien versagten reihenweise, die Kontrollbehörden waren verfilzt mit den großen Konzernen. Für den Versuch wichtige Genehmigungen wurden nicht eingeholt, jegliche aufschiebende Wirkung durch rechtliche Eingaben war mittels sofortiger Vollziehung des Genehmigungsbescheides verwehrt. „Mildere Mittel“, die einen rechtfertigenden Notstand ausschließen würden, waren somit nicht mehr vorhanden. Für Richter Oehm, der auf Vorschlag von CDU und FDP auch beim Hessischen Staatsgerichtshof tätig ist, gab es nur eine Chance, das Risiko einer herben Niederlage für die Gentechnikindustrie zu verhindern: Es durfte gar nicht über die Gentechnik gesprochen werden. Am Ende des ersten Verhandlungstages war es dann soweit - Richter Oehm verbietet Fragen zum Versuchsfeld.

Auszug aus der Abschrift des Tonmitschnitts:
Verteidiger Döhmer: „Das nächste ist jetzt für mich die Frage
zu dem Bereich der Biosicherheit gehört zum Beispiel auch die Frage,
inwieweit denn dieses Netz durchlässig war für Insekten.“
Oehm: „Diese Frage gehört nicht mehr zum Gegenstand
der Anklage und in Bereiche hinein, die mit der Frage,
ob hier Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung vorliegen,
nichts ... (unverständlich). Ob da Insekten durch das Netz fliegen können
oder nicht, ist für die Fragestellung, die sich hier im
strafprozessoralen Rahmen ergibt, ohne Bedeutung.“
Döhmer: „Wir haben doch gerade erörtert,
dass er Sicherheitsbeauftragter ist ...“
Oehm: „Es geht nicht darum, wie sicher das Netz war - nein!“
Döhmer: „Es spielt selbstverständlich eine Rolle,
welche Gefahren von diesem Feld ausgingen.“ Oehm: „Nein!“

In einer Reihe von Verfahren, die an anderen Gerichten bereit stattgefunden haben gegen Menschen, die 2006 oder 2007 an Feldbefreiungen beteiligt waren, wurde die Frage des rechtfertigenden Notstandes immer geprüft. Bisher haben die RichterInnen für den konkreten Fall dessen Anwendung verneint. Aber niemals war jemand auf die Idee gekommen, das dürfe gar nicht geprüft werden. Hier steht der Gießener Richter Oehm völlig allein mit seiner Auffassung. Aber im Vergleich mit den anderen Urteilen hat er gute Gründe, die Debatte ganz abzuwürgen. Denn was in den anderen Urteilen als Gründe für die Nichtanwendung benannt wurde, ist in Gießen anders gelagert. So wurde andernorts einigen Angeklagten unterstellt, dass ihre Aktion wegen der Größe des angegriffenen Feldes von Vorneherein keine Aussicht auf vollen Erfolg hatte, z.B. im Urteil des Amtsgerichts Bad Freienwalde vom 4.7.2008 (31 Cs 256 Js 31086/07). In Gießen war die Fläche nur sehr klein und die Aussicht auf den vollen Erfolg fraglos gegeben. In anderen Verfahren wurde auf mildere, politische Handlungsmöglichkeiten verwiesen. In Gießen war mit der fehlenden öffentlichen Anhörung und dem Sofortvollzug alle juristischen Möglichkeiten verwehrt, zudem räumte die Stadt Gießen selbst ein, dass es keine politischen Handlungsmöglichkeiten gegen den Versuch gäbe. Ein milderes Mittel als die eigenhändige Feldbefreiung war also nicht vorhanden. In einem Verfahren wurde dem Angeklagten vorgehalten, dass er ein Maisfeld erst nach der Blüte attackiert hätte - also erst nachdem die wesentliche Gefahr vorbei war (Amtsgericht Zehdenick (41 Cs 329 Js 28747/06). In Gießen war das anders: Hier haben die FeldbefreierInnen bis zum letzten Moment und auch durch ihre Ankündigung versucht, die Universität zum Einlenken zu bringen. Kurz vor der üblichen Blütezeit stürmten sie dann das Feld.
Dass von der Agrogentechnik massive Gefahren ausgehen, kann auch vor und von Gerichten nicht mehr bestritten werden - waren es doch gerade Gerichte, die mehrfach den Vertrieb der mit gentechnisch veränderten Partikeln verunreinigten landwirtschaftlichen Produkte untersagt hatten. So wurde erst kürzlich einem Imker vom Verwaltungsgericht Augsburg untersagt, seinen Honig weiter zu verkaufen, wenn in diesem Pollen gentechnisch veränderter Pflanzen zu finden wären. Damit sind sichtbar gesundheitliche Risiken und Einschränkungen der Berufsfreiheit ganzer Berufsgruppen mit der Gentechnik verbunden. Aus der Gefahr ist vielerorts längst ein Schaden entstanden, so dass es an der für rechtfertigenden Notstand notwendigen Wahrscheinlichkeit des Schadens nicht fehlt. Den Nachteilen der neuen Technik müsste ein großer Nutzen entgegenstehen. Doch außer Karrieresprüngen der skrupellosen WissenschaftlerInnen, Standortdenken bei der Universität (von deren Führung so auch behauptet) und Profiten weniger Konzerne hätte eine Prüfung im Gießener Gerichtssaal keinen Nutzen aufzeigen können.
Und weil das so war, zog Richter Oehm die Notbremse. Es durfte gar nicht über das heikle Thema geredet werden. Die harte Aburteilung derer, die den Genpfuschern das Handwerk gelegt hatten, war im Interesse der Regierungen und Konzerne. Über deren Interessen und Machenschaften aber durfe nicht geredet werden. Sonst wäre allzu offensichtlich geworden: Kriminell sind nicht die Feldbefreier, sondern die Gentechnik selbst! So aber hatte der Prozess neben jeweils 6 Monaten Haft ohne Bewährung für die Angeklagten nur ein Ergebnis: Die Rechtsbrecher tragen Robe.