2008-03:Schlachthäuser, -felder

Aus grünes blatt
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Schlachthäuser, -felder: Emanzipatorische Theorie der Tierbefreiung

„Wer immer noch nicht auf die Idee kommt, dass die In-Wert-Nahme von empfindungsfähigen Individuen, der Konsum ihrer Körperteile und -substanzen etwas mit Unterdrückung und Ausbeutung zu tun hat, der soll von Herrschaftskritik schweigen. Denn totaler, direkter und gewalttätiger kann Herrschaft nicht ausgeübt werden als durch den Prozess vollständiger Entindividualisierung und Verdinglichung, Zerstückelung und schließlicher Einverleibung der Herrschaftsobjekte.“[1]

Wie hängt unser Verhältnis zur Natur mit der Genese von hierarchischem Denken und Gewalt zusammen?


Wie die Philosophen Max Horkheimer (1895-1973) und Theodor W. Adorno (1903-1969) im US-amerikanischen Exil, während Europa noch ein Schlachtfeld war, resigniert feststellten, scheint allem Antrieb der abendländischen Kultur ein Zwang zur Naturbeherrschung zugrunde zu liegen, der einen negativ dialektischen Prozess in Gang setzt, welcher unausweichlich zur Katastrophe, mithin zum zivilisatorischen Bruch des 20. Jahrhunderts, zum Faschismus, führt. Lange Zeit über wurde der Zivilisationsprozess, die zunehmende Herrschaft des Menschen über die Natur, mit Prinzipien wie Fortschritt und Verbesserung positiv assoziiert – doch, so Horkheimer und Adorno: Die vollends zivilisierte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils. In ihren philosophischen Fragmenten mit dem Titel „Dialektik der Aufklärung“ (entstanden in der ersten Hälfte der 40er Jahre, 1947 erstmals veröffentlicht) konstatierten sie: „Das Wesen der Aufklärung ist die Alternative, deren Unausweichlichkeit die Herrschaft ist. Die Menschen hatten immer zu wählen zwischen ihrer Unterwerfung unter Natur oder der Natur unter das Selbst. Mit der Ausbreitung der bürgerlichen Warenwirtschaft wird der dunkle Horizont des Mythos von der Sonne der kalkulierenden Vernunft aufgehellt, unter deren eisigen Strahlen die Saat der neuen Barbarei heranreift.“ Was sie unter „Aufklärung“ fassen, meint nicht nur die mit diesem Begriff bezeichnete Epoche, sondern den gesamten westlichen Zivilisationsprozess. Diesen charakterisieren sie folgendermaßen: „Jeder Versuch, den Naturzwang zu brechen, indem Natur gebrochen wird, gerät nur um so tiefer in den Naturzwang hinein. So ist die Bahn der europäischen Zivilisation verlaufen.“

Deren primäres Ziel sei es von Anfang an gewesen, den Menschen die Furcht vor ihrer natürlichen Umwelt zu nehmen und sie als Herren über sie einzusetzen. Deutlich sei dieser Impetus den Gründungsschriften unserer traditionellen Kultur eingeschrieben, seien es jene der griechischen Philosophen, welche bereits die ordnende Vernunft als Gebieter über die Natur ansahen, oder die hebräische Genesis, in welcher der jüdisch-christliche Schöpfergott die Menschen dazu auffordert, „zu herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde“ (Gen. 1,26).

Aufklärung ist für Horkheimer und Adorno totalitär, sie verhalte sich zu den Dingen – worunter im westlichen Denken traditionell auch nichtmenschliche Tiere fallen – wie der Diktator zu den Menschen.

Das „christliche Abendland“ war von jeher darauf bedacht, mitunter mit Mitteln der äußersten Selbstkasteiung, nicht nur die äußere Natur, sondern auch die innere Natur zu beherrschen. Schon der Philosoph und ironische Verächter des Christentums Friedrich Nietzsche (1844-1900) merkte an, dass in jeder asketischen Moral der Mensch einen Teil von sich als Gott anbete und es dazu nötig habe, den übrigen Teil zu verteufeln. Auch in der „Dialektik der Aufklärung“ wird in der Verleugnung der Natur im Menschen um der Herrschaft über die außermenschliche Natur und über andere Menschen willen, was den Kern aller zivilisatorischen Rationalität darstelle, die Zelle der fortwuchernden mythischen Irrationalität in der Moderne gesehen, wie sie sich etwa in den Ideologien der Nationalsozialisten ausdrückte.

