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Version vom 08:48, 16. Sep 2009

Ökotopia

fb Die Geschichte spielt in der (relativen) Zukunft: Reporter William Weston wird von seiner Zeitung, unterstützt durch den Präsidenten der USA, als erster US-amerikanischer Vertreter nach "Ökotopia" geschickt. Er soll dort von dem seit mehr als einem Jahrzehnt unabhängigen Staat berichten, der einen Teil der früheren Vereinigten Staaten (mehrere Bundesstaaten einschließlich großer Städte wie San Francisco) umfasst. Nach langwierigen politischen Auseinandersetzungen um die Umweltpolitik der USA hatten dort Separatisten ihren eigenen ökologischen Staat ausgerufen und koppelten sich schließlich vollständig von den Vereinigten Staaten ab. William Weston berichtet von seinen Eindrücken und gibt zu verschiedenen Aspekten (z.B. Wirtschaft, Arbeit, Militär, Staatswesen etc.) Einschätzungen und Vergleiche ab. Er kommt als distanzierter Journalist in dieses Land, muss die gewachsenen kulturellen Unterschiede akzeptieren lernen und entscheidet sich schließlich nicht zurück in die USA zu kehren.

Der Zukunftsroman stammt aus der Mitte der 1980er Jahre; heute wirkt vieles komisch, haben wir doch den Vergleich mit den tatsächlichen Entwicklungen. Viele Annahmen über ökologische Entwicklungen – sowohl in Bezug auf die katastrophalen Umweltzerstörungen als auch in Hinsicht auf technische Alternativen – haben sich jedoch bewahrheitet. Dagegen ging die politische Entwicklung ganz andere Wege als vom Autor Ernest Callenbach beschrieben.

Die Utopie, die hier entwickelt wird, ist ein Ökostaat, der in vielerlei Hinsicht anders funktioniert als "unsere" damalige und heutige westliche Lebensweise. Aber trotz anderere, umweltbewusster Verhaltensweisen, anderer Schwerpunktsetzung in technischen und wirtschaftlichen Bereichen, der Reduzierung staatlicher Reglementierung in vielen Bereichen des Lebens der Menschen und offenerem sowie naturverbundenerem Verhalten der ÖkotopianerInnen, ist es eine Welt wie die konkurrierende kapitalistische. Keine Abkehr vom Herrschaftsapparat, von binären Geschlechtermustern (Homosexualität ist zwar "normal" und anerkannt, aber trotzdem wird von recht eindeutigen Frauen- und Männerbildern ausgegangen). Dafür starke esoterische Züge, die ganz Ökotopia umfassen.

In vielerlei Hinsicht ist Ökotopia ein düsterer Roman, wird doch der Eindruck vermittelt, dass es ohne Militär, ohne Polizei, Gesetze nicht geht und dass eine religiöse Grundhaltung notwendig für eine umweltbewusstere Lebensweise notwendig sei. Dabei bleibt Ökotopia in sich widersprüchlich. Wird beispielsweise einerseits gepriesen, dass die Beziehungswelten der Menschen offen seien, so werden später doch ständig Eifersucht und Besitzansprüche an geliebte oder begehrte Personen reproduziert. Oder die Ablehnung künstlicher Stoffe, die einhergeht mit der Verbundenheit zu Naturmaterialien wie Holz, an die sich Lobhymnen auf die ökotopianische Massenproduktion von Plastikwohnheimen und andere automatisierte Fabriken anschließen. Sicherlich ist dieser Widerspruch vom Autor nicht ungewollt.

Bei aller notwendigen Kritik – u.a. an der rechtfertigenden Darstellung einer "beinahe-Vergewaltigung" aus Frustration des Starreporters – ist es ein lesenswerter Roman, der zum kritischen Reflektieren anregt, hilfreich sein kann aktuelle politische Aktivitäten und Tendenzen zu hinterfragen und in kritischer Distanz die Wirkung dieser (auch in der "realen Welt" von diversen Leuten und Gruppierungen angestrebten) Utopie zu analysieren.


  • Ernest Callenbach: Ökotopia. Notizen und Reportagen von William Weston aus dem Jahre 1999
  • Rotbuch Verlag, Berlin 1978
  • Taschenbuch, 222 Seiten
  • ISBN 3880222002