2009-01:Rezensionen

Aus grünes blatt
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Der Ruf nach Recht und Ordnung

jb Das Buch ist über 30 Jahre alt - aber vieles wirkt aktueller denn je. Denn gemachte Kriminalitätsfurcht als Grundlage für eine Politik des 'Law and Order' ist gerade in den letzten Jahrzehnten immer beliebter geworden bei Regierungen. Sie versuchen damit, ihren Wunsch nach mehr Kontrolle und einem autoritären Staat zu erfüllen, in dem sie ein Bedürfnis wecken. Die von ihnen gezielt geschürte Angst wird zur willkommenen Grundlage, sich selbst als Retter zu inszenieren vor einer Kriminalität, die virtuell erzeugt wird. Das Buch konkrete Fälle, benennt Zahlen und Fälschungen. Zudem dokumentiert es den Streit zwischen dem Ruf nach Recht und Ordnung und z.B. verfassungsrechtlichen Bedenken.

  • Gunther Arzt: Der Ruf nach Recht und Ordnung
  • J.C.B. Mohr; Tübingen 1976
  • 185 Seiten


Unter Kontrolle

jb Eine bis ins kleinste Details gehende Untersuchung über die Arbeit des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit („Stasi“) in der Martin-Luther-Universität. Systematisch wurden Quellen angezapft, Personen kontrolliert, intensive Beobachtungslisten geführt. Die Kapitel des Buches zeigen viel der alltäglichen Arbeit in der Spitzelbehörde - einschließlich des Umgangs mit vergeblichen Versuchen, Informanten zu gewinnen. Der zweite Band enthält eine lange Liste aller Quellen, Literatur und Archivbestände, dazu ein Abkürzungsverzeichnis. Damit werden die fast 100 Seiten Fußnoten aus dem ersten Band ergänzt.

  • Steffen Reichert: Unter Kontrolle
  • Mitteldeutscher Verlag; Halle 2007
  • 2 Bände mit 533 und 142 Seiten


Kriminelle Gewalt - und plötzlich bist du mittendrin

jb Ein Buch für die Praxis. Der Autor beschreibt sehr genau, wie mensch sich verhalten kann, um bei möglichen Bedrohungen Ruhe zu bewahren, überlegt zu agieren und auch eine erkennbare Gegenwehr zu zeigen. Die Beschreibungen und einzelnen Fotos sind dabei leicht verständlich. Lange Spiegelstrichlisten zeigen die wichtigen Aspekte übersichtlich, auch wird so aufgelistet, welche Materialien hilfreich sind. Ärgerlich ist, dass hier an einigen Stellen eher Angst gemacht als aufgeklärt wird - z.B. mit der Verhaltensanweisung, keine TramperInnen mitzunehmen oder nicht selbst zu trampen.

  • Markus Atzenweiler: Kriminelle Gewalt - und plötzlich bist du mittendrin
  • vdf hochschulverlag; Zürich 2006
  • 200 Seiten; 26,80 Euro


Fünf Jahre meines Lebens

jb Auf drei CDs wird aus dem gleichnamigen Buch (Rowohlt Verlag) vorgelesen. Es schildert einen der bekanntesten Fälle absurder, menschenverachtender Repression: Die Verhaftung von Murat Kurnaz und seine Verschleppung in das Internierungslager der US-amerikanischen Armee in Guantanamo. Das Geschehen spricht für sich - das Buch und diese CD verdienen eine weite Verbreitung. Nur eines darf nicht geschehen, was die Mächtigen und Verantwortlichen jetzt, wo der Skandal nicht mehr zu vertuschen ist, längst versuchen: Alles wie eine Ausnahme aussehen zu lassen. Das ist sie aber nicht. Vielmehr ist sie soziale Erniedrigung und Isolierung, die Zerstörung bisheriger Lebensgestaltung das Grundprinzip jeglicher Bestrafung - ob per Polizei und Justiz im nationalen Rahmen oder militärisch auf internationaler Ebene. Das Unmenschliche an Guantanamo ist nicht die fehlende Rechtsgrundlage, sondern das Einsperren von Menschen und ihre Isolierung vom bisherigen Umfeld. Es findet in jedem Gefängnis statt. Daran sollte denken, wer den Lesungen auf den drei CDs lauscht.

  • Murat Kurnaz: Fünf Jahre meines Lebens
  • Der Audio Verlag; Berlin 2007
  • CD; 19,99 Euro


Die Sicherheitsgesellschaft

jb „Soziale Kontrolle im 21. Jahrhundert“ lautet der Untertitel des Buches, das eine fundierte und kritische Analyse der Sicherheitspolitik und praktischen Auswirkungen bietet. Es zeigt: Nutznießer der Veränderungen ist die Ordnung der Gesellschaft selbst, d.h. die Durchsetzung einer bestimmten Verhaltensnormierung als Selbstzweck. Wo der Diskurs der Verunsicherung eine „Risikogesellschaft“ in die Köpfe bringt, bietet sich der starke Staat als Lösung an - um den Preis einer immer totaleren Kontrolle des Lebens. Selbst das Strafrecht, das beschreiben die Autoren brilliant, dient einzig der Durchsetzung von Akzeptanz öffentlicher Normierung. Sonst nützt es niemandem und nichts (S. 138).

  • Tobias Singelnstein/Peer Stolle: Die Sicherheitsgesellschaft
  • Verlag für Sozialwissenschaften; 2. Auflage, Wiesbaden 2008,
  • 181 Seiten; 19,90 Euro


Grundrechtereport 2008

jb Der jährlich erscheinende Band berichtet an konkreten Beispielen, wie Grundrechte mit Füßen getreten werden von denen, die sie eigentlich garantieren oder Durchsetzungen sollen: Regierungen, Polizei und Justiz. Freiheits- und Versammlungsrechte, Presse- und Meinungsfreiheit werden ständig weiter angeknabbert - das Buch sammelt die Fälle, bei denen erwartungsgemäß die Verfahren nach 129a und b sowie die Repression gegen den Protest zum G8-Gipfel im Mittelpunkt stehen. Doch auch weniger bekannte Fälle von Postkontrolle oder neue Gesetze werden geschildert. Den Abschluss bilden Adressen und Beschreibungen von Organisationen sowie eine Chronik ausgewählter Ereignisse des vergangenen Jahres.

  • T. Müller-Heidelberg u.a.: Grundrechtereport 2008
  • S. Fischer; Frankfurt 2008
  • 256 Seiten; 9,95 Euro


Die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen

jb Nicht ganz billig, das dicke Buch. Es bietet für den/die interessierteN LeserIn eine Übersicht über die Verfaßtheit von Institutionen, die zwar zum Grundgerüst des demokratischen Rechtsstaates gehören, andererseits aber als regierungsunabhängig gelten. Dabei geht der Autor davon aus, dass demokratische Legitimation grundlegend ist und Abweichungen einer spezifischen Betrachtung bedürfen. Dabei findet er z.B. berechtigerweise heraus, dass die unabhängige Justiz nicht schon deshalb in eine demokratische Legitimation eingefangen wird, weil sie ja das demokratisch legitimierte (weil von gewählten RepräsentantInnen beschlossene) Recht exekutieren. Schließlich wären Interpretationsspielräume und das Füllen rechtlich ungeklärter Bereiche so umfangreich, dass diese Anbindung nur teilweise gegeben sei. Völlig unüberprüft aber bleibt die Grundannahme: Was ist eigentlich der Wert demokratischer Legitimation? Ist die reine Berufung darauf, irgendwann mal auf irgendeine Form von Abstimmung rückführbar zu sein, als grundlegende Qualität überhaupt geeignet?

  • Stephan Bredt: Die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen
  • Mohr Siebeck; Tübingen 2006
  • 508 Seiten; 74 Euro


„Im Auftrag“ / „Nicht ermittelt“

jb Die zwei Bücher werfen ein Licht auf die Rolle von Polizei und sonstiger Verwaltung, vor allem der Ordnungsbehörden, in der Nazizeit. Dabei sind die Informationen teils erhellend, aber auch verschleiernd. Denn die faktenreiche Brillanz des dickeren Werkes findet sich im anderen Band nicht wieder. Das ist umso überraschender, als teilweise die gleichen Autoren an beiden Büchern mitwirkten. Der Autor von “Nicht ermittelt„ hat dort sehr präzise die umfangreichen Verbrechen ganze deutscher Polizeibataillone aufgelistet. Darunter auch das Bataillon mit der Nummer 9 - zuständig wie viele Polizeitruppen für die Ermordung von Juden und anderen unerwünschten Menschen in Osteuropa. Dasselbe Bataillon taucht im Buch „Nicht ermittelt“ auch auf - hier aber als Gegenstand eines weinerlichen Textes, wie unverschämt die Auslieferung der Täter an die Sowjetunion durch die britische Besatzung war und wie schlimm es den armen deutschen Mördern dort erging. Dabei ist im ersten Buch noch zu lesen, wie sich mindestens einer der Mörder durch Lügen einen Freispruch ergaunerte. Der Autor der beiden völlig widersprüchlichen Texte ist der gleiche - seltsam. Aber nichtsdestotrotz: Ihren Sinn machen beide Bücher: „Nicht ermittelt“ als gelungenes Werk darüber, wie willige Vollstrecker in Uniform funktionieren. Das andere darüber, aus welchen Ecken revisionistisches Denken so alles formuliert wird.

  • Stefan Klemp: „Nicht ermittelt“
    • Klartext; Essen 2005
    • 503 Seiten; 34,90 Euro
  • Alfons Kenkmann/Christoph Spieker: „Im Auftrag“
    • Klartext; Essen 2001
    • 372 Seiten; 19,90 Euro


Jugendstrafvollzug: Neue Gesetze - neue Perspektiven?

jb Seit das Bundesverfassungsgericht ein gesondertes Strafvollzugsrecht für Jugendliche forderte, dreht sich die Debatte um deren Ausgestaltung. Da wollte auch die evangelische Akademie nicht nachstehen und organisierte eine Tagung. Doch schon die Einladung der ReferentInnen mutete seltsam an: Hier trafen sich AnstaltsleiterInnen mit StaatsanwältInnen, Strafwissenschaft und Strafpraxis. Grundlegende Bedenken gegen das Einsperren und Strafen kommt nur auf den Seiten 83 und 88 durch - eher versehentlich zeigen die dargestellten Ergebnisse einer empirischen Studie: Strafe und vor allem Haftstrafen sind grundsätzlich unsinnig. Doch diese Position hatte auf der Tagung gar keinen Platz. Hier trafen sich die TäterInnen des sozialen Mordens mit ihrer wissenschaftlichen Begleitung. Durchaus aber deshalb lesenswert - die Betriebsblindheit lässt grüßen ...

  • Susanne Benzler (Hrsg.): Jugendstrafvollzug: Neue Gesetze - neue Perspektiven?
  • Loccumer Protokolle 19/2007; Evang. Akadamie
  • 184 Seiten


Entmoralisierung des Rechts

jb Was beeinflusst menschliche Entscheidungen und daraus folgend konkrete Handlungen? Ist der Wille frei? Die AutorInnen beleuchten diese Frage vor allem aus der Sicht der Hirnforschung, also einer Sichtweise, die allem Entscheiden eine materielle Basis im Kopf geben will. Was bedeutet es für das Strafen, wenn jeder Handlungsimpuls physisch bedingt ist? Auch wenn die Justiz, die von Kleidung über Berufsethos bis ihren philosophischen Grundlagen Jahrhunderte hinter der Zeit herhinkt, sich in ihrer Arroganz nicht um solche Bücher kümmern wird - spannend ist die Frage allemal. Nur wird sie in dem Buch in sehr unterschiedlicher Qualität abgehandelt. Manche Autoren wirken eher so, als wären sich der besseren Verkaufbarkeit des Buches wegen auf      dem Titel genannt.

  • Klaus-Jürgen Grün/Michel Friedman/Gerhard Roth (Hrsg.): Entmoralisierung des Rechts
  • Vandenhoeck & Ruprecht; Göttingen 2008
  • 192 Seiten; 14,90 Euro


Leitfaden für Schöffinnen und Schöffen

jb Das Buch ist mehr als es verspricht. Denn konzipiert ist es als intensive Einführung in die Abläufe von Gerichtsverfahren für SchöffInnen, also die Personen, die als Laien in Gerichtsverfahren mit mehrköpfiger Gerichtsbesetzung mitwirken. In der Tat ist das Buch für diese sehr nützlich, denn es zeigt Stück für Stück und in verständlicher Sprache die Abläufe und Handlungsmöglichkeiten eines Prozesses. Zwar hat das mit der Wirklichkeit der meist von Parteien bestimmten und den BerufsrichterInnen kopflos unterwürfigen SchöffInnen wenig zu tun - aber das Buch soll ja auch gerade denen nützen, die selbst denken und entscheiden wollen. Das Buch ist so informativ, dass es auch allen anderen Prozessbeteiligten wärmstens zu empfehlen - z.B. den Angeklagten, die ja oft von Gerichten absichtlich dumm gehalten und vielfach belogen werden über ihre eigenen Rechte.

  • Hasso Lieber: Leitfaden für Schöffinnen und Schöffen
  • Kommunal- und Schulverlag; Wiesbaden 2008
  • 156 Seiten; 29 Euro


Der globale Polizeistaat

jb Der Autor beschreibt - mitunter spannend wie ein Krimi -, wie sich in den letzten Jahren die Ziele von Sicherheitspolitik verschoben haben. Nach seiner Meinung stellte insbesondere der 11.9.2001 einen Bruchpunkt dar. Durch internationale Militäreinsätze in der Logik von Polizeigewalt sei das geltende Recht unterhöhlt worden. Fraglos: Die Verschärfungen sind erschreckend - doch so neu nicht. Angst ist seit jeher das Geschäft der autoritären Politik. Ob deutscher Herbst oder inszenierte Bedrohungslagen zur Legitimation von Kriegen, es ist alles schon da gewesen. Das Recht ist nicht der Hort des Guten, sondern das Instrument der Mächtigen. Internationale Polizeistrukturen werden vom Autor als Lösung gesehen. Über die möglichen Probleme einer solchen Macht, vor der niemand mehr in andere Länder fliehen kann, diskutiert er gar nicht. Insofern zeigt das Buch den gängigen Diskurs: Mehr Kompetenzen für Polizeiarbeit werden damit begründet, dass Kompetenzen überschritten wurden. Da hat es sich ja gelohnt, weltweit Waffen einzusetzen.

  • Thomas Darnstädt: Der globale Polizeistaat
  • Spiegel Buch bei DVA; München 2009
  • 352 Seiten; 19,95 Euro