Für Horkheimer war Herrschaft unversöhnte Natur. Auch der Marxismus habe dieses Erbe der bürgerlichen Philosophie krampfhaft festgehalten – dies sei der Grund dafür, dass er totalitär wurde. Weltverändernde Praxis müsse auf einer theoretischen Reflexion beruhen, die geeignet wäre, Aufklärung zu emanzipieren vom falscher, blinder Herrschaft. Dazu müsse der Geist zunächst erkennen, dass er mit sich selbst entzweite Natur ist. – Auch Adorno sprach von einem Zustand der Nicht-Entfremdung, den er mit dem Status des Kindes vor der zivilisatorischen Erziehung assoziierte, einem Zustand, in der Feindschaft gegen das Andere und Fremde ausgeschlossen ist, und zu dem eine versöhnte Menschheit zu befreien wäre.

Leider sieht die Realität heute, rund 60 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, anders aus. Dabei hätte Auschwitz uns Sinnbild und Mahnmal werden sollen, denn der Holocaust ist die ultimative Konsequenz und die grausamste geschichtliche Manifestation des Zwangs zur Naturbeherrschung. Diese begann mit der Versklavung (beschönigend „Domestikation“ oder „Zähmung“ genannt) nicht-menschlicher Tiere und setzte sich fort zur Herrschaft über alles, was als der Natur zugehörig, was als „wild“ erachtet wurde. Die religiöse und kulturelle Mentalität, die den Kolonialismus und den Mord an den indigenen Bevölkerungen hervorgebracht hat, hat auch den Faschismus und den Holocaust hervorgebracht.

Es scheint nicht so zu sein, dass die sexuelle Herrschaft die beherrschendste Ideologie unserer Kultur ist und deren fundamentalsten Machtbegriff liefert, sondern eher so, dass die sexuelle Herrschaft der Männer sich an der Beherrschung der natürlichen Welt orientiert. Die Beherrschung der natürlichen Umwelt diente sowohl als Modell wie auch als Metapher für die Männerherrschaft – zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls Nick Fiddes, Autor einer Analyse über die symbolische Verschränkung von Fleischkonsum und Macht. Seine Ergebnisse sind: Fleisch verkörpert für unsere Gesellschaft die Kontrolle der natürlichen Welt. Fleisch wird so lange seinen gehobenen sozialen Status erhalten, wird so lange als positiv angesehen werden, wie wir unsere Fähigkeit hoch bewerten, alles „Wilde“ zu kontrollieren; im Verzehr von Tierfleisch konzentriert sich für uns eine ausbeuterische Beziehung zur Natur, Fleischessen ist unauflösbar mit der Unterwerfung der Natur verbunden.

Die Herrschaft über die Natur diente also als Modell für die Herrschaft von Männern über Frauen, die Versklavung von Tieren als Muster für die Menschensklaverei, und die industrialisierte Schlachtung von Tieren ebnete, zumindest indirekt, den Weg zum Holocaust. In welcher Art und Weise der Weg zum Holocaust über die Schlachthöfe Nordamerikas führte, zeigt der in New York lebende Autor Charles Patterson in seinem Buch Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka. Er ist der Auffassung, dass die tiefe ideologische Kluft, welche die europäische Zivilisation zwischen Mensch und Tier setzte, einen Maßstab zur Beurteilung anderer Menschen abgab. Er schreibt hierzu: „Wenn man das Wesen des Menschlichen so definierte, dass es aus einer bestimmten Eigenschaft oder einer Gruppe von Eigenschaften wie Vernunft, verständliche Sprache, Religion, Kultur oder Umgangsformen bestand, dann folgte daraus, dass jeder, der diese Eigenschaften nicht in vollem Maße besaß, ein ‚Untermensch‘ war. Solche ‚Minderwertigen‘ galten entweder als nützliche Tiere, die man an die Kandare nahm, domestizierte und fügsam hielt, oder als Raubtiere und Ungeziefer, das ausgerottet werden musste.“

Patterson führt also hierarchisches Denken letztlich auf die Unterdrückung von Tieren zurück. Diese habe die Unterdrückung von Menschen, die man als tierähnlich betrachtete, geduldet und begünstigt. Im Umkehrschluss muss dies heißen, dass die Befreiung der Tiere diesem Mechanismus einen Riegel vorschieben würde; die Überwindung der ideologischen Kluft, die Menschen und nicht-menschliche Tiere trennt, würde zum Abbau von hierarchischem Denken insgesamt beitragen. Entsprechend verstehen sich Teile der veganen Linken als emanzipatorische Bewegung für tierliche und menschliche Belange.

Doch leider sind deren Ziele alles andere als erreicht. Gerade im Umgang des Menschen mit der übrigen Natur, speziell mit anderen Tieren, zeigt sich die Langlebigkeit traditioneller Denk- und Deutungsmuster metaphysischer Herkunft. In der modernen Gentechnik etwa werden einzelne Organismen, wenn auch nicht mehr als von einem Gott konstruierte, so doch als durch den Menschen (um)programmierbare Automaten wahrgenommen, ohne die Verflechtung jedes organischen Lebens in größere, kompliziert miteinander agierende Biosysteme zu beachten. Auch in der industriellen Nutztierhaltung werden Tiere zu maschinengleichen Produktionseinheiten in Fabriken degradiert.

Dieses Verhalten ist zurückzuführen auf ein es legitimierendes, überliefertes Weltbild. Grob unterscheiden lassen sich Weltbilder der (göttlichen) Immanenz, Transzendenz und Absenz. Im Gegensatz zu Weltbildern der Immanenz, die annehmen, dass der Natur etwas Göttliches innewohnt und diese daher heiligen, sind Weltbilder der Transzendenz, welche die Sphäre des Göttlichen strikt von jener der Natur trennen, in der okzidentalen Kulturgeschichte maßgebend geworden und bilden die geistige Grundlage für den ihr inhärenten Rationalisierungsprozess. Die Etablierung dieses Mensch-Natur-Dualismus zeigt sich schon früh in religiösen Traditionen des Abendlandes und sollte maßgebend werden für die großen monotheistischen Religionssysteme und durch das Christentum, in Verbindung mit der griechisch-antiken Philosophie, das abendländische Denken und somit das Verhältnis zur Natur bis in die industrielle Moderne prägen. Deren Naturverständnis wurde vorbereitet von Konzeptionen wie jener einer Weltmaschine, konstruiert von einem Mechaniker-Gott und verbunden mit der Maschinentheorie des Lebendigen, wie sie etwa von René Descartes (1596-1650) vertreten wurde. Dessen Anhänger hielten nichtmenschliche Tiere für seelenlose Automaten. Sie sezierten sie daher bei lebendigem Leib und interpretierten ihre Schreie als Geräusche von Maschinen.

Zwischen solchen extremen Positionen der Transzendenz und des Weltbilds der Absenz Gottes liegt nur ein kleiner Schritt: Der Mechanismus funktioniert auch dann, wenn Gott sich, wie in der Moderne geschehen, aus der Weltsicht der Menschen zurückzieht. Denkmuster metaphysischer Herkunft blieben also bestehen, auch, nachdem Gott aus der Wissenschaft verbannt worden war, teilweise bis heute.

Doch die Auswirkungen des Weltbilds der Naturbeherrschung beschränken sich nicht auf das unendliche Leid von Tieren und als tierähnlich gebrandmarkten Menschen – vielmehr bedrohen sie inzwischen die Lebensgrundlage der Menschen und aller anderen (noch nicht ausgerotteten) Spezies selbst: Die Erde. Wir sind inzwischen im „Zivilisationsprozess“ so weit vorangeschritten, dass wir im Begriff sind, die Natur zu vernichten – und scheinen dabei den Boden vergessen haben, der uns trägt.

Blinder Fortschritts- und Wachstumsglaube hat als Erbe uralter Denkweisen, welche bereits die wissenschaftliche Revolution seit dem 16. Jahrhundert sowie die Entstehung der wissenschaftlich-technischen Zivilisation begleitet und vorangetrieben haben, den Blick auf ökologische Probleme lange Zeit verstellt, obwohl bereits genügend Daten über die Umweltzerstörung verfügbar waren, und wir haben uns damit schwerwiegende Probleme eingehandelt, deren Lösung noch lange auf sich warten lassen wird. „Wir haben unsere Umwelt immer als eine Bedrohung dargestellt, die wir überwinden müssen, als eine zu zähmende Wildnis, eine Ressource, die wir uns nur zunutze zu machen brauchen, ein Objekt mit nur wenigen eigenen Bedürfnissen oder gar Rechten. Diese ethische Position hat sich zu einer Art ideologischem Imperativ entwickelt, der in religiösen, theoretischen, kommerziellen, populären und mythologischen Formen zutage tritt“ – so urteilt Nick Fiddes. Weiterhin stellt er fest: „Der Rassismus, der sich in der Sklaverei und in der Ausbeutung des Reichtums der Nationen der ‚Dritten Welt‘ äußerte und äußert, hat ein gefährliches Vermächtnis sozialer und politischer Feindseligkeiten hinterlassen. Der Versuch unserer Kultur, eine unantastbare Autorität gegenüber der wilden Natur auszuüben, hat uns eine Umweltkatastrophe beschert, die, das ist jetzt klar, die menschliche Gesellschaft an den Rand des Untergangs führt.“

Ein kleiner Schritt in Richtung einer „Versöhnung“ mit der Natur im Sinne Horkheimers und Adornos – und das bedeutet: Ein Schritt näher zu einer Gesellschaft ohne Herrschaft –, den jede und jeder Einzelne von uns machen kann, ist, die der überlieferten Kultur tief eingeschriebenen hierarchischen Denkweisen, die zu diesen Umständen geführt haben, hinter sich zu lassen, sich von dieser Tradition loszusagen und sich dem industriell durchorganisierten System der Tierausbeutung zu verweigern.

Die langfristige Perspektive, die sich daraus ergibt, ist jene einer herrschafts- und gewaltlosen Gesellschaft. Charles Patterson meint hierzu: „Gewalt erzeugt Gewalt, und so hat die Versklavung der Tiere zu einem größeren Maß an Herrschaft und Zwang in der menschlichen Geschichte geführt. Sie ließ repressive, hierarchische Gesellschaften entstehen und entfesselte gewaltige, zuvor unbekannte Kriege. Einige Anthropologen glauben, dass mit dem Übergang zu Ackerbau und Viehzucht auch im politischen Leben eine interventionistische Denkweise Einzug hielt. Sie verweisen darauf, dass in Gesellschaften wie der polynesischen, in denen man vom Anbau von Gemüse und Feldfrüchten lebt und dabei mit einem geringen Maß an Eingriffen auskommt, bei den Menschen die Überzeugung vorherrscht, man solle der Natur ihren Lauf lassen und im Gegenzug auch ihnen zutrauen, mit einem Minimum an Kontrolle von oben für sich selbst zu sorgen.“

Matthias R.
Antispeziesistische Aktion/Tierrechtstreffen Tübingen

Literatur:

  • Susann Witt Stahl (Hrsg.): Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen. Beiträge zu einer kritischen Theorie für die Befreiung der Tiere, Aschaffenburg 2007
  • Nick Fiddes: Fleisch. Symbol der Macht. Aus dem Englischen von Annemarie Telieps, Frankfurt am Main 1993
  • Charles Patterson: „Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka“. Über die Ursprünge des industrialisierten Tötens. Aus dem Amerikanischen von Peter Robert, Frankfurt am Main 2004

Außerdem zum Thema:

  • Birgit Mütherich: Speziesismus, soziale Hierarchien und Gewalt, Hannover 2005 (Bestellung oder Download unter http://www.atah.tk/)


  1. Aus: Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen, eine Aufsatzsammlung, die Beiträge zu einer sich an Horkheimer und Adorno orientierenden, kritischen Theorie der Tierbefreiung sammelt